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Masai Mara National Reserve

Montag, 01.10.2012

THE Big Ge-blÖk-sky

Die heisse Luft in der Masai Mara ist zäh, es flirrt über der endlosen Steppe, die trockenen Grashalme verzerren sich zu gebogenen Linien, Herzen pochen dumpf, es brodelt unerträglich. Ich halte den Atem an, bucklige Gänsehaut erscheint auf meinen Armen, die kleinen Härchen im Nacken stellen sich auf.

Knisternde Spannung überzieht die weite Savanne wie feine Zuckerglasur, dunkle Streusel darin lassen verzweifeltes Blöken verlauten, trampelnde Hufe hinterlassen herzförmige Abdrücke im staubigen Film über dem trockenen Boden. Es herrscht helle Aufregung, Hektik, nervöses Fiepen, Kreischen, Grollen. Zehntausende Gnus warten auf das Unumgängliche.

Die ersten der massigen Wildebeest stehen verzweifelt schreiend am lehmigen, rutschigen Rand des treibenden Flusses, schütteln den Kopf, die Mähne fliegt, sie gröhlen und rollen die dunklen Augen. Plötzlich schiebt die Herde von hinten. Der Körper des ersten Biests spannt sich, Kopf nach vorne, ein muskulöser Sprung nach unten, es stürzt sich platschend in den braunen, reissenden Fluss und schon spritzt das braune Wasser schäumend auf. Tausende hechten in blindem Wahn hinterher. Hörner verkeilen sich, Panik setzt ein, schäumende Mäuler, rudernde Hufe.

Die wabernde Masse ist völlig ausser Rand und Band, zu Hunderten springen sie gleichzeitig hinein, kopflos, übereinander, nebeneinander, untereinander. Die Herde rudert, schwimmt, kämpft sich fahrig chaotisch verzweifelt gegen die reissende Strömung vorwärts. Direkt vor meinen geweiteten Pupillen schwappt im Fluss eine in sich verschmelzende Menge voll schwarzer Mähnen, gebogener Hörner, aufgerissener Mäuler, graubrauner Rücken im selben Rythmus. Das Blöken wird lauter, hysterischer, das Ganze wird akkustisch ergänzend untermalt vom Platschen des Wassers. Und immer noch steht eine Kolonne an, wartet, drängelt, schiebt.

Mittenrein mischt sich jetzt das kontrastreiche Schwarz-Weiss der Zebras. Man springt, watet, schwimmt, hetzt und keucht durch den Mara River. Graun-Braun-Schwarz-Weiss, perlendes Wasser, schäumende Fluten, brauner Schlamm. Einige Wildebeest gehen schreiend unter, wütende Beine treten nach oben, nassglänzende Hufe zittern gespiegelt auf der brodelnden Oberfläche. Heftiges Keuchen, angestrengtes Schnaufen, Klacken von Hörnern. Ein offener Kampf auf Leben und Tod beginnt. Kaum sind sie durch den braunen Fluss geschwommen geht’s in großen, schlammigen Schritten in endlosem Strom die steile Wand hinauf.

Oben wartet eine hämische Hyäne, die sofort die Massen trennt. Blinde Panik ergreift den kilometerlangen Treck. In zwei Bahnen kämpft man sich aufwärts, trampelt über andere Tiere hinweg, findet den Weg zur riesigen Herde oben. Ein blutiges Spektakel.

Die jährliche Migration in der Masai Mara findet vor unseren staunenden Augen statt. Über eine Million Gnus folgen dem Ruf des saftigen Grases und wandern von der südlich gelegenen Serengeti in die jetzt grüne Masai Mara. Zehntausende Zebras, Gazellen und natürlich ihre Jäger folgen.

Vorgestern düsten wir nach einem nervenaufreibenden Grenzübertritt, der an südamerikanische Verhältnisse heranreichte, von Naruk in den 1800 Quadratkilometer großen Park. Leider pappt an uns das schale Gefühl eines Weihnachtsgans-Daseins. An jeder Ecke hält die Regierung und ihre Folgschaft die gierige Hand auf: das Tanzania-Visum schlug ja mit 50 Dollar pro Person schon satt aufs Gemüt, jetzt kommt eine nachträglich Road-Fee von 40 Dollar hinzu, plus das Kenya-Visum mit 50 Dollar, eine erneute Straßen-Gebühr á la 40 Dollar...Dollars hier und Dollars da! Wie mit dem Staubsauger wegvaporisiert sind wir in zwei aufreibenden Stunden satte 180 Dollar los.

Eine bettelnde kahlrasierte Maasai klopfte dabei noch ans Fenster und wollte, na was, ja natürlich: „Money! Give me money!". - Ja, klar, Missie! Als ich auf Swahili verneinte und Kwa Heri (auf Wiedersehen) wünschte wurde sie aggressiv und schmiss einen pinken Armreifen ins Auto, den ich jetzt natürlich zu bezahlen hätte. „Cheap, cheap!“, kreischte sie drauflos, „only 200 Dollars!“. So viel zum Realitätssinn.

Auch gestern am Eingangstor zum Masai Mara National Reserve überschlammte uns wieder die „Fuck-You-But-Give-Me-My-Dollars“-Lawine: 80 Dollar Eintritt pro Person, Auto-Gebühr von 6 Dollar, Camping im Areal für 35 Dollar pro Kopf, allerdings käme dann noch eine Platzgebühr und ein bewaffneter Ranger hinzu: Kostenpunkt 50 Dollar! Das macht zusammen 120 Dollar für eine Nacht auf der Wiese ohne Toiletten! Mein Magen krampfte sich zusammen und ich wollte den Mann am Gate am liebsten würgen. „Cheap, cheap!“, flötete der noch lieblich lächelnd hinzu, „you know...Ngorongoro Crater in Tanzania is 450 Dollar Entrance Fee and Serengeti is 200 Dollar for car and 50 Dollar per Person! That is still without camping! Cheap here...“.

Frech, aber leider wahr! Wir können es kaum fassen, aber im Dritte Welt Land Afrika wird in Dimensionen abgesahnt, die uns bisher noch fern waren! Der Aushang im Schaukasten listet stolz den monatlichen Reingewinn von 200.000 Dollar Eintrittsgeldern auf, der von der Massai-Bevölkerung selbst, bzw. der Gemeinde in Narok verwaltet wird. Da drängte sich mir kurz der stechende Gedanke ans Spendengelder-abhängige Massai-Waisenhaus in Arusha auf...

So löhnten wir unter kloßartigem Schlucken die 164 Dollar, die nur bar in US-Dollars bezahlt werden können, nicht in landesüblicher Kenyan-Shilling-Währung und stiegen halbfrustriert ins Auto. Vor einem Waldgrün besprühten Safari-Toyota wartete eine Dame mittleren Alters mit gelegten Wellen und gehängtem Gold, wippte ungeduldig mit dem High-Heel-Fuss und winkte ihren Fahrer unwirsch heran: „Come on! I paid 3000 Dollars for two days. I´m not supposed to wait!“ sprudelte es aus ihrem rot-lackiertem Mund. Und, es ist wahr, im Internet las ich die astronomische Summe von 950 Dollar für eine Nacht in der Zelt-Lodge ab, natürlich käme dann noch der Game-Drive extra mit auf die Rechnung.

Was soll´s? Ärgern nützt ja nichts, also entschieden wir uns erst noch leicht grummelnd, dann aber sehr bewusst dafür, mal ganz schnell das schlechte Gefühl vom Rip-Off abzuschalten und ab sofort die Natur zu genießen.

Und, tatsächlich, jetzt, schon nach ein paar Kilometern steht fest: die Schönheit der Landschaft ist absolut atemberaubend! Das pure, reine Afrika!

Bei uns im Hinterstübchen treibt sich zu diesem Zeitpunkt natürlich immer noch die glühende Hoffnung auf die legendäre Migration herum! Vor unseren Augen die endlose Weite, beige Savanne, durchsetzt von einzelnen Schirmakazien, darunter filmreif liegende Geparden und Löwen und dösen in der Hitze der Mittagszeit. Ein märchenhaft goldener Schimmer liegt über den Graslandebenen, Herden von Elefanten ziehen gemächlich darüber hinweg, graue Elands, zierliche Springböcke, Bonteböcke mit der weissen Blesse und Red Hartebeests mit der Zielscheibe am Arsch grasen friedlich darauf. Dreierlei Giraffen (Rothschild, Kenya und Reticulated) teilen sich mit Leoparden, Cheetas, Hyänen und Löwen das Terrain entlang der vielen kleinen Wasserläufe an den saftigen Ufern des Mara River. Im Fluss selbst tummeln sich in rauen Mengen grunzende Hippos, grölende Büffel und hechelnde Krokodile.

Marabus stolzieren am Rand umher und Geier warten auf Aas. Das sensationelle Panorama ist faszinierend gesalzen mit einer grandiosen Tierdichte. Die komplette Fläche ist durchsetzt mit Zehntausenden von Zebras und Gnus. Kilometerlange Herden, grasendes Schwarz-Weiss. Nicht nur, dass wir blutig fressende Hyänen beobachten, nein auch wütende Löwen, rollige Lionesses und spielende Geparden-Babies mit grauem Rückenflaum.

Und dann, dann biegen wir um die Ecke und entdecken die wartenden Gnus vor dem Mara River!

Das blökende Spektakel trampelnder Hufe und spritzenden Wassers beginnt und die bucklige Gänsehaut folgt: 10.000ende Gnus und Zebras, endloses Grau-Braun-Schwarz-Weiss, heilloses Durcheinander, heftiges Keuchen, schäumende Mäuler, hysterische Herden, rudernde Hufe, verkeilte Hörner...ein absolut unvergessliches Erlebnis!

AM CAMPGROUND

Mittwoch, 03.10.2012

Phili-Maus im Latexmantel
mit Iphone, Fisch & vollschaden

Die intensive Abendsonne lässt den sprudelnden Fluss in schönstem Orangerot erstrahlen, Akazien zeichnen Scherenschnitte, Georg entfacht ein knisterndes Feuer, krosses Fleisch brutzelt, kühler Merlot schimmert in den Gläsern. Mit den sympthatischen Belgiern Lore und Braam quatschen wir uns die Zungen fusselig, als die illustre Savannen-Bühne gegen 20.00 Uhr um den grandiosen Phil bereichert wird.

Das wissen wir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht. Alles, was wir sehen ist ein anorektischer, vollbärtiger Typ mit dunklen Wuschelhaaren, neongrünem T-Shirt und engen Latex-Hosen, der mit dünnen Ärmchen ein robustes Fahrrad neben sich herschiebt. Und auf uns zukommt.

Knapp schiebt er an unserem Lagerfeuer vorbei, wobei er kühl über die knochige Schulter blökt: „Hey Guys! I´m joining you later!“. Äh, ja, ist gut, und mehr als „All right“ fällt uns dabei auch gar nicht ein, ist auch gleich wieder vergessen, denn es gibt ja viel zu erzählen.

Knappe fünfzehn Minuten später schlendert der asketische Vollbärtige wieder zu uns, in der einen Hand der rote Plastikstuhl von der Rezeption, in der anderen ein Iphone. Wir unterhalten uns angeregt, als ein unterbrechendes „Hi, I´m Phil“ aus seiner Kehle krächzt, er setzt sich ungefragt, neigt den Blick nach unten und tippt wild ins Handy.

Wir sehen uns irritiert an. Sollen wir uns jetzt vorstellen, oder einfach weiterquatschen? Wir entscheiden uns für Letzteres. Nach 60 Sekunden guckt Phil auf und entschuldigt sich: „Sorry, guys...just an important message“. Runde, dunkelbraune Augen gucken uns unter buschigen schwarzen Brauen an. Braam erzählt seine Story weiter und mitten in der Pointe unterbricht Phil: „Yeah. I´m bycicling Africa". Hat der was an den Ohren? Hört er nicht, dass Braam mitten in seiner Story ist?

Nein, hört er nicht, denn er schiebt 30 Sekunden später noch ein angeberisches "Absolutely alone“ hinterher. Ja, das ist mal ein Statement, denke ich noch, während ich auf der anderen Spur in meinem Kopf Braams Geschichte folge, und die dritte schon eine gewisse Antipathie gegen unseren Radler entwickelt. Ich kann nicht umhin, als zu sagen: „That´s beautiful, Phil. But, you know, the four of us just met again after 3 months...“. „Oh, right. - Wie schön! Wie lange reist ihr denn schon? Ich hätte ja so viel zu erzählen!“, erwidert Phil geistesgegenwärtig in breitem Übersee-Englisch. Gerade als ich antworten will, senkt er jedoch den struppigen Lockenkopf und das Handy-Display leuchtet. Hallo? Was´n mit dem?

Es scheint doch immer einen guten Grund zu geben, wieso Leute alleine reisen! Im Normalfall hält es sonst auch keiner mit ihnen aus.

Lore, Braam, Georg und ich verstummen im Gespräch. Vier Fragezeichen erscheinen auf unseren Köpfen. Braam holt nochmal Luft. „Could I try this?“, kommt mittenrein von unserem Neuling, während er auf unser Fleisch starrt, das Georg gerade vom Grill geholt hat. „NO!“, kommt von uns allen wie aus einem Mund geschossen. Ne, also sorry, wirklich jetzt nicht. Das erste Grillfleisch seit Wochen! Wir kennen den doch gar nicht. Und das was wir von ihm kennen, mögen wir auch grad nicht. Also, klares NEIN. No.

Das scheint Ok. für Phil, auch wenn er ein kurzes bedauerlich-mitleidiges: „They stole all my kitchen-stuff“ herausbringt. Ja, da merke ich doch auch schon wieder, wie es bei mir wirkt, der arme Bub, hat er kein Küchen-Equipment. „Where did you get robbed?“, frage ich. „Oh, that was in Egypt...sie haben mein Bike und alle Taschen daran geklaut“. Kurz denke ich nach, dann muss ich leider sagen „But...Egypt! That must be weeks ago!“. „Yeah“, raunt Phil und nickt mit dem Kopf, seine Augen beginnen zu glänzen, jetzt da wir endlich interessiert sind, und alle auf ihn schauen „es ist zweieinhalb Monate her!“. Jetzt bin ich noch verwirrter: „Aber was hast du dann all die Zeit gegessen?“. „Oh, well“, sprudelt es unter den vielen Kraushaaren aus dem Mund „normalerweise esse ich bei Freunden. Oder ich gehe aus".

Ach, da wird mir ja schon wieder so einiges klar, und ich fühle mich direkt unserem Superspar-Chris von Opuwo so nah, als könnte ich ihn mit der bloßen Hand erreichen. „Oh, well, then“, entfleucht da meinen Lippen „da gibt’s ein schönes Restaurant, gleich da oben“ und ich deute mit dem Kopf nach rechts hinten. „Ohhh.“, Phil macht eine staunende Pause „wirklich?“. Wir nicken einträchtig mit unseren Köpfen.

Braam unternimmt einen neuen Versuch, wir sind ja immer noch mittendrin in der Story der reisserischen Hyäne, die versucht, der Löwin den Springbock abzunehmen, da kommt ein Wildhund-Rudel und... Mittenrein wirft Phil: „And I got robbed today.“ - Punkt. Pause. Braam verstummt. Überwältigt von so viel Taktgefühl und sozialem Verhalten starren acht Augen auf den Radler. „What?“, stößt Lore hervor. „Yeah“, klagt Phil da, und legt los: „You know, ...ich reise ganz alleine, und so treffe ich viele Leute. Wisst ihr, ich bin 23 und ich tue das ganz allein!...All on my own", (Ja, Phil, das haben wir jetzt schon kapiert!), und er fährt mit hoher knochiger Nase fort: "Ich weiss ja nicht, wie lange ihr schon unterwegs seid, aber ich, ich mache das schon seit 6 Monaten! Wisst ihr, was ich schon alles erlebt und gesehen habe; naja, das könnt ihr euch warscheinlich nicht vorstellen...“. Und das Bla bla geht weiter. In einer kurzen Redepause Phils gucke ich zu Braam, dem es auch schon reicht. Doch gerade als er Luft holt, geht’s bei Radl-Phili weiter: „And, you know...I miss my beautiful girlfriend... sie wartet auf mich in beautiful Neuseeland“, umständlich holt Phil sein Handy hervor, drückt ein paarmal drauf herum und zeigt uns dann das Foto eines wunderschönen Mädchens mit langen, schwarz glänzenden Haaren und breitem Lächeln im Gesicht. Wie kommt der denn zu so einer?

„We´re four years together...Deswegen werde ich wohl meine Reise beenden. Bald. Ich vermisse sie wirklich. Ich meine, ich bin ja schon sechs Monate on the road! Ich meine, ich liebe das Reisen und ich liebe die Leute. Und ich treffe viele Leute. So viel mehr, als ihr, Guys. Ich mein, mehr als ihr überhaupt treffen könntet. Ich bin ja mit dem Rad unterwegs. Und ich muss Leuten vertrauen. Aber, naja, wie auch immer, you know, ich meine jetzt nicht Reisende, wie ihr. Also normalerweise schlafe ich bei Leuten, die ich eben so kennenlerne. In der Stadt, auf dem Weg, in Restaurants. Und diese Nacht habe ich bei einem Freund verbracht“, dabei macht er eine rhetorische Pause und guckt uns treuselig in die verwunderten Augen. Ich frage „Woher kennst du denn deinen Freund? Ist er von hier?“. Phil glotzt mich an „Ja, natürlich!", blafft er, „nun ja, ich kenne ihn nicht sooo gut. Aber als ich ihn traf, hat er mir erzählt, er studiert hier und lebt noch bei seinen Eltern und wenn ich einen sicheren Platz zum Schlafen bräuchte, könnte ich mit zu ihm kommen und eine schöne Dusche und ein warmes Bett haben.“

Lore hakt nach: „Aber, wo hast du ihn denn dann getroffen?“. „In einer Bar. Und kurz danach bin ich mit zu ihm gekommen, mit meinem Fahrrad und allem, und dort habe ich dann geschlafen.“ Stille. „And this morning“, Phil hat wieder das Wort „...bin ich duschen gegangen. Eine kurze Dusche – aber als ich zurückkam, war mein Geld weg“.

Überwältigende Geschichte jetzt so. Denken wir alle. Glaube ich. Sechs Monate unterwegs und immer noch so blöd.

„Wieviel? Wo hattest du es denn versteckt?“. Und jetzt kommt Phil so richtig in Fahrt, hat er doch all die Aufmerksamkeit auf sich gezogen und auch schon ein Stückchen Fleisch zwischen den Fingern. (Wer hat ihm das denn gegeben? Schatz?). Im Stakkato schiesst er die Antworten heraus: „100 Dollars! In kleinen Noten. Alle weg! - Ich hab´s unter mein Kopfkissen gesteckt, mein ganzes Portemonnaie. Ich war nur 10 Minuten weg, echt jetzt! Ich kann es echt nicht fassen! Der Orlando war so nett! - Ich hab´s erst jetzt entdeckt, als ich den Campground zahlen wollte...“ Ach, verdammt, jetzt hat er natürlich schon wieder volle Punktezahl Mitleid! Armer Bub...will er wohl noch ein Stückchen Fleisch. Nicht, dass er heute Nacht verhungert. So abgezehrt wie er aussieht. Arme Sau. Scheint irgendwas mit dem Radln zu sein, die sind alle so dürr. Als wäre seine Haut über blanke Knochen gespannt, dünne Pergamentschicht über Wangenknochen, Popp-Augen über langem Krausbart, selbst aus den Lippen scheint er herausgewachsen zu sein, die hängen so armselig rosinenkrausig nach unten. Zack, da nimmt er sich schon eigenständig ein Stückchen Fleisch vom Mittelteller und schiebt es hinein. Mitleid Ende.

Mit schmatzendem Mund quasselt er weiter, während Bratensaft unappetitlich am haarigen Kinn heruntertropft: „...and“ mampf, mampf, Phil schluckt das Stückchen hinunter und fährt fort: „...and I will go to the familiy tomorrow... dann werde ich denen mal alles erzählen!“, sagt´s, nimmt einen Schluck aus seiner Wasserflasche, kippt den Kopf nach unten, tippt die SMS zu Ende, räuspert sich und wandelt von Dannen.

Als ich seiner Gehrichtung nachsehe komme ich nicht umhin zu bemerken: „Hey, Lore, Braam! Der hat sein Zelt eineinhalb Meter neben eurem Landrover aufgebaut!“.

Ein einträchtiges „Shit“ folgt.

Am nächsten Tag erwache ich früh, zu früh für meinen Geschmack, aber ich muss schnell mal raus. Leider. Im Halbschlaf wanke ich unter größter Anstrengung vom Toilettenblock wieder zurück zum Auto, als ich im Augenwinkel Phil sehe. Oh Gott! Nein, bloss nicht jetzt. Jetzt soll keiner mit mir quatschen. Bin viel zu müde. Was heisst müde, ich schlafe ja noch. Nein, nein, nein. Während mir diese unstrukturierten Gedanken durch den Kopf schiessen, den weichen Schimmer des halben Traumes umspülen, gehen meine Beine selbständig in strammen Marschschritt. Lieber jetzt schnell, als danach vollgelabert. So fliegen meine halbwachen Beine über den taufeuchten Rasen, ich stolpere, doch gleich habe ich es geschafft, gleich bin ich im rettenden Inneren des Toyotas. Rosinengesicht scheint mich zu verfolgen. Der kommt immer näher. So von rechts her. Ich kann es deutlich sehen, doch genau in dem Moment erreiche ich mit einer Hand die Autotür, reisse sie auf, hieve mich hoch, steige ein und Rumps fällt die Tür zu. Geschafft! Puh! Ich setze mich auf die Bank, völlig ausser Atem.

Da klopft es an der Tür. „It´s me!“ ruft Phil. - Ja, UND?!

Was solln das heissen: „It´s me!“. Ich kenn den doch gar nicht. Fieberhaft überlege ich, ob ich mich einfach verleugnen soll, ob ich ein „I´m not here“ ausgeben soll, oder mich einfach wieder schlafend stellen. Da klopft es erneut. „MORRRNING!“.

Ich kann nicht mehr und sage: „No. No morning. Still night. Sorry Phil!“. Da trabt er langsam ab, ich beobachte ihn aus dem Fenster und mit einem kleinen Seufzer lege ich mich wieder schlafen.

Beim Frühstück ist Phil verschwunden, sein Zelt aber noch da. Lore nippt am Cafe, während sie zum leicht umnebelten Mount Meru guckt, Braam zippt den Reissverschluss des grünen Dachzelts auf, steigt die Treppe herunter und nähert sich uns mit verschmitztem Grinsen im Gesicht. „Good morning“, setzt sich, schenkt sich Kaffee ein und kann sich nicht verkneifen, uns neugierig zu machen.

„Wisst ihr, was ich letzte Nacht gesehen habe?“ und nach kurzer Pause fügt er grinsend hinzu „und gehört?“. Lore nippt an ihrem Cafe, ich beisse in mein Sandwich, Georg salzt sein Spielei, wir schütteln synchron die Köpfe. Mitten in die Stille fliesst ein: „Er hat den Barkeeper aufgerissen und ist mit ihm im Zelt verschwunden.“

Lore und ich schlucken, mir schiesst kurz der Gedanke an seine liebliche Freundin durch den Sinn, Georg schiebt sein Spiegelei, das wabberig auf der Gabel tanzt, in den Mund. In der gleichen Sekunde prusten wir los und Braam schüttelt nur immer wieder den Kopf. „Dass ihr schlafen konntet! Ich meine, die waren doch echt laut!“. Erst abends sehen wir Phil wieder. Zackig schiebt er sein Fahrrad herein, grüßt uns und hat gleich mal wichtige Neuigkeiten für alle. Schnurstracks kommt er auf uns zu, zieht den roten Plastikstuhl heran und erzählt drauflos: „I just came back from the family! Guess what?!“, und schaut mich mit übergroßen, tellerrunden Pupillen im anorektischen Gesicht an. Fast kriege ich schon Angst, der hat so einen wirren Blick. Irgendwie erinnert er mich an Tom Hanks auf der Insel. Braucht er nur noch einen Wilson. So einen Ball mit der er reden kann. Na gut, er hat ja heute uns. Immerhin. Wir würden es nicht glauben, sagt er. Er war bei der Familie, hier ist das Fahrrad, alles gut daran, ist ja auch sein Neues, das Alte haben sie ja in Ägypten gestohlen. Aber egal, denn das Wichtigste heute ist: die Familie glaubt ihm! Er hat mit Mama, Papa, Bruder und zwei Schwestern von seinem neuen Freund gesprochen und das Erstaunlichste dabei: Sie glauben ihm alle! Alle glauben ihm.

