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Assuan

Freitag, 15.03.2013

Tarek, das gÖttliche ur-universum
& Mythologie auf knittrigem Papyrus

In schrägen Bahnen strömt goldenes Licht herein, beleuchtet die ausgeblichenen Teppiche, kontrastiert die dunkle Treppe, übergiesst die kleinen Steinstatuen am hohen, staubigen Holzregal und bleibt dann scharf auf dem kantigen Profil von Tarek hängen. Eine kleine halbverhungerte Tigerkatze huscht lautlos vorbei, klangvolle arabische Musik sprudelt subtil aus versteckten Boxen in die Mitte des dämmerlichtigen Raums, dicke Rauchschwaden hängen tief in der Luft, formen sich zu lockigen Kringeln und steigen schwerelos auf.

Das abgedunkelte Zimmer ist randvoll mit Millionen kleinster Staubpartikel, die langsam nach oben steigen und im einfallenden Licht aufblitzen. Fantastische Lichteffekte entstehen. „Mirhaba (Willkommen). It´s nice, that you came inside my shop“, brummt die tiefe Stimme von Tarek in arabischem Englisch, die Kohle glimmt, dann blubbert die große Sheesha, kugelrunde Wasserblasen bilden sich im bauchigen Glasgefäss, der 40-jährige Tarek inhaliert tief aus dem pink-grün-umflochtenen Schlauch, schliesst die Augen und stößt den Rauch in einem langen, dicken Faden wieder aus.

Ja, wir haben´s geschafft, haben den 24-stündigen Boots-Trip und das anschliessende Quetsch-Gedrängle am Zoll und Schalter inmitten der Schwarz-Weiss-Grauen überlebt, und vertreiben uns nun die Zeit in Assuan. Eigentlich warten wir sehnsüchtig auf die Ankunft der Fähre mit Vally, unserem Heim. Und hier, inmitten der City, in einer schmalen Seitengasse, sitze ich nun bei Tarek im Shop.

"Really nice, that you are here", wiederholt Tarek und hustet sich dabei bröckelnd die halbe Lunge raus. Ich nippe an meinem würzigen Shai-Tee im Schnapsglas, blicke um mich und stimme zu. „Please“, hatte der Ägypter gesagt, „not many tourists around. Please come in my shop, no hassle. Just look around. Some tea?“. Über zwei Stunden stöbere ich nun schon in den Tiefen des verräucherten Geschäfts, halte massive Stein-Vasen in den Fingern, bewundere transparent schimmernde Alabaster-Statuen, beäuge klitzekleine Souvenir-Schnickschnacks in einer Wolke aus Staub. Ich hebe den Kopf und sehe weiter oben, neben brennenden Kerzen, deren Wachs kleine unregelmäßige Türme bilden, auch edle, antike Stücke, während ich in der Mitte des plattgetretenen Beduinenteppichs sitze und Tarek lausche. Vor meinen Knien liegen ausgesuchte Stücke: eine große, aufwändig verzierte Katzenstatue aus dunklem Stein mit Skarabäus an der Brust und eingeritzten Hieroglyphen auf den Vorderläufen und ein ausgehöhltes Granit-Ei mit Schakal-Kopf plus spitzschnabeligem Falken auf dem Bauch.

„You know, what this is? Kanope? This one here?“, frägt mich Tarek durch den Rauch hindurch und seine Stimme durchschneidet die graue Wand. Ich schüttele den Kopf, blicke auf das kleine dunkle Ei-Steingefäss und wieder hoch zu dem alten Ägypter. „I tell you. Listen!“, flüstert er da durch seinen fehlenden Frontzahn hindurch und eine geistige Leinwand fährt hoch, produziert von Tareks kehliger Bassstimme. Sie verdeckt die staubigen Regale und die schwarzen Steinskulpturen, lässt nur die Weihrauchfässer, vergilbten Teppiche und den Kerzenschein übrig, buntverkörnerte Bilder aus vergangenen Zeiten flimmern auf.

Ich halte kurz inne und versuche, mir den Moment zu merken, Tarek vor mir, die hellen Fäden im Rauch des abgedunkelten Zimmers, das Geräusch der Wasserpfeife, den süßen Geschmack meines Shais, die verschachtelten Räume des Gebäudes, die vorbeihuschende grau-schwarze Katze, den Rotgold-leuchtenden Teppich, die mannshohe Skulptur Tutanchamuns, schimmernde Goldakzente, tiefblaue Streifen, ausdrucksvolle Augen. Dann fällt mein Blick zurück auf Tareks Profil, aus dessen unterem Drittel gerade wieder Rauch aufsteigt, der geschürzte, faltige Mund, das runde Kinn, die scharf gebogene Nase, die flache Stirn unter dem beigen Turban.

Abrupt dreht er den Kopf und nachtschwarze, etwas vom Weltgeschehen verrückte Augen blicken mich an, leicht konfus, aber randvoll mit Geschichten. „Kanope...what you have in hand here“, flüstert er geheimnisvoll, „you know... da hinein kamen die mumifizierten Organe“, beinahe lasse ich die Vase fallen, „no, no“, fährt Tarek dunkel fort, „it´s good...is a in their culture...ein großer Teil der Kultur im alten Ägypten. You know, früher wurden die Herrscher mumifiziert, erst wurden die Organe entfernt, das Hirn durch die Nase herausgedrechselt, dann der Körper in Natronsalz gelegt, Grabbeigaben bereitet. Die große“ und Tarek beschreibt mit dem rechten Arm einen perfekten Halbkreis, „the great journey began...die Unterwelt erwartet den Verstorbenen“.

Ich blicke mit einer Mischung aus Erstaunen und Entsetzen auf mein ovales Steingefäss mit Schakalkopf. Tarek folgt meinem Blick und spricht dröhnend in die fahle Luft „That´s Anubis“, und in meinem Kopf fügt sich eine pointierte Fanfare hinzu, Trommelschläge erklingen, Param-Pamm-Pamm- Pamm! Tarek nimmt mir die schwere Kanope aus der Hand und hält sie in den Bogen aus Licht, der vom quadratischen Fenster einströmt. Runde große Ohren, spitze Hundeschnauze, die darunter hervortritt. „Anuuuubis...“ und eine dramatische kurze Pause entsteht, „der Totengott!“.

„Oh, Shit,“ denke ich, „vielleicht sollte ich mir lieber ein anderes Ding aussuchen?“, da fährt Tarek sonor und gewichtig im Mythologie-Unterricht fort, während er sich mit langen Fingern am Kinn reibt: „Anubis legt das Herz mit einer Feder in die Waage. Ja, eine Feder!“ nickt der Ägypter zu seinen Worten, „Die 'Feder der Wahrheit', so heisst sie“. Der Alte hält nun beide Hände wie zu Waagschalen geformt vor seiner Kaftanbrust und sagt: „Anubis wiegt das Herz des Verstorbenen gegen die `Feder der Wahrheit' auf, das entscheidet das weitere Schicksal des Toten: ist sein Herz zu schwer, hat er zu viel gesündigt! Ist dem so, wirft er es dem Dämon Ammut zum Fraß vor – und ewige Verdammnis folgt“. Pause.

Die tiefen Worte bleiben hart im Raum stehen, Tarek atmet tief, holt Luft und sagt: „Bleibt das Herz auf der Waage mit der Feder im Gleichgewicht, dann steht der nächsten Reise nichts mehr im Weg. - Der Tote darf ins ewige Leben eintreten und seine Reise in die Unterwelt beginnt.“ Tarek schaut mir scharf in die Augen, ein abgrundtiefes Blitzen erscheint darin und kurz sehe ich mich in seinen Pupillen gespiegelt. Nervös trinke ich am mittlerweile kalten Tee, Tarek übergibt mir Anubis wie einen Schatz und ich wiege die schwere Stein-Kanope in meiner Hand.

Der Ägypter öffnet eine mit Intarsien verzierte Holzschatulle und stopft neuen Tabak mit rauen Händen und gelben Nägeln in die Sheesha, Blubbern folgt, Tarek stößt in einem Fluss den dicken Rauch aus, der steigt nach oben, erfüllt den düsteren Raum. Tarek breitet die Hände aus, sein Gewand spannt sich über der Brust, die transzendentale Musik stoppt für einen Moment und seine bassige Stimme ertönt erneut. „Das ist der Grund, wieso die alten Ägypter großartige Gräber bauten, wie im Valley of the Kings, you know, in Luxor. Have you been there?“, ich schüttele leicht den Kopf. „Für die Reise in die Unterwelt gaben sie ihren Pharaonen alles mit, was im anderen Leben nützlich sein kann. Lebensmittel, Schabti-Figuren von Bediensteten und Brüdern, für jeden Tag im Jahr eine, wertvolle Amulette zum Schutz vor bösen Mächten, heilige Gegenstände, Schmuck, Trinkbecher, Gold, und natürlich ein Schiff, die Totenbarke für den Transport. Denn dort, im Reich der Toten, wird der Verstorbene von Osiris, dem Gott der Unterwelt, erwartet.“

Bilder flimmern im Raum. Eine fantastische Atmosphäre ist entstanden, die nur kurz in meinem Hirn vom kitschigen Bild der Elisabeth Taylor als Kleopatra gestört wird. Ich verbanne Liz aus meinen Gedanken und nippe an meinem Tee. Leicht schlürfend blicke ich hinüber zu Tarek, entschuldige mich geistig für meinen Hollywood-Kopf-Streifen und nehme konzentriert die Tasse Tee in die andere Hand. Doch der scheint mittlerweile an einem anderen Ort zu sein, vielleicht ist er aber auch bei Liz, jedenfalls ist er garantiert nicht mehr bei mir. Die faltigen Lider aufeinandergedrückt, die dicken Lippen fest geschlossen, die Adlernasenflügel zittern leicht. Mh. „Was geht jetzt ab?“, frage ich mich zögernd und Tee-schluckend, und die üppige Mascara von Kleopatra fällt mir wieder ein.

Plötzlich öffnet Tarek die schwarzen Augen, ein klein bisschen irres Lächeln umspielt seine Mundwinkel, er blickt mich stechend an. Ich schlucke. Der hat doch jetzt nix von der Mascara mitgekriegt? Mann, Liz! Doch Tarek grinst, flüstert „Fabulous! The old times! - Grandiose Zeit, das alte Ägypten. Meinst du nicht.“ - „Ja, doch. Fantastisch!", wispere ich, „zumindest, wenn man Kleopatra, äh, Pharaonin war“, kann ich mir nicht verkneifen, doch ich möchte auf keinen Fall die mystische Stimmung zerstören. Ich kann mich einfach nicht wehren und innerlich hält Liz gerade die fiese Kobra in der Hand. Tarek hält mir das Mundstück der Sheesha hin, ich werde abgelenkt, Liz, Good-Bye, ich entzünde ein wenig Tabak und ziehe daran.