Und das Beste: sie wissen! Sie wissen Bescheid. Ja, der Sohn stiehlt. Der Bruder stiehlt. Das ist schlecht, ist aber so. Und dann wollten sie wissen, wieviel er gestohlen hat...Und nein, nein er ginge nicht auf die Universität, und nein, nein, er hätte auch keinen Job, und nein, nein, das ist nicht sein eigenes Zimmer, das müsste er teilen. Sie gingen jetzt selbst gleich zur Polizei und zeigen ihren Sohn an. Nein, nein, er müsse dabei nicht mitkommen, das machen sie schon. Aber wieviel hat er nochmal gestohlen? "Crazy...isn´t it? Naja“, meint Phil da lakonisch „Maybe...Vielleicht bringen sie es mir ja wieder zurück.“

Ich weiss jetzt auch nicht. Reisen wir schon zu lange? Bin ich zu misstrauisch? Realistisch? Er zu doof? Also, geht ihm das jetzt wirklich nicht ein, dass die Family vielleicht selbst das Geld will? Dass sie niemals ihren Sohn anzeigen und zu Polizei bringen werden? Ist Phil so naiv? Der Durchnittsverdienst in Kenya ist 8000 Shilling. Das sind so ungefähr 80 Dollar im Monat. Die normale Appartement-Miete beläuft sich auf 20 Dollar. Mit 100 Dollar hat er sich fünf Monate Miete erstohlen. Oder einen Monat Arbeit erspart. Wie man´s sieht. Jedenfalls wird Phil sein Geld nicht wiedersehen...der arme Bub.

Doch Phil ist in Gedanken schon woanders. Er hätte Lust auf lokales Essen. Drum würde er morgen auch mal auf den Markt gehen und diese kleinen getrockneten Fische kaufen. Dazu würde er Ugali, den nicht-schmeckenden Maisbrei kochen. Ob wir Lust darauf hätten?

Ist jetzt zwar nett gemeint und wir bedanken uns auch höflich, doch wirklich Bock hat keiner darauf. Also, „no, sorry, Phil.“. Oh, kein Problem, meint er da trocken, dann koche er für sich selbst. Dürfte er wohl unseren Gasofen im Auto benutzen? Da ist dann selbst bei Georg Schluss mit Lustig: „Fish? You want to fry fish in our car? NO. Sorry!“.

Ich muss lachen.

Das macht Rosinengesicht aber auch nichts aus, schon wackelt er fröhlich pfeifend ab Richtung Bar. Nachts öffne ich die Toyotatür leider zur selben Zeit, wie der Barkeeper Phils Zelt. Gerade als mein grauumhostes Pyjama-Bein auf die kalte Stufe tritt, erscheint ein kahlrasierter schwarz-glänzender Kopf aus der Mitte des knackenden Reissverschlusses. Dahinter krabbelt Phil heraus, ich nun schon mit beiden Beinen auf der Wiese und wende mich ganz, aber ganz schnell Richtung Toilettenblock. Natürlich sehen wir uns. Im Augenwinkel. Doch ein jeder scheint so beschäftigt, ich mit gehen, die Beiden mit aus-dem-Zelt-krabbeln, dass wir irgendwie verpassen, uns zu grüßen.

Morgens sitze ich im Auto und geniesse meinen Tee. Georg hat seine Bombenidee des Spiegelei-Bratens auch direkt umgesetzt in Energie-Abbau und brutzelt grinsend vor sich hin. Ich meinerseits bin natürlich noch ein bisschen müde, ist ja gerade mal acht Uhr und wir sind frisch aufgestanden. Die heilige Ruhe-Zeit. Keiner spricht, die Gedanken mummeln vor sich hin, der Cafe duftet, das Geräusch der Bratpfanne beruhigt mich, durch die geöffneten Fenster zwitschern die besten Vogelsänger. Ach, welch schöner Vorbildsmorgen.

Bumm. Bumm. Bumm.

Huch? Was ist das? Vor Schreck habe ich meinen Kaffee verschüttet, ein hellbrauner Fleck macht sich langsam auf meiner Schlafshorts breit. Als der Fleck eine fast zirkelrunde Form angenommen hat, erwache ich aus meiner Schrecksekunde, weil es schon wieder klopft. Laut. Unnachgiebig. Bumm. Bumm. Bumm. „Hello?“, kreischts da auch schon und ich löse den Vorhang vom Gummi-Noppen.

Tom Hanks in jung mit 20-Zentimeter-Bart und starrenden Augen wummert an die Tür. „It´s me!“.

No, fuck jetzt.

Gerade als ich den Vorhang wieder zuziehen will, öffnet sich die Tür. Öffnet PHIL die Tür. - Setzt PHIL sich auf die Bank! PHIL IM AUTO; PHIL IM AUTO; PHIL IM AUTO, die einzigen Gedanken zu denen ich jetzt fähig bin, sie kreisen wie ein Adler über dem Feld. Wie ein Geier über dem Aas, wie ein Kreisel, wie ein Kreisel, wie ein Kreisel. WIE IST DAS PASSIERT? WIE IST DAS PASSIERT? WIE IST DAS PASSIERT?, mein Geist scheint nur Dreier-Wiederholungen zu können. Bin bin bin perplex. Ausser Stande zu reagieren. Hat der jetzt eigenhändig die Türe aufgemacht? Um acht Uhr morgens? Sich reingesetzt? Sitzt der jetzt neben mir? Schaaaatz?

In einem geistigen Hilfeschrei gucke ich zu Georg, der am Herd steht mit seinem Bratwender in der Hand und mich wiederum anstarrt. Ich starre zurück. Eingefroren. Wir sind von den Socken. Im Pyjama. Spiegelei, Cafe, Bratwender, Georg, Phil. All das sehe ich in einem kurzen Augenblick. Vor mir Brutzel, auf mir Cafe, neben mir PHIL. Eindringling, Raus! RAUS;RAUS;RAUS!

Phil lächelt und frägt: „What did you say? Rrrausrrrausrrraus? What´s that??“. Ich kann noch nicht mal mehr lachen, ich kann jetzt auch nicht englisch, ich bin fix und fertig. Meine heilige Morgenstunde! Doch Phil macht sich gar nichts draus, und brüllt mir ins Ohr. Irgendwie jede Menge Sachen, er brüllt und brüllt und brüllt immer weiter. Ich halte mir die Ohren zu. Muss jetzt irgendwie autistisch wirken. Dabei hätte ich doch jetzt im Moment auch gerne mal das Tourette-Syndrom: „ASSHOLE!!“ würde ich dann schreien. ASSHOLE! Laut und immer wieder.

Doch statt dessen bin ich immer noch gelähmt, ich komme mir vor, wie im Krankenhaus, im Koma, unfähig zu sprechen, zu reagieren, während mir ein Fremder ins Ohr schreit. Ich könnte heulen. Jetzt und ohne Vorwarnung. Das ist mir zuviel. Was kreischt er denn so? BAMM;BAMM;BAMM, ratterratter, immer weiter babbelt er, immer mehr immer lauter immer weiter in mein Ohr hinein.

Ich erwache. Schlimm. Da wäre ich lieber in jeglichen Albträumen versunken geblieben, als diesem reellen Morgen. Mittenrein mischt sich „Oh...that smells aaaaaawesome!“. Ich starre neben mich.

Stimmt echt. Ich bin wach. Der sitzt mir fast auf dem Schoss. Ich kann sein kaltes, dürres Bein an meinem spüren. Hautkontakt. AAAHHHHH! GEHWEG;GEHWEG;GEHWEG! Alarm im Kopf! ALARM! Da schreit er wieder in mein Ohr. „Do you have some coffee left?“, da wende ich meinen Kopf vom Kaffeebecher in meinem Schoss hin nach links oben zu Georg, der da immer noch mit seinem Bratwender in der Hand steht und eigentlich so aussieht, als würde er darüber nachdenken, wie sich der Wender in Phils Gesicht machen würde. Leicht nicke ich mit dem Kopf. Gute Idee, Schatz, find ich klasse. Doch sagen kann ich noch nichts. Blockade. Absolute Sprechblockade. Na, reicht ja auch, wenn einer blökt.

Apathisch verfolge ich Georgs Hand. Die legt leicht zitternd, aber doch ganz langsam den Bratwender aus der Hand, fummelt im Kästchen darunter nach irgendwas, ich nehme einen Schluck lebensrettenden Kaffee aus meinem wackelnden Becher und als ich wieder aufschaue, übergibt Schatzi gerade einen Becher an Phil. „Wie? Was? Spinnst du?“, Fragen platzen auf in meinem Geist, während ich immer noch bebrüllt werde. Da reisst mir der Faden!

„Phil!“, beginne ich, während ich mein diplomatisches Geschick unter all dem Krempel in meinem Hirn rauskrame. „Phil! You have to go!“, stoße ich hervor, unter all den Sachen konnte ich es doch nicht finden. Nicht um 8.10 morgens. „Yes“, antwortet der mit süßem Lächeln „Thank you so much! I will wait outside then for the eggs.“, und erhebt sich genau in dem Augenblick, als ich platze. Kein Scherz, der Typ ist krank.

Georg macht den Netten und ist auch bald schon draussen, beim Frühstücks-Verteilen. Phil, ach, der arme Bub. Kein Geld, kein Kochtopf, keine Freunde, bald kein Girlfriend mehr. Ups, das sollten wir vielleicht für uns behalten. Kein Wort davon übrigens. Weder von ihm, noch von mir. Als ich mich nach 45 minütiger Erholungszeit hinaustraue, grinst mich Lore an. Sie weiss Bescheid! Kennt mich und mein Morgenritual. Jetzt sieht sie so aus, als wollte sie mich direkt tröstend umarmen. Ich nicke ihr zu.

Kaum lasse ich mich in den blauen Campingstuhl gleiten, atme zweimal tief durch, nippe am zweiten Kaffee des Tages, als Phil zurückkommt. „Boah, what a night yesterday! I was sooo drunk! I cannot believe it!“, ich muss grinsen. Verdammt, reiss dich jetzt zusammen, signalisiere ich mir selbst, der arme Bub, doch genau bei dem Gedanken muss ich fast loslachen. „What´s up?“, frägt Phil mit den Kulleraugen. „Oh, nothing, Phil.“

Phil pflatscht in den Stuhl und rutscht unruhig hin und her. „Whatever...“, beschliesst er, er würde jetzt jedenfalls zum Markt gehen, er wolle ja später die Local Speciality zubereiten. „Anybody wants some?“. Mit dem Morgenauge betrachtet ist die fischige Ugali-schmeckt-gar-nicht-Speise eigentlich noch ekliger, ich muss fast kotzen und wir alle lehnen höflich, aber bestimmt ab. Macht nichts, flötet Phil, macht er es eben alleine. Nur für sich.

Abgang Rosine. Mit Rad und Helm schiebt er ab in die City.

Es ist knapp 15.30, als er wieder kommt. Wir sind gerade zurück aus der Stadt, von der Werkstatt und vom Supermarkt, haben einen fantastisch dampfendes bayrisch Geschnetzeltes auf dem Herd und Georg kriegt schon vom Kochen desselben einen Glückskick! Alles frisch! Wir fanden Sahne, frisches Hühnchen, frische Champignons, lecker! Mir läuft das Wasser im Munde zusammen, ich sitze am Tisch, schmökere in „Naokos Lächeln“, gratuliere dem japanischen Autor für seine Wortfindungen und wälze mich emotional in der Geschichte, als sich Phil zu mir setzt.

Da genehmige ich mir gleich mal einen Schluck Wein. Der mir auch sofort wieder aufstößt, als Radl-Phil eine Tüte hervorzieht: getrockneter Fisch. Klitzekleine Sardinen schimmern verhuzelt-vertrocknet in der braunen Papiermasse. Ganz schönes Geschmäcklein, das die so von sich geben. Da zieht er unter großen Umständen seinen Rucksack hervor, kramt hinein und pult eine blaue Supermarkttüte heraus. Nach kurzem Nesteln ist das Sicherheitsklebeband vom Rand aufgerissen, und es erscheint ein nigelnagelneuer Gaskocher. PaPaaaaam! „Because, you didn´t want to cook with me, I had to buy it." flüstert er gekränkt, als wären wir die besten Freunde. Och Gott, der arme, arme Bub! „But, well", gibt er da zu, „I really needed it, too“.

Und schon legt Phili-Maus hektisch los, breitet die Fische auf dem Tisch aus, frägt mich nach einem Schluck Wasser zum Waschen und ich deute wortlos auf den Wasserhahn in der Wiese. Ach ja, stimmt ja, raunt Phil da und geht hin. Kurz zuvor macht er jedoch eine abrupte Wendung und marschiert auf mich zu. „Do you have a bowl?“, ob ich eine Schüssel hätte? Mann! Ja, Schüssel hab ich und du hast einen Sprung, echt!

Wie kann man denn jetzt so unselbständig sein. Und dabei allein reisen. Von Kairo nach Kapstadt? Mit dem Rad? Wenn man nicht mal den Wasserhahn findet und keine Schüssel hat?

Stöhnend erhebe ich mich, gehe zum Auto und frage Georg nach der Schüssel. Der rührt gerade hingebungsvoll in seiner Bratpfanne und versteht erst gar nicht, was ich will, sondern hält mir verzückt lächelnd einen Probierlöffel hin. Nachdem ich den nun auftragsgemäss abgeleckt habe und selbst hingerissen bin, erkläre ich ihm das mit der Schüssel und den Fischen.

Georg hasst Fisch! Abgrundtief. Ist ja auch ok, jeder hat so seine kulinarischen No-Go´s. Bei Georg eben Fisch. So brauche ich auch schon drei Engelszungen extra, um ihn vom Ausleihen der Schüssel zu überzeugen. Aber da tut mir der Phili-Bub jetzt doch auch wieder leid. Kauft er sich schon einen Kocher! Die Schüssel soll er von uns bekommen.

Kaum ist das geklärt, erscheine ich wieder draussen, drücke Phil wortlos die Schüssel in die Hand und wende mich wieder meiner Lektüre zu. Auf dem Tisch stehen neben meinem Weinglas auch die leckere Flasche, ein paar Kekse, Lore´s Zeitschrift, sowie Georgs und mein Buch. Stramm schreitet Phil wieder heran, auf seinem Rückweg vom Wasserhahn, die blaue Schüssel vorsichtig balancierend.

Der fischige Mief weht herüber, und als er in die Tüte greift, muss ich fast würgen. Ich kralle mich an meinem Weinglas fest, nehme einen tiefen Schluck und seufze auf. Phil schüttet die kleinen Silbernen in die blaue Schüssel und beginnt mit dem Waschen. Nach zwei Sekunden färbt sich das Wasser braun und die silbrige Masse glitzert nur hin und wieder darin auf. Vielleicht mehr Wasser?

Doch ich muss gehen, der Geruch ist echt schlimm. Ich nehme lieber eine Nase von dem Geschnetzelten, das in unserem Auto brutzelt. So, jetzt geht’s schon besser. Also schlendere ich wieder hinüber zum Tisch, setze mich und komme gerade rechtzeitig, als ein dicker, fetter Schwall Fisch-mit-braunem-Wasser über Georgs Buch schwappt. „Oh, sorry!“, meint Phil da, nimmt das Buch vom Tisch und schmeisst das tropfende Ding ins Gras.

Armer Georg, denke ich noch, als ich es aufhebe und direkt mit Spülmittel abwasche. Bringt nichts, riecht immer noch mega-unangenehm, selbst für mich. Ich hole Dettol aus dem Auto und muss Georg beruhigen: „Hab ich doch gesehen", sagt der. "Hier aus dem Fenster. Gell, der hat jetzt den Fisch über mein Buch geschüttet. Ne, oder? Stinkts schlimm?“ - „Oooch, nö, du, gar nicht“ erwidere ich, während ich stakkato-artig mit dem Dettol über den Buchrücken reibe. Vielleicht noch Deo drauf?

Da schreit Georg: „Essen fertig!“ und Phil „Wow, that´s great“ und ich „No. Not for you, Phil.“

Da guckt mich Rehauge-Phil traurig an, und schrubbt weiter an seinen Fischen. Dreimal müsste er sie komplett waschen, das haben ihm die Kellnerinnen von der Bar gesagt. Die würden das ständig kochen. Natürlich, fügt er da hinzu, ist ja hier das Alltagsessen.

Georg bringt die Teller raus und friert in seiner Gehbewegung ein, als er mich am Tisch sitzen sieht. Phil daneben wäscht die Fische. „Ne, das geht jetzt echt nicht“, sagt Schatzi da trocken „mit dem Fischgeschmack kann ich doch mein Geschnetzeltes net essen!“, sagt´s, wendet sich ab, übersetzt den Satz noch schnell auf Englisch und trägt die Teller hoch zur Gemeinschaftsbank, 50 Meter entfernt den Hügel hoch.

Phil stutzt, doch sagt nichts. Er wäscht und wäscht und liest nebenbei die Packungsbeilage vom Ugali.

Wir ziehen uns zurück auf den entfernten freien Platz und schlemmen lecker Bayerisches. Doch nicht lange, da kommt Phil auf uns zu.

„Do you have Cooking-Oil?“, frägt er mich mitten im Leckerbissen. „Ne, nicht echt jetzt. Mann, der soll uns doch mal in Ruhe essen lassen.“, stößt Georg unter der Sahnesauce hervor. Ja, eins der wenigen Dinge, wo Schatzi keinen Spaß versteht. Essen. Ruhiges Essen. Ungestörtes Essen. Und hat er ja auch Recht.

Der dünne Phil tut mir trotzdem leid, ich schlucke und hole das Öl. Ein letztes Mal! Als ich vom Auto zurückkomme, hat sich Phil auf den Nebentisch gesetzt und bereits eine kleine Pfanne auf dem Gaskocher. Kann wohl nicht allein sein. Unser alleinradelnder Mager-Phil.

Ich setze mich und führe in dem erneuten Versuch, etwas zu essen, die verlockende Gabel an meinen Mund, um kurz davor abzubrechen, weil Phil sich fast am Gaskocher verbrennt. Die Flamme fackelt lichterloh, ich springe rüber, drehe sie aus. „Oh, fuck!“, stöhnt Phil, das was knapp. Unser Schüsselchen mit seinen Fischlein steht neben ihm und nun auch neben uns auf dem Neben-Tisch, die Packung Maisbrei ist bereit, eine Tomate liegt zerstückelt auf dem Tisch. „Äh, sorry to ask... but could you give me a plate, please?“.

Ne, also jetzt reichts dann aber mal wieder. Hat er denn gar nichts? Keine Schüssel, keinen Teller, keine Gabel, kein Messer.

Ich schlucke tief, atme ein, weiche Georgs Blick aus und ergattere Teller, Gabel, Messer, Salz und Pfeffer aus dem Auto. Mehr kann er ja jetzt nicht brauchen, oder?

Ich will doch nur Ruhe, Essen und keinen verhungern sehen.

Für den Moment scheint alles gut. Seit zwei Minuten keine Schwierigkeiten. Das Geschnetzelte ist köstlich, der Wein sowieso. „Hey, man! Do you know, how long that takes? Could you help me?“, plärrt es da von rechts hinten-nebenan. Phil.

„No, sorry, man, no idea!", jetzt reicht´s mir auch, "I never cooked that! And I never will! - And by the way: it stinks!“. So. aus die Maus. Keine Ahnung. Sorry, Phil. Doch unser Radler gibt keine Ruhe, „you have to look at that! Is that normal?“ und starrt in die Pfanne, während er mit der anderen Hand die Ugali-Pulverpackung schüttelt und danach nochmal die Packungsbeilage studiert.

„OH.“ kommt da. Stille. Ich ignoriere das. Dem folgt ein weiteres „OH!“. Und wieder Stille. Nein, nein, nein – ich reagiere nicht. Nein, nein, nein. Mein Essen schmeckt viel zu gut.

Da platzt Phil in die Stille hinein „I need a big spoon!“. Ich bin immer noch gut im ignorieren, Georg hat sowieso schon abgeschaltet. Ich glaub, nach dem Buchüberschütt-Unfall war´s aus. Bei ihm, und jetzt auch bei mir. Schnauze, Phili-Maus! Aber die Ruhe wird unterbrochen von einem wimmerigen: „The Ugali can be very hard!“. Pause. „I just read that here“. Niemand reagiert. „I need a strong big spoon!“.

Doch ich schlucke, nein geniesse mein fabelhaftes Essen, Georg schlemmt, Phil guckt. Muss er eben den anderen Löffel nehmen, er hat doch einen. Mehr kann ich nicht denken, denn ich muss mich wirklich auf den Genuss meines Gerichtes konzentrieren!

Irgendwie scheint´s jetzt auch bei der Latex-Maus zu klappen, denn wir unterhalten uns ziemlich gut, und haben auch schon gute 10 Minuten nichts mehr von der Fisch-Kochfront gehört. Es vergehen weitere 5 Minuten, da kommt Phil an unseren Tisch und deutet auf seinen Teller. Der sieht aus wie ein Kriegsschauplatz, abgemetzelte Fische, kotzfarbene Sauce, bleicher Brei. „Wanna try?“, frägt uns Phil. Probieren? - Oooch, nö, lass mal.

„Ja, ich weiss schon“, beginnt er da, "sieht nicht allzu lecker aus, nicht wahr? Ich weiss jetzt auch nicht, ob ich das so essen soll" und schielt auf den Rest vom Geschnetzelten auf Georgs Teller. Der jedoch rammt die Gabel in das arme Fleisch und den Löffel in die Sauce und das Ganze verschwindet in Rekordzeit in seinem Mund.

Phil klatscht mit seinem Löffel auf dem Ugali rum, scheint recht hart zu sein. Poing, Poing knallt der Löffel wieder runter. Die Fische stinken immer noch, nur dass sie jetzt neben kleinen Tomaten-Stückchen schwimmen und irgendwie nach Blutbröckeln aussehen. Gut, dass ich schon fertig bin mit Essen. Georg würgt den letzten Bissen runter und knallt die Gabel auf den Tisch.

„Vielleicht sollte ich das den Kitchen-Ladies zeigen“, flötet Phil da und macht sich auf den Weg zur Bar. Wir räumen ab, trinken den letzten Schluck Rotwein und verschwinden im Auto. Kurze Zeit später klopft es. „Nicht schon wieder!“, denke ich, öffne jedoch die Türe. Neun Uhr abends ist mir lieber als acht Uhr morgens. Sofort schiebt sich ein fischiger Teller in den Spalt. „Look!“, tönt ein lachendes Rosinengesicht. Direkt vor meinem Auge thronen zwei Teller: einmal Metzel-Fisch-im-Krieg mit Leichnam-Brei und einmal silbrige Sardinen-Tomaten-Sauce mit neckargelbem Ugali. Ich kann es nicht fassen. Sind wir jetzt im Maggi-Kochstudio?

Phil klärt mich auf: die Ladies von der Küche hatten soviel Mitleid mit Latex-Mausi, dass sie ihm das Gericht in drei Minuten selbst gekocht haben. Und so soll´s aussehen...Beispielteller gegen Selbstversuch (gescheitert).

Arme, arme Latex-Maus! Ohne Essen, Geld und Freundin...

>> HIER GEHTS WEITER IM BERICHT VON UGANDA... nach lieblich pfurzenden Gorillas & Fuck-Finger-Chimps, schönen Inseln mit schrägen Nachbarn & fauchenden Lizards im Stroboskop kehren wir nach fünf wundervollen Wochen im grünen Uganda zurück nach Kenya...

Nairobi

Sonntag, 18.11.2012

Back in Kenya
- Whoop-Whoop-Songs & Bombige Stimmung in der Hauptstadt

Sirenengeheul weckt mich. Ich werfe einen kurzen Blick auf den Wecker. 3.30 Uhr. Nicht schon wieder! Nairobi-Horror-Nights. Real-Movie in Echt und in Farbe.

Vorgestern erreichten wir - nach einer wunderschönen Panoramastrecke am Fusse des Mount Elgons, vorbei an den rauschenden Sippi-Wasserfällen, urigen Dörfern mit bastbedeckten Rundhütten, kichernden, lachenden und winkenden Kindern, grünen Terassenhügeln und vielen Frauen mit bunten Eimern auf dem Kopf - den Jungle Junction Campround in Nairobi.

Zehn Minuten nach Ankunft müssen wir erst mal schwer schlucken und die schlechte Nachricht einer frisch hochgegangenen Taxi-Bombe in sieben Kilometern Entfernung kardiologisch verpumpen, anschliessend noch internistisch schwer verdauen, dass hier, direkt von den Toren des Gartens ein Belgier mit fünf schnellen Schüssen in Bauch und Kopf regelrecht hingerichtet wurde. Gestern! Der arme Mensch konnte zwar durch eine schnelle Krankenhauseinlieferung gerettet werden, hat beim Überfall allerdings sowohl sein Augenlicht wie auch den Magen verloren. Er wird für den Rest seines 37-jährigen Lebens an den Rollstuhl gefesselt sein und mit einem künstlichen Ausgang leben müssen.

Erneutes Sirenengeheul gefolgt von Blaulicht und Ambulanz. Ich stopfe mir Ohropax in die Lauscher, ziehe die Decke über die Augen und versuche gewaltsam wieder einzuschlafen. Klappt nicht. Als auch noch die Hunde zu bellen anfangen, Auto-Gehupe stakkatoartig einsetzt und der Morgen graut, graut´s auch mir. Ich stehe auf.

Nach der kalten Dusche setze ich mich an den Frühstückstisch im Haus, wo gerade die Nachtnews diskutiert werden: in einem 7 Kilometer vom Haus entfernten Slum gingen zwei Bomben hoch! Momentaner Grauen-Zwischen-Stand: 200 getötete Menschen. Die bevorstehenden Wahlen, der allgemeine Glaubenskrieg zwischen Muslims und Christen und die generell erhöhte Gewaltbereitschaft ist tagtäglich zu spüren und fordert wöchentlich neue Opfer.

Vor einer Woche erst las ich die fettschwarzen Headlines: 44 getötete Polizisten (Anschlag am Lake Turkana). Überfall auf Militär-Station. Weitere Terror-Attacken werden erwartet. Zudem der schwelende Nahost-Konflikt, ganz aktuell der Bericht von DER WELT: „In der Nacht zu Mittwoch gingen die Auseinandersetzungen zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas unvermindert weiter: Israelische Panzer und Kanonenboote feuerten auf Ziele im Gazastreifen, während militante Palästinenser von dort mindestens 200 Raketen auf südisraelisches Gebiet abschossen.... Seit Beginn der jüngsten Offensive der israelischen Streitkräfte gegen militante Palästinenser vor knapp einer Woche sind im Gazastreifen mehr als 130 Menschen getötet worden...Im Gazastreifen waren nach Angaben der Gesundheitsbehörden mindestens 54 Zivilisten unter den Toten, rund 840 Menschen wurden verwundet, darunter 225 Kinder...Wenige Minuten vor dem Eintreffen von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Jerusalem feuerten palästinensische Extremisten eine Rakete in Richtung der israelischen Hauptstadt ab. Das Geschoss landete in einem offenen Feld südöstlich von Jerusalem. Es war das zweite Mal, dass die Stadt in dem Konflikt bei einem Raketenangriff ins Visier genommen wurde... Die israelische Luftwaffe flog seit Beginn der Offensive am Mittwoch vergangener Woche fast 1.500 Angriffe. Die Hamas schoss mehr als 1.000 Raketen auf Israel ab... “ (DIE WELT, 21.11.2012)

Und ausserdem meldet sich Ägypten zu Wort: sie stehen zur Hamas. Schlecht für alle und insbesondere für uns, da wir ja in knappen 6 Wochen von Cairo aus nach Europa verschiffen wollten! Wir stehen mittlerweile vor drei Fragen:
1) Umkehren – und Vally in Südafrika auf´s Heimschiff stellen?
2) Alternative Iran – statt über Israel über Saudi-Arabien, Iran und dann Türkei nach Hause? Oder...
3) Abwarten & Tee trinken – und auf die Wunschfähre Alexandria –Türkei hoffen?

Nairobi

Montag, 19.11.2012

Virale Zwillings-ZufÄlle
mit Grauen-Garantie

Ich muss zugeben, mein genereller Puls ist zur Zeit etwas erhöht, ich bin beunruhigt: abgesehen vom Nahost-Konflikt, den grauenvollen Nachbarschafts-Bombenlegern, mysteriösen Camp-Mordanschlägen und ständigen Terror-Attacken werden wir anscheinend auch vom tödlichen Ebola-Virus verfolgt.

Bei den lieblich schmatzenden Schimpansen in Kibaale vor knappen vier Wochen waren wir gewarnt, die WHO hat vom Auftreten des Virus berichtet, aber die Lage wieder als sicher bewertet. Alle Betroffenen waren ausgestorben.

Als dann die kleine Schwester von Ebola, das ebenfalls tödliche Marburg-Virus allerdings eine Willkommens-Party am Lake Bunyoni veranstaltete, während wir dort fröhlich die grünen Inseln zählten und Cafe schlürften und anschliessend drei blutsuppige Menschen ins Haupstadt-Krankenhaus eingeliefert wurden, während wir Kampala durchstreiften, ist schon leicht beunruhigend.

Kleiner Essay zu den Viren: Ebola wurde erstmals in den 70er Jahren in den Tiefen Ugandas entdeckt. Man kannte das Virus bereits, als am 15. Januar 1980 ein schwerkranker Mann vor den Toren des Nairobi Hospitals stand: ein 56-jähriger Franzose, der kurz zuvor in den Fledermaus-Höhlen des Mount Elgon urlauberte, bekam nach 7 Tagen heftige Kopfschmerzen und schwere Rückenschmerzen, die typische Abfolge begann: erst setzte hohes Fieber ein, gefolgt von Muskel- und Gelenkschmerzen sowie allgemeiner Müdigkeit. Als er sich selbst ins Krankenhaus einlieferte, hatte er bereits mehrere Gehirnschläge, innere Blutungen, die Augäpfel wirkten wie in den Höhlen eingefroren, die Gesichtshaut hatte sich gelblich verfärbt und wies leuchtend sternähnliche rote Flecken auf, er erbrach einen regelrechten Blutregen mit kleinen schwarzen Bröckchen, hatte eine starre Maske namens Gesicht, das sich aufgrund der sich auflösenden Kollagenschicht von dem Schädel löste, Blut trat praktisch aus allen Körperöffnungen aus und er war dem Tode geweiht.

Ebola-Viren besitzen unter dem Mikroskop eine fadenförmige Gestalt und stammen aus den tropischen Regenwäldern Zentralafrikas und Südostasiens. Zum ersten Mal entdeckt wurden sie 1976 in Yambuku, Zaire und traten dann beinahe zur gleichen Zeit im Sudan auf. Viren werden immer nach ihrem Entdeckungsort benannt, deswegen heisst das Virus „Ebola-Zaire“ und „Ebola-Sudan“, nach dem gleichnamigen Fluss Ebola, der den Congo-River füttert. An den Ufern des Flusses erkrankten gleichzeitig 55 Dörfer und 320 Menschen, von denen 280 starben, was eine Sterberate von fast 90 Prozent bedeutet. Leider flüchteten die Leute erwartungsgemäss in ein nahes Krankenhaus, das von belgischen Schwestern geführt wurde. Diese brachten allerdings die Spitzenleistung von fünf frischen Injektionsnadeln pro Tag auf und infizierten so alle Leute miteinander und letztlich sich selbst.

Die kleine Schwester des Ebola, das Marburg-Virus wurde 1967 von ugandischen Affen in ein medizinisches Labor nach Deutschland, in die Stadt Marburg, eingeschleppt. Beim Marburg-Virus stirbt einer von vier Menschen, währenddessen bei gefährlicheren Ebola-Virus satte acht von neun Personen im wahrsten Sinne des Wortes ausbluten. Beide Viren veranstalten eine rotgefärbte Motto-Party im Körper, sämtliche Organe fangen an zu bluten, bis der Mensch nur noch aus einer Soße mit hautähnlicher Hülle besteht.

Wissenschaftler untersuchen seit Jahrzehnten die Viren, machen aber leider so gut wie keine Fortschritte. Als sicher gilt nur, dass Primaten-Affenfleisch, das von vielen Afrikanern verzehrt wird, als Überträger gilt. Aber der Affe ist nur der Träger des Virus, denn er selbst stirbt selbst daran. In Frage kämen auch Carrier-Fledermäuse, deren Scheisse wissenschaftlich bewiesen eine hohe Konzentration der Viren in sich trägt. Kommt also ein Wilderer mit Bat-Shit oder rohem Fleisch bzw. Blut von Affen in Kontakt, gilt er als so gut wie sicher infiziert.

Eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung erfolgt durch Körperkontakt und bei Kontakt mit Körperausscheidungen (Blut, Schleim etc.) infizierter Personen. Das kann also sehr schnell passieren, wenn man z.B. Hände schüttelt und sich danach in Augen, Mund oder Nase patscht. Ausserdem ist eine Ansteckung per Tröpfcheninfektion und, natürlich, via Geschlechtsverkehr möglich (Latein: Virus: Schleim/Gift). Aufgrund seiner aussergewöhnlichen Gefährlichkeit wird der Erreger in Gefahrenklasse 4 eingestuft. Bei Labor-Arbeiten mit dem Virus muss ein Isolieranzug getragen werden.

Auch HIV (Humanes Immundefizienz-Virus) entstammt den Regenwäldern Ugandas und trat von dort still und leise seine tödliche Reise durch den Globus an. Wissenschaftler vermuten, HIV verbreitete sich über Keime Grüner Meerkatzen (siehe Foto oben) auf den Menschen und dann wanderte der Virus vom Mount Elgon über den sogenannten Kinshasa-Highway (quer durch Afrika Ost nach West in den Kongo) über Prostituierte in die ganze Welt. Die allererste Infektion kann Jahrzehnte, wenn nicht noch viel länger zurückliegen.

Das Virus Ebola hingegen macht mit dem menschlichen Körper in 10 Tagen, wofür AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) 10 ganze Jahre braucht. Die Inkubationszeit ist kürzer als 24 Tage, normalerweise werden die ersten Symptome nach ziemlich genau 7-8 Tagen bemerkt. Viren können nicht länger als 10 Tage in einem isolierten Zustand, also ohne Wirtszelle überleben, es sei denn, sie werden auf spezielle Weise präpariert und tiefgefroren. Eingetrocknetes Ebola-Blut bleibt 4-5 Tage infektiös!

Bis heute gibt es kein Medikament gegen die Ebola- und Marburg-Viren, Ärzte versuchen lediglich den Körper zu nähren, ihm genügend Minerale, Salze und gegebenenfalls Blut zuzuführen. (Infos aus dem Buch: Hot Zone, Tödliche Viren aus dem Regenwald, ein Tatsachenthriller, Richard Preston)

Na Bravo!

Lake Naivasha

Dienstag, 20.11.2012

Nix wie raus da!

Wir entfliehen dem Trubel und den Schlagzeilen der Hauptstadt und gönnen uns Erholung am See.

Der wunderbare Lake Naivasha ist der höhest gelegene von all den Rift Valley Süswasserseen (1884 Meter über dem Meeresspiegel) und bezaubert uns sofort mit seinen Papyrus-gesäumtem Ufer, der buntgefiederten Vielfalt der Vögel, den im Wasser spielenden Hippos und auf Baumwipfeln springenden Affen. Black and White Colobus und Vervet Monkeys trollen sich herum, Schmetterlinge flattern in bunten Farben, Pelikane üben Start und Landung auf dem stillen See, Enten quaken, Schweine grunzen, Marabus stolzieren.

Kurzum: Idylle pur!

Wir sind die einzigen auf dem riesigen Areal, suchen uns einen pittoresken Platz direkt am Strand, sammeln Holz und schmeissen den Grill an. Wir brutzeln auf samtweichem Vorbildsgrün-Rasen, geniessen das milde Klima, spazieren, wandern, lassen es uns im gemütlich eingerichteten Restaurant gutgehen, schlürfen Mango-Smoothies, knabbern Holzofenpizzas und entspannen so richtig. Bomben? Nairobi? Konflikte? All das scheint ganz ganz weit weg. Dabei ist es nur eineinhalb Stunden entfernt...und doch in einer anderen Welt!

NAIROBI

Samstag, 01.12.2012

lovely little Zebo

„Hey, Hallo! Sag mal, ihr seid doch das vom Buschtaxi-Forum?“, ein sympathischer Münchner im stylishen Blau-Weiss-Ringel-Shirt steht vor unserem Auto am Jungle Junction Campground und lächelt uns an. Wir bejahen, kommen ins Gespräch und es dauert nicht lange und wir sitzen beim Abendessen im Garten unter dem grünen Sonnenschirm gemütlich zusammen. Wir löffeln Kartoffelsuppe, Marco wickelt Spaghetti auf die Gabel, und im Laufe des Abends erzählt er uns im warmen Kerzenschein den eigentlichen Grund seines Nairobi-Aufenthalts:

Mission: Adoption! „Ja, meine Frau und ich, wir sind gerade so in den Endzügen", seufzt er, „es ist leider alles nicht so einfach...ein unheimlicher Behördenaufwand! Jetzt haben wir erstmal Family Life genossen, das war echt schön, du, acht Monate lang am Strand, mit unserem Sohn!" und wieder erscheint ein hinreissendes Lächeln auf seinem Gesicht.
Den Kleinen hätten sie sofort, aber s-o-f-o-r-t in ihr Herz geschlossen, erzählt Marco grinsend und eine Spur Vaterstolz legt sich über die funkelnden Augen, „den müsstet ihr mal sehen, der is echt klasse! - Die Zeit in Kenya war toll, aber jetzt", fährt er fort, „jetzt würden wir ihn halt einfach so gerne mit nach Hause nehmen, ihm Schnee zeigen, Weihnachten unter´m Baum feiern, so als Familie. "

Leider gibt´s im Moment aber noch jede Menge zu tun, hier in Nairobi, der Kleine darf noch nicht mit, leidiger Papierkram steht an, es fehlen ein paar Stempel hier und ein paar andere da, der Kinder-Reisepass muss ausgestellt werden, Anträge, Formulare, Bürokratie. Marco telefoniert mit Behörden, sitzt in stickigen Büros, wartet an langen Schlangen, füllt wieder ein paar Formulare aus und hängt am nächsten Tag wieder am Telefon und sitzt wieder in staubigen Büros und guckt wieder Ventilatoren beim Drehen zu. Tag für Tag. Woche für Woche.

Gerade schiebt Marco den leeren Teller Spaghetti auf dem Eisentisch von sich, wir schütteln synchron die Köpfe über so viel unnötigen Aufwand, wo es doch eigentlich viel einfacher gehen könnte, da klingelt sein Handy. Sofort wird seine angenehm ruhige Stimme weich und liebevoll, er spricht langsam und deutlich ins Telefon: „Hallo! Wie geht es dir? Hast schon gegessen?“, und entfernt sich vom Tisch.

Als er zurückkommt breitet sich ein Strahlen über dem gebräunten Gesicht aus, winzige Augenfältchen graben sich über den Wangenknochen ein, die hellen Augen blitzen auf. „Das war Zebo. Mein Sohn“, und das Glück ist ihm ins Gesicht geschrieben. „Ja, meine Frau und er sind noch da, an der Küste, sie werden aber bald hierher kommen. Dann lernt ihr sie kennen.“

Im Anschluss kriege ich einen verlangten Einführungskurs in die schwere Kunst des Ich-würd-halt-so-gern-ein-Kind-adoptieren: zuerst könnte man mal in heimatlichen Gefilden nachfragen, dort müsste allerdings in den meisten Fällen um die sieben Jahre Wartezeit einkalkuliert werden. Immerhin wird der Kontakt zu afrikanischen Waisenhäusern von deutschen Behörden hergestellt. Es folgt der Antrag: Namen kommen auf Listen, leere Zeilen werden gefüllt. Meistens wird man einen Jungen adoptieren können, erzählt Marco, denn für den müssen die Eltern Mitgift geben, die Hochzeit bezahlen, die zukünftige Braut „ablösen“. Für die Mädchen dagegen gibt es Kühe, Schafe, Ziegen, Geldgeschenke zur Hochzeit. Mädchen helfen im Haushalt, kümmern sich um die kleineren Geschwister, helfen der Mutter kochen, waschen, putzen. Mädchen werden nicht abgeben. Kaum.

Ist das Antrag-Stellen vorbei, warten deutsche Beamte zu Hause, haben Vorbilds-Kinderzimmer begutachtet, zufriedenstellende Interviews geführt, ein positives Ergebnis ausgestellt, dann, ja dann erst darf man auf Besuch zum Kind ins Waisenhaus nach Afrika. Versucht, warm zu werden mit dem fremden Menschlein, versucht, seine Liebe, Zuneigung, sein Vertrauen zu gewinnen. Das Herzlein zu erobern. Nach ein paar weiteren Besuchen, wenn die Chemie stimmt und die Behörden das auch so sehen, wird die Erlaubnis erteilt, sein Kind mitzunehmen, mit ihm vorerst in Kenya zu leben, sich kennenlernen, Familienleben kosten.
Neue Worte für den Kleinen, neue Gesten, neue Menschen, neue Liebe.

Ich kann es kaum begreifen, und bekomme schon fast einen Bandscheiben-Vorfall im Genick vom vielen Kopf-Schütteln: kaum zu glauben, wie unheimlich schwer es den Eltern gemacht wird, Liebe, Zeit, Nerven, Geld für ein (erst noch) fremdes, kleines, unbekanntes Kind schenken zu dürfen!

„Ja“, meint Marco lakonisch, „morgen geht der Wahnsinn weiter. Jetzt haben wir schon Probleme, weil wir unser Visum überziehen. Aber wir würden ja gerne heim fliegen, wie gesagt, Weihnachten steht vor der Tür, und wie schön wäre es, mit meinem Sohn zu Hause in Bayern zu feiern. Jetzt muss ich das morgen mal anschieben.“ Und weiter geht der Wahnsinn, das Chaos, rotierender Ventilator, tutendes Telefon, raschelndes Papier, kratzender Stift.

Am nächsten Tag springt ein lachender schwarzer Junge seiner weissen Mama vom Arm und rennt auf den Papa zu, Zebo weint und lacht gleichzeitig, schmiegt sich in die Schulter von Marco, schluchzt, vergiesst Freudentränen. Liebestränen.

Die Familie ist wieder zusammen. Andrea, Marco´s schöne Frau blitzt mich mit hellen, saphirblauen Augen an, ist glücklich wieder all ihre Lieben um sich zu haben. Strahleaugen. Strahlefamilie. Glücksstrahlen. Und wieder Zebo-Liebestränen.

Am nächsten Nachmittag frage ich, wie es gelaufen ist, auf den Behörden. „Ach ja“, lacht Andrea , „wir haben halt ein bisserl Arbeit verteilt, jetzt. Hoffentlich wird’s bald was“, nimmt den kleinen Zebo hoch, der will aber nicht so ganz, will lieber spielen. So beugt sich Andrea mit den ultrablauen Augen hinunter, hebt den Ball hoch und wirft. Hin und her und hin und her. Den ganzen Nachmittag. Zebo glücklich, Andrea froh, Marco fast. Der ist nämlich schon wieder am Telefon, versucht, das mit dem angeforderten Reisepass für Zebo zu beschleunigen. Sein kleiner Sohn schielt zu ihm hin, verpasst den Ball, lacht, läuft auf den Papa zu.

Ich verweile, staune, bin tief beeindruckt. Von der Kraft, der Liebe, der Ausdauer der Beiden. Von dem gemeinsamen sehnlichen Wunsch, ein Kind lieben zu dürfen. Sich zu kümmern, sich zu sorgen. Aufziehen, erziehen, in ihrer Mitte aufwachsen zu lassen. Die Frage nach dem Kindergarten wird gewissenhaft überlegt, vielleicht ein Montessori, vielleicht ein Waldkindergarten, wo wird sich der Junge am Wohlsten fühlen? Wo wird er sich am Besten entwickeln können? Was ist für den Kleinen das Richtige?

Zwei Tage darauf lasse ich mich von Wycliff, dem engagierten Jungle-Junction-Taxi-Fahrer vom der Shopping-Mall abholen. Ja, man sollte nicht mal die zwei Kilometer alleine zurück zum Camp gehen, könnte gefährlich enden. Ich wollte gerne ein paar neue T-Shirts kaufen, vielleicht einen Strohhut, ein paar FlipFlops. Ich geniesse das Shoppen, Cafe trinken, Leute beobachten. Ein Ausflug ins frühere Leben. Naja, fast. An die Münchner Fussgängerzone kommt natürlich kein Plastik-Neu-Modern-Shopping-Center heran. Schon gar nicht zur Zeit.

Ich denke auf der zweiten Gehirnspur mal ganz abschweifend sehnsüchtig an die weihnachtlich geschmückten Märkte daheim, knackige Zimtsterne, gebrannte Mandeln, geschmückte Tannenbäume, erinnere mich an den süßen Geruch von Glühwein, der in der dicken Tasse dampft. Bratwürste mit Senf, knusprige Semmeln, glitzernde Steine mit funkelnden Diamanten drin, goldene Girlanden, platte Strohsterne, rot schimmernde Kugeln, urige Christkindl-Markt-Hütten, knirschender Schnee, glimmernde Lampen. Kuschelige Atmosphäre. Stimmungsvolle Weihnachtslieder. Besinnlichkeit. Freunde treffen, dicke Mützen im Gesicht. Dampf, der aus dem Mund in kleinen Kringeln in die Luft schwebt. Angestrahlte Weihnachtsbäume mit riesigen leuchtenden Sternen darauf. Plätzchen, Familie, Weihnachtsgans. Oh, ich muss aufhören, sonst will ich sofort, aber sofort einen Flug buchen. Heim. Heim zu Weihnachten.

Stopp. Hier ist es ja auch ganz schön, unterbreche ich meinen geistigen Bildband, ich meine, ich sitze in Spaghetti-Top und kurzem Rock im Dezember und schlürfe Cafe mit Chapati. Also wirklich! Kein Grund zur Beschwerde! - Ich muss los, das Taxi biegt ein:

Wycliff holt mich ab und sagt, „macht Dir hoffentlich nichts aus, wir müssen noch ein wenig warten: Marco, Andrea und der kleinen Zebo wollten auch agbeholt werden". „Nö, klar, kein Problem", sage ich, „ich finde die eh super". „Yes“, raunt Wycliff da „Me too, they are lovely people!“ und sagt, wie „fantastic“ er es findet, dass die beiden einen kenyanischen Jungen adoptiert haben.

„You know, what normally happens... with kids like him, like Zebo?“, frägt mich der schwarze 36-jährige Familienvater im tadellosen, platt gebügelten lilafarbenen Hemd, das akkurat in seiner ebenfalls gebügelten Tipp-Topp-dunklen Jeans über den blitzblank polierten Lederschuhen steckt. „You know what happens?“, wiederholt er. „Es ist immer dasselbe“, sagt der kenyanische Fahrer, „Kinder wie Zebo, Kinder ohne Eltern, Kinder ohne Familie, Kinder ohne Menschen, die sie haben wollen, die für sie sorgen, die gehen ein. - Very simple!“, seufzt der gläubige Christ Wycliff. „They will become beggars, sie haben keine Zukunft, es sind die Kinder, die an die Scheibe klopfen, wenn du an der Ampel stehst. Keine Liebe, keine Familie, keine Zukunft. Und wenn das Betteln nicht genügend Essen bringt, wenn der Hunger zu stark wird, dann stehlen sie. Und wenn sie stehlen, dann kommt die schiefe Bahn. Sie schlafen in Gassen, betteln und stehlen, können nichts dafür, werden auf die schlechte Seite des Lebens gezogen. Für´s Überleben. Für´s Essen. Für Sich.“

„Wenn dich keiner liebt, gehst du ein, so einfach ist das“, sagt der Schwarze nach einer Schweigeminute. „Und deswegen“, schliesst Wycliff, denn gerade biegen die drei Strahlelichter um die Ecke der Mall, der kleine Zebo baumelt in der Mitte, fest gehalten von beiden weissen Händen, „und deswegen“, wiederholt Wycliff „is it verrry, verrry good of them to take little Zebo. He will have such a better future. With a loving mama and a loving daddy.“

Da steigen die drei ein, der kleine Zebo bietet mir mit krümeligem Mund ein angelutschtes Plätzchen an, „für dich, für dich“, sagt er und ich schaue in seine runden, tiefbraunen Augen, auf die verkrümelten Pausbäckchen und schmelze selbst dahin. Kleiner, süßer Zebo, dem die Zukunft geschenkt wurde.