„Weisst du über den Weltmythos der alten Ägypter Bescheid?“, frägt mich Tarek und wedelt plötzlich ganz aktiv mit dem Zuckerlöffel in der zähen Luft, die sich sogleich in zwei teilt. „Hat er doch was von Kleopatra mitgekriegt?“. Nur der silbrige Löffel steht jetzt rauchfrei wie ein Obelisk zwischen uns. „Well, yes, äh, no. Das heisst, ich würde gerne mehr darüber erfahren“, raune ich leise, und bemerke, dass nun wieder die esoterische Musik im Hintergrund dudelt. Kling-klang-klong.

„Ganz am Anfang“ sagt Tarek theatralisch mit ausgebreiteten Armen und Löffel in der einen Hand, „war das Meer des Chaos. 'Nun'. Dann schuf Gott Aton durch lautes Niesen, ja wirklich, Niesen, 'Schu' und 'Tefnut'. Er befahl den Wassern, sich zurückzuziehen und erschuf danach die Pflanzen und Tiere. Schu und Tefnut gebaren zwei Kinder, 'Geb', die Erde, und 'Nut', den Himmel. Der gebar anschliessend die Sterne!“.

Puh. Ich atme schwer, das ist ja mal eine Geschichte, die muss ich gleich mal mit ein wenig Apfeltabak und Shai verdauen. Auch Liz ist ganz weg. Gefällt mir ziemlich gut, das knisternde Kino hier drinnen. Tarek projeziert mit seiner sonoren Stimme weiter monumentale Bilder in den staubigen Raum und ich wünsche mir Popcorn für den letzten Schliff. Und immer wieder schleicht sich Kleopatra auf die Leinwand. Ob das eine Echthaar-Perücke war? Wieder fliesst das goldene Licht in Streifen herein. Ich lasse das erstmal sacken, umkralle meine Anubis-Kanope, stoße den Sheesha-Rauch aus, Tarek schenkt mir neuen dampfenden Tee ein und ich frage mich, wie lange ich wohl schon hier sitze, mit Tarek und Liz. Doch ich will wirklich nicht so eine schnöde Frage wie die nach der Uhrzeit stellen. So bleibe ich sitzen, verharre in Stillschweigen, ziehe an der Sheesha, denke an Pharaonen, Götter, die Unterwelt und Liz und merke, dass mein Fuss eingeschlafen ist. Au.

Ich wechsle die Sitzposition, gucke den Rauchfäden beim Kringeln zu und schaufele mir ein Kissen in den Rücken. Tarek springt auf, schlurft mit roten Pantoffeln ins Nirwana seines Shops. Ich sitze ratlos da, mache mir schon Vorwürfe, ihn aus dem Konzept gebracht zu haben, Mann, Liz, hau ab, jetzt, als er aus den Tiefen des dunklen Gebäudes laut murmelnd wieder erscheint. Ganz dicht ist er ja nicht, der Tarek. Erst höre ich dumpfe Schritte auf den Teppichen, langsam werden die zu stampfendem Trampeln, dann biegt er so scharf um die Ecke, dass die Alabaster-Statue wackelt.

Tarek flucht leise, hält sie fest und stellt sie mit Nachdruck wieder in Position. Als er näher kommt, sehe ich eine Rolle in seiner Hand. „This“, dröhnt aus seinen Lippen, wie ein auf mich zufahrender schwer beladener Zug, „is from my grand-grand-grand-father. He was sudanese and a big big fan of Egyptian Mythology“. Die eine Hand fährt in die Höhe und ein knittriges vergilbtes Papier entrollt sich effektvoll nach unten. Wie oft er das wohl geprobt hat? Nun nimmt Tarek etwas vorsichtiger das eine Ende in die Hand und dreht das Pergament um 90 Grad.

Es ist ein verblichenes, gelbbraunes Papyrus-Dokument, komplett bemalt mit filigranen Darstellungen. Stolz hält Tarek das Papier vor seiner Brust. „See, here“, er deutet auf die Strichzeichnung einer nackten sternenbedeckten Frau mit schulterlanger Mähne, die sich artistisch über den Boden spannt. Wie aus dem chinesischen Zirkus. Die grazilen Hände berühren mit leichten Fingerspitzen sanft die Erde, in hohem Bogen beugt sich ein gut gebauter Körper darüber und umspannt etliche andere Figuren in ihrer Mitte, bevor die gespreizten Zehenspitzen wiederum auf dem Boden gründen. Nee, Liz ist das nicht. „This is 'Nut',“ flüstert Tarek geheimnisvoll, „'Nut', die Urmutter! Sie verschluckt abends die Sonnenscheibe und gebiert sie morgens neu“, er deutet mit gelbem Nagel auf eine am Boden liegende menschliche Gestalt mit angewinkeltem Knie „this is 'Geb', der Gott der Erde, und hier ist 'Ra'!“, sein Finger zeigt auf eine mit Falkenkopf versehene Figur, die eine runde, orange Kugel darauf balanciert“. Also, so langsam komme ich aber durcheinander!

„Er ist...“ und Tarek hebt die Augen in einer dramatischen Mimik zum Teppichhimmel und dröhnt los „...der Schöpfer des Universums!“. Intern höre ich ein orgastisches PammPamm! Seine dunkle Hand fährt jede Figur auf dem verknitterten Papyrus entlang und bleibt nun auf einer wohlgeformten Frau ruhen, deren schöner Kopf eine Straussenfeder schmückt. „Maat!“, spuckt Tarek unter zu Hilfename einiger Speicheltröpfchen auf mich. Unauffällig wische ich mir mit den Handinnenflächen über die Wangen. „Maat! Sie hält die Welt im Gleichgewicht! Sie stellt die Gesetze auf, nach denen die Pharaonen regieren, regelt Jahreszeiten und den Lauf der Sterne.“. Puh, denke ich, die hat ja jede Menge zu tun, als Tarek mit „She is the Goddess of cosmic order, truth and justice“, weiterfährt und danach fasziniert flüstert, „she is my favorite goddess!“. Der Organizer!

Mir ist irgendwie ganz schwindelig vor lauter Mythologie, der Sheesha und dem Tee, ich frage mich, was darin wohl war, als der alte Ägypter kurz am Tee schlürft und mir Osiris zeigt, den Gott der Unterwelt. Also so langsam schalte ich ab. Gibt´s da nicht einen geschmeidigen Hollywood-Streifen drüber? Vielleicht mit George Clooney? „He is also Symbol of eternal life!“, seufzt Tarek und deutet auf das antiquierte Papier. Ich sehe einen Mann mit weissem Kaftan-Gewand und blauem Gesicht. Ein langer Spitzbart rankt sich um sein Kinn (soll wohl Weisheit geben oder bedeuten, das kam nicht so ganz raus), eine große Haube oder Perücke bedeckt seinen Kopf (steht für königliche Macht), in beiden Händen hält er Zepter. Kling-klang-klong, die Musik bringt alles zum Höhepunkt.

Mit lautem Plumps lässt sich der sonst so grazile Tarek wieder auf den Boden fallen, schluchzt „my grandpa!“, trinkt einen kleinen Schluck Tee, nickt erneut „my lovely grandpa told me all of that!“, zieht an der Sheesha, bläst den Rauch rasselnd wieder aus, und murmelt sowas wie „Allah hab ihn selig“, denke ich zumindest. Mir ist schlecht. Liz verschwindet hinterm Vorhang, Tarek lehnt sich zurück, guckt müde an die mit Teppichen ausgekleidete Decke, schliesst die Augen und ich merke, es ist Zeit zu gehen.

Hirn voll, Liz weg, Tarek müde. Ich werfe einen stolzen Blick auf meine Souvenirs, trinke den letzten Schluck, fühle, wie erschöpft ich bin. „Tarek“, sage ich und wecke ihn sichtlich aus eindrucksvollen Tagträumen, denn kurz zuckt er bei meinem „Shok´ran! - Es war eine tolle Zeit hier bei dir. Ich würde gerne diese Beiden hier mitnehmen“. Ich deute auf meine Kanope mit dem Anubis-Kopf und die zarte Steinkatze „Bikem?“ (Wieviel kostet das?), Tarek wispert „of course, of course...was so very nice having tea with you! Shok´ran, Andrea. You speak arabic?! Asseläm Aleikum! -“, nennt mir den Preis, den ich trotz des schönen Nachmittags noch drastisch herunterhandeln muss, schüttelt mir die Hand, frägt mit gerunzelter Stirn „You happy? - Then me happy!“, habe wohl immer noch zuviel bezahlt, lächelt „da'ee'aa waa hid-a“ (warte kurz), verschwindet im Nirwana seines Shops, erscheint wieder mit wackelndem Weihrauchfass, weiht meine Souvenirs, wickelt sie anschliessend nahezu liebevoll in Zeitungspapier, gibt mir die Hand und sagt „ta sharraf na“ (schön, dich kennengelernt zu haben) und „atieb al-umnijan“ (Alles Gute) und ich verlasse mit vielen Bildern im Kopf Tarek, Nut, Amun und die schöne Liz.

assuan

Samstag, 16.03.2013

Frisches Leben mit Moos

Die nächsten Tage warten wir im Orchida St.George Hotel (Bild =Ausblick, 130 ägyptische Pfund; 8 LE = 1 EUR) auf die frohe Nachricht „ihr Auto ist eingetroffen“- die leider nicht kommt.

Währenddessen bestelle ich mir so leckere Dinge wie „Lähm“ mit „Cheddar“ und „Mischmisch“, gekrönt von „Chiaras“ auf „Basal“-Bett, bekomme danach ein cooles „Leben“ mit „Moos“ an den Tisch gereicht und freue mich sogar noch darüber. Nein, ich bin nicht schwanger. Was ich wirklich bekam ist nicht Lamm, sondern Rind mit Gemüse auf Gurken-und Zwiebelscheiben, gefolgt von Joghurt mit Bananenstückchen. - Und das ganze nach der „Futur“, dem Frühstück.

Die Gegenwart vertreibe ich mir mit Facebook, Internet, Facebook, fantastischem Sitzklo (!), seidenweichem Klopapier (!), heisser Dusche mit dickem Strahl (!) und dem Besuch des „unvollendeten Obelisken“ aus der Zeit des neuen Reiches. Arme Schweine haben an dem 1168 Tonnen schweren und 41 Meter langen Ding wohl ewig lang gearbeitet, nur um dann am Ende einen Querriss zu entdecken.

Mittags dinieren wir im eleganten Cataract-Sofitel-Hotel auf edler, den Nil überblickenden Holzterrasse mit Hibiskus-Saft (35 LE) und Cappuccino (40 LE) und begeben uns anschliessend auf´s Boot und hinüber zur beeindruckenden Philae-Island mit dem „Tempel von Philae“, der wichtigsten Kultstätte der Isis, Göttin der Magie. Ob ich da je durchsteige? Mitten im Nil ragt das Heiligtum in mehreren Tempeln heraus, ich bin fasziniert von wunderschönen Reliefs, feinsten Dekorationsarbeiten in allen Innen-und Aussenwänden. Abends gönnen wir uns ein romantisches Dinner an Board eines schwimmenden Restaurants, ich bekomme Nilbarsch in herzhafter nubischer Tomatensosse und gebratenen Nudel-vermischten-Reis, Georg schlemmt an Kebab (kleine angebratene Rindfleisch-Stücke), die auf einem Bett von Badounis (Petersilie) liegen und Zwiebeln und Tomaten als Beischläfer haben. Zum Dessert bestelle ich noch Asabee (gerolltes Zuckerstück mit Pistazien und Cashewkernen), Barazak (kleine Cookies mit Sesam-Kruste) und natürlich die hiesigen Basta, das Baklava (Blätterteigschichten in Honig) mit Nüsschen.

Am nächsten Tag können wir mit Kamal, unserem ägyptischen Helferlein für 40 Dollar, einem extra Feuerlöscher, einem ägyptischen Kennzeichen und Versicherung und Führerschein (250 LE), Carnet-Stempel und Zoll (550 LE) das Auto aus dem Hafen holen und starten unsere Fahrt durchs Land der Pharaonen.

luxor

Montag, 18.03.2013

HEy hey hey

„Pleaaase! BUY! BUY! You must buy!“, „No hassle! Just look HERE! NOW!! LOOOK!“, „Postcard?“, „HERE!", „You MUST buy souvenir!“, „Come here!“,„Only 100 egyptian pound!“, „Pleaaase! BUY! BUY! You MUST buy!“. Wir kämpfen uns nach dem Besuch der Kolosse von Mnemnon (Bild) durch brüllende Verkäufer und schrille Souvenir-Shops hin zum unspektakulären Eingang des „Valley of the Kings“.

Auf der Fahrt nach Luxor durch das Niltal, ein schmaler Grünstreifen inmitten der mächtigen, allumfassenden beigen Wüste, machten wir einen Abstecher zu Edfu und seinem Horus-Tempel (der mit dem royalen Falkenkopf), statten dem Tempel von Kom Ombo und seinen mumifizerten Krokodilen einen Besuch ab und grüßen den Kroko-Kopf-Gott Sobek recht schön. Nirgendwo auch nur ein einziger anderer Tourist weit und breit. Heute steht das Valley of the Kings auf dem Programm und etwas ernüchtert über die superaufdringlichen Ramsch-Verkäufer kaufen wir das Ticket. Der Mann hinter dem verglasten Schalter will uns um 10 Pfund Rückgeld bescheissen, dann springen wir auf den Zubringer-Train, löhnen erneute 8 Pfund für eine 1-Minütige Fahrt und werden von einem dicken Mann mit großer Sonnenbrille in Jeans und grüner Weste angesprochen. „Hello! Welcome! I´m a Guide! I will tell you everything about the tombs!“. „Really?“ frage ich, mit meiner Info-Broschüre wedelnd „You know, what´s inside her?“. - „Yes, of course! Everything!“.

Kurz beratschlagen wir uns und beschliessen in Ermangelung jeglichen anderen Guides, „Profi-Wissen wär´ ja gar nicht schlecht“, handeln den Preis aus und nehmen „Tuti“ mit uns. Der beleibte 30-jährige Ägypter mit riesiger Gucci-Sonnenbrille frägt nach den Tickets „it´s better, when I give them to security“ und rennt drauflos. Ich blicke um mich und sehe die ewige Weite der rauhen Kalkfelsen, zu beiden Seiten erheben sie sich goldgelb, in der Mitte führt ein Weg zu den Eingängen der Gräber, die, um Plünderungen vorzubeugen, tief in die Felsen gehauen wurden. 62 Gräber wurden im Tal der Könige gefunden, allerdings sind nur wenige für die Besichtigung geöffnet. Auf einer Infotafel am Eintritt steht, dass jeder Besucher 2,5 Gramm Schweiss in den Höhlen hinterlässt, was wiederum schlecht für die Farben und den Erhalt der Grabstätten ist. Ich bin sicher, ich schwitze nicht so stark! Wie dem auch sei, wir wollen uns zumindest fünf ansehen und hechten dem speckigen, überraschend sportlichen Tuti auf seinen Lacoste-Tretern hinterher.

Als wir ihn eingeholen, steht er schwitzend und röchelnd vor der Tafel des ersten Grabes und erzählt uns Folgendes: „This is tomb of Ramses III. You will see lot of drawing inside. Here“, und deutet mit krummem Finger auf die Schautafel vor dem Grab „entry here, and then you walk and then you come to sarcophagus“. Mh. Irgendwie ein bisschen mehr Info vielleicht? „What else?“, frage ich. „Nothing else. GO!“, keucht Tuti. Naja, vielleicht später. Der Dicke wackelt vor Richtung Eingang, der von einem bärtigen Kaftanträger mit versteckter Kalaschnikow bewacht wird. „If you want to take pictures“, flüstert der 30-jährige Ägypter da verstohlen und Schweissperlen stehen im fett auf der Stirn „I can help you!“. - „I thought, it´s forbidden?“, frage ich, stand doch gross und breit auf dem Schild unten „No Pictures!“, ausserdem mussten wir die Kameras am Eingang abgeben. „Yes. But I help you. No prrroooblem!“, säuselt Tuti, der mir zunehmend unsympathischer wird, „Now, GO IN!“, befiehlt er da wie der Zoodirektor, schnorrt sich von Jamie eine Kippe und scheucht uns mit unwirscher Handbewegung Richtung Höhle. Am Eingang übergibt er dem Wächter unsere Tickets, und der locht sie einmal.

Häh? Ich frage nach, und Tuti sagt: „Only allowed to visit 3 tombs. Then pay again! And now, GO IN – I have to stay outside!“. Bitte? Wofür nehmen wir denn einen Guide, wenn der nicht mit hinein darf? Wieso hat er das nicht gesagt? Wieso dürfen wir nur drei Gräber betreten? Warum steht das nirgendwo geschrieben? Und wieso ist das gar nicht das Grab, das wir eigentlich sehen wollten? Fragen über Fragen. Mit leichtem Grummeln in der Magengegend, in der sich gerade ein kleiner Sandsturm zusammenbraut, betrete ich den Zugang und sehe einen langen, dunklen Gang, vielleicht 50 Meter tief, der komplett bemalt ist.

Filigrane Götterzeichnungen rechts und links, selbst die aufwändige Decke ist detailreich bepinselt. Hieroglyphen, Reliefs, bunte Wandzeichnungen. Abbildungen des Ramses, seiner Frau und Kinder, ich erkenne Osiris in der Wand, die Göttin Maat, den falkenköpfigen Horus, auch Anubis, der ist beschäftigt mit Einbalsamierung. Die „Göttin der Liebe und Leidenschaft“ Hathor flankiert den Eingang, lese ich in der Info-Broschüre. Zum Glück haben wir die gekauft, mit 20 Pfund noch dazu billiger als Tuti. Ich versuche, Tuti aus meinen Gedanken zu verdrängen, und das hier zu geniessen. Segelnde Schiffe zu meiner Rechten, Bedienstete des Königs, die Essen bereiten zu meiner Linken. Bewaffnete eingeritzte Wächter geleiten den Pharao sicher ins nächste Reich.

Langsam bewege ich mich im engen, beleuchteten Gang vorwärts, meine Augen sind an die Seiten geheftet, Szenen des alltäglichen Lebens, Weinherstellung, Erntebilder, Arbeiter, Götter, Thutmosis, der dem Sonnengott Ra-Harakhty opfert. Wundervolle detailgetreue Abbildungen, ausgehauen, bemalt. Ich gehe weiter und sehe zwei kleine fünf Quadratmeter breite Kammern, eine rechts, eine links. Hier wurden Essensbeigaben untergebracht, für die letzte Reise, auch Schmuck, die nützliche Totenbarke und goldene Schätze für den König. Hey, Tarek, ist doch einiges hängengeblieben, trotz Liz. Es geht weiter im Gang und ganz hinten befindet sich dann ein leider ein Nichts, also mehr ein Schuttplatz, die Grabräuber haben da ganze Arbeit geleistet.

Also drehe ich mich wieder um, und wandle den langen Gang zurück. Um jedes Bild zu deuten, müsste man wohl Monate im Grab verbringen – und nicht unter Klaustrophobie leiden. Ich bin schwer beeindruckt und wandle wieder hinaus, wo eine andere Gruppe gerade von einem spanisch-sprechenden Guide den Mega-Vortrag über Wandbemalung, Götterkunde, das „Book of the Gates“, Farbherstellung und Ramses III bekommt. Mit brennenden Fragen und unsitt vom Wissensdurst gehe ich zu Tuti. Der lehnt äusserst gelangweilt an der Wand, wippt bei meinem Kommen mit dem Fuss, und kreischt mir frecherweise „You needed long time!“ entgegen. Da fällt mir gleich gar nichts mehr zu ein. Nach kurzem Momentum will ich aber dann doch was wissen: „Could you explain the 'Book of the Gates', please? Here on that Info-Board it is mentioned as part of the paintings?“.

Tuti runzelt die Stirn, wendet sich abrupt ab, schweigt. Hat er mich nicht verstanden oder ist der authistisch? Ich versuche es erneut und wiederhole die Frage. Tuti zieht die überdimensionale Gucci-Brille á la Posh-Spice mit spitzem Finger herunter, schaut mir auffordernd in die Augen und wiederholt nun selbst meine Frage: „YOU wanna know, what´s the 'Book of Gates?`“ und ein vorwurfsvoller Tonfall liegt darin. „Äh, yes. Could you explain that, please?“. Der Guide guckt gen Himmel, seufzt schwer und antwortet träge: „Of course! Well, äh, the Book of Gates is like, you know, äh, it is like a book“, und dabei blättert er mit den Fingern in einem aus Luft-bestehenden Buch, so wie man Luftgitarre spielt, nur eben blätternd, „you know a book?“, „Yes, Tuti“, antworte ich wahrheitsgetreu „I know a book...“, „Yes, so it´s a book“, fährt er da sinnierend fort, „which describes Gates. You know gates?“. OOO.KKK. Alles klar. Ich werde sauer. Gerade endet der spanische Guide seinen 10-Minuten-Vortrag und die Leute gehen mit lauten Aah´s und Oohhs in die Grabstätte. „Y, uno momento!“ ruft Mr. Iglesias „Saben, amigos, Osiris, a la derecha!!“. Das macht meinen Ärger nicht besser. Ich blättere in der Info-Broschüre nach. Sauge die Infos auf. Trotzdem gebe ich nicht auf mit unserem bezahlten Nichtswisser: „And now, Guide, could you please explain...about the tomb, about the pharao, and by the way, why is this not called the „Valley of the Pharaos“?