Nairobi

Montag, 03.12.2012

BehÖrden-Wahn & Stempel-Trullas

Nicht nur Marco und Andrea müssen mal wieder einen kleinen Kampf mit der deutschen Botschaft ausfechten, nein, diesmal sind wir dran. Und ich bin schon nach einem einzigen Mal gepisst. Na, das kann ja heiter werden (und lange dauern)...

Gleich nach der Bombenkontrolle mit Spiegel-unter-das-Auto-halten fahren wir auf den abgesicherten Parkplatz, stellen uns am ersten Freilicht-Schalter an, bringen unser Anliegen vor, lassen zur Sicherheit die Personalausweise beim Eingang, werden wie am Flughafen mit Detektoren abgesucht, schieben uns durch das engmaschige Drehkreuz und sitzen bald darauf im Büro, das im Grunde das Outfit eines deutschen Amtes trägt. Kotzige beige-gelbe Wände, Kettensitzreihen, die aneinanderhängen und ruckeln, wenn einer in der Wartemenge sich bewegt, Schalter mit missmutigen Damen dahinter. Vereinzelte Burkha- und Käppchenträger sitzen neben uns und halten ausgefüllte schon vom Fingerschweiss durchtränkte, labberige Formulare in der Hand. Die beamtigen Damen hier sitzen hinter Panzerglas. Unsere Lady ist sogar im dicken Glaskäfig im beruflichen Zuhause, wir öffnen die schwere Türe, gehen vier Schritte nach vorne.

„Ja? Was gibt’s?“, frägt sie uns forsch hinter dem dicken Panzerglas durch die perforierte Sprech-Öffnung. „Hallo, guten Morgen, wie geht’s?“, fragen wir höflich, die Dame nickt, „Wir sind hier, um ein Empfehlungsschreiben für den Sudan zu beantragen...“ Wie aus der Pistole kommt da geschossen: „Nein, das machen wir nicht!“ und schiebt ein leises „nicht mehr" hinterher.

Wir erklären und erklären, wir müssen, laut aussagekräftiger Landkarte in Gelb-Blau über Äthiopien und den Sudan ab nach Ägypten. Gibt die Weltkugel so vor. Von dort aus wollen wir in die Türkei verschiffen. Und der Sudan verlangt eben leider dieses Empfehlungsschreiben. Für alle und jeden. Auch für uns. Und das bekommen wir nur bei ihnen, sagt der Sudan.

Im Vorfeld waren wir nämlich schon mal auf den Äthiopischen und Sudanesischen Botschaften, um unsere Visa in trockenen Tüchern zu wissen. Die ziemlich verschnupfte Dragon-Lady von Äthiopien mit Kreuz-Tattoo auf der Stirn, fünfreihiger Ketten-Tätowierung auf dem Hals und Sternstempel an der Hand wollte uns erstmal gleich wieder loswerden, scheuchte uns arrogant mit der Hand weg wie Vieh, war dann aber irgendwann doch so herablassend, uns zwischen Wasserflasche am Spender auffüllen, Internet surfen und Komplett-Ignoranz Folgendes zu diktieren, während sie weiter in ihren Computer starrte. Also, pro Person wird verlangt:

- 1x Reisepasskopie mit extra Kopie vom Kenya-Visa-Stempel
- 1x Passfoto
- 1x 20 $ (wird auf der Bank einbezahlt, Quittung wird vorgezeigt)

Das Visum wird sofort ausgestellt und kann noch am selben Tag wieder mitgenommen werden.

Die unglaublich entgegenkommende Lady vom Sudan hingegen verlangt ein bisschen mehr, alles in Allem, auch hier pro Person bzw. Fahrzeug:
- 1x Reisepasskopie mit extra Kopie des Einreisevisums
- 2x Passfoto
- 2x Formulare, ausgefüllt (Bogen von der sudanesischen Botschaft vor Ort)
- 1x 5000 Kenyan Shilling (50 $)
- 1x Empfehlungsschreiben (1 Brief für Beide von der dt. Botschaft reicht)
- 1x Kopie von Kreditkarten
- 1x Kopie vom Carnet de Passage

Auch diesesVisum wird relativ schnell bearbeitet und kann für gewöhnlich am nächsten Tag abgeholt werden.

Da steht´s, an fünfter Stelle von meinem Gekritzel: Empfehlungsschreiben von der heimischen Botschaft. Das ist für alle so. Für alle. Schien ja erstmal kein Problem zu sein, und wir kehrten mit grinsenden Gesichtern und vollgeschriebenen Zetteln zum Jungle-Junction-Campground zurück, wo uns auch schon die Schweizer Roland und Caroline erwarten, die mit denselben Neuigkeiten aufwarten, und auch gleich schon ihr Empfehlungsschreiben von der Schweizer Botschaft in der Hand halten.

Kurze vier Zeilen, Herr und Frau Soundso mit der Passnummer Soundso sind Schweizer Bürger und wollen gerne den Sudan bereisen. Das ist mehr oder weniger der Inhalt. Knappe vier Zeilen, Stempel, Unterschrift, fertig. Am nächsten Tag hechten wir also frühmorgens zur deutschen Botschaft, unseren heimatlichen Helfern in der Ferne, um dieses Schreiben zu erhalten. Und da kommts: Rumms, Patsch, Aus-die-Maus-ich-helf-Euch-nicht: „Neee, tut mir leid. Das machen wir nicht mehr!“.

Kein Bitten, Jammern, Auf-den-Tisch-hauen nützt. Nix. „Tut mir leid. Auf Wiedersehen!“ kotzt sie noch raus, bevor sie sich umdreht und wichtige Stempel in wichtige Papiere haut. Frechheit, Bosheit, Gemeinheit, blöde Kuh. Georg entfleucht ein: „Danke, da fühlt man sich doch gleich wieder wie zu Hause!“. Wirklich traurig, seit über zwei Jahren war uns jedes Amt hilfreich, nur das Eigene ist es nicht.

Auch, dass wir jetzt fest sitzen, da ja der Sudan das so verlangt, und uns sonst nicht einreisen lässt, ist der Dame wurscht. Herzlich wurscht. Stumpf vom Stempelhauen. Müssen irgendwelche politischen Strategien sein (à la als Deutscher ist man schon Empfehlung genug), die allerdings mir jetzt wiederum herzlich wurscht sind. Ich kann sie auch nicht empfehlen. Voll daneben.

Auf Hundertzweiundachtzig kehren wir zum Camp zurück. Von dort aus geht’s schnurstracks zur sudanesischen Botschaft. Nach engelszungengleichem Gespräch sieht´s die nette Lady ein und meint lakonisch: „Seems like it´s only german Embassy which doesn´t cooperate.“ - Aber, sie macht eine Ausnahme. Nur für uns.
Unsere beiden Visa wären also laut heutigem Stand in trockenen Tüchern. Soviel zu unserem Visa-Informationslauf...

Puh!

Zurück am Camground verabschieden wir uns schweren Herzens von Andrea, Zebo und Marco. Der drückt uns noch schnell einen grandiosen DIN-A-5-Zettel in die Hand, bis an den Rand vollgeschrieben mit nützlichen GPS-Daten zu den besten Restaurants, Cafés, Ausgeh- und Shoppingmöglichkeiten an der Küste. So was ist Gold wert! Wir danken ihm, wünschen nur das Allerbeste, aber am Meisten, dass sie an Weihnachten zu Dritt unter dem Baum sitzen können und alles Familienglück der Welt, drücken sie, winken noch einmal zurück und schon fahren wir weg, aus dem Tor hinaus in die Stadt und ab zum Strand...

Diani Beach & Twiga lodge

Dienstag, 04.12.2012

Eddie, Fatima & der Mango Man

Dünner Schweiss rinnt mir in kleinen Fäden übers gerötete Gesicht, die Hitze ist nahezu unerträglich. Ich kurble das Fenster herunter, doch selbst der Fahrtwind ist warm, kein kühler Hauch dringt herein. Nach insgesamt acht Stunden auf der nervenaufreibenden Teerstrasse mit suizidgleichen LKW-, Matatu- und Salooncar-Fahrern erreichen wir endlich Tiwi Beach.

Nairobi lassen wir erst mal vier Wochen ausser Sicht, wir haben uns für die bewährte Strategie „Abwarten und Weisswein trinken" entschieden - und für einen ganzen Monat Indischer Ozean, Christmas-Holiday im White-Sand-Wonderland. Wir fahren dem Schild „Twiga Lodge & Camping“ hinterher und werden mit einem Paradies-gleichen Ausblick belohnt.

Palme an Palme reiht sich da hinter türkis-blauem Wasser am weissen Strand, endlich streicht eine kühle Meeresbrise über meine Wangen, wir fahren bis ganz hinunter an den hellen Sand, parken. Die Palmen rascheln, die Luft steht, die Frisur sitzt. Naja, nicht ganz. Aber fast. Ich setze den neuen Strohhut vom Einkaufszentrum auf. Ein weisses Käppchen kommt angelaufen:

„Habari? Karibu! You are so welcome! Not a lot of visitors here the other days. Karibu, karibu sana! I´m Eddie, nice to meet you!“. „Asante sana“ antworten wir mit unseren gelernten Brocken Suahili (Vielen Dank!), „wo dürfen wir stehen?“.„Hier! Gleich hier, am Strand, wenn ihr wollt, Jina lako nani? (Wie heisst ihr?). Wir stellen uns vor, fragen nach dem Preis „Ni bei gani?“ - „Ist nicht teuer“, meint Eddie, nur 300 Kenyan Shilling pro Person (3 Euro), „Wie lange wollt ihr bleiben?“, frägt der 30-jährige mit wachen Kohleaugen, die dann auch sofort geschäftig, aber liebevoll aufblitzen, als wir pragmatisch „bis Weihnachten“, antworten.

So richten wir uns ein, direkt am Strand, holen Hängematte, Strandtuch, Bikini und Weisswein heraus und kühlen uns im Schatten unter raschelnden Palmen ab. Es dauert nicht lange, da weht ein dunkler Frauenschleier vorbei. Komplett im BuiBui, dem klassischen Muslima-Gewand wandelt Fatima zu uns.

„Habari?“, frägt sie unter ihrem dicht gewebten Tuch, das allerdings zum Glück das Gesicht freilässt und nur die Haare, Schultern und den Körper bedeckt. „Nzuri!“, antworte ich, mir geht’s gut. „und dir?“. „Naja, geht so“, spricht die Bui-Frau in gebrochenem Englisch, „Die Geschäfte könnten besser laufen. War schon lange keiner mehr da.“- „Ach“, antworte ich, „bald ist Weihnachten, sei gewiss, es werden viele Leute kommen“. „Meinst du?“, lächelt sie „das wär toll“, und ein Nerv am unteren Mundwinkel zuckt. „Möchtest du etwas kaufen? Ich habe Kikoys“, grinst sie und zaubert unter ihren Stoffbahnen weitere Stoffe hervor. Bunte Tücher leuchten vor dem menschlichen Schwarz-Stoff-Flatter-Gespenst. „Ich habe noch mehr! Oder Statuen? Oder Taschen? Oder Kleider?“.

„Hapana. Asante.“ Nein, Danke, lächle ich. „Weisst du, es tut mir leid, aber ich brauchen nichts.“ - Fatima gibt nicht auf „Massage? - Nur 500 Shilling die Stunde! Das ist gut im Urlaub!“. Ich verneine, leider, Fatima, nein, auch keine Massage. „Weisst du, wir sind schon lange unterwegs, und auch ich muss ein wenig auf das Geld achten...“

Fatimas braune Augen blitzen auf. „I understand! That I sooo understand“, und sie lächelt und zeigt eine Reihe perlweisser Zähne und sie setzt sich neben mich in den Sand.Wir sitzen eine Weile und sie erzählt aus ihrem Leben. „Ich will gar nicht nach Hause“, legt sie los, „vier kleine Kinder! Und mein Mann ist auch eines. Wir wohnen im Village, gleich da vorne, wenn du willst, kannst du mich mal besuchen kommen, dann koche ich für dich und kann dir mein Haus und meine Kinder zeigen.“ Ich bin erstaunt, dass die dünne Fatima erst 25 Jahre alt ist, sie wirkt viel älter. Wahrscheinlich haben Sorgen, Kinder und der Kindermann ein wenig an ihr gezehrt, sie wirkt müde und ausgelaugt. „Hopefully... hopefully“, flüstert sie da „hast du Recht. Hoffentlich kommen bald ganz viele Menschen und ich kann ihnen etwas verkaufen. Wir haben nicht mal mehr Ugali im Haus, das ist schlecht, die Kinder brauchen Nahrung...“

Nicht lange sitzen wir da, da kommt ein fröhlicher Pfiff von hinten. Ein Mann um die Fünfzig im knallgelben T-Shirt das stramm über seinem Wohlstandsbauch sitzt nähert sich uns mitsamt Fahrrad und schweren am Hinterrad befestigten Taschen. „Hello!“, ruft der Mann mit den grauen Schläfen „I´m Mango-Man! - I have everrry fruit you want! - Mango, Papaya, Pineapple!“, während er jede Einzelne bedächtig, langsam und vorsichtig in die Luft hebt, sie zeigt und wendet wie einen wertvollen Schatz und sie dann wieder in den zwei Basttaschen verschwinden lässt.

„Oh, yes! Show me again!“, sage ich, eine saftige Mango ist jetzt genau richtig, und Fatima schaut etwas beleidigt zu, wie ich zwei dunkelrote minikleine (angeblich zuckersüsse) Apple-Mangos erstehe, im Auto verstaue und obendrauf noch eine mittlere Papaya lege. 120 Shilling will Rashid, so heisst der Mango-Man wirklich, von mir dafür. Ich gebe ihm knapp 1,20 Euro, obwohl ich weiss, dass es etwas übertrieben ist. Am Markt würde ich wohl knapp 90 bezahlen. Jeweils 30 für die Früchte. Doch ich bin nicht in Handel-Laune. Der Tag ist zu schön. Die Früchte sind frisch, gut und ohne Dellen, und ich mache mich gleich daran, eine der Mangos aufzuschneiden.

Rashid ist 53, erzählt er, und hat neun Kinder zu Hause. „Nine?“, frage ich ungläubig nach. „Ja, klar“, sagt der Mango-Man, „but only with one wife! - Verrry busy!“ und lacht, dass ihm fast die kleinen Zähne rausfliegen. „But I´m good man, too“, brüstet er sich vor Fatima, die sich gerade genüsslich eins der angebotenen Mango-Stückchen auf der Zunge zergehen lässt, „I´m Muslim Man! - No beer! No smoke! No other woman! - Not for me! - If you want, you can visit us in the village. Not far from here! You can eat food, my wife will cook!“, wir könnten die Kinder kennenlernen und gutes Swahili-Essen bekommen und überhaupt, die Schule anschauen und das Dorf und eigentlich alles, was sein Leben ausmacht, meint Rashid. „You can take a lot of pictures!“.

Tja, denke ich mir, keine fünf Minuten am Strand und schon zwei Einladungen. Natürlich nicht umsonst, muss man dazu sagen, natürlich will jeder ein bisschen was verdienen. Besser gesagt, müssen etwas verdienen, es scheint wirklich Low-Season zu sein, und die beiden tun mir leid. Während ich meinen Gedanken nachhänge, verabschiedet sich Mango-Man, „see you tomorrow! - I´m here for over 20 years! Everrry day“, rollt noch mal schön das R, hebt sein Fahrrad vom Ständer und schiebt langsam und gemächlich im tiefen Sand Richtung Restaurant ab.

Was soll man tun, mit vier oder neun Kindern? Sie ernähren natürlich, nur mit was? In einem Land, wo Arbeitsplätze knapp sind, Eltern keine Unterstützung bieten können und Kinder kaum die Grundschule besuchen können. Die meisten arbeiten auf den Feldern, sind ihren Eltern die bessere Hilfe auf dem Acker, als wenn sie lesen und schreiben lernen. „Wofür?“, fragt Fatima, „Wofür soll ich lesen und schreiben können, wenn ich es doch nie brauchen kann. Ich weiss, wie ich Geschäfte machen kann und ich kann das Geld zählen, das reicht. Das wird auch für meine Kinder reichen. Die Mädchen sind gut, die Großen geben auf die Kleinen Acht, sie alle helfen im Haushalt. Sonst könnte ich nicht hier sein und Geschäfte machen. Sie müssen die Ziege melken, den Hof kehren, den Mais stampfen, die Kleinen füttern, die Wäsche waschen. Es gibt viel zu tun. Die Jungen sind viel schwieriger. Aber sie lernen den Koran, und „In-Shallah“ werden gute Menschen aus ihnen. - So...“, schliesst Fatima aprubt mit müden Augen unser Gespräch, „Ich habe viel zu viel geplappert“, hüstelt ein verlegenes Lächeln, steht auf, klopft sich den Sand vom Gewand, wirft mir ein nettes „Tutaonana, Good-Bye“ über die Schulter und wandelt in ihrem All-Over-Flatter-Gewand den Strand hinunter.

Nee, also da muss ich morgen nochmal nachhaken, überlege ich mir, während ich meinen Bikini zurechtzupfe und die Beine in den kühlenden Sand vergrabe. Anschliessend beschliesse ich, mich mich meiner brandneu eingetauschten Strandlektüre „Rainbow´s End“ zuzuwenden, eine Papaya aufzuschneiden, den Stuhl ein wenig nach hinten in den Schatten zu verrutschen und den Fruchtsaft mit ein bisschen Weisswein zu mixen. - Oder, wobei, ich könnte ja eigentlich jetzt auch mal in die Hängematte wechseln... Oder auf´s Strandtuch? Oder einmal Planschen? Oder...oder...oder? Ach, ich weiss auch nicht, ich weiss nur: I´m loving it!

TIWI BEACH, TWIGA LODGE

Mittwoch, 05.12.2012

Geog, Rudi und die Typhus-Oma

„Hi, sista. I´m Rudi!“, eine brüllend laute Stimme katapultiert mich aus Real-Tag-Träumen spasmisch heraus. Gerade habe ich die optimale Lümmelstellung auf dem Ikea-Handmade-in-Afrika-Korbsessel unter dem Elöfantö-Bastschirm gefunden, lasse meinen Blick dank Panoramaposition auf einer oskarreifen Plattform über den bis zum Horizont reichenden, einsamen Beach schweifen und schlucke schwer am Nationalgebräu „Tusker“, da schleicht sich von rechts hinten ein klitzekleiner Mann mit verknittertem Maulwurfgesicht und astreinem Hippo-Gröhlen im krachend roten T-Shirt an.

Ich zucke stumm zusammen. In die faltige Stirn über weiten Pupillen schieben sich dünne Rastas, die mit fancy-grün-gelben Plastikperlen umflochten sind. „Habari? How are you? Nice weather today, isn´t it?“. Leicht grummelig über die Herzinfarkt-Methode seufze ich kurz tief, bin dann aber doch akut mit Rudi versöhnt. Der schreit derweil ein paar Jokes über den Strand, bebrüllt noch ein paar Andere zur Begrüßung, hat ein ganz offenliegendes Morast-in-Ohrmuschel-Problem, scheint jedoch ganz lustig. Aber natürlich will er was. Auch er. Warum auch nicht? Neue Methode allerdings, Rudi macht nicht in Einzel-Spezifisch-Handel, sondern in Allem. „Anything! Man, anything!“, brüllt er da schon wieder. „Rudi...pleaaase, don´t shout at me!“, „Oh, sista, sorry..but...what about snorkeling? Lagoon-Trip? Chashews?“

Och, nö, Du, Rudi, echt nicht. Kein Bock auf Nix. Sag ich jetzt mal nicht so, sondern echt höflich. Glaub ich. Rudi guckt traurig, schnorrt sich vom Kellner eine Kippe und schreit mir schon wieder ins Ohr: „And what about Coconut?“, sag´ mal, DREH DAS VOLUME RUNTER, MAN! Rudi, der nun Bob-Marley-lässig im zweiten Hippöö-Sessel lungert ist grad funny drauf und so geb ich ihm ein Tusker aus - und werde belohnt mit Schwanks aus seinem Leben. Und so wechsle ich noch kurz die Stellung, mir schläft schon der rechte Fuss ein, nestle mich erneut ins rosa-gestreifte Kuschel-Kisschen, nuckel am mittlerweile lauwarmen Plörren-Bier, lehne mich zurück und lausche.

„I was born here and have a nine year old daughter, you know, sista!“, beginnt der 42-Jährige „she´s living with me. In the village“. Und wie jeder im Dorf, sei er natürlich auch Muslim! Das wundert mich jetzt, der Rudi sieht, mit Verlaub gesagt, ganz schön bekifft aus, und das Bierchen schmeckt ihm auch ganz doll, wo is´n dann auch überhaupt das religiöse Käppchen? Muss ich natürlich gleich mal intervenieren.- „Oh, no, no“, meint Rudi, „ist schon ok so. Das muss ich nicht unbedingt tragen, reicht ja, wenn ich ein guter Mensch bin und so“, sagt Rudi.

Der Rastafari nippt am Tusker und Stück für Stück krieg ich mehr zu hören. Das Bier haut voll rein, Rudi wird redselig und schwärmt von Tochter Amina. „She´s sharp, oh, so sharp“, ich lege die Stirn in Falten, „Oh, no, not what you think. She´s sharp here“ und tippt sich mit dem dunklen Zeigefinger an die Stirn. Tapp tapp. „Very bright! Here!“, „ die besten Noten in der Schule. Was bin ich froh! Kluges Kind! Kriegt mal nen super Job! Klüger als alle, die ich kenne. - Und nicht so wie ihre Mutter. Die ist Bullshit!“, Rudi unterbricht sich, blickt bedeutungsschwanger über den Indischen Ozean, nippt am Bier, räuspert sich und fährt fort: „Die hat das Kind gekriegt, unser Kind, und gleich danach ist sie mit ´nem anderen abgehauen. - 'Behalt das Scheiss-Baby!', hat die geschrien, ich mach´ ein Neues“, Rudi´s Hals färbt sich dunkelrot unter dem dunkelbraun und er blickt zu Boden „das hat sie dann auch getan. Drei neue Kinder mit dem Neuen hat die. Und wohnt immer noch bei uns im Village, aber kümmert sich ´nen Dreck um meine Kleine und die ist jedesmal traurig. Aber die macht ihren Weg. Ich bin sicher! Und stolz auf sie...I care for her, alone, no problem, man!“.

Und auf´s Stichwort fällt ihm prompt wieder ein, wieso er eigentlich bei mir auf Hippö unter Elöfantö hockt. Wie von der Tarantel gestochen schiesst er aus dem Sessel und schreit mich schon wieder an: „Wait! One moment!“. Jaaaaaaha, Rudi! Is ja gut! Jetzt schrei doch nicht so. „Oh, sorry, but, sista, I got an idea!“. Rudi rennt (für Kenya-Verhältnisse) davon.

Ein paar Minuten später tropft Schweiss von seiner Stirn, sein Atem kommt einem Keuchhusten gleich und mit einem tiefen Seufzer, der ein wenig lokomotivenartig quietscht, lässt er sich zurück in den Korbstuhl fallen. „Here!“, brüllt er. Ich gucke ihn über den Rand meiner Sonnenbrille an und halte mir die Ohren zu. Rudi lacht und knallt etwas auf den Holztisch. Ich beuge mich vornüber und erblicke geschnitzte Schlüsselanhänger im Format 3x10 Zentimeter. „Leopard, Lyon, Elephant, Africa...every motive you want!“. Macht ein Freund von ihm. Der könne da jegliche Wunschnamen einsetzen. „Good Price, sista!“, kreischt er noch schnell hinterher.