Tuti legt die Stirn in Falten, zieht die Augenbrauen hoch, so dass die Gucci-Brille nach oben rutscht und pampt mich an: „WHY? YOU WANNA KNOW WHY? Nobody knows.“ und fügt schnippisch hinterher „You could call it whatever you want, lady!“. Hab ich jetzt da irgendwas nicht mitbekommen, oder ist der aussergewöhnlich aggressiv grad?

Wir schweigen, ignorieren Tuti, ich gehe nur kurz zu ihm hinüber, will die Tickets „sehen“ und behalte sie gleich alle für mich und anschliessend gehen wir dem keuchenden Trampel hinterher. Auf dem breiten ausgeblichenen Steinpfad weiter, zum nächsten Grab. „Did you take pictures?“, der Speckige bleibt vor der nächsten Schautafel stehen, deutet darauf, lässt aber keinen Mucks los, macht eine kleine Drehung und säuselt Georg mit seinen Wulstlippen ins Ohr. Der erschrickt, dreht sich um und sagt „No, why?“. „Oh, just, because the next tomb is perfect for pictures! It´s the most beautiful tomb!“, sagt´s, lässt verlauten „That´s the tomb of Setnakht, the best tomb ever! You will enjoy it! - Go in! Take pictures!“. Äh, Moment. „Just a question“, sage ich „What will we see inside there?“.

Tuti: „WHAT YOU WILL SEE INSIDE THERE? GO-IN!!“. Der schreit mich echt an. Hat der sie nicht mehr alle? Demonstrativ blättere ich in dem Info-Buch, sehe kurze Erläuterungen zu Farben und Style, finde das vor uns befindliche Grab und lese laut englisch vor: „Tawosert – Setnakht, Grabentdeckung 1907, es ist das größte Grab von allen...Am oberen Teil der Wand wird ein Gott in Beetle-Darstellung gezeigt, mit der Sonne auf dem Kopf, ein glückversprechender Skarabäus mit ausgebreiteten Schwingen...die Hauptdecke zeigt astronomische Sternbilder, der Sargdeckel ist formschön gestaltet, um die Mumie in bestem Licht zu repräsentieren, dabei wird der König von den Gottheiten Isis und Nephtys flankiert, zwei schlangenförmige Gottheiten stehen dazwischen...“- ich kann mir nicht verkneifen zu sagen „And I thought you said, you know everything, what´s inside that book here?“. Tuti wird rot, wendet sich ab, schnorrt sich von einem vorbeikommenden Tourist eine Zigarette und ignoriert uns.

Wir watscheln vor zum Eingang, lassen unsere Tickets lochen, wandern in die Dunkelheit und geniessen die ersten Wandmalereien. Tuti ruft „George!“, der dreht sich um, Tuti winkt ihn nochmal raus, später sagt mir Georg „er meinte, ich muss unbedingt Bilder in diesem Grab machen, dass ich das auch ja nicht vergesse, das sei das schönste Grab von allen...“. Kann dem doch egal sein? Eins steht fest: ich kann den nicht ab. Der kann gleich wieder verschwinden und andere Leute abzocken. Ich wende ich mich wieder der feinen Kunst an Wänden zu, dem goldenen Farbton, die „Vorratskammern“, die blaue Deckenbemalung mit kleinen Sternen und den riesigen Skarabäus.

Im Augenwinkel sehe ich Tuti draussen mit dem Security labern, schnell weiter, Tuti vergessen. Wir arbeiten uns systematisch vor, bewundern Bild für Bild, stehen bald vor dem Sarg, da sehen wir, wie der Sicherheitsmann um uns herumschleicht. Drei andere Pärchen im Grab, doch der Kalaschnikof-Kaftan haftet an unseren Fersen. Georg geht um den Sarg herum. Security hinterher.

Gemeinsam trapsen wir den Gang zurück und so ungefähr auf Höhe der Vorratskammern schreit der Security-Man: „STOP!“. Wir drehen uns um und sind verwirrt. Was los? „WAIT!“, befiehlt der nochmal, als hätten wir grade den goldenen Kopf der Hathor gestohlen. Er pirscht sich an und beginnt Georg abzusuchen! Tatscht ihn von oben bis unten ab. „Camera?! - WHERE IS CAMERA!?“. Georg schmunzelt, „No camera!“. „Yes!“, entgegnet der Kaftan grimmig, „I KNOW, you have CAMERA!“ und tastet weiter an Georgs Hose entlang. „Hah!“, stößt er triumphierend hervor, „HERE!“ und zieht Schatzi das Handy aus der Tasche. „Show me pictures!!“stößt er keuchend aus und macht sich vor Aufregung beinahe in die Hose, äh, den Rock. Ruhig schaltet Georg das Ding ein und zeigt ihm Bilder vom Strand in Malawi, einen Elefanten in Kenya. Hahaa, das war das letzte Mal, dass wir die Handy-Cam benutzten. „Where are the pictures from HERE?“, will der Bärtige wissen. „No pictures!“ - „Don´t believe you! SHOW ME!!“.

Ich werde so sauer, dass ich kaum atmen kann. Tuti-Arschloch! Die machen Hälfte-Hälfte. So ein Schwein! Bastard. Oh, ein emotionaler Orkan erfasst mich und ich hechte hinaus. „TUTI! - I DON´T WANT YOU AS OUR GUIDE ANYMORE! GO!“. Tuti reisst unschuldig die Augen auf, „What happened?“, „Oh, you know! You know very well!“, schnauze ich ihn an. Da flippt der Dicke völlig aus und schreit mich mit 180 Dezibel an „WHAT I KNOW! I DON´T LIKE YOU! YOU, YOU, YOU...“ und dann gehen ihm die Worte aus. Georg steht derweil neben mir und spricht in drohendem Ton „Don´t you shout at my wife! TUTI! Be careful!“. Tuti läuft putterrot an, bekommt den Killer-Blick, wenn Augen scharfe Messer schiessen könnten, wäre ich jetzt mausoleumstot. Er allerdings auch. Dann kreischt er wieder los und guckt so blöd, wie noch kein Mensch vor ihm. Wie eine fette Ratte, der man den Schwanz abgeschnitten hat. Wie ein Fisch, der auf Asphalt liegt. Wie eine Robbe, die in der Sauna schwitzt. Wie der größte Depp auf Erden.

Dabei zappelt er nun auch noch wie ein Baby-Krokodil, das aus der Schale will und keift „I DON´T LIKE HOW YOU TALK TO ME, LAAADY!“, wobei er das LADY langzieht und drohend die Hand hebt. Das soll mich einschüchtern? Ha! „Well“, sage ich betont ruhig und fast schon melodisch, „You are no guide! You don´t know anything!“, „I KNOOOW!“ hallt es mir entgegen und ich fürchte mich vor Tinnitus, nicht aber vor Tuti. „I know...", wiederhole ich seine Worte, „that I know nothing, or what do you want to say?“. Tuti steht kurz vor der Explosion, er schwitzt und seine rechte Backe fängt an zu zucken. Macht nichts.

„First of all“, beginne ich „don´t shout at me. Second: If you are a guide, tell me about the colours, for example...how are they done?“. „HOW-THE-COLOURS-ARE-DONE??“, dröhnt es mir entgegen, ich mache die „Volume-Regler-leiser“-Bewegung mit der Hand und bringe ihn damit völlig zum Ausflippen. Er rotiert auf dem Sand wie der Duracell-Hase, dann kommt er zu einem geistigen Höhepunkt: „NOBODY KNOWS!!!“, kreischt er „LADY!! NOBODY KNOWS!! The colours are a big mysterium!“. - „Are they?“, versichere ich mich und kann mir ein kleines Lachen nicht verkneifen. „Let´s see...maybe the book knows. Oh, no, probably not. Because you know everything, what´s in the book, right?“.

Ein ironischer Zug spielt um meine Lippen, ich mache ihn bereitwillig offensichtlicher und grinse ihn spöttisch an, während ich im Info-Magazin betont langsam auf Seite 8 blättere und raunend zitiere: „Colours: the white colours are made of Gypsum and calcium carbonate, Black of Carbon soot, lamb black and coal, Yellow of ochre, Red of iron oxide, Blue was a mixutre of copper salts, calcium and sand mixed with fruits, and Green was a malachite and yellow ochre mixed“, ich lasse das Heft zuschnappen und blicke ihm herausfordernd ins fleckige Gesicht. „I don´t want you as a guide anymore“!.

Und jetzt wird’s zapfenduster: Tuti macht das Rumpelstilzchen, aber in der Horror-Variante, er springt mit verzerrtem Gesicht auf mich zu, brüllt mich aus zehn Zentimetern Entfernung mit einer Maske aus Edward Munchs „Der Schrei“ an „YOU DON´T WANT ME ANYMORE AS GUIDE?“, ja, ja in Wiederholungen war er ja schon immer gut, und Mundgeruch hat er auch noch. „No“, raune ich ungerührt. „WHY?“jammert er. Jetzt spiele ich den Ball rhetorisch zurück: „Why? That´s a joke, isn´t it. You know why!“, - „NOOO“, spuckt es mir entgegen, drei Zentimeter vor meinem Gesicht, „Please“, argumentiere ich „you don´t know anything, you give us no information, you told the security we would take a picture, you shoutet at me, you cannot answer the easiest questions, you are a hassler...I could go on and on and on. So please, just go. NOW!“.

Tuti klatscht in die Hände, lacht irr und schrill auf, und brüllt dann wieder paranoid in mein Gesicht: „FINE! I DON´T LIKE YOU ANYWAY! GIVE-ME-MY-MONEY-AND-I-GO!“. „No!“, erwidere ich gelassen, obwohl ich innerlich zittere vor lauter Wut, „What did you do for your money? Nothing. So no money!“, und dann spricht er endlich die Wahrheit: „I SPENT MY TIME!“, ich lache bitter auf, „Yes, maybe you spent two precious hours of your time with us. But we had nothing of that time. You got two cigarettes. You sold yourself as a man of knowledge. We´d have paid for knowlegde and informations – not for your time!“. „NONONONO!!!! GIVE-ME-MY-MONEY!“, Tuti schreit wie am Spiess, die wenigen Touristen drehen sich um, ich schüttle den Kopf, Georg greift ein. Er kann das ja immer nicht haben. Streit und so. „Na, na, na...relax!“, wir sollten uns nicht anschreien, und so weiter. Ich gehe, ich halte das nicht aus. Von mir bekommt der kein Geld, da liege ich gerne im Streit. Der Versager. Hat´s total versaut. Auch den schönen Tag.