Mein Hirn rattert, denn eigentlich packe ich diesen Souvenir-Kram im Großen und Ganzen gar nicht. Aber das hier sieht doch echt ganz schön aus. So hübsch. Und überhaupt steht doch Weihnachten vor der Afrika-Tür und wir kriegen Xmas-Besuch aus good, old Germany.

Georg´s Schwester hat sich angemeldet, mit großem Bock auf Urlaub, auf Afrika und natürlich auf UNS! Wir geschmeichelt und in Vorfreude, sie am googlen und mailen und telefonieren. Die Schwester alias Sabine, aka Wunsch-&Weihnachtsfee (24/7 im Home-Office-Feen-Service für uns) ist nämlich der Orga-Pro und eröffnet sogleich dem Kleinvieh der Camp-Reservierungen, Nationalpark-Kenya-Cards und TöffTöffs zur Miete die Kampfansage. In Rekordzeit ist alles erledigt, gebucht, geplant, gehakt. Danach kommen wieder wir ins Spiel und noch ein paar andere mit ins Gepäck:

Mann Klaus und Tochter Kati, Schwester Andrea und deren Mann Martin.

Ich zähle...eins, zwei, drei, fünf, und verknüpfe im Geiste Namen mit Tiermotiv, hole Stift und Zettel und notiere gewissenhaft. Rudi strahlt. Good Business, denkt er warscheinlich, als ich ihm das Stück Papier hinhalte. Wenn er mich jetzt nur nicht wieder anschreit. „Halt, nein warte“, sage ich, „more! We need more!“. Rudis Strahlen wird getoppt und seine Wangen glühen bei so viel Geschäft. „Tomorrow, sister! Tomorrow I bring them! - Äh, could you give me now...a little...äh....like before-business-money?“. Ich lache und gebe ihm ein Fünftel zur Anzahlung.

Am nächsten Tag, nach fünfmal „Nein“ zu angebotenen Fischen (direkt vom Taucher/Fischer/Speerhalter in noch triefender Badehose), viermal Nein zur frischen Coconut (vom Mukki-Beachboy in Baggypants), dreimal Nein zum Schnorchelausflug (2. Angebot vom Beachboy in Baggypants), zweimal Nein zu Kikoy, Sarong, Tüchern und Statuen (wandelnde Gespenster-Damen), einmal Nein zur Basttasche/Teppich/Hut, erneutem Nein zur Massage von Fatima und ein vorübergehendes Nein-aber-Morgen zum Mango-Man, kommt Rasta-Rudi.

Gerade bin ich dabei, ein A4-Blatt mit den poetischen Worten: „No. Sorry! We don´t need anything!“ zu beschreiben, auf dem zweiten Papier steht mit blauem Edding knackig drauf: „No coconut. No fish. No Kikoy. No Massage. No Snorkeling Trips. No Village-Trips. No School-Trips. No Trips at all. No Fruits. No Keybands. No bracelets. No statues. No fabrics.“ und auf dem Dritten: „REALLY!“, als ich denke, das ist jetzt doch irgendwie peinlich und sofort zerreisse ich sie wieder. Ja, stimmt schon, ist schon manchmal ätzend, täglich belagert zu werden, á la „give me money“ doch, ist schon klar: was sollen sie denn tun? Wollen halt ihr Bakshish verdienen.

Also stampfe ich die Zettel in den Müll und schäme mich ein wenig über mich selbst.Wie kann ich nur so sein?! Nach einer knappen Woche hat sich das dann eh von selbst geregelt, selbst dem Beachboy geht ein: wer sieben Tage am Stück nichts kauft, der braucht halt nix oder ist geizig und wir haben selige Ruhe.

Irgendwann taucht Rudi wieder auf, kramt aus seiner zerschlitzten Hosentasche meinen verknitterten Zettel, darin eingewickelt erscheinen Schlüsselanhänger. Wunderschön. I like, in Facebook-Language! Bloss: auf dem für Georg steht „GEOG“. Ich muss lachen und gebe ihm das Keyband plus Zettel mit tippendem Zeigefinger auf den blauen „GeoRg“ zurück. Rudi grinst, dreht an seiner Strähne, murmelt „Sorry, Sista. Too much ganja. Tomorrow I bring new...“ und steckt den Anhänger weg. Schatzi kommt und findet´s köstlich. „I take it!“. „Echt jetzt?“, ich schaue ihn an, echt, willst ihn behalten. „Ja, klar!“, sagt Schatzi. „That´s Africa!“ - „Ja“, lache ich, „genau wie der Salzstreuer aus Botswana ohne Löcher zum Streuen...“.

Am nächsten Tag knallt die Sonne wie immer mörderisch und Fatima rumpst mit leisem Stöhnen neben mir in den beschatteten Sand, kotzt ein wenig über ihren Mann ab, sagt, der macht echt gar nichts, keine Arbeit, keinen Haushalt, kein Kochen, nur Kinder, Kinder kann er machen, ständig und immer. Fatima will auch reisen, die Welt sehen, weg. Manchmal reicht´s ihr sogar mit dem dunklen Schleier. So hot! Aber zuhause kann sie den ja absetzen. Nur, beim ersten Schritt auf die Strasse, da kommt er wieder drauf: schön auf die sündigen Schultern, Haare und Knöchel. „Gehört sich halt so“, keift sie, Mann, die ist aber schlecht drauf heute, „Sonst bringe ich Schande über die Familie. Und meinen Mann!“.

Ich verkneife mir jeglichen Kommentar auch zur Schandenfrage im Männer-Nichts-Tun-Hinblick, aber, ich beisse mir schön auf die Zunge, weil es geht mich ja nichts an. Tut irre weh und bevor ich doch noch plappere, springe ich hoch und hole stattdessen eine Apple-Mango aus dem Kühlschrank. Gemeinsam schmatzend blicken wir schweigend über den türkisen Ozean. Rudi schlendert an, brüllt „Hello“, Fatima hält sich die Ohren zu, Rudi setzt sich, blickt auf die Mangoscheiben, krallt sich eins und guckt auch zum Ozean. Nach ein paar Schweigeminuten verabschiedet sich Fatima, „Vielleicht will ja mal irgendwer hier eine Massage“ grummelt sie leicht verschnupft, und flattert davon. Rudi drückt der Schuh. Er ist auch so komisch leise heute. Seit dem Hallo-Geschrei herrscht Ruhe. Er hält mir ein Päckchen hin, ich greife danach, wickle aus und sehe einen korrekten Georg-Schriftzug, „das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen“, dann frägt er mich geradeheraus: „Could you... borrow me some money?“

Hallo? Schattensticker? Ich kenn´ dich gerade mal seit gestern! Ärger saugt sich wie Rotweinflecken in die Tischdecke meines Gehirns. Das schlägt auf meine Mimik durch, ich glotze ihn an und erwidere kühl: „You made good business yesterday, with us!“ In Klammern groß geschrieben WAS SOLL DAS? BROTHA! Rudi wird rot, der dünne Brustkorb hebt und senkt sich unter seinem heute krass verschlissenen Hemd. Unsicher dreht er an der Strähne, die ihm in die Augen hängt, und flüstert leise, fast unhörbar, während er großzügig schwitzend ein Taschentuch in der Hand hin und herdreht: „For my grandma! I need 200 Shilling. It´s not much!“. Jetzt fängt er auch noch an zu zittern. Bloss kein Heulen jetzt! Big Show?! Small Tears? Bin nicht mehr so sicher. Frage nach. Will ja nicht ungerecht sein. „What is it?“, will ich wissen. Die Grossmutter hat Typhus, erklärt Rudi und braucht Medikamente, dringend. Dabei guckt er immer wieder zum Boden und weicht komplett meinem Blick aus. „Wie alt ist deine Oma?“.

Also, ich überschlage mal kurz, wenn Rudi laut eigener Aussage 42 Rasta-Lenze zählt, die Lebenserwartung in Kenya 47 ist, kriege selbst ich als Rechen-Champ eine höchst unwarscheinliche Lebend-Oma raus. So statistisch jetzt. Ich frage: „Wo wohnt sie? In welchem Krankenhaus ist sie jetzt? Welches Medikament braucht sie?“.
Naja, Rudi kann meine Fragen kaum bis gar nicht beantworten, legt einen Fuss über den anderen, wird knallrot, linst nach links oben, nach rechts und wieder links, ganz so als würde ihm der Himmel die richtigen Antworten flüstern. Er sucht nach...Erklärungen. Er lügt mich an. Boah!
Das kann ich um´s Verrecken nicht leiden und sage das zwar so nicht, aber als er wiederholt „er brauche ja nur 200 Shilling und er frage ja nicht um 2000“, da muss ich ihm sagen: „I´m sorry, Rudi! I can´t give you the money!“. Und ich wiederhole bestimmt, das mit dem Geschäft gestern, dass ich ein wenig enttäuscht bin, dass er mich um Geld fragt, und dass er ebenso gut einen Freund im Dorf um den Geldbetrag fragen könnte. Da es ja nur 200 Shilling seien, nur um seine Worte zu wiederholen.

Entgegen meiner Erwartungen reagiert Rudi nicht gereizt, sondern es scheint, als hätte er es eben mal versucht, steht auf, brüllt ein neutrales „Hakuna Matata!“ (no problem), wünscht „schönen Tag“ und verschwindet hinter Palmen.

TIWI BEACH, TWIGA LODGE

Freitag, 07.12.2012

Socializing

Die Woche drauf steht ganz unter dem Socializing-Stern. Jede Menge Leute fahren auf dem Camp ein, sichern sich ein kuscheliges Plätzchen für Weihnachten. Wir lernen Alex&Erich kennen, seit knapp drei Jahren im Landrover unterwegs und Zigeuner aus Leidenschaft. Nie, nie mehr wollen sie zurück nach Österreich. Mitte Vierzig seien beide und hätten im Reisen ihre Leidenschaft gefunden.

Ein paar Euros hier und da löhnt die Fotografie, mehr gibt’s dank Video-Filmen und neuerdings auch on-the-road-produzierten 3-D-Movies. „Aber so richtig lohnt sich das noch nicht“, lacht die blonde Wienerin „Ich bekomme im Schnitt nur so 0,25 Dollar-Cent pro Bild von den Agenturen. - Aber vielleicht“, schiebt sie hinterher „vielleicht wirds ja noch! Mir simma ja noch am Anfang, gell!“. Südamerika stünde noch auf dem Reise-Zettel, und, ja Indien, und überhaupt die ganze Welt. Die halbe Welt haben auch schon Raymonde und Tommy gesehen. „Trotzdem", lacht Tommy mit blauen Augen unter grauen Haaren „wir sind Afrika-Fans. Schon 40 Jahre kommen wir her“. In Rente seit zwei Jahren, gab´s erst mal die 15-monatige Australien-Reise, aber danach wurde sofort wieder ins schöne Afrika verschifft“, schwärmt Tommy. Die beiden haben ihr Haus daheim verkauft und suchen nach etwas Passendem für den Lebensabend hier. Auch Melanie und Jocelyn kampieren seit heute auf dem Platz, die beiden Franco-Canadier haben sich eine 6-Monatige Auszeit genommen und einen Camper-Van gekauft. Christine und Martin, ursprünglich aus Deutschland, allerdings vor ein paar Jahren nach Kapstadt ausgewandert, bereichern den Platz mit ihrer lustigen Art und kreativer Neidfaktor-Kabine auf dem Landcruiser. Stundenlanges Quatschen und Geburtstagsfeiern mit Schampus folgt.

Wenig später wird’s noch voller und auch Dave, der jetzt mit seinem weissen Landrover mit Dachzelt einfährt, schliessen wir bald in unser Herz. Der humorige Engländer ist vor 30 Jahren nach Südafrika emigriert, „besseres Wetter, besserer Job, besserer Verdienst, besserer Lebensstandard gleich besseres Leben. Ich bereue Nichts“, und nun im Ruhestand. Zum ersten Mal in seinem Leben muss er sich keine Gedanken über das Business machen, lacht er, ich stehe einfach auf, bin kein Company-Director mit Projekten und Leuten und Herausforderungen, sondern grinse einfach der Sonne entgegen und überlege: „Coffee or Tea? - A wonderful life!“.

Rudi schlendert herüber und sieht ganz und gar mitgenommen aus. Zittrig, fertig, kaputt. „Hi, Andrea! Sista, how are you today!“, er schreit noch nicht mal. - „I´m very fine! Thanks. Look at the beach, the sun, the waves. Everything is excellent“, gebe ich wahrheitsgemäss zurück, „But you look quite...destroyed...what is it? How are you?“. Nicht so gut, meint Rudi da, während er schwitzend vor uns steht. „It´s Malaria...Hatte ich schon ein paar Mal. Schwere Glieder, scheisskalt und scheissheiss gleichzeitig!“. Rudi setzt sich neben uns und starrt auf´s Meer. „Do you have malaria-pills?“, frägt er mich.

Mei, jetzt tut er mir aber aufrichtig leid, ich hauche ein „No, I´m so sorry!“. Wir nehmen keine Anti-Malaria-Tabletten, haben Null Vorsorge-Medikamente bei uns. Nur ein einziges Erste-Hilfe-Kitt, wenn es einen von uns erwischt. Doch das muss komplett bleiben, ist quasi abgezählt. Rudi sieht gequält unter seinen Strähnen hervor, schaut zu Boden, raunt „Hakuna Matata!“ (kein Problem) und erhebt sich stöhnend. „You could ask the Tour-Guide over there“, fällt mir da blitzartig ein. Neben Dave hat heute eine deutsche Motorrad-Gruppe ihre Zelte aufgebaut. Die machen eine organisierte 5-Wochen-Tour mit MAN-Begleitfahrzeug, wurde uns erzählt. „I´ll try that! Thank you, sister!“, ruft Rudi und schlendert zur Motorrad-Crew.

Wenig später sehe ich ihn etwas froher am Strand. Er hat ein paar Pillen bekommen, raunt er, hoffentlich helfen die. Er muss jetzt heim ins Bett! „Thank God, I have my daughter!“

TIWI BEACH, TWIGA LODGE

Samstag, 08.12.2012

festival vibes

Ein paar Tage danach, der letzte Tropfen der 50er Creme ist verschmiert, das türkis-blau-grün schimmernde Meer hat sich nach draussen verzogen, die perfekte Position in der Brasilian-Style-Hammock ist gefunden, da füllt sich der Platz.

Rechts und links und hinter uns flattern indische Gewänder, hellblau, magenta, orange-grüne Farbverläufe wehen im Wind, klitzekleine Pailetten spiegeln sich auf Schultern, Knien, Handgelenken. Es spielen um die hundert Kinder mit dreihundert grellen Beach-Plastik-Spielzeugen, es stehen grüne, lila, rosa und blaue Zelte quer über den ganzen Platz verteilt und es zappeln Barracudas, Red Snapper und Tuffis erst noch an der Leine, dann wehen strenge Gerüche von Fisch-Barbecues zu uns herüber. Leider sieht auch der Platz binnen Rekordzeit aus wie eine Müllhalde. Auf den Toiletten muss ich anstehen, in den Kabinen liegen leere Cola-, Pepsi-, und Sprite-Flaschen auf dem Boden. Man ist ja (als Hindu) Toilettenpapier-Verweigerer.

Ich baumle in unserer Fallschirmseide-Extra-Leicht-Hängematte, als mich eine Stimme erschreckt. AAAH! RUDI! SCHREI! DOCH! NICHT! SO! Verdammt-noch-mal! „JAMBO, SISTA!“ brüllt Rudi gegen den Wind an, während ihm die gelb-rot-grünen Plastikperlen seiner Dreadlocks in die Stirn baumeln. Ihm geht’s wieder besser, der Josef-Guide vom Moped-Team hatte die Pillen, zwei hat Rudi schon intus. „Well“, sage ich, „that´s good then. How about your grandmother?“. Auch der geht’s wieder gut, raunt der erst leicht irritierte Rudi, die sei wieder zuhause, hat sich erholt, scheint jedenfalls so. „Weihnachten steht vor der Tür“, sage ich, „Wie feiert ihr das?“. Es interessiert mich, doch anscheinend ist es bei Rudi das gleiche Fest wie bei uns. Familie, Freunde, ein paar Chicken. „You know“, erzählt der Rastafari, während sich die schwarzbraune Haut über seine spitzen Wangenknochen spannt, „I live in a cage in the village. It´s like your car. From the size, I mean, there we will celebrate, or we´ll go down to the beach“. Rudi lebt für 1500 Shilling (15 Euro) zur Miete im Haus seines Onkels, hat ein paar gackernde Hühner, die zu Weihnachten dran glauben müssen.

Sechs will er schlachten, drei Schwestern kommen zu Besuch, die Tochter ist natürlich da, also gibt’s drei Chicks für die und drei für die Nachbarn. Erstens, weil man ja Gutes tun soll, so generell, und zweitens, weil die dann immer schön aufpassen, dass nichts gestohlen wird, wenn er mal nicht da ist. „And maybe“, ergänzt er da, maybe hat er nächstes Jahr sogar eine Ziege, das wäre gut, da könnte er auch die Milch abmelken, und Vieh ist ja sowieso immer gut“ und zwinkert mich dabei an.

Da kommt ein Maassai in voller Tracht mit rotkariertem Tuch und buntem Kopfschmuck. Ich habe ihn schon die letzten Tage gesehen, ein scheuer Zwanzigjähriger, in rot-blauen Tüchern, mit Speer und Ledersandalen und einer ganzen Handvoll Perlenschmuck. Ob ich was kaufen möchte? - Nein, danke, sage ich. Ob er sich setzen dürfte, schlechte Geschäfte. „Trotz all der Menschen?“, frage ich. „Aber die sind doch aus Mombasa“, antwortet er, „die sind schlecht, die kaufen nichts. Sollen lieber Mzungus (Weisse) kommen, die sind großzügiger, brauchen mehr. Geschenke, Bänder, Amulette, Armreifen. „Naja“, seufzt der Massai, wenigstens haben wir zu Hause Ziegen und Rinder, meine Brüder passen auf sie auf, wir haben immer Milch! Vier Tassen Milch am Tag. Mehr braucht man eh nicht.

Ich schiele auf seine asketische Figur und sage nichts. Draussen im Watt suchen die Menschen aus dem Dorf Muscheln, beugen sich, bücken sich, sammeln, ab ins Körbchen. Die Sonne scheint unerbittlich, satte 39 Grad brennen in unseren Lungen, Fatima schaut vorbei, die anderen verabschieden sich. Is irgendwie besser als Telenovela hier.

„Rudi hat´s gut“, raunt Fatima, „zum Einen ist er ein Mann, die haben´s grundsätzlich schon immer gut, und zum anderen kriegt er immer was geschenkt. Stell dir vor, der hat Coconuts am Strand hier verkauft und dann kamen ein paar Mzungus und haben ihn in die Schule geschickt. Vor Jaaahren war das! Und bezahlt dafür! Pah!“, ranzt sie, „Ich konnte nicht in die Schule gehen“, jetzt vorwurfsvoll.

Ich blicke ihr in die kohlerabenschwarzen Augen und flüstere: „Aber du könntest doch deine Mädchen in die Schule schicken?“. Fatima schaut mich an und blickt zu Boden „No. Die müssen helfen!“ „Ja, schon“, beruhige ich, „aber wenn sie in die Schule gehen, dann lernen sie lesen und schreiben und rechnen und können Dir noch viel mehr helfen, später. Können sich eine eigene Meinung bilden und ´nen Beruf lernen und Dich finanziell unterstützen!“

„Und was sollen meine Kleinen zu Hause allein machen?“, rattert´s drauflos, „Wer soll auf´s Feld gehen? Wer soll die Wäsche waschen? Wer den Mais stampfen? - Nein, nein“, Fatima schüttelt pikiert den Kopf, „es ist besser so, wie es ist. - Und überhaupt“ schiebt sie bockig hinterher „wie soll ich die Schule bezahlen? Wie meinem Mann beibringen?“, und schüttelt den Kopf so heftig, dass der dunkle Schleier von den Haaren fällt. Es macht mich traurig, Fatima zu sehen und von ihren Kindern zu wissen.

Wie ungerecht die Welt doch ist.
Mich überschwappt unkontrollierbar und überirdisch schön eine flammende Welle der Dankbarkeit für mein Leben. Mein unabhängiges, glückliches, selbstbestimmtes Leben. Wie eine Flut, die über eine trockene Sandinsel hinwegfegt. Kühl, leicht, schimmernd. Elektrolyt-Infusionen für meine pulsierenden Venen, meinen freien Geist, mein enthusiastisches Herz, meine kapriziöse Seele. Ich bin schlichtweg auf dem Easy-Pisi-Part of the World geboren. Ohne mein Zutun. Aus Glück. Habe 1A-Eltern vom Himmel oder wem auch immer geschenkt bekommen und extrem viel Liebe im Leben. Ich konnte Kind sein, trotzig sein, Lollis lutschen, Spiele spielen, Teenie sein, ätzend sein, glücklich sein, frei sein, verantwortungslos sein, Sprachen lernen, Wunschfach studieren, mich und meine Interessen authentisch entfalten, konnte Ausgehen, Tanzen, Knutschen, Hangover haben, Reisen, musste nie für eine Familie sorgen. Schon allein beim Gedanken, mich beugen zu müssen, unterordnen, Blicke senken, die eigene Meinung schlucken, Uniformen tragen, schweigen, schlucken, mich selbst vergessen zu müssen, bekomme ich wütende Würge-Anfälle.

Noch lange sitze ich schweigend mit Fatima am Strand. Am langen, weissen Strand mit den hübschen Palmen, die sich im vermeintlichen Paradies wiegen. Paradies.

TIWI BEACH, TWIGA LODGE

Montag, 10.12.2012

InSHA'ALLAH

Hinter Palmen sehe ich das weisse Käppchen von Eddie erscheinen. Der Campground-Host mit seinem blauen Buch unter dem dünnen Arm, den leicht pockennarbigen Stellen im braunen Gesicht, flaumigen Bartstellen und den ewig strahlenden Rehbraun-Augen.

Die weisse lange Hose flattert im Wind, die rosa Badelatschen stechen quietschend ins Auge. „Payday?“, frage ich. Eddie bejaht, ist wieder Zeit, aber „Pole, pole!" (langsam). Ich zahle gleich für die nächsten fünf Tage, das gibt die runde Summe von 3000 Shilling und Eddie muss nicht wieder für´s Wechselgeld den ganzen Platz ablaufen. „Gute Geschäfte!“, sage ich, „der gesamte Platz ist voll...“. Ja, schon, erwidert Eddie „Sa wa! Sa wa" (Passt schon), mit funkelnden Augen, hoffentlich bleiben sie lange. Ich schaue ihn stirnrunzelnd an. „Good for you, bad for us“ und schmunzle, „you know, that our family is coming for christmas?!“. „Are you worried?“, frägt der Kappenmann. „Ja, naja, flüstere ich, ein bisschen schon“, Georg kommt und raunt „Eddie, wenn du es schafft, den Platz vor uns und ein bisschen mehr Platz für die am 24. kommenden zwei Landrover mit fünf Menschen freizuhalten, dann liegt ein kleines Christmas-Present für dich unter der Palme. Eddie lächelt und sagt scheu, „Yes, I try! - But keep your table and chairs out. And also the hammock. For the night arrivals I cannot guarantee, you know!“. Ist schon klar, manchmal kann man nichts machen. Aber er versucht sein Bestes.