Ich gehe vor, immerhin habe ich ja auch alle Tickets bei mir und mache mich auf den Weg zu Tutanchamun´s Grab. Ein Highlight – das auch 100 Ägyptische Pfund (12 Euro) extra gekostet hat. Tuti im Schlepptau. Der hat vielleicht Nerven. Ich lese an der Info-Tafel und blättere im Magazin. Tuti macht auf Mega-Lehrer. „Here“, säuselt er total schleimerisch und süß und schwitzend und Hände-ringend, „Gott wie ich so eine Falschheit hasse!“, denke ich bei mir, ignoriere ihn allerdings, er tröpfelt weiter „you can see Carter and his Financier, when discovering the tomb“. Jetzt kann es sich auch Georg nicht mehr verkneifen und er frägt: „And who of the two is Carter?“, und Tuti nähert sich dem Schwarz-Weiss-Bild und sein schmutziger Finger fährt auf das Bild hinzu, er zögert, schwankt, Finger geht nach links, dann schnell nach rechts und wieder links: „This Carter!“.

Ha. Ha. Null Ahnung, der Super-Guide. Ich dampfe ab ins Grab!

Tutanchamun! Wow, ich betrete seine Grabstätte! In jungem Alter mit 19 verstorben, wahrscheinlich an einer Kopfwunde, hat es der Teenager-Pharaoh zu weltweitem Ruhm gebracht – dank reicher Grabbeigaben. Die Stätte ist klein und schlicht, ein kurzer ungeschmückter Gang und schon stehe ich in der Vorkammer, aus der Mr.Carter unschätzbare Wertgegenstände retten konnte, Goldstatuen, eine große Totenbarke, Edelsteine und natürlich die berühmte Vollgold-Maske.

Rechts von mir öffnet sich eine kleine Kammer, darin sehe ich an den Wänden die Darstellung von 12 Affen, die die Nachtstunden symbolisieren, und Tutanchamun, wie er vor den Gott der Unterwelt Osiris tritt. Und mittendrin der goldene Sarg! Wow! Linkerhand liegt die echte Mumie des Pharaos. Dunkelbraun, verschrumpelt und zierlich liegt sie da mit weissem Leintuch bedeckt. Na, die hätte ich mir jetzt lieber nicht so genau angeschaut. Die wird mich noch ein paar mal in Träumen besuchen.

Wieder draussen steigt mir beim Anblick Tutis auch wieder das Geröll hoch in den Rachen, ich kann ihn nicht mehr sehen, „Please! Tuti! GO!“. Da geht das ganze Geplärre wieder von vorne los und nun kann ich es wirklich nicht mehr ab. Wir lassen Tuti schreien und toben wie einen Dreijährigen mit Wutanfall dank Lollipop-Verlust und gehen äusserlich gelassen zum letzten Grab, dem von Ramses IV. Großartige Dekorationen, die sternenbedeckte Nut beugt sich über die gesamte Grabkammer, Horus, der die Sonne nach oben fliegt, Osiris, der Gott der Unterwelt, Hathor, Göttin der Liebe und Leidenschaft. Fantastisch und beeindruckend. Als wir nach draussen kommen, hat sich Tuti verzogen. Schade, ich dachte schon, der liegt jetzt auf dem Boden und strampelt.

Wir verlassen das Valley of the Kings und fahren mit unserem Tagestaxi (100 LE) am Hatschepsut-Tempel vorbei, der eindrucksvoll in den Felsen gehauen wurde und enden unsere Kultur-Tour für heute im Valley of the Queens. Selbiges in Grün, also Gräber von Pharaoninnen, Ehefrauen der Könige und mumifizierte Prinzen und Embryone. Am Eingang sehe ich einen dicken Ägypter mit Riesenbrille und grüner Weste. Bei unserem Anblick erstarrt er erst zu Stein und verschmilzt dann mit einer Säule.

LUXor

Dienstag, 19.03.2013

Kutschenfahrer
& TempelwÄchter

„20 Pounds! 20 Pounds!“ - „No. Thank you.“ - „15 Pounds!“, - „NO. THANK YOU!“ - „10 Pounds!“ - „No.“ - „5 Pounds!“ - „No.“ - „FUCK YOU!“.

„What did you say to my wife!?“,Georg rastet aus. Wir befinden uns an der Corniche, der Uferpromenade des Nils und wollen nicht noch mal mit der Pferdekutsche fahren. Seen that, done that, und das war auch wirklich romantisch und schön. Nun sollen wir es wieder tun, und wieder und wieder, wenn es nach dem Typen auf dem Kutschbock geht. Und offensichtlich wird kein Nein akzeptiert. „Come with me", „Ride a Camel!", „City-Tour!", „Souvenirs!", „You must buy..." hier und „You must do..." dort. Langsam geht mir die Bequatscherei ganz schön auf die Palme. Grundsätzlich versuche ich, höflich zu bleiben. Doch das „Fuck you!“ geht ganz klar zu weit. Georg springt dem Typen beinahe ins Gesicht, er zeigt kein Bereuen, keine Entschuldigung, kein Nix. Doch, er sagt, er hätte nie „Fuck you“ gesagt. Lügner!

Mit Müh und Not verhindere ich eine Schlägerei, die Freunde des Typen schubsen ihn weg, lautes Arabisch, ich ziehe Georg und bald schon beruhigen wir unsere Nerven auf einer Felucca, dem ägyptischen Segelboot. Bei einem Sunset-Cruise lassen wir den Tag vor unseren Augen passieren, während der Luxor-Tempel langsam an Land vorbeizieht... Besuch des Museums mit gefundenen archägologischen Schätzen, so-schön-bekanntes-Essen im McDonalds mit Blick auf den Luxor-Tempel, gründliche Besichtigung desselben. „Hey, hey, Bashish!“, „Look, here you can take a beautiful picture“, raunt mir dort vor Ort ein Security zu und zeigt mir eine Stelle an der Wand.

Kaum gehe ich hin, will er Geld. „Bakshish!“ kreischt er schrill mit kaltem Blick und aufgerissenen Augen, „You give me BAKSHISH!“- „NO!“ „I showed you place for PICTURE!“ und jeden Moment denke ich, jetzt zieht er ein Messer. „You cannot really want money for that!?“ - „YES. Bakshish! NOW! GIVE ME!“, sowas von aufdringlich, grollend, aggressiv. Ich schnaube aus, „I didn´t take any picture! - I just followed you! But, no worries, I will never make that mistake again!“ und werde selber ganz aggressiv. Nicht bei dem ersten, nicht bei dem zweiten, aber nach dem Hunderten mit Bullterrier-Manier gehen mir dann doch die Nerven aus.

Das vermag nur noch ein siruptriefendes Bakhlava zu beruhigen...

Luxor

Mittwoch, 20.03.2013

Sound-and Light-Effekte mit Sphingen-Background

Eine beeindruckende Sphingen-Allee thront gelassen vor meinen geweiteten Pupillen. löwenhafte in Stein gemeisselte Körper rechts und links, ich blicke nach oben und sehe den tiefen, endlosen Sternenhimmel glänzen. Dunkle Trommeln setzen ein, ein Spotlight ergiesst sich über die Sphingen vor mir und eine mächtige Stimme dröhnt aus überdimensionalen Boxen.

„NOOOOW...“ wummert es langgezogen über die gesamte Anlage „you entered the...“ und grossartiges PammPamm gefolgt von imposanten Trommelschlägen setzt ein „TEMPLE OF KARNAK!“ und ein gleissender Lichtstrom fällt auf die Aussenmauer mit monströsen Zeichnungen, „Follow me...“ ertönt die Stimme erneut „and experience, what in the ancient egypitan times only Pharaos and Gods were allowed to see...“, eine kleine Kordel am Ende der Sphingenallee fällt wie von Geisterhand zu Boden und wir laufen ins Heiligste der Tempelanlage. „This place here was called 'IPET ISUT', the PERFECT place! - Soon you discover, why!“.

Aus der Tiefe des Dunkels steht urplötzlich eine imposante Granitstatue vor uns, vorher von der Nacht verschlungen, ragt sie nun illustrativ in die unglaubliche Höhe und wird von drei blau-rot-gelben Strahlern erhellt. „That...“, sagt die tiefe Erzählerstimme „is the Pharao Ramses II, you are now entering the holy Temple of Amun. He was the...(PammPammPamm!) ...GOD OF ALL GODS!“. Wir stehen im Herzstück der Anlage und blicken ehrfürchtig hoch zu kolossalen Steinsäulen, darüber wölbt sich der glitzernde Sternenhimmel und stimmungsvolle Musik ertönt aus den Boxen um uns herum. Von allen Seiten hallt es wieder und ich fühle mich eingelullt von der mystischen Atmosphäre, dem Hauch der Geschichte, den alten Mauern, sehe 80 000 Sklaven arbeiten, hämmern, ziehen, errichten, Steine schleppen. Der Pharao schreitet hoch erhobenen Hauptes an uns vorbei.

Nach den Pyramiden von Giseh ist Karnak die bedeutendste archäologische Stätte Ägyptens. Um die 1300 Jahre und mehrere Herrscher waren nötig, um diese überwältigende Anlage zu erschaffen. Vollgepackt bis obenhin mit Kapellen, Pylonen und Obelisken. Wir folgen der dröhnenden Stimme aus dem Off und werden Schritt für Schritt mit Background-Musik durch den Tempelhof geleitet, wandern an einem riesigen quadratischen See vorbei und nehmen Platz auf einer Arena. „This is the holy lake!“, nur Priestern wurde es gewährt, hier zu baden, um rein für die Götterverehrung zu sein. An die Tempelmauern werden bunte Lichter gebeamt, das frühere Leben des Ramses, Tutanchamuns und Ptolemäus vertont. Der dunkle See spiegelt die bunten Spots zitternd wieder, die kupferfarbenen Tempelwände erwachen zum Leben, über uns der glimmernde Mond und die Millionen Sterne. Liz! Raus da!

White desert

Freitag, 22.03.2013

Desert-Tunes

Heller Sand glitzert in gleichförmigen Wellen um uns herum, sanfte Dünen formen weiche Hügel, die in der Abendsonne ihre Farbe ändern. Scharfe Kontraste bilden sich langsam auf dem Tal, wir parken im Schutz zweier Dünen und richten unser Nachtlager ein.

Ägyptens lybische Wüste ist ein Teil der Sahara und erstreckt sich über fast drei Millionen Quadratkilometer – und ist so gut wie menschenleer. Nur fünf Oasen gibt’s darin, die waren schon zu Zeiten der Pharaonen bewohnt, in Plantagen wurden Gemüse und Obst, Dattelpalmen und Oliven bewirtschaftet. In der Oase Kharga feiern wir im Beduins-Camp Georgs 37. Geburtstag mit, na, wie soll´s anders sein, Chicken und Reis, abgerundet wird der Happy-B-Day im verräucherten Vorzeige-Beduinen-Zelt am Lagerfeuer und kräftigen Zügen aus Apfeltabak-Sheeshas. Der 30-jährige charismatische Amar setzt sich in prächtiger Turban-und Kaftan-Montur barfuss zu uns, lädt uns ein zu gewürztem Tee.