Eddie schlägt sein hellblaues Buch zusammen, sagt „übrigens, die Inder, die sind nur zwei Tage hier, Public Holiday, no worries, gibt mir die abgerissene Quittung, steckt den schwarzen Stift zurück in seine weisse Hemdtasche und will schon gehen, als er sich unvermittelt durch die Haare unter der Kappe streicht. Urplötzlich und aus dem Nichts heraus frägt Eddie, ob wir etwas genaues über den Nah-Ost-Konflikt wissen? Er hätte heute morgen im Fernseher vom Restaurant einen Nachrichtenbeitrag gesehen, und wüsste über Raketen, die von Israel nach Pakistan fliegen und umgekehrt. Wieso? Ist Schlimmeres zu befürchten? Er steigt nicht ganz durch. Dann schweift er kurz ab, und sagt, auch hier, man weiss es nicht, ist nicht immer alles einfach. Die Somali. Die Machtbesessenen. Stiften Unruhe. Und dann die Wahlen im März. Aber diesmal wird es schon ruhiger angehen, diesmal kann der Präsident nicht noch mal gewählt werden. Sollte diesmal ruhig verlaufen, er hat seine Amtsperiode voll. Georg lässt sich in den quietschenden Stuhl fallen, öffnet eine Dose Cola und wir beide beginnen zu erklären.

Lange Zeit schweigt Eddie. Er geht runter auf die Knie, setzt sich in den weissen Sand mit seiner weissen Hose, kratzt sich am Haaransatz kurz unter dem weissen Käppchen und sagt: „Krieg ist keine Lösung. Nie und niemals. Mögen die Menschen in Frieden leben. Christen und Moslems und Hindus und alle anderen, was auch immer sie glauben. Das Gute muss im Herzen sein. Friede möge kommen, für uns alle, Insha'Allah!“.

Auch diesmal sitze ich noch lange und denke nach. Blicke auf die weggezogenen Wellen, die jetzt weit draussen gegen das vorgelagerte Korallenriff schlagen, sehe die Muschelsucher, die sich immer auf und ab bewegen, auf und ab, rein ins Täschchen, beobachte die Palmen, die schwer und dick reife, grasgrüngelbe Kokosnüsse in sich tragen und denke und denke und denke und denke.

TIWI BEACH, TWIGA LODGE

Donnerstag, 13.12.2012

Kleiner Ausflug
ins Headlines-Land

Ich bin immer noch am denken und anschliessend Laptop traktieren, als der nette Mann mit dem Arm voll Zeitschriften am Auto vorbeiläuft. Als er mir die heutige heftig im Wind flatternde Schlagzeile auf Augenhöhe hält, beschliesse ich, eine Ausgabe der „Daily Nation“ für 50 Shilling-Cent zu kaufen.

Hier ein kleiner Auszug vom Thursday, December 13, 2012: „Kibaki´s Day of Pride“: The journey towards the transformation of the country has now begun...we must not turn back. We must keep our eye on the goal of building a great Kenya for uns, our children and the future generations. Der Präsident wird beim 49.Jamhuri Day (Feiertag) im Nyayo Stadium in Nairobi umjubelt, er wird zukünftig nur noch als Gast dem Event beiwohnen, nach 10 Jahren im Amt kann er nicht mehr wieder gewählt werden. Ich schlage die erste Seite um, und lese: - „Police freed terrror suspects“. One of the 169 suspects is re-arrested and others reveal they were told to give out money to secure freedom. 169 aufgrund der Nairobi-Explosion am Samstag in Eastleigh verhaftete Verdächtige wurden unter mysteriösen Gründen wieder freigelassen, die Hälfte der eingetragenen Gefängnis-Register-Namen von unbekannten Personen gelöscht. Nach ein paar kleinformatigen Lebensmittel- & Zeitschriften-Anzeigen und dem Wetter: „27°, 33°, 29°, 35°, partly cloudy, but in total sunny“, gibt’s die Headline:

„Kenya on high alert over terror“, Some suspected terrorists are planning to carry out attacks during this Christmas-Season - die Polizei hat sechs bewaffnete Al-Shabaab-Verdächtige an der Somalia-Grenze festgenommen und erwartet schlimme Terroranschläge für die Feiertage, drei Handgranaten, etliche Pistolen und 84 Munitionasgürtel wurden gefunden. Nach diesem längeren Artikel folgen ein paar kleinere wie „Former MP Chelaite suffers kidnap ordeal“, former Rongai MP Alice was kidnapped on the Nakuru-Eldoret-Highway and later dumped in Jjoro District. Ehemalige Parlamentarierin wurde gekidnapped, aber wieder freigelassen. Und „Motorcyclists Body buried in Sugarfarm“, a boda-boda (taxi)-operator was killed yesterday and buried in a sugar plantation by unknown people, who also took away his boda-boda. Motoradfahrer wurde seines Untersatz beraubt und ermordet, Anwohner töteten einen Verdächtigen nachdem er gestand, ein Mitglied der Killer-Gang zu sein. Und „Cement frim employee killed at staff quarters“, an employee of EAP has been killed by gangsters at the senior staff quarters. Seine Frau sagt, die Angreifer kamen Dienstag Nacht und haben sie und die Kinder gefesselt, auf ihn gewartet. Bei seiner Ankunft wurde er stranguliert.

Ich befeuchte meinen schon Druckfarbe-schwarzen Zeigefinger und blättere raschelnd weiter: „Security beefed up in coast police stations“, The police department is bolstering security at its premises in Coast following a spate of attacks targeting them. Mehrere neue Sicherheitstore, Wände, Metalldetektoren und Video-Überwachungskameras wurden an mehreren Küsten-Polizeistationen errichtet, um aufgrund der häufigen Anschläge bessere Sicherheiten zu gewähren. Jetzt ein paar Doppelseiten zur bevorstehenden Neu-Wahl 2013: „Voters put party loyality first despite high poverty levels“, Anxiety grips Mudavadi´s supporters as TNAleader Uhuru appears, once again like it happened in 2002, poise to consign UDF leader to political oblivion. Die Wahlen stehen an, im März wird über die Zukunft des Landes entschieden, Unruhen werden erwartet.

Und dann wieder eine schlimme, schockierende Zeile: „Parents take girls for cut in Tanzania to escape stiff penalties“, Members of the Kuria Community are now circumcising their daughters in Tanzania to avoid arrest and prosecution. Um empfindlichen Strafen zu umgehen, bringen Familien ihre Töchter nun zur grausamen Beschneidung über die Grenze nach Tanzania, Äthiopien oder Somalia. Auf den folgenden Seiten etwas Trash, Kleinanzeigen, dies-und-das, Showbusiness, Pop-Welt, Entertainment: „Chaka Chaka says No to second wife“, South African pop legend Yvone Chaka Chaka declared, that she would not let her husband have a second wife and warned he would have to go if he tried. Popsängerin Yvone will die einzige Ehefrau ihres Mannes bleiben und warnt ihn vor den Konsequenzen einer Zweitfrau (Leute sind schockiert). Daneben lacht mich ein Passbild-grosses Schwarz-Weiss-Foto von Nelson an: „Ailing Mandela improves“, Doctors are happy with progress. Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela wird aufgrund einer Lungenentzündung behandelt, die Chancen stehen sehr gut für den 94-jährigen.

Etwas über die lokale Wirtschaft: „Daily loan repayment the new way to expand startups“, microfinance firm Argo has extended credit and financial literacy training to more than 2000 small-scale traders to held boost their growth. Kleine Kredite wie 3000 Shilling (30 Euro) werden ausbezahlt, um Marktverkäufern, Schneiderinnen oder Schuhhändlern eine wirtschaftliche Basis zum Kauf von mehr Saat, Nähmaschinen, Leder etc. zu ermöglichen.

Ich blättere weiter und sehe zwischendrin eine ganzseitig Anzeige mit traurigem, nachdenklichem, schwarzem Männergesicht: „Beating my wife destroyed my marriage and my life. - Don´t do what I did!“. Gewalt ist keine Lösung! Es geht weiter mit ein paar Rätseln, 1-2-3-Bildermalen nach Zahlen, ein paar Cartoons, mehrere bunte Anzeigen von Immobilien-Agenturen, Banken und Eigenwerbung, ein paar Kleinanzeigen mit Autos („Mitsubishi 4x4. Everything you want. With ALL papers. No problem.“, „Nissan Serena, to be sold, ´as is, where is`“, „VW Passat, very reliable, pearl white, always not-used“) und Telefonnummern, allerdings keine Preise.

Danach lese ich über ein neues Gesetz zum reduzierten Achsengesamtgewicht bei LKWs, ein paar Inserate, Stellenanzeigen, das örtliche Krankenhaus stellt 15 Schwestern und 3 neue Ärzte ein, Immobilien-Angebote, ein paar Luxusvillen mit vier Bedrooms, drei Bädern und Parkplatz vor dem Haus sind im Riverside Grove für 6,2 Millionen Shilling zu erstehen, es folgt ein kleines Fernsehprogramm mit fünf Programmen, zwei Sudokus, ein halbseitiger Cinema-Guide für Nairobi, Verlieren-Sie-Ihr-Gewicht-JETZT-Anzeigen á la Weight Watchers, Todesanzeigen mit bunten Porträts auf sehr, sehr vielen Seiten und herzensbrechenden Texten, etwas Sport und dann schlage ich die Zeitung wieder zu.

Rudi kommt auf mich zugeschlendert, schenkt mir eine Kokosnuss, schlägt sie mit seiner Machete auf und reicht sie rüber zum Trinken. „For you, sister!“,röhrt er, „Habari?“, - „Nzuri, Asante“, dann teilt er mir freudestrahlend mit, dass er für heute einen neuen Job hat. Er wird für die indisch-pakistanische Familie an Baum 2 kochen: Swahili Massala-Sauce zu gebratenen Fleischstücken, für die er schon mal den Grill vorbereitet hat und grinst von einem Ohr zum anderen. Rudi rührt. Rudi wendet Fleischstückchen, Rudi bläst die Kohlen an, Rudi legt Kohlen nach, Rudi zerhackt, verkleinert, schneidet, stampft und rührt wieder. Selig und ruhig. Während um ihn und um uns herum die Welt explodiert.

Noch mehr Neon-Plastik-Spielzeug für die immer zahlreicheren Kleinen werden ausgebreitet, es fahren immer mehr Autos ein, immer mehr Inder oder Pakistaner schleppen Boxen, Kühltruhen, Cola-Kisten, Kuchenbleche, Salatschüsseln, Kokosnüsse, Papierrollen, Pepsi-Dosen und noch mehr Kühltruhen und Basttaschen und Körbe und Matten und Decken und Zelte herunter. Klong. Der Platz wird voll und voller, ich scheuche ein paar Kinder aus unserer Hängematte und lege mich selbst hinein, hänge die Wäscheleine vom Baum zum Auto, damit ein kleiner Rest Privatsphäre bleibt, doch muss mich beeilen, denn schon werden Teppiche ausgerollt, Decken draufgelegt, Spielzeug verbreitet. Auto um Auto. Kiste um Kiste. Baby um Baby. Ich weiss gar nicht, wie viele Menschen in Rekordzeit plötzlich um uns herum sitzen, auf der einen Seite der Wäscheleine hocken zwei Opas und drei Enkel, vier Teenager und zwanzig Körbe, auf der anderen Seite der Leine, also direkt an unserem Auto, kauern fünfzehn Frauen mit langen Saris und bunten Tüchern über dunklen Haaren, daneben sitzen dreizehn Mädchen mit zehn Babies auf dem Arm, auf der Schulter, am Rockzipfel, am Boden, mit dem Spielzeug in der Hand, auf dem Kopf, im Schoss und nochmal zehn Kühltruhen thronen drohend hinter ihnen. Tüten, Servietten, Plastikflaschen fliegen in hohem Bogen auf. Es werden Stühle aus dem Restaurant geholt, auch die passenden Tische, Menschen werden umverteilt.

Ich gehe ins Auto, entkorke den Beruhigungs-Weisswein, schmeiss mich in den Bikini und will wieder vor zum Meer, Relax-Rudern. Öffne die Tür und muss mit Schrecken feststellen: mein Weg ist abgeschnitten. Nur indem ich über sechs Paar Beine, eintausendundzwei quietschgelbe, neonorange und leuchtend rosa Spielzeuge, fünf krabbelnde Babys und drei Bastmatten steige, komme ich dahin. Ich schenke mir ein zweites Glas Wein ein und schliesse die Tür.

Kurz darauf höre ich Musik. Pling pling, plang plang, doing doing, Kinder springen auf, Männer auch, alle tanzen. Hah! Meine Chance, ich öffne die Tür einen kleinen Spalt, die Babys krabbeln weiter, ich luge hinaus. Wenn ich das richtig berechne, müsste ich in zwei Takten, vier Krabbellängen und 3,5 Sekunden freie Bahn haben. Geschickt steche ich meine Zehenspitzen zwischen das Plastik-Spielzeug in den weichen Sand, hüpfe Ballerina-gleich über die Matten und dem Rest-Bein-Paar, weiche gewandt einer fies da liegenden Kokosnuss aus, rutsche nicht auf der offenen Bananenschale aus und erreiche graziös ein Stück freien, sandigen Strandes. Fünfzehn gehechtete Sprünge später plansche ich kopfüber ins warme, türkise Meer.

Geschafft!

TIWI BEACH, TWIGA LODGE

Sonntag, 23.12.2012

Gettin´ ready for X-mas!

Nach zwei Tagen ist tatsächlich das Chaos überstanden, Eddie und seine Crew säubern den Platz und bei uns kehrt wieder Ruhe ein.

Wir befinden uns im X-Mas-Vor-Fieber. Schatzi schmeisst Barry White-Bässe in den I-Pod (was hat er vor?), vier Kerzen brennen unter gewölbtem Glas und wir glühen Weihnachtsmässig in erster Reihe am Strand mit weissem Sand unter baren Füssen schon mal vor. Traute Christmas-Zweisamkeit am 23., öfter ist mehr ist besser ist schöner ist Weihnachten!

Wir verkosten ein 4-Gänge-Barbecue-Menü vom glühenden Beach-Grill mit süßer Butternut-Kürbis-Suppe unter Girlanden-umwickelten Palmen, knabbern an knusprigem Rinderfilet, knackigen Grill-Potatoes und herzhaftem Bohnen-Gemüse. Dazu schlürfen wir Merlot, kredenzen ein Dessert aus gebratenen Bananen im Rum-Schokomantel und freuen uns des skurilen Hängematten-Weihnachtslebens!

TIWI BEACH, TWIGA LODGE

Vorher

EIN hipp auf die weihnachtsfee
(Links im Bild)

Brother´s Adventures geht in die dritte Runde!
(Verständnisprobleme? Dann schlage nach und klicke zum: Sonntag, 01.04.2012, Namibia-Bericht, "GREAT EXPECTATIONS). Und so fing alles an...hier im Live-Ticker der (etwas eingekürzte) E-Mail-Verkehr von Georg´s Schwester Sabine aka Weihnachstfee:

Von: Sabine Schönberger Gesendet: 27. November 2012 Betreff: Ähem..
Nachdem ihr ja nun vielleicht an die küste in kenia fahrt – also...ich könnte flüge bekommen für mombasa! Das ginge sogar mit direktflug ab münchen...würd euch so gerne wieder sehen! Dann kommt die Weihnachtsfee!! PS braucht ihr noch was, frag auch Andrea!?
Ichilienchen mit mega fernweh autschn

Von: Georg Schönberger Gesendet: Donnerstag, 29. November 2012 Betreff: Re: Ähem...
 Jaaa - kommst du her! freun ma uns sehr! Musst aber schön trainieren, Weihnachtsfee, dass deine flügelchen den weiten weg auch mitmachen. vor allem mit dem gepäck...ähem, hast Du die grosse Tasche(n) noch??? ;-) ach, und evtl. kann man ja tante resi auch bescheid geben *mit dem leeren plätzchenteller winkend* Der Bruder

Von: Andrea Schönberger Gesendet: Freitag, 7. Dezember 2012 Betreff: Weihnachtsfee
Liebe, liebe Weihnachtsfee!
Ich finde es supertoll, dass du neuerdings ein Email-Konto hast, auf das man schreiben kann! Ich hoffe, bei dir zu Hause im Himmel ist alles in Ordnung, und du bist nicht zu viel gestresst. Das wäre nämlich nicht so gut, denn ich möchte gerne, dass du möglichst ungestresst bist!
Damit du ungestresst bist, könntest du jetzt gleich alle anderen Wünsche der Menschen vergessen und nur noch an, und jetzt musst du einen Zettel holen und aufschreiben: GEORG und ANDREA SCHÖNBERGER denken.
 
Aber Vorsicht! Du musst aufpassen! Da gibt´s nämlich noch eine andere Andrea Schönberger, aber du musst die nehmen, die in einem AUTO WOHNT! Das bin nämlich ich.
Und weil ich dir jetzt schon mal eine Mail schreibe, da hab ich mir gedacht, da kann ich mir auch gleich was wünschen von dir. Weil nämlich meine liebe Mama und mein lieber Papa haben schon ganz ganz viel für mich besorgt, quasi alles, was ich mir von ihnen gewünscht hab. Aber jetzt haben die mir geschrieben, so ein guter Mann vom Himmelsdienst ist schon vorbeigekommen und hat alles mitgenommen (ich hoffe, die habens auch dem Richtigen mitgegeben!). Und jetzt habe ich doch da aber noch was, was mir so eingefallen ist. Aus heiterem Himmel. Meinst Du, Fee, Du könntest mit deinem Pling-Pling-Stab noch ein wunderbares Ding aus der Himmels-Apotheke einheimsen? Da gibts so ein Wundergel, das schäumt so toll und macht so schön und heisst so fransöselisch wie Eau Thermale Avene. Das wär auch das Allereinzigste, was ich mir so wünschen würd'.

So, liebe Weihnachtsfee, ich muss jetzt wieder Schluss machen. Ich glaub, ich blockiere sonst deinen wichtigen neuen Email-Anschluss, und da wollen dir bestimmt noch viele andere Wunschzettel schreiben...(aber streich die alle gleich wieder!)
 
Ich wünsche dir einen wunderbaren Himmelsflug und erwarte dich sehnsuchtsvoll, Deine Andrea (die, die im Auto wohnt!)

Am 08.12.2012 um 15:23 schrieb Die Weihnachstsfee:
Allerliebstes Erdenkind, das du wohnst im Auto!
Wie habe ich mich doch gefreut, dass du als allererste diesen Mailservice nutzt. Noch gar keiner ist auf die Idee gekommen, dass wir, die Himmlischen, hier oben auch schon so modern geworden sind. Deshalb halten sich die Wünsche auch im Moment wohl sehr in Grenzen. Der Himmelsbote Klaus, ein sehr guter, verlässlicher Mann vom Himmelsdienst, hat gestern schon das richtige Paket mitgenommen und auf den Weg gebracht. Das Paket sieht übrigens sehr hübsch aus. Da wird das Erdenkind sich aber sehr freuen.
 
Ich wollte dir heute hier aus dem Himmel nur schreiben, dass ich deinen kleinen Wunsch gelesen habe und auch schon der Auftragsbote losgeschickt worden ist, um zu sehen, ob wir dieses Wundergel auch in der Himmelsapotheke führen. So wird es hoffentlich bald eine üppige Schaumparty auf Erden geben. Auch ich freu mich schon auf den Himmelsflug, auf den ich mich täglich vorbereite.

Deine Weihnachtsfee sendet dir die allerliebsten Grüße nach ganz unten dort, wo dein Auto wohnt

Von: Georg Schönberger Gesendet: 30. November
Betreff: Reisevorschläge

Liebe Familie Schönberger-Grünzinger,
Es freut uns sehr dass sie nochmals mit Brothers Adventures auf Safari gehen! Wir werden unser Bestes geben um Ihren gemeinsam Urlaub wieder in ein unvergessliches Erlebnis zu verwandeln, dass Sie noch lange nach Ihrer Rückkehr ins heimische Wohnzimmer mit wunderschönen Erinnerungen an afrikanische Sonnenuntergänge und unvergesslichen Begegnungen mit den wilden Tieren der Savanne beglückt.

Gucken Sie doch mal hier und geben laut dazu:
24.12.: Ankunft und Auto-Abholung - Fahrt nach Diani/Tiwi
25.12.: Badetag zur freien Verfügung Tiwi Beach, 30km südl. von Mombasa
26.12. Fahrt zum Lumo Community Reserve ca 300km - 5h
27.12. Lumu, Gamedrive - anschl. Tsavo West NP. Nachmittag zur freien Verfügung Lake Jipi Safari Camp
28.12. + 29.12. Tsavo East Nordteil – Wandern auf Vewpoints: Roaring Rocks & Chaimu Crator Gamedrives, KWS public Camp Chyulu Gate.
30.12. Fahrt nach Mombasa. Hotel Prestige Apartments
31.12. Autoabgabe und Abflug

Mit besten Grüßen,
Brothers Adventures
(PS...ausser Prestige Apartments ist Mombasa AUSGEBUCHT! Oohje)

Von: Sabine Schönberger Datum: 30. November 2012
Betreff: AW: Reisevorschläge
Sehr verehrter Reiseveranstalter, hallo Brothers Adventures!
Auch wir freuen uns wieder auf unbeschwerte, erlebnisreiche und gesellige
Tage am Lagerfeuer mit vielen Wildsichtungen und landschaftlichen
Höhepunkten!
Ihre Familie Grünzenberger
Grüße und DANKE für die Reiseleitung offshore

Am 08.12.2012 um 15:23 schrieb Sabine Schönberger:
Guten Morgen, äh Mahlzeit  bei euch ...also, Bestellungen sind via air mail grad aus UK gekommen, wurden praktisch über uns abgeworfen. - Also, haben fertig, können los! ;-) aber hurra, ein letzter nervenkitzel bleibt!!! wo werden die müden, ausgemergelten Reisenden in den letzten tagen einen sicheren unterschlupf finden? wie werden sie in der wildnis unter bestien überleben? wie wird die geschichte ausgehen?
...mehr dazu in unserer nächsten Ausgabe von: 7 Bayern in Afrika

Liebe Grüße auch ans Erdenkind,
das in einem Auto wohnt und einer Hängematte döst

Von: Georg Schönberger Datum: Thu, 13 Dec
Betreff: vom erdenkind andrea (die, die im auto wohnt)
liebe weihnachtsfee, ich schreibe heute im auftrag von meiner andrea (die, die im auto wohnt) einen kleinen anhang zum schon zwischen euch beiden geführtem schriftwechsel. das erdenkind lässt fragen ob die weihnachtsfee uU noch an einer weiteren apotheke vorbeikommt bevor sie den weiten flug gen süden antritt?

weil das erdenkind braucht noch neue stöpsel in die öhrchen. solche, die den lärm draussen und die träume drinnen lassen. aber wie wir beide wissen, ist das erdenkind ja etwas gaaaaanz besonderes und hat so gaaaaanz besondere und empfindliche öhrchen ;-) . will sagen sie hat gaaaaaanz kleine öhrchen in die die normalen stöpsel gar nicht rein passen, auch nicht mit viel gutem willen... die öhrchen vom weihnachtskind sind einfach zu klein. jetzt gibts doch da in der apotheke so supertolle stöpsel aus wachs/watte mischung, die auch in "erdenKINDER"-öhrchen passen. evtl. kommst ja du oder einer der helfer noch kurz in der näher einer für euch bequem zu erreichenden bezugsquelle vorbei?? das würde das erdenkind aber so was von freuen, das sag ich dir!

so, dann will ich deine wertvolle zeit gar nicht weiter in anspruch nehmen!
vielen dank und bis demnächst!

Von: Sabine Schönberger
Betreff: Re: vom erdenkind andrea (die, die im auto wohnt)

Liebes Sekretariat vom Erdenkind, das in einem Auto wohnt
 
Ich schreibe heute in Vertretung für die Weihnachtsfee, die sich im Moment auf Besorgungsflügen aller Art befindet (zumindest im Geiste).
Gerne werde ich ihr den Sonderwunsch weiterleiten. Bestimmt wird sie versuchen, noch eine Bezugsquelle anzufliegen und die Spezial-Ohrverschlüsse für das Erdenkind zu besorgen. Ich werde ihr gleich einmal eine himmlische sms schicken...mal sehen oder besser hören, ob das dann auch geklappt hat. Die himmlischen Helferleins sind derzeit allesamt in weiten Landen unterwegs und können hierfür nicht eingesetzt werden.
Aber wir Himmlischen werden alles tun, um das Erdenkind glücklich zu machen.
Dein Weihnachtselfchen
 
NEU *** NEU *** NEU ***
Übrigens, wussten Sie schon, dass Wünsche gerne noch angenommen werden bis 23.12. 12:00 via mail und bis 23.12. 20:00 via mobiltelefon. Ja, wir sind sehr modern hier, wir Himmlischen. Nachdem wir unseren weiten Erdenflug am 23.12. um 21:00 Uhr starten werden, um auch die entfernsten unserer Erdenkinder zu erreichen, können die Wünsche dann per Eilservice noch rechtzeitig zum Feste zugestellt werden. 
NEU *** NEU *** NEU ***

Von: Georg Schönberger Gesendet: Sonntag, 16. Dezember 2012 Betreff: jetzt wirds fettig, fee
du, fee, pass auf.
diesmal bins ich selber, der was von dir will. aber gar nicht sooo viel! wenns noch irgendwo mit reinpasst, dann wäre das sooo toll, wenn du oder einer der helferleins noch eine gaanz gute ital. salami und einen kanten gräucherts mit in den koffer stecken könntet...hier im afrikaland gibts sowas nämlich nicht - also vom namen und vom aussehen her schon, aber leider nicht vom geschmack. danke liebe fee!
hab nen schönen sonntag und flieg nicht zuweit raus, ist kalt heute!

Von: Sabine Schönberger Datum: 16. Dezember
Betreff: AW: jetzt wird´s fettig, fee
Guten Morgen Erdenkind, das mit in einem Auto wohnt
Aber natürlich haben wir hier oben auch noch essbare Wunschartikel. Wir werden diese natürlich anständig vakuumieren lassen, damit der Geschmack auch drin bleibt und sich nicht im Feenkleid und den Flügeln verbreitet.
Ich hoffe nur, dass die himmlische Zollbehörde da auch beim Landeanflug nichts dagegen hat und die essbaren Wunschartikel kassiert. Aber das Erdenkind kann sich sicher sein, dass die Weihnachtsfee mit ihrem Feenstab und die Helferlein mit ihrem Morgenstern dies vereiteln werden. Sollte es also am 24.12. irgendwo im Afrikaland ein Donnerwetter geben, dann sind wir Himmlischen gerade bei der Verteidigung derselbigen.
Ich werde heute mal eine Pause von meinen Besorgungsflügen machen, da meine Flügel schon sehr ramponiert sind. Ich werde mich an den himmlischen Ofen kuscheln und mich nur davon wegbewegen, wenn‘s ums Reinigen der Feenkleider geht.

Allerliebste Grüße an meine beiden Erdenkinder, die im Auto wohnen
Eure Weihnachtsfee

Von: Georg Schönberger Gesendet: Dienstag, 18. Dezember 2012 Betreff: Kühlakkus du fee, hier mal der wetterlink...ziemlich heiß bei uns...nur so. Bringt euch mal Kühlakkus mit, die Ihr am Besten gleich in den Kühlschrank legt, wenn Ihr die Fahrzeuge übernehmt.... ;-))) ähm, die haben doch nen Kühlschrank drin, oder??? freu mich schon auf den weihnachtsbomber! ganz liebe grüße!!

Am 20.12.2012 um 10:15 schrieb Sabine Schönberger: Guten Morgen,
Du machst mir ja Spaß mit den Temperaturen. Wie soll FRAU da denn schlafen? Von -20 auf +32 – das ist ja ne Amplitude von 50 °. Wenn ich da auf meine Geburtsurkunde schaue, weiß ich nicht, ob ich das aushalte. - Also Kühlschrank haben wir auf alle Fälle. Weiß nur nicht, wie das mit dem Strom ist und wie lange der hält, wenn wir 2 Tage stehen. Das ist aber schön, dass du dich so schlau gemacht hast, dann kann die Fee mit ihren täglichen Besorgungsflügen ja weiter machen…. Juhuuu – noch 3 mal schlafen und los geht’s. für euch noch 4 x schlafen und der Weihnachtsbomber kommt. Juhuu!
 

Von: Klaus Gruenzinger Datum: 23. Dezember 2012 Betreff: Los gehts !
Wir freuen uns! Sitzen im Flieger!
Mobil Klaus Gruenzinger

TIWI beach, twiga lodge

Montag, 24.12.2012

Die fee ist da -
die Geschichte der ramponierten FlÜGel & vollen Koffer
TAG 1

Von weit her, gedämpft vom grünen Goretex meiner Nano-Hängematte tönt ein leises: „SERVUS! Wir sind schon daaaaaaahaaaa!“. In einer sauberen Drehung hechte ich aus der Matte und blicke der Weihnachtsfee ins Auge!

Fee, da! Die hat auch noch Mann Klaus, Tochter Kati und Schwester Andrea sowie Schwager Martin im Gepäck. Zusammen mit ganz viel Liebe, brutalen Drückungsmanövern und feuchten Küssen packt sie auch schon ihre 203 mitgeschmuggelten Koffer aus. Die sind für uns exklusiv vollgeschlichtet worden mit: Geräuchertem, Salamis, Weihnachtsgeschenken, Kindles, Reisfeführern, Auto-Accessoires, Lötzinn, jaa, Lötzinn) und Home-made-Plätzchen!
Heute morgen flogen sie per Beach-Bomber auf dem Mombasa Airport ein, die angemieteten Landcruiser standen absolut Un-African-Style-mässig ultrapünktlich bereit, das Navi brachte sie nervenschonend an unseren traumhaften Strand und Zack, eben noch in schnee-cold Germany, schon in sand-hot Kenya.

Georg schichtet Kohlen in die Feuerstelle, ich mixe, was ich am Besten kann: Welcome-Drinks. Kati prüft den Sitz der Hängematte an ihrem Po, Martin kämpft mit dem Dachzelt und Klaus mit der Positionierung des Landcruisers. Eddie hat Wort gehalten, wir uns dick gemacht, und so sitzen wir in erster Reihe ohne sichtbare Nachbarn (Eddie glücklich über Weihnachstgeschenk in Scheinform). Klaus rangiert, ein Sand-Schloss-Innenhof wird kreiert, L-förmig angeordnet schützen uns beide Seiten vor neugierigen Blicken und nach vorne gibt´s nur zwei Palmen, den Ozean und jede Menge Sandkörner zu sehen. Kurz gräbt sich zwar das Mietauto von der Weihnachtsfee ein, offensichtlich gibt’s ein Problem mit dem (Nicht-) zuschaltbaren Allrad, doch nach ein paar kurzen Schaufel-Gemeinschaftsübungen ist das auch gebongt. Ein jeder baut Pfadfinder-like sein Dachzelt auf, Leitern da, Planen flattern, Haken sitzen, synchrones Zirkeltraining. Aus den Tiefen der bundeswehrgrünen Toyotas erscheinen dunkle Stahlkisten, bunte Türkentaschen, beige Plastikteller und gemusterte Schaumgummi-Matratzen. Wie Tetris nur umgekehrt. Klonk!

So entsteht unsere familiäre Zeltstadt mit Schnuckel-Appeal, ein Umkleide-Wurfzelt in leuchtendem Blau zittert an der Palme links, Andrea sucht in Taschen, Katharina liegt Dachzelt-Probe, Klaus kämpft mit dem neuen Bodenzelt und Sabine zählt die Bett-Accessoires. „Eins, zwei...nix! - Verdammt! Eins, zwei, NIX! Echt jetzt! Nee, oder! Da fehlt eins! Das gibt’s doch nicht! Das hab ich denen dreimal geschrieben: zwei Erwachsene, die auf dem Boden schlafen, ein Kind im Dachzelt. Drei Ausstattungen. - Da sind aber nur zwei. Ich krieg echt die Krise!“. Ein jeder guckt ins Tütchen. Leider stimmts. Da gibt’s zwei Schlafsäcke, zwei Kissen, eine Matratze. EINE Matratze. Die andere ist offensichtlich im Dachzelt verleimt, wird mit zusammengeklappt. Aber im Zelt gibt’s nur eine. Blöd. Es wird entschieden: Schaumgummi-Unterlage, Querstrich Luftmatratze, Querstrich Irgendwas-was-dämpft-und-gut-zum-drauf-liegen-ist wird morgen im Nakumatt-Supermarkt gekauft. Plus Kissen. Decken gibt’s bei Bedarf von uns. Heute nacht ist eher Dampfbad mit Barbecue-Aroma angesagt.
Für heute muss die Yoga-Matte herhalten, Klaus überlässt Sabine Matratze, Kathi im Dachzelt. Also Problem vorübergehend gelöst, wir widmen uns wieder den wichtigen Dingen: Cheers! Ich entschwinde ins Auto und übe mich in Gastgeber-Exercises.

Kaum bin ich aus meinem Sprung in den Toyota mit salzigen Kräckern, scharfen Chips und perlendem Rose-Schaum zurück, muss ich lachen. Beim ersten Gang gar nicht gerafft, hat sich unser Camp superdiskret in Schale geworfen: ich stehe...am Südsee-Christkindlmarkt! Über aufgebauten Holztischen schweben festgeklippte Weihnachtskerzen artistisch am horizontalen Palmwedel, im Sand links steht ein transparenter Mini-Schneeflocken befüllter Tannenbaum, die Palme rechts erstrahlt in neuem Glanz, die eingeflogene Weihnachtsfee hat passenden Heiligenschein am Kopf und Flügeln am Rücken (schwebt durch den Sand), Katharina roten Elfen-Zuckerstab im Haar (probiert Rosé-Blubber) und Klaus ist der Weihnachtsmann auf Urlaub (in Shorts und Zipfelmütze rot-weiss). Matratzenproblem vergessen. Schwippschwägerin Andrea hält einen überdimensionalen Schoko-Santa-Claus in der Hand (der ihr bis zum Kinn reicht) und Schwippschwager Martin frägt trocken (barfuss am Dachzelt stehend): „Hamm wir jetzt alles?“

„Nöööö!“, kommt da von Sabine, „Mooooment“, sagt´s und ist in einem Satz am Auto (Flügel offensichtlich hilfreich). Es folgt kurze Kramerei und kleine Seufzer, ein kurzes „Klauu-h-auuuusi? Wo iiiiis...na der Koffer da?“, Klaus hebt den Rot-Weiss-Kopf und das weisse Puschelchen schwingt nach hinten: „Welcher denn?“, Sabine seufzt nochmal ganz kurz, ein paar Dinge fliegen in hohem Bogen nach hinten in den Sand, kleines Anti-Schicht-Manöver folgt, alles raus und wieder rein, „Mensch, da is des net“, grummelts aus den Innereien des Autos, dann ein helles „AH! HAH! DA!“, entspanntes Aufatmen und schon kommt es zum Vorschein: Hartschalen-Koffer á la James-Bond mit vorgestanzten Aussparungen statt für die Wumme mit Schalldämpfer diesmal mit Extra-X-Mas-Deko! Ho ho ho! Der Abend kann beginnen!

Gerade als ich mich setzen will, sehe ich wie sich einen anpirschenden Schatten hinter mir. Fatima steht da geisterhaft, ich drehe mich unwillig um, echt jetzt, Fatima, schlechter Zeitpunkt, was ist denn? „Massage?“, rollt´s aus Fatima´s dicken Lippen, und zu mir gewandt „I trust in you! Make me good business! Tell the people of your tribe I´m good in massage!“, dann wandelt sie von Dannen.

Das Fleisch brutzelt, Alu-Päckchen sind gefüllt, Weihnachtsmützen sitzen, Wein fliesst in Strömen, Lichter geben Stoff! Nach dem Dinner gibt’s Bescherung, der Mond scheint synchron zu unseren leuchtenden Augen, die Palmwedel wackeln gemäss den Weihnachtsvorgaben und ein skurill-herrlicher Heiligabend erfüllt uns vorbildlich mit Liebe, Wein, gutem Essen und allgemeiner Heiterkeit!

Unser Weihnachtsdinner: Burger á la Geoge an Zuckerschoten & Rosmarin-Kartoffeln, Dessert: besoffene Banane im Nutellabad vom Grill

TIWI beach, twiga lodge

Dienstag, 25.12.2012

Sun-Watcher und Zacherl Salze
TAG 2

Laut Brother´s Adventures ist der zweite Tag Erholungstag, fliegersteife Glieder entspannen, Schwimmen, Schnorcheln, Relaxen. Vor- und Nachmittag stehen nach ausgiebigem Frühstück mit Anwesenheitspflicht zur freien Verfügung.

Bikini, Badehosen und Engelsflügel sitzen, der Tannenbaum kommt mit zum Planschen in den 29 Grad warmen Indischen Ozean und die Hängematte passt sich ordnungsgemäss jedem eingeflogenen Po an. Die Männer fahren schwer bewaffnet mit Frauenhand vorbereiteten Listen (Gemüse! Obst! Weisswein! Luftmatratze!) zum Einkaufen für die Woche nach Diani. Das ist deshalb wichtig, da Männer ohne Einkaufszettel ausschliesslich mit Fleisch, Bier, Chips und Fleisch, Bier und Chips und vielleicht noch Whisky und Rum zurückkommen. Grundsätzlich.

Die Mädels glühen bei der exklusiven Private-Beach-Party vor und arbeiten an ihrer Bräune bei eisgekühlt servierten „Sun-Downern“, äh, „Risern“, äh, jetzt hab ich´s „-Watchern“, gemixt mit Eis und Quatsch-Quantensprüngen. Zwischendrin beschäftige ich mich mit dem Stapeln von Käsewürfeln und Brotscheiben, häksel hauchdünne Samurai-Zwiebelringe und öffne schon mal den Weisswein aus dem Kühlfach. Der kommt nach eineinhalb Minuten ´rüber wie aus der Werbung, das Glas wird erst feucht, dann bilden sich diese klitzekleine Tröpfchen, die perfekt nach unten rieseln, jeder White-Wine-Stylist würde vor Neid erblassen. Ich starre wir gebannt auf den wunderschönen Chardonnay, kann mich nach ein paar Schweigeminuten dennoch losreissen...let´s get started here...

Nach guten dreieinhalb Stunden und vier gekauften Tüchern von Fatima kommen die Männer etwas gestresst wieder in unserer Wellness-Insel an. Nach dem Umräumen und Aufteilen auf drei Kühlschränke hat sich der Rot-Ton an den Hälsen etwas festgesetzt, doch nach zwei gezischten kühlen Blonden sieht auch die Männer-Welt wieder rosig aus. In dem Fall blass. Aber jetzt positiv gemeint. Wieder rot werden sie allerdings, als die Frauen feststellen, dass fast ausschliesslich Fleisch, Bier und Chips gekauft wurde. „Ja, also, wirklich jetzt“, stottert Georg, „wir haben echt geschaut, aber das Gemüse sah so schlecht aus, da konnt´ ma keins mitnehmen!“. Ja, ja. Zum Glück dreht der Mango-Man grad seine Runde und wir stocken die Einkäufe mit leuchtenden Apple-Mangos, grünen Papayas und Zucchini auf.

Und wieder: Planschen, Balli spielen, mit dem Tannenbaum ins Wasser, Bikini festgezurrt, Schnorchel und Maske über Mund und Nase gestülpt, Sonnencreme gut verteilt, et cetera et cetera.

Ein erfolgreicher Tag mit frisch gekauftem Fisch vom jungen Massai in nasstriefender Badehose und blutigem Speer, ausgesucht, ausgenommen, gekauft, liebevoll massiert, gedrückt, gewendet, mit Schubecks-5-Sterne-Pülverchen beschmiert und mit Zacherl-Salzchen beträufelt, mehrfach gewürzt, gegrillt und kredenzt von Fish-Expert-and-Lover Martin, der extra zu diesem Zweck seine eigene Gewürz-Schachtel mitgebracht hat. Ohne Scheiss!

Diesmal: Tuna im Spice-Cape-Malay-Mantel an Knoblauch-Pita und Buttergemüse

Lumu game reserve

Mittwoch, 26.12.2012

into the wild
TAg 3

„Du, ich glaub, mir hamm da ein Problem.“ Ich komme gerade von meiner Verabschiedungs-Runde aus den Tiefen des Campgrounds zurück, habe letzte Worte mit Gill und Dave, Melanie und Jocelyn, Christine und Martin ausgetauscht, und lag mir gerade noch mit Alex und Erich in den Good-Bye-Armen, da steht Klaus vor Georg und das meinige Ohr, das gerade nicht vom Knutsch-Geräusch betäubt ist, hört eben genannten Satz.

Ich drehe mich um und blicke in die etwas angespannten Augen von Sabine, Katharina guckt irritiert. „Der springt nicht mehr an“. Nee, oder?! Erst gräbt er sich ein, dann fehlt die Matratze und der Schlafsack und jetzt, jetzt springt er nicht mehr an! Das darf doch nicht wahr sein! Da muss Georg her. Unser Problem-Löser. Der packt sogleich die Werkzeug-Kiste aus, rollt die CK-Tasche aus (wie Besteck-Roll-Tasche nur statt mit Dessert-Löffeln und Spaghettizangen mit Kreuzschraubenziehern und Nussknackern – oder so), muss sich mal wieder meinen Witz vom Calvin-Klein-Tascherl anhören und geht sofort konzentriert zur Arbeit. Professionell wie immer steht er da mit dem Strom-Mess-Gerät, klemmt hier und liest da und kommt zur abschliessenden Diagnose:

Batterie aufgrund von Kühlschrank-Nacht-Lauf leer. Der hatte nur eine Batterie! Sauerei! EINE BATTERIE! Und das in einem Safari-Fahrzeug mit Kühlschrank! Saftladen! Und das für knappe 2000 Euro Mietgebühr für eine Woche! Dreck! Aber zurück zur OP: Wiederbelebung wird sofort eingeleitet! Ein Starter-Kabel allein reicht nicht. Dave´s wird geholt. Um mehr Strom vom laufenden Auto zum Toten zu transportieren werden zwei weitere Kabel gespendet und angeschlossen. Nach 6000 Schweissperlen bei 33 Grad im Schatten, einem beginnenden Sonnenbrand mit 55 Prozent Magenta in der Farbmischung und 60 verrechneten Werkstatt-Minuten läuft der Toyota wieder. Jetzt schnell fahren und fahren und fahren.

Zwar kann die vorgeschlagene Abfahrtszeit nicht mehr eingehalten werden, doch wir sind guten Mutes auf dem Weg zum Lumu-Conservation-Park, gleich bei den Tahita-Hills. Um halb fünf Uhr nachmittags erreichen wir pünktlich zum Sundowner auf dem stilvoll gestalteten Panorama-Deck in Teak-Holz-Optik die „Lion´s Bluff“- Lodge und sehen beim kühlen Weisswein schon erste Elefanten-Herden. Der Blick über die grüne Weite ist wieder mal sagenhaft! Grün ist auch was Neues, doch da Gott inlands die letzten drei Wochen volle Kübel Regenwasser über die Steppe geschüttet hat, blüht jetzt alles auf. Also Grün-in-Wies statt Beige-in-Savanne. Wir schlürfen und geniessen, gucken der Sonne beim Schlafenlegen und dem Mond beim Aufstehen zu und machen uns bei Dunkelheit auf zum Campground. Wir ohne Licht. Ja. Wirklich. Georg schimpft. Ich bin überrascht. Auto ist Retro. Irgendwas am Relais oder Kabelbaum. Wie damals in Costa Rica. Jedenfalls blöd. So gurken wir in der Mitte, bestrahlt von Martin´s Fernlicht und geleitet von Klaus´ Vorhut hin zum Camping-Platz.

Der ist dann direkt die bombige Überraschung im Nichts. Würd´ mal sagen: into the wild! Soll heissen, wir nächtigen Inside-out und ohne Zaun inmitten all der wilden Tiere und des Grüns. Landschaft, zwei Stellflächen, ein gemauertes Haus mit Küche und angegliederten Duschen und Toiletten. Perfekt!

Entzückt über die Szenerie, den Platz, den Preis (Parkeintritt 30 Euro, Camping 15 Euro/pP) unser Glück mit den Elefanten bei Sonnenuntergang, berauscht vom Wein und den glühenden Kohlen am sensationellen Grillplatz bauen wir einträchtig unsere Zeltstadt auf, packen den Ouzo in die Gläser und die neue Matratze auf den Boden, das Fleisch auf den Grill und das Gemüse in die Alu-Täschchen und sind häppelig!

Dinner: Hähnchen-Fillets vom Grill mit Caraway-Seed-Potatoes & Butter-Onion-Carrots

LUMU Game reserve, Lion´s Bluff Lodge

Donnerstag, 27.12.2012

Pilleneffekte
& Kili-Augenblicke
Tag 4

Die Nacht war angenehm kühl und nur kurz unterbrochen von röhrendem Löwengebrüll ganz in der Nähe. Oder war das ein segelnder Gaumen? Mann oder Löwe ist ja auch egal, jedenfalls war ich kurz wach und musste mal dringend. Wie das eben so ist, wenn man Nachts mal aufwacht. Blöd nur, wenn man fünfzig Meter im Dunkeln zu den Toiletten laufen muss, wenn man vorher ganz nah einen Löwen gehört hat. Oder war´s doch ein Mann?! Mensch, wär doch schon wichtig grad.

Ich verschiebe meine geistigen Höhenflüge ins hinterletzte Wild-Gebiet meines Gehirns und bin überrascht, dass ich mich selber dazu überreden kann, wieder einzuschlafen. Als ich das nächste Mal wach werde, stelle ich fest: hat geklappt. Und gleich danach: sollte ich öfters versuchen. Und gleich danach: muss auf´s Klo.

Mit äusserster Willenskraft schaffe ich es kurz die Augendeckel hochzudrücken und aus dem Fenster zu lugen. Ich erkenne schummrig einen scheuen, zurückhaltenden Sonnenball, der sich gerade über den Hügel beugt, Licht und Schatten spielen auf der Weite, milchiger Dunst liegt in leichten Nebelschwaden über dem weichgezeichneten Panorama in der noch kalten Luft. Ich schlage den Schlafsack zur Seite, befehle meinem Körper das Bett zu verlassen und taste mit prickelnden Fingern nach dem Griff für Nach-Draussen.

Noch etwas steif schiebe ich mich durch die winzige Öffnung, die Georg „Türe“ nennt, nach draussen, setze einen Fuss auf den Tritt und in angemessenem Abstand den zweiten auf den Boden. Ih, Ah, kalt, hart, steinig! FlipFlops vergessen. Also nochmal reingetastet. Schnell an und ab. Das bleiche Licht wirkt zauberhaft und feengleich, so schwebe ich Richtung Waschblock, zucke kurz beim Geräusch eines Vogels zusammen und bin ruckartig einem Schlafanfall nahe, als das Gebüsch neben mir zuckt. Ich reisse die Augen auf, also denke ich, doch es ist immer noch alles schwarz, also nehme ich Daumen und Zeigefinger zu Hilfe und halte gewaltsam das obere Lid vom unteren entfernt. Dann kann ich sehen: Klippschliefer! Dieses kleine süße Murmeltier-artige Ding saust in High-Speed über meine Füsse hinauf den Hügel. Puh.

Meine Augen werden trocken und bevor sie zu tränen beginnen, gehe ich weiter. Als ich zurückkomme, sind schon alle wach, lebensrettender Cafe steht bereit. In diesem Fall ja wirklich, denn ohne Reaktion bist du tot. Hier. Im Nationalpark. Ne, ist nicht übertrieben.

Nach drei Schlücken von der Coffein-Brühe werden nicht nur meine Augen, sondern auch meine Gedanken klar, und da höre ich den Rest von Martins Erzählung: „...gestern abend...ehrlich...ganz nah...Löwenaugen... nah...oben am Berg...erst das...Brüllen...so laut...beeindruckend!“. Ich schlucke. Café fliesst ein. Herzschlag beschleunigt. Sabine erwidert trocken: „Das war der Klaus!“ und Andrea fügt bei „Steht da nicht in der Packungsbeilage von den Anti-Malaria-Tabletten 'sie könnten Dinge sehen, die eventuell nicht vorhanden sind'“ und wir alle lachen uns halb tot. Also ich schon dreiviertelt. Immerhin war ich ja noch vor vier Minuten schon halbkomatös.