Der witzige Beduine ist ein unterhaltsamer Zeitgenosse und gerade ein angenehmer Kontrast zu den etwas zu aggressiven Ägyptern mit ihrem lauten Gehabe und aufgesetzter Arroganz. „I´m Beduin!“, stellt er gleich schon mal klar und liegt anschliessend neben uns auf dem ausgefransten Teppich vor dem knisternden Feuer. Erst will er uns zu einer „absolut fantastic camel-tour“ überreden, gibt allerdings schnell und klaglos auf, nachdem wir ihm über unseren Trip erzählen. Er schlürft genussvoll und in kleinen Schlückchen am braunen Tee im Schnapsglas, inhaliert ein bisschen Tabak und lamentiert über den fehlenden Tourismus. „People think it´s dangerous. But no. - Cairo! Only dangerous in Cairo! But why no tourists come anymore here. Oasis not dangerous! I love desert! Beeing alone with my camel, and, äh, also with visitors in my desert“.

„Wir sind Beduinen, keine Bauern“, sagt er, denn, natürlich, die Bauern können immer noch ihr Gemüse verkaufen und davon leben, die Beduinen jedoch, sein „father and brother and other brothers“ organisieren Jeep-Touren und Wanderungen durch die Dünen, orientieren sich an den Sternen, den Dünen und „äh, also“ Steinmännchen, die der Opa vor langer Zeit als Navigations-System errichtet hat.

Am nächsten Tag machen wir uns auf in die Weite der Wüste, nur das Garmin zeigt uns den Weg, wir cruisen kilometerlange Dünen entlang, graben uns ein, schaufeln uns wieder raus, gleiten erneut über die sandigen Hügel, graben uns ein, schaufeln uns raus. Abends geniessen wir die glitzernde Landschaft, schmeissen handgemachte Burger auf den Grill und lassen den wundervollen Tag nach dem Steigen-Lassen von roten Ballons Revue passieren: nach morgendlichen drei Stunden Warten in der Diesel-Schlange haben wir den Tankwart bestochen. Weiter gings, aus der aufgrund von Sandsturm komplett orangen Oase über weite Sandfelder hinein in die Nächste, Nachtplatz inmitten der fantastischen weissen Wüste mit ihren bizarren Felsformationen und schimmernden Kalkblöcken.

Beim abendlichen Barbecue blickt mir aus drei Metern Entfernung eine Comic-Figur ins Gesicht. Erst denke ich an Halluzinationen, dann an Ice Age, ich reibe mir die Augen, und er steht immer noch vor mir: riesige feucht schimmernde Kulleraugen, spitze Megaohren, kleine Nase. Der muss einem Disney-Zeichner aus der Tinte geronnen sein! Der Kleine ist hellbeige, nur 40 Zentimeter groß und Mama Natur hat ihm einen dichten fluffigen Schwanz mitgegeben. Ich rühre mich, er zuckt, sträubt die Haare, wird zum Ball, springt hoch und wusch ist der weg. Wie im Cartoon, die Augen noch größer, in einer nanosekunde 540 Grad umgedreht und auf Vollspeed davon. Ich laufe zum Auto und blättere nach. Sein Name: Fennec, der kleinste Fuchs der Welt! Sein Lebensraum ist die Sahara, er ist nachtaktiv, unterwegs in Gruppen bis zu 10 Tieren, „wild range of animal and plant food“. Das war´s also...die Reste unserer Ofen- äh, Grillkartoffeln...

Nächster Tag: schaufeln, schaufeln, Sandblech unterlegen, an der Winde an Steinen hochziehen, Stück für Stück, cruisen, graben und schaufeln, Grill anschüren, Fleisch drauflegen, Arme massieren. Ein grandioser Tag mit unvergesslicher Erlebnisbandbreite!

Cairo

Donnerstag, 28.03.2013

Ali Baba Feat. Michael Jackson

Wie in Zeitlupe bewegt sich der dünne gelbe Hals unter mir vor und zurück. „Ali Baba“ bleibt kurz stehen, stampft, guckt mit schimmernden Pupillen und langen Wimpern über die Schulter und ich sehe treue runde Augen in einem verzerrt langen Kopfei, triefendes Maul, lächelnde Lippen, ein tiefer Grunzer folgt, und schon schlurft das Kamel mit seinem kunstvoll rasierten Haar gemütlich auf Grillplatten-runden Füßen weiter.

Ich schaue vor zu Georg, der auf dem dürren kleinen „Michael Jackson“ sitzt und etwas wackelig im Sattel rutscht. Am Boden zieht der feine Sand vorbei und im 360 Grad Panorama ergiesst sich die generöse Landschaft auf meine Netzhaut: flirrende honigfarbene Wüste soweit das Auge reicht, daruntergemischt liegen ein paar kleine schiefergraue Steine und in der Ferne die goldfarbenen Spitzen der königlichen Nekropole Giseh mit ihren gleischschenkligen Megapyramiden unter blaustrahlendem Himmel ohne ein einziges Wölkchen.

Die drei Dreieckigen wurden in nur drei Generationen Bauzeit je Pyramide zwischen 2686 und 2181 vor Christus im Schweisse eines Heeres von Sklaven konzentriert errichtet. Die armen Schweine mussten dann leider sterben: sie kannten das Baugeheimnis! Ja, das Leben ist ungerecht. Nach dem natürlichen Tod des Pharaos hingegen wurde dieser mit großem Pomp auf einer kleinen Barke zum Taltempel gebracht und zusammen mit goldigen Schätzen, Lebensmitteln und so weiter in der Pyramide begraben, natürlich in einem wundervoll gearbeiteten Steinsarkophag, dem sogenannten Mastaba. Für die atemberaubend riesige Cheops-Pyramide (147 Meter) allein wurden über zwei Millionen Steinblöcke von den schwitzenden Sklaven auf Holzschlitten herumgezerrt, nein, Gummiräder gab´s noch keine;

Mr. Cheops war dabei ein rechter Korintenkacker, doch deshalb weicht die grandiose Grabstätte auf einer Seitenlängen-Strecke von 230 Metern auch nur vier kleine Zentimeterchen voneinander ab. Mit schlabberigem Lchchlchch kommt Ali Baba nun zum Stehen und auf Kommando von Hassan, unserem heutigen Guide lässt er sich laut ächzend auf die knochigen Knie fallen, wir steigen ab, laufen ein bisschen auf den kleineren Pyramiden herum, stehen Fotomodell mit Kamel, lassen Georg entscheiden, wohin er als nächstes reiten will („Ask your husband – HE will decide!“, ja ja schon gut!) und traben dann im Shake-Verfahren zur größten Sphinx der Weltgeschichte. Sie ist mit knappen 4000 Jahren zugleich das älteste figürliche Monument Ägyptens und ragt 20 Meter in die Höhe, bei einer Seitenlänge von 74 Metern. Aus einem einzigen Stein wurde die mythische Figur mit dem machtvollen Löwenkörper und Pharao Cheops Gesicht gehauen. Ja, wieder die schwitzenden Sklaven, die dann sterben mussten.

Leider ist ihr Kopf ein wenig platt, die Nase ist irgendwann mal so im 15. Jahrhundert rum abgefallen, womit wir wieder bei Michael Jackson wären. Der grunzt derweil friedlich vor sich hin und schnüffelt an Ali Babas Hinterteil. 200 Pfund hat der Kameltrip gekostet, zwischendrin wechsle ich nochmal um auf des Guides´ Pferd (ist einfach bequemer, und er hat mich ja gefragt!), wir umrunden die Anlage und schlurfen wieder zurück zu unserer Garten-Lounge mitten in Kairo. Isis Camp (100 LE/pP) hat einen Pool, eine grüne Lunge in all dem Chaos, zudem eine Terrasse mit Blick auf die Pyramiden und das beste homemade Mango-Eis.

Bei Meschi (mit gebratenem Reis gefüllter Kohl/ Aubergine/ Zucchini/ Paprika), Barbecue-gebratenem Rindfleisch, Ofen-Hühnchen und Zweierlei-Dressing-Salat erstrahlen die Dreiecke in pinker und oranger Farbe zur allabendlichen Light-Show, wir geniessen den Abend mit den hilfsbereiten und netten Eigentümern Hellal und Sue und gehen Tags darauf ins beeindruckende Ägyptische Museum in der Mitte der Stadt. Über 150000 Artefakte der Pharaonenzeit sind hier ausgestellt, vorbei an grossen Statuen der Könige des alten Reichs, reich verziertem Wandfries, leuchtenden Alabasterornamenten, Kanopen, Sarkophagen und Figurinen schlendern wir vom Alten Reich ins Neue, hoch zur Tutanchamun-Abteilung, staunen über wertvollen Schmuck, alte Brettspiele, Jagdwaffen, Bettgestelle, Sitzmöbel und natürlich die echte, berühmte Vollgold-Totenmaske des jungen Pharao.

Ausserdem gibt’s eine „Hygiene“-Abteilung mit altertümlichen Pinzetten, Mascaras, Make-Up-Kästchen mit dem Abbild Bes´ (God of Fun and Joy) sowie Artikeln aus der Medizin: Skalpelle, Nadeln, Tupfer, etc. Wir betraten das Museum um 9.00 zur Öffnungszeit (60 LE), hatten für zwei ausgesprochen informative Stunden einen Guide an unserer Seite (130 LE) und verliessen mit lautem Seufzer und viel Wissen im Kopf das Gebäude wieder um 17.00, als es geschlossen wurde...Man reiche mir ein Bakhlava!

PS Nachtrag (Beweisfoto vorhanden!)
Es ist doch tatsächlich unfassbar: gerade poste ich auf Facebook „wir sind in Kairo", da schreibt ein Freund 10 Sekunden später dazu: „Wir auch!". So treffen wir unglaublicherweise Flo und Christo in ein Hotelbar an den Pyramiden, bekommen importierte Lindt-Lecker-Osterhasen in die schokogierige Hand gedrückt, quatschen und ratschen, versuchen drei Jahre aufzuholen und freuen uns mega über dieses überraschend kurzfristig geglückte Wiedersehen.

port said

Montag, 01.04.2013

im Nilwasser

Um Mitternacht wache ich inmitten des schönen Traums vom Sunset-Cruise auf dem Nil vom lauten Tuten des Telefons völlig zerknautscht auf und fühle mich nach dem Gespräch wie der graue Mörtel eines Backstein-Aquariums. Starr, von allen Seiten eingequetscht und komplett verbaut in ein einzigartiges unwirkliches und doch viel zu reeles Gebäude aus Lügen.

Im trüben Abwasser, das immer wieder ekelhaft an mich schwappt schwimmen schleimige Agenten wie sich windende Aale, jede Berührung schmerzt wie ein elektrischer Stoß. Mit fadem Grinsen auf den schmierigen Backen blubbern unwahre Blasen aus ihren fischigen Spitzmäulern, ausgespuckte Lügen planschen im verseuchten Pool, sie drehen ihre Runden und zucken ruckelnd an mir vorbei und jedesmal quillt eine gallenartige grüne Substanz aus ihrem Inneren, die mich ganz und gar porös machen.

Ich wandle auf einem schmalen Berggrat zwischen Beherrschung und Explosion, äusserster Gereiztheit und absoluter Machtlosigkeit und zermartere mich stündlich das Gehirn, was ich gegen ihre Lügen, gegen mein Ausgeliefert-Sein tun kann.

Vorgestern rief uns Eslam an, ein Agent für das SISA-Schiff von Port Said in die Türkei: „If you manage to come tomorrow til 9.00 o´clock, I promise I put you on the ship the same day. Vessel leaves at 12.00!“. Auf die frohe Kundschaft hin lassen wir alles liegen und stehen, packen glücklich unsere Habseligkeiten und wälzen uns gegen 4.00 Uhr morgens todmüde aus dem Bett. Als wir um 9.00 nach einer Demonstration mit ordentlichem Road Block in Port Said eintreffen, passieren wir hunderte beigefarbene Panzer und ebenso viel Militär, weichen Kamikaze-Fahrern und Suizid-Mofas aus, drücken abwechselnd auf Gas, Bremse und Hupe – und treffen endlich beim Treffpunkt, dem Hotel de la Post ein. Dort erwartet uns ein Mofafahrer in lila T-Shirt, der uns ein I-Phone ins Fenster hält. Erst denke ich schon „Cool, gekauft!“, doch da ist Eslam am Apparat: „Follow my brother!“. Wir ruckeln durch den dichten Verkehr, immer dem lila T-Shirt hinterher und erreichen nach wenigen Minuten das Hafengelände.

Ein junger Araber in stylishem Ralph Lauren-Outfit begrüßt uns, blaues Mäppchen unterm Arm, geht mit Georg Tee trinken. Geschäftlich. Als sie zurückkommen, scheint jeder relativ zufrieden und es geht direkt ins Hafengelände hinein, Carnet stempeln, Zoll. „Wann legt das Schiff ab?“, frage ich Eslam. „Today! 19.00 o´clock!“, „Really?“, lache ich, „Promise?“- „Promise!“. Ich freue mich wie ein Schnitzel, packe einen kleinen Rucksack mit den wertvollsten Elektronik-Geräten, wir schlendern zum Buchungsbüro – und die Sache scheint geritzt. Erst zahlen wir für´s Auto 600 Dollar, eine unsinnige Hafengebühr mit 80 Dollar, danach nochmal 200 Dollar pro Person und Sitzplatz und geben unsere Reisepässe ab.

Die Agentur stempelt uns aus Ägypten raus, Pässe gibt’s wieder an Board. Buchungsagent Achmet drückt uns im Büro die Quittung für das Auto in die Hand und verabschiedet sich. „Äh, moment“, sagt Georg, „could you please give us the receipt for the 400 Dollars“. Achmet wird genauso rot wie sein Pulli, bis hin zur Halbglatze hinauf, darunter zeigen sich gletscherspaltentiefe Runzeln. „No“. Mehr sagt er nicht. Wir sind verwirrt, und das ist noch höflich ausgedrückt, so kommt von Georg nur ein gegurgeltes „YES“. Rotpulli wird nervös, schlägt den Blick leicht nach unten und setzt sich wieder hin, klappt seinen Laptop auf, nimmt das I-Phone ans Ohr, winselt hinein und scheint ganz beschäftigt mit surfen. Oder arbeiten. Oder Facebook. Was weiss ich, jedenfalls ist er mental nicht mehr bei uns. So sitzen wir nun in dem blauen Aquarium auf einer quietschgelben Sitzcouch bei „United Transport UET" und sind irritiert. Georg wiederholt die Bitte, ein anderer Agent mit rosa Strickjacke betritt die Bürobühne.

Muhammad stellt sich vor, der spricht wenigstens englisch, sagt uns aber dasselbe. „It´s not usual! I cannot give you a receipt!“. Wir schauen uns in die Augen, es ist nonverbal klar: wir verlassen dieses Büro nicht ohne Quittung über 400 Dollar. „Look“, erklärt Georg rauh „if you buy a phone, or a train-ticket or a plane-ticket – you get a receipt, or the ticket. So, please, give us something! Ticket or receipt!“. So glasklar wie das mir auch einleuchtet, Muhammad und Achmet haben große Schwierigkeiten damit. Achmet zählt derweil die Scheine, gibt uns zwei 20-Dollar-Noten zurück. „Too old. Can not take!“. „But they are from 2006, new notes!“, besteht Georg. „No!“, plärrt Achmet, dessen Farbe wieder ins Gesicht zurückgekehrt ist. „Why?“, frägt Schatzi, „every bank will take them!“. „No“, sagt Achmet, „too old!“ und wirft sie auf den Tisch. Da rutscht Schatzi raus „I know...no exchange bureaux will take them, but every bank!“.

Da muss selbst Achmet grinsen, jeder im Raum Anwesende weiss, wir werden verarscht, wir bezahlen zu viel, die schieben sich das ein. Doch was sollen wir tun? Wir können nicht im Internet buchen, die nächste Fähre geht heute, wir wollen drauf. Ägypten verlassen, Herrgottnochmal. Georg besteht, Achmet auch, ich rutsche auf dem gelben Plastiksofa hin und her. Die Spannung ist kaum auszuhalten. Schatzi macht einen Vorschlag: „Ok. I give you new notes, you give me the receipt!“. Mit einem Ruck erhebt sich der etwas schwergewichtige Muhammad nun und versucht zu schlichten: „Ok. I take it on my responsibility, ok? But it is not good of you!“, „Well“, antworten wir gleichzeitig, „Sorry, aber man weiss ja nie“, darauf Muhammad „You know, here in Egypt, we are all friends. You are my friend right now, so don´t worry! I would never trick you! Here, I give you receipt“, und rauscht davon ins andere Zimmer. Als er im Aquarium wieder auftaucht, hält er wedelnd einen Schrieb in der Hand und wir übergeben neuere Dollarnoten. „Tonight! On boat!“, mit diesen Worten verlassen wir das Büro, freuen uns diebisch und sind glücklich, in die Türkei zu kommen.

Um die Zeit totzuschlagen, trinken wir Shai im Teelokal, paffen ein bisschen an der Apfel-Sheesha und gucken dem wirren Treiben um uns herum zu. Da klingelt Georgs Handy. Eslam. „Sorry, no boat today...only tomorrow!“. Zehn Minuten später taucht er auch schon auf. „Tomorrow?“, frägt Georg, „Tomorrow!“, bestätigt der Agent, „When?“, „19.00“, „Then I need to go to the car again“, wirft Schatzi ein, und stimmt ja, wir haben nur Elekronik dabei, keine Schlafsachen, Waschbeutel, Jacken. Für weitere 50 Extra-Pfund darf Georg wieder mit in den hermetisch abgesicherten Hafen, packt Dinge für eine Nacht und kommt wieder am Cafe an. Gemeinsam und diesmal im Auto fährt uns Eslam zum Hotel de la Post (110 LE) und wir richten uns ein.

Weil wir ja jetzt Zeit haben, macht sich Schatzi auf die WIFI-Suche des Schiffs, kann eine Live-Tracking-Geschichte ergooglen, und darauf sehen wir, wie sich dunkelblaue Punkte langsam aber stetig vom Hafen Port Said entfernen. Punkt für Punkt erscheint blinkend auf dem hellblauen Illu-Meer, das Schiff legt ab. Georg wühlt wie besessen im Rucksack, irgendwann kommt das Handy zum Vorschein, fünfmaliges Tuten, dann ist Achmet, der Buchungsagent dran. „No. No. Ship only tomorrow. Not today. Sure.“, Georg wird wütend „I tracked it, it is leaving the harbour. NOW!“, „No. Not true. Tomorrow. Promise!“, „Promise, ja? So IF it leaves tomorrow, we are on it? Yes?“, „Yes. Of course. Tomorrow!“, „But it cannot leave tomorrow, because it is leaving today. And then again in 3 days!“, „No. Tomorrow!“, Did you hear, what I told you?" - Pause - „You are a liar!“, „No. Not leaving. Tomorrow leaving. Inshallah!“, „IT LEAVES NOW!“, brüllt Georg ins Telefon, da hören wir das laute Horn vom Hafen, das bringt unser inneres Gleichgewicht nun völlig aus dem Konzept. Lautes Schnaufen am anderen Ende, kurze Denkpause, jammerndes „Yes. It is leaving now“.

„IT IS LEAVING NOW!“, vibrierendes Drohen liegt nun in des Schatzis Stimme „SO WHY ARE WE NOT ON?“. „Because it leaves without cargo. And it goes to Israel!“. Klick. Achmet legt auf. LEGT AUF. Legt auf. Georg platzt!

Er wählt Achmets Nummer, die ist nun nicht mehr erreichbar, danach Eslams, auch der hat das Phone aus. Soviel zu „Call me whenever you need help, my friend!“, ach so, ja, ich vergass, wir sind ja eh alle dicke Freunde hier, in Ägypten.

Und jetzt sitzen wir da. Im Hotel. Carnet weg, Auto weg, Pässe weg. Uns bleibt nichts mehr, als auf die fadenscheinigen Erklärungen der Aale zu warten, das Vertrauen ist schon längst weg, jedes Klingeln vom Telefon lässt mich zusammenzucken, in einer Mischung aus Ärger, Bedrückung und grollendem Zorn über so viel Verarsche.

Am nächsten Morgen nehmen wir wieder Platz in Achmets Büro bei UET, holen unsere Reisepässe, ohne die wir gestern beinahe kein Hotelzimmer bekommen hätten. Es heisst wieder: heute, 19.00 Uhr, promise. Wie gestern. Wieder zurück im Hotel atmen wir tief durch, lassen uns aufs Bett fallen, da klingelt das Telefon. „Ship not today“, war eh klar, ist ja gestern abgefahren. „And then, WHEN?“ - „In 3 days!“.

So viele Bakhlava gibt´s auf der ganzen Welt nicht!

Port Said

Mittwoch, 03.04.2013

TrÜbes Wasser,
nichts als TrÜbes Wasser

Und wieder sitzen wir in dem schleimigen Aquarium, das passenderweise blau gestrichen ist, der Teppich liegt dunkelmarine kleinquadratisch unter unseren Sohlen.

Der Rotpulli-Aal vor seinem schwarzen Gemälde mit goldenen arabischen Buchstaben grinst uns wieder ins Gesicht, die blaue Neonröhre verströhmt erneut ihr fröstelnd kaltes Licht, die graubraune Schiffsankeruhr zeigt wie jeden Tag Schlag 14.00 Uhr und tickt nervenzerreissend laut, im Holzregal lümmeln die bunten Aktenordner gemütlich aneinandergelehnt, darunter ein Papierchaos, in kleinen Schubladen schlafen grüne, rote, schwarze Reisepässe.

Da wir ja nun 3 Tage länger Zeit hatten, konnten wir per Email, Austausch im Internet und Telefonate mit der türkischen Shipping-Line SISA in Erfahrung bringen, dass man uns nicht nur offen belogen, sondern auch noch komplett verarscht hat. Weder ging das Schiff leer, noch nach Israel. Weder kostet der Passagierpreis 200 Dollar, noch das Auto 600. Mr. Burak von der türkischen Fährgesellschaft steht uns überraschend und superhilfreich zur Seite, telefoniert mit Rotaal, mit dessen Chef, schreibt Emails. Rotaal knallt den Hörer auf die Gabel, wir machen es uns im gelben Plastiksofa bequem.

Ich kämpfe um Beherrschung, setze einen gespitzten Ballerina-Zeh nach dem anderen auf das Drahtseil zwischen Angespanntheit, Gereiztheit, Durchsetzungswillen, Wut und beherrschter Geduld. „I don´t undastand. Bad Inglish!“, säuselt Rotaal mit seinem fahlen Gesicht unter der Halbglatze. „No worries“, zischt Georg, „talk to Mr. Burak yourself, I think, he is your boss in turkey and here he is...“ und hält ihm sein Handy hin. Es folgen abgehakte arabische Wortfetzen, es wird laut, meine Ohren schmerzen, gleichwie sich mein Magen wie mit einer Zange umschlossen zusammenkrampft.

Der fiese Fisch mit dem blauen Gesicht legt auf, blubbert blauen Blasen in unsere Ohren „Ok. Write email to my egyptian boss! It´s ah.. not ah.. my commission! It´s his!“. Wäre das ja mal geklärt. Wir machen es uns gemütlich im Büro, ich schreibe ein wenig, Georg telefoniert mit Mr.Burak, wir harren der Dinge. Fast höre ich die zarten Harfen klingeln, so sehr schicken mir die Engel Geduld. Befriedigte, beseelte, gewonnene Geduld. Für 90 Dollar warte ich gerne den gesamten Tag in einem stickigen, raucherfüllten Büro mit zuckenden Aalen. Kein Problem. Das I-Phone klingelt, nervös zuppelt Achmet mit dem Ärmel seines roten Pullis, streicht sich mit der flachen Hand über den Oberschenkel, als wäre da ganz plötzlich ein offenes Lügenloch, das er schnellstmöglichst schliessen möchte.

Er fährt sich durch die Haare, blickt irritiert nach oben ins gleissende, blaue Neonlicht, dann wieder zurück auf den blauen Boden, sein Mund geht auf und zu, als würde er urplötzlich auf der trockenen Erde liegen, kein Wasser in die Kiemen bekommen, er röchelt und hustet und schon fast denke ich, er erstickt, Achmet ringt nach Luft, und endlich fliesst ein langgezogenes, englisches „O.K.“ aus dem spitzen Aalmaul, er windet sich in einer halben Drehung aus seinem quietschenden Schreibtischstuhl, öffnet eine Schublade, nimmt 90 Dollar heraus und reicht sie Georg, während er auf den Zähnen knirscht.

„Boat leave on Thursday? Right?“, will Schatzi in für Achmet vereinfachtem Englisch nochmal wissen, „Yes, Inshallah!“, raunt der Ägypter, „I call you in the morning!“. Auf Anruf bestätigt Eslam die Info, ihm vertrauen wir ein wenig mehr. Bisher macht wenigstens der seine Sache ganz gut (das mit dem Auto/Carnet hat reibungslos geklappt). „Inshallah! Inshallah!“, tönt es hinter uns. Ach, wenn ich das schon wieder höre.

Wo gab´s hier nochmal die Bakhlava?!

Port Said

Mittwoch, 03.04.2013

An board! An Board! An board!

Gerade stecke ich mir genüsslich ein syruptriefendes, goldgelbes Bakhlava in den Mund, schmecke die wohlige Süße auf der Zunge, wische mir die kleinen Blätterteigreste von den Backen, da kommt der stakkatoartige Anruf: „Ship leave today. - Come 22.00 my office“.

Und da stehen wir nun im Halbdunkel, nur fahles Laternenlicht rieselt blaugrau auf unsere Köpfe, wir warten und warten, holen einen Shai-to-go, warten, doch - keiner da ausser uns. Es wird 22.30 Uhr, ich werde leicht nervös, tippe von einem Fuss auf den anderen, kicke Altpapier durch die Luft, bin gespannt wie eine E-Gitarren-Saite und wähle Achmets Nummer. „Just two minutes, wait. I come now“, sagt der. Ja, ja, ich weiss schon, Inshallah! So gegen 23.30 Uhr füllt sich der kleine Platz unter der Beleuchtung mit 87 Syrern und ihrem geschmeidigen Sperrgepäck. Gegen 24.30 Uhr bringt uns Achmet mit einem Taxi zum Hafen, Georg steigt beim Auto einen Kilometer vorher aus, ich fahre weiter zum Schiff. Und werde die LKW-Laderampe hochgejagt.

„Stop!“, ein Sicherheitsmann hält mich auf. „Is this the ship to turkey?“, frage ich sicherheits- und ablenkhalber. „Yes. - Where is your passport?“. „Äh. The agent is having my passport.“, „Where is your ticket?“, „Äh, don´t got one“. Irgendwie komme ich mir ja ganz schön bescheuert vor, Georg beim Auto, ich allein ohne Pass, Ticket oder Telefon (haben nur eins). Na toll. Doch der türkische SISA-Mann frägt irgendeinen irgendetwas über Funk und plötzlich darf ich hoch, ins Schiff...dort treffe ich auf Georg, jeheey, alles klar: Türkei...wir kommen!

Wundersamerweise hat der Knoten der Verzwicktheit sich gelöst und mir ist scheissegal was wann wo und in welchem Ausmass nun passiert: mich bringt keiner mehr von diesem Schiff runter!

PS da wusste ich noch nichts von den nächsten 55 Stunden an Board...

Port Said - Iskenderum

Donnerstag, 04.04.2013

Good-Bye, Africa!

Ruckelnd setzen sich die tausend Tonnen Stahl in Bewegung, die kleinen Erschütterungen erzeugen kreisrunde Mineralwasserwellen im transparenten Plastikbecher auf dem rostbraunen Plexiglastisch vor mir.

Wir verlassen Ägypten! 14 Monate Afrika liegen hinter uns. Gegen 21.30 Uhr setzt sich das Schiff in Bewegung, schneidet sich seinen Weg durch den Suez-Kanal, schemenhafte Umrisse schlanker Moscheentürme wabern am Fenster vorbei, Port Said zieht sich zurück, die kleinen Lichterkegel werden zu winzigen Murmeln.

Und während das Schiff leise schaukelt werde ich in einen irren Strudel aus leuchtenden Erinnerungsfetzen geschleudert, Afrika durchdringt mich, elektrische Stöße durchzucken meine Venen, mein Herz dreht durch, pumpt am Anschlag, aus überschäumender Freude, aus schmerzender Melancholie, aus Trauer, aus Glück, alles wirbelt durcheinander. Ein chaotischer Kreisel aus flimmernden Bildern, Begegnungen, Erlebnissen, Emotionen, Abenteuern. „Wir verlassen Afrika!“, schiesst es durch die kleinen Windungen meines Gehirns wie scharfe Bleistiftspitzen, „du musst bleiben“, „du musst gehen!“, ich kann keinen klaren Gedanken fassen, mein Kopf wird verrückt, wird vernünftig, kühlt sich ab, heizt sich auf. Hektische Unordnung, beängstigende Ruhe, durchtränkt von Gefühlen.

Afrika mit seinen wilden Tieren, unwirklichen Landschaften, kulturellen Mixturen braut sich in mir wie ein Hexentrank zusammen. Es brodelt und blubbert und schwappt in allen Farben. Kreisrunde Pfauenaugen aus knallorangen Wüsten liegen da, nebelschwadige moosgrüne Dschungel, türkisblaue Wasser, helle dampfende Berge, goldene Raubtieraugen, bunter Fellmix, blutrote Mäuler.

Ich sehe schimmernde Sepia-Murmeln mit dichten Wimpern hinein platschen, glatte kupferrote Dünenkämme erheben sich, scharfgezogene Linien, schwarz-weisse Pinselstriche, ein irritierendes Moiré. Weiche Wattebäusche fliegen herbei, leicht wie Daunenfedern, die sich in klaren Bergseen spiegeln, in sich verschwimmende Tage.

Gleissende Sonne, flirrende Erde, scharlachrotes Licht, fliessender Honig über unendlicher Weite, tiefdunkle Nacht mit funkelnden Diamanten; krumme Formen von dornigen Akazienbäumen, fauchende Löwen, kugelrunde Kokosnüsse, johlende Hyänen, weisse Kristalle vor grünem Meer, rotgelbe Glut, perfekte Formen, weisses Flackern, wärmendes Feuer, knisterndes Holz, staksende Giraffen, rauschende Wasser; badende Elefanten, wirbelnde Fische, glasierte Oberflächen, exotische Gewürze; feuchte, kühle, heisse, trockene Luft; Chaos und Stille, verzweifelte Gnus, schnappende Krokodile. Röhrendes Gebrüll, grollendes Grunzen, moschustriefende Gorillas, grauenhafte Viren.

Braais, Tomatenpyramiden, wirbelnde Märkte, Butternuts, Enjeras, Koftas, Shais, rauchende Sheeshas. Fröhliche Jambos, Salams, Shokrans, Pole Poles, Inshallahs.

Rotglänzende Augen, fiebrige Malaria, lächelnde Kamele, staubige Wüstenstürme, schimmernde Pyramiden, göttliche Tempel, weicher Sand, durchbohrte Lippen, dunkle Häute, tanzende Krieger, schreiende Babies, flatternde Kaftane. Perlenkaleidoskop.

Rohe, wilde, aufregende Natur. Atemberaubendes, nervtötendes, geliebtes Afrika! Flaues Herz, schlagendes Herz, überflutetes Herz. Kreischende Erschöpfung, vibrierende Euphorie, konzentriertes Glück.

Good-Bye, Africa,
I love you!

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