„AH!“, Sabine schreit, ich erschrecke und verschütte die heisse Brühe auf meinen Schoss, autschn, das brennt, heiß ist das! „AH!“, kommt wieder von rechts, „SCHAU!“ und Sabine´s Augen scheinen riesig groß und grün schimmernd. Ich drehe meinen Kopf und zeitgleich gibt’s die Tonspur zur Mimik: „Der KILI!“.

Und tatsächlich: direkt hinter uns steht der majestätische freigelegte Kilimanjaro in voller Größe mit neckischem Eisdeckchen über dem platten Köpfchen und lacht zu uns herüber. Welch grandioser Morgen! Gleich danach kitzelts in meiner Nase und fünf Sekunden später stehen gespiegelte Eier vor meinem Bauch.

Mir ist etwas mulmig zumute. Ich spüre Druck. Verantwortung auf meinen Schultern. Wird alles laufen? Wird der Urlaub ein Erfolg? Wird’s genug Tiere geben? Wird’s besser als im Etosha? Werden die Erwartungen erfüllt? Können wir Happyness in die Unterzeile vom Brother´s Adventures-Logo schreiben? Äh Brother &Schwägerin´s Adventures natürlich. Kann Katharina gewünschten Leopard sichten? Werden alle glücklich? Glücklich? Glücklich!?

Doch sofort kann ich multiple geistige Haken zeichnen und Purzelbäume schlagen. Per Funkgerät sind wir drei miteinander verbunden und ich höre und gebe durch und freue mich und lache und rede und lausche. Klaus: „Elefant auf zehn Uhr!“ Andrea: „Da is a Zebra reeeeeechts. Mei, is des süüüüß!“ Katharina: „Kuhantilope hinter dem dritten Busch!“. Halt, da muss ich mich mal kurz zuschalten: „A) was is´n ne Kuhantilope? Und B) wo zum Teufel ist der dritte Busch?“. Die Sache ist schnell geklärt, Kuhantilope ist doch tatsächlich ein cooles Red Hartebeest, mann, dass jetzt aber englisch auch immer alles besser klingt! Da meldet sich Martin: „Löwe! Drei Uhr.“

Georg und ich schauen uns an. Der grüne Landrover steht 50 Meter hinter uns. Gibt’s nicht. Keine halbe Stunde im Park und der sieht Löwen! Was für ein Sighting! Hammer! Wir legen den Rückwärtsgang ein und sehen tatsächlich den Rest vom Löwenschwanz, der ganz kurz überhalb der Grashalme auftaucht. Ich hauche ein: „Wie hast du denn das gesehen?“ ins Walkie-Talkie, doch die Verwandschaft steht schon auf dem Autodach, die andere lugt zur Dachlucke raus, das Tele voll ausgefahren, die Nasenlöcher der Lioness im Fokus!

Schau genau! Ich presse die Lider zu Schlitzen zusammen, quetsche das Fernglas auf die Pupillen und sehe tatsächlich noch drei weitere Löwinnen im Gras liegen. Ein schöner Moment!

Georg und ich schlagen ab! Hand auf Hand, das es nur so klatscht! Hey, was will man mehr! Eineinhalb Stunden Game-Drive und alles da: Zebra, Löwe, Elefant, Antilope und Co! Super, geistiger Hakenschlag ist im Speed-Modus, schon jetzt fallen lockere 90 Prozent Druck ab. Pah, Puh und Aufatmen. Geile Sache. Bin beruhigt. Schon jetzt kann nichts mehr schiefgehen!

Aber es wird noch besser, nach hellem Pilllellliep aus dem silbernen Funkgerät schiesst ein helles „Giraffe!“ daraus hervor. Alle glücklich. Ich am Meisten! Als wir dann auch noch an einem Wasserloch Halt machen und eine riesige Elefantenherde mit zig Babies direkt an unseren Autos gurgelnd und trötend vorbeizieht, und dabei diese tiefgehenden Ur-Geräusche macht, steige ich nach hinten und hoch zur Dachlucke. Ich gucke hinaus, bin erfüllt von dieser seltsamen Glückseligkeit, die nur die seltsam schönen Wildtiere bei mir auslösen, linse nach hinten zu den Family-Toyos und sehe offene Münder, vor der Brust gehaltene Kameras und verzückte Blicke. Ja, genauso geht’s mir auch, Freunde! Und immer wieder streiten sich die Härchen auf meinem Unterarm um einen Stehplatz und immer wieder setzt mein Herz ein klein bisschen aus und immer wieder denke ich 'das ist das Paradies' und immer wieder werde ich von einer Welle absolut ernsthafter, beflügelter Glückseligkeit überschüttet und ist mein Herz randvoll damit!

Der Tag ist sagenhaft, bis zum Schluss. Abends entscheiden wir uns zur Krönung des Abends für ein Dinner in der Lodge.

Bunte Auswahl vom Grill: Schaschlik aus Rind, Huhn und Fisch & wildes Würstchen im Krustenlook an Zucchini-Gemüse in Massala-Sauce und Bohnen im Tomatenmantel. Dessert: Apple-Mango-Tarte mit warmer Pudding-Sauce

TSAVO NATIOnalpark

Freitag, 28.12.2012

MEdikamentenausgabe
Tag 5

„Oh, ist mir schlecht!“, „Ziehts euch auch im Magen?“, „Ja, genauso als hätt mir einer in den Bauch geschlagen!“. Oh je. Malaria-Tabletten oder das Barbecue vom Lion´s Bluff. Eins von beiden. Die Hälfte der Gruppe hängt in den Seilen.

Paspertin und Iboprofen werden im Wechsel mit Immodium Akut Rezeptfrei in der Schönberger´schen Apotheke ausgegeben. Wieder steht ein Tier-Tag an. Nach dem Wechsel von Lumu zu Tsavo West Nationalpark straucheln wir erst am Gate ein wenig mit der Kartenzahlung, doch nach kurzen eineinhalb Stunden und 23 Telefonaten vom Ranger Elias dürfen wir einfahren. Die Tierwelt versteckt sich leider ein bisschen hinter viel Gebüsch, wir sehen Elefanten-Beine und Antilopen-Ärsche, doch die Funkgeräte bleiben weitestgehend still. Georg repariert das Licht-Problem (Kabelbaum) beim Mittagessen und nach ein paar Äffchen hier, ein paar Giraffen da und süßen Dik-Diks dort erreichen wir den Campground und bauen mal wieder auf.

Spaghetti-Tuna mit Käsescheibchen

TSAVO west nationalpark

Samstag, 29.12.2012

In kÜrze
Tag 6

Elefanten, Giraffen, Zebras, Antilopen mit Kuhantilope.

Landschaft in grün mit roten Felsen. Aber das Geilste: Leopard-Sichtung! Ausserdem: Martin schlecht, Andrea Bauchweh, Klaus Durchfall.

Mombasa

Sonntag, 30.12.2012

Was lange wÄhrt...
Tag 7

Wie der Wackeldackel in der Mercedes Ur-A-LT-Klasse schüttelt der Rezeptionist vor mir den Kopf. Die Spur ist auf müdes Desinteresse eingestellt. Große braune Augen über Schmalhans-Hals im beigen Kittel mit goldumwirktem Kragen unter Afro-Wuschel. Hin und her und wieder zurück geht der. Offensichtlich ist die werte Stimmung auf dem Nullpunkt, das ist klar. Vielleicht sind auch Schlaftabletten im Spiel.

Ich verleihe ihm „Die Goldene Spakko-meets-Kasperle-im-Tranquilium Himbeere“. Bin ich hier im Muffel-Themenpark? Wie kann man nur so leer gucken? Ist der auf Morphium? Hirn- und Sprachzentrale im Urlaub? Zwischendrin blättert Salomon, wie sein vergoldetes Brustschild verrät, in Zeitlupe in einem karierten DIN-A 4-Buch, wobei er mit dem Mickey-Mouse-Lineal die Zeilen von oben nach unten durchgeht. Sein schneckenhaftes Anti-Kopfnicken in Kombi mit dem Dumpf-Blick macht mich aggro. Endlich hebt er wieder den Kopf und guckt mich urplötzlich mit Apokalypse-Now!-Blick an. Jetzt krieg ich Angst!

„YOU- ARE - NOT - HERE!“, teilt mir Salomon etappenweise, allerdings ausgeprochen laut, mit. Auf das anschauliche Wechselspiel von purer Apathie und exzentrischem Mitteilungsdrang setzt nun wieder dieses elendige Kopfschütteln ein. Wie der Duracell-Hase im roten Bereich, allerdings mit auslaufender Batterieleistung. Ich atme ruhig ein und wieder aus und gebe mich ultragelassen, ein und wieder aus, ein und wieder aus - auch wenn hinter mir fünf Leute fix und fertig nach 8,5 Stunden Horror-Fahrt durch Mombasa, Apshalt-Hölle und Dirt-Road-Dreck in ihre verdammten Zimmer wollen. Ich presse trotz Atemübungen ein: „YES - I - AM, as you can see...I´m standing right in front of you“ heraus. Er ringt sich ein schmales Lächeln ab, das jetzt irgendwie komisch aussieht. Fast schon beunruhigend. Wie die pure Essenz des Unglücks kurz vorm Schizo-Knall. „In the book, I mean,“, zischt er da, „you are not in the book.“

Hinter mir pirschen sich Sabine und Andrea an und wir alle starren auf den Afro-Mann, während wir ihm die ausgedruckte Buchungsbestätigung von HRS unter die verschnupfte Nase halten. Irgendwo ist ein Fehler unterlaufen, jedenfalls hat das Hotel Prestige nicht mitbekommen, dass wir fest gebucht haben und zwar: drei Doppelzimmer, ein Einzel. Zack, ich wedle mit dem Schrieb, lege ihn sanft auf den Schreibtisch zur persönlichen Musterung und räuspere:

„Well, you know, what normally happens, if our booking is confirmed, but not in your computer, äh, book: you have to organize something...!“. Ich habe jetzt echt keinen Bock darauf, hier wieder wegzufahren, in der Dunkelheit durch Mombasa zu gurken und ein neues Hotelzimmer für sieben Leute an Silvester zu finden! Da muss er sich jetzt was einfallen lassen. Sorry, Salomon! Muffelpuffel schluckt, seufzt ein „Yes, you´re right“, blättert mittlerweile auf Speed panisch im mit Bleistift vollgeschriebenen, zerknitterten DIN A4 Buch wobei er nun im Endlos-Mantra murmelt: „I´ll see, what I can do!“.

Derweil liegen die Nerven der Reisegruppe "Brother´s Adventures" blank, 22 Taschen stehen auf dem Asphalt des Parkplatz, halboffene Koffer werden auf vermisste Klamotten durchsucht, die beiden Fahrer der Töff-Company wollen die Autos übernehmen, dürfen aber noch nicht abfahren, solange nicht klar ist, ob wir eine Unterkunft haben. Salomon schüttelt immer noch den Afro.

„Wo ist das Klo?“, „Ich muss mal duschen“, „Wer hat die Immodium-Akut?"„Wo is jetzt unser Zimmer?“, „Und das Restaurant? Haben die noch offen?“. Salomon tippt und telefoniert, quasselt Swahili und Englisch und blättert und fährt mit dem Lineal Karussel. „Hast du noch die Paspertin?“, „Ist dir auch so heiss?“ Fragen über Fragen. Wenigstens ist der Low-Gear-Modus von Salomon jetzt komplett draussen und er läuft auf Hochtouren. Er nickt mir zu und hält gleichzeitig sein Handy in der einen Hand und den Kabeltelefonhörer eingequetscht am Ohr, unseren HRS-Ausdruck in der Anderen und wippt mit dem Fuss. Aha! Multitasking! Salomon sprüht wie der Hochdruckstrahler in Person. Und siehe da: es geht was!

„The only thing...“ räumt der Rezeptionist ein, dem mittlerweile Schweissperlen auf der Stirn stehen, „I can do...is to give you four Single-Bedrooms“. „What???“, zischt Sabine, „NO! - Really! I booked already!“, „das darf doch nicht wahr sein“, sagt sie zu uns, „wie sollen wir denn da zu zweit drin schlafen?“, frägt Andrea, „Nee, das geht doch nicht!“, fügen beide empört hinzu. „HALLO? Wo soll ich´n die 22 Taschen hinstellen?“, „Was is´n überhaupt los?“, frägt Georg.

Derweil schleichen wir zu dritt hinter Salomon her, einmal quer durch den verschnörkelten grasgrünen Venedig-Kunst-Komplex inklusive weisser Romeo & Julia-Balkone in Möchtegern-Romantik mit nierenförmigem Pool im Innenhof. Fünfzehn schwarze klitzekleine Kinderpopos reihen sich darin aneinander und zugehörige Münder kreischen zeitgleich drauf los. Salomon nimmt die erste Treppe rechts und schreitet etwas bockig die Stufen hoch. Einmal um die eigene Achse und schon sind wir im ersten Stock. Dort gibt’s einen langen Gang mit offenem Blick hinunter zum grünen Nierenpool mit den Babypopos links - und rechts reihen sich im zweieinhalb-Meter-Abstand dunkle Zimmertüren aneinander. Bei der Nummer 198 zieht Salomon einen Schlüssel mit monströser gelber Plastik-Tafel heraus und schliesst auf. Es eröffnet sich uns ein Blick auf ein definitives Einzelzimmer mit 90-Zentimeter-Matratze im 2,5 Meter breiten Raum. Lufttemperatur: 44 Grad.

„NEE! Das geht nicht! GAR NICHT!“, dringt scharf an mein Ohr von links. „Da passen ja nie zwei aufs Bett! NIE!“. „Und die Klima? Die geht doch gar nicht! Da isses ja total heiß! Und da is ja auch gar kein Moskitonetz!“. Ein skeptischer Blickwechsel folgt, Salomon hat das intuitiv trotz Deutsch-Mangel verstanden und greift hektisch nach der Türe. „Let me show you the other rooms...“ und wackelt ab. Fünf Schritte weiter bleibt er bei 203 stehen, schliesst auf und wir atmen simultan auf: gutes Zimmer, zwar ein bisschen klein, aber sauber, mit Moskitonetz und Klima und Dusche und Klo und Doppelbett mit 1 Meter 40. Puh!

Auch Zimmer 204 hat selbige Maße und Ausstattung, 210 ist sogar doppelte Größe mit kleiner Couch und Fernseher und Flurbereich. Passt, zum Glück. Wir ziehen ein. Schleppen Koffer um Koffer und Tasche um Tasche hinauf auf die Zimmer. Ich hole mir fehlende Klimaanlagen-Fernbedienung von Salomon, der nur noch seufzt und mir gottergeben ein weisses Schaltding aus den Tiefen seines Schreibtisches hervorzaubert. Zurück im Zimmer muss ich feststellen: geht nicht. Fernbedienung ja. Klima nein. Doof. Ich wandle zurück zu meinem Lieblings-Afro-Kopf und nerve ihn erneut. Ich brauche einen Elektriker, das ist klar. Bei Zimmergröße von 3x2 Metern und 42 Grad Temperatur muss die Klima funktionieren. Salomon verspricht mir den Elektriker.

Das Restaurant hat auf Nachfrage auch noch offen, ein klitzekleines Problemchen besteht nur im Alkohol-Verbot. Ja, so ist das eben im Muslim-Land.

Egal, ein jeder nimmt ein erholsames Duschbad in kalt, anschliessendes Treffen im Lokal. Coconut-Curry-Chicken für die Mädels, Burger und Crispy Potatoes für die Jungs, nach dem Essen sind alle satt, wieder bei Kräften, Unterzucker schachmatt, alle happy. Naja, fast. Bleibt halt noch die Sache mit dem Alkohol.

Also gehe ich nach geistigem Sterndlwerfer zurück auf´s Zimmer 204, bewaffnet mit einer vorher brav geleerten 0,5 Liter PET-Wasser-Flasche vom Restaurant, hole aus dem Kühlschrank den vorher wohlüberlegt eingelagerten Ouzo-Schnaps hervor und lasse ihn genüsslich in die blaue Plastik-Bottle tropfen. Vorher habe ich natürlich, Schlaufuchs der ich bin, gewissenhaft die Türe verriegelt, nicht dass der muslimische Elektriker genau in dem Moment eintritt, als ich den Umfüllprozess starte. Leider klemmt der messingfarbene Türriegel, so muss ich von innen den Schlüssel ins Schloss stecken und drehen. Geht etwas schwer, aber nach 60 Sekunden ist abgesperrt. Puh, ist das heiß im Zimmer. Ohne Aircon mittlerweile wohl um die 45 Grad und bei den zweieinhalb Schritten von der Holztüre zum Kühlschrank komme ich brutal ins Schwitzen. Ich öffne mit Schweissperlen auf der Stirn die silbrige Plastik-Tür und überlege kurz, ob ich meinen Kopf nicht einfach drinnen platzieren soll, und mache das dann ganz kurz. Schon besser.

Dann greife ich nach der erkalteten Ouzo-Flasche, halte PET bereit und schütte um. Mit schon nassen Händen und durch meinen Körper hinzugekommenen 5 Grad Plus-Wärme rinnt der klare Schnaps ins kleine Fläschchen. Zwischendrin ein kleiner Belohnungsschluck für mich. Super. Fühle mich wie mit 16 im Schullandheim. Ich beende den Umfüll-Vorgang und begebe mich unverzüglich zur Tür. Schweissbäche rinnen mir über das Gesicht. OK, noch kurz den Kopf in den Kühlschrank. Einmal noch. Nur noch einmal. Gesagt, getan. Also gut, raune ich mir zu, nun ist aber finito, die anderen warten, ab ins Restaurant. Oder nochmal eiskalt duschen vorher? Nö. Ab jetzt! Gut gelaunt und mit kristallklarer Schnaps- alias Wasserflasche hüpfe ich die zwei Meter zurück zur Tür, drehe am Schlüssel und muss feststellen...muss feststellen...egal wie schlimm ich es versuche...es geht nichts...der Schlüssel lässt sich nicht bewegen...es...klemmt! KLEMMT! Nee, denke ich scharfsinnig, gibt’s nicht. Was zuschliesst, muss auch aufschliessen. Also nochmal mit Ruhe. Von rechts nach links. Laaangsam. Ruhig.

Geht nicht. Is nicht. Nix. Klemmt. Noch einmal rüttele ich sanft, hingebungsvoll und voller Geduld am Schlüssel. Dann ziehe ich ihn raus. Gucke ihn an. Nein, ist nicht verbogen. Ist einfach ein Schlüssel. Billigschlüssel zwar, aber gerade. Halt so ein Schlüssel, wie man ihn an jeder x-beliebigen Türe finden kann, so ein langes Ding mit Ein-Zentimeter-Plättchen in Zackenform am Ende. Ich gucke den Schlüssel an. Dann wieder auf´s Schloss. Mittlerweile bin ich Schweissnass. Hände, Arme, Beine. Der Rock klebt am Po, das Spaghetti-Top an den Brüsten. Ich setze mich auf´s Bett und nehme einen Schluck Ouzo. Den tue ich aber sofort zurück in den Kühlschrank. Wer weiss, wie lange das hier dauert. Nicht, dass der auch noch warm wird!! Dann raffe ich mich erneut auf: also gut, nochmal!

Dann eben mit brachialer Gewalt, is ja nicht meine Schuld. Wenn´s anders nicht geht! Immerhin wartet meine angeheiratete Familie auf mich. Wieso kommt da eigentlich keiner hoch? Wie lange bin ich schon weg? Gehe ich niemandem ab? Kommt vielleicht einer zu Hilfe. Hallo? Naja, vielleicht sind´s ja erst ein paar Minuten. Keine Ahnung, vor lauter Schwitzerei habe ich das Zeitgefühl verloren.

Der nächste Versuch: mit voller Wucht schmeisse ich mich gegen die Holztür, reisse den langen Schlüssel von rechts nach links. AU! Das tut weh. Meine Schulter schmerzt im Wechsel mit meinem Daumen. Nochmal! Komm´ schon! Scheiss-Tür! Mit Schwung nochmal! Und nochmal! Und nochmal!

- Nichts.

Verdammt. Die Tür ist zu! Was mir nur nicht eingeht: die Hotelanlage ist scheissklein, mein Zimmer elendig schmal, die Wände oblatendünn. WIE KANN MICH KEINER HÖREN? IN MEINEM ELEND!?? WIE???

Mit gesenktem Kopf und blau anlaufenden Druckstellen an Daumen und Zeigefinger setze ich mich zurück auf´s Bett. Stehe wieder auf. Gehe eineinhalb Schritte. Öffne den Kühlschrank. Stecke Kopf hinein und hole PET heraus. Genehmige mit einen Schluck. Sitze tropfend schweissnass auf dem Bett und trinke Ouzo aus der Flasche. Da schaltet sich von Geisterhand der Ventilator über mir ein. Wummer, wummer. Immerhin macht er ein wenig Luft und kurz trocknen meine Stirn-Schweiss-Bäche fest. Nehme erneuten Schluck. Mh. Blöd jetzt. Naja, wird schon einer kommen. Nur wann?

Schaue nochmal in die PET-Flasche. Der Ventilator wummert gleichmässig. Lege mich ab. Könnte jetzt einschlafen. Ach, ist das schön. Und dieser leichte Wind. Wumm-Wumm. HALT! Ich muss aufstehen.

Ich stelle den abgefüllten Klaren zurück in den Eisschrank, ja, man muss Prioritäten setzen und mache mich wieder ans Werk. Gibt’s doch nicht! So ein Drecks-Schloss. Ich kann es nicht fassen! Ich werkel und reisse und rüttle und wummere – aber nichts! Die verdammte Tür bleibt zu. Nichts zu machen – und ich habe echt ganze Arbeit geleistet. Ich meine, was soll ich noch mehr tun? Schreien? Nee. Soweit bin ich noch nicht. Wie peinlich ist das denn? Ne.

Es bleibt mir nur eins. Etwas, das ich ebenfalls hasse. HASSE! - Warten. Auf Hilfe. Bäh. Doch bevor dies eintritt, nehme ich nochmal auf dem Bett Platz und genehmige mir einen Schluck. Damit wird’s erträglicher. Das fährt grad ein wie Harry! Kein Wunder bei 44 Grad und 0 Unterlage! Ein bisschen dreht sich der Raum vor meinen Augen, irgendwie so ein Instagramm-Effekt, doch es fühlt sich ganz schön klasse an, so leicht und luftig. Hah, ein neuer Windhauch vom Ventilator. Tut gut. Hey-Hoh-Effektland!

Ich überlege, dann raffe ich mich hoch, stehe auf und ziehe den Vorhang zur Seite. Ich sehe den Gang gegenüber. Grasgrüne Romeo-und-Julia-Balkone, auf denen aber keiner steht. Die drehen sich ganz leicht. Ich klopfe an die Wände recht und links. Ne, noch kein Schreien, soweit bin ich noch lange nicht! - Doch - Nichts. Keine Reaktion. Schöne Scheisse. Ich luge durch das dunkle Messing-Gitter hinaus, nach links und nach rechts. Keiner da. Wohl alle beim Essen.

Also setze ich mich zurück auf´s Bett, öffne den Kühlschrank, das geht, wie ich jetzt erst herausfinde, doch tatsächlich auch von der linken Matratzenseite aus, wenn ich mich nur diagonal strecke und mit dem linken Zeigefinger nach oben tapse.

Nun sitze ich also, dank Kopf-eingestelltem-Ventilator mit eingetrocknetem Schweiss auf der Stirn und joggendem Schweiss am Oberkörper auf dem mittlerweile feuchten Bett und harre der Dinge. Da läuft einer vorbei. DA WAR EINER! Zackschnell gibt mein Auge die Information an mein Stammhirn weiter, das schiesst sein Kommando an die Beine raus: AUFSTEHEN!

Ich werfe mich in einer Geparden-gleichen-Bewegung nach vorne, bin sofort am Fenster und rufe: „HEY; MISTER!!“

Es erscheint Fata-Morgana-haft ein schwarzer Kopf mit weissem Käppchen hinter dem beschlagenen Fenster. Verlegen senke ich die Flasche nach unten, dann wische ich mit der Hand einen klaren Fleck frei. Da fällt mir ein: ist ja nur eine 0,5 PET-Wasserflasche!

Zum Wesentlichen, schiesst mein Hirn ein, und mein Mund sagt: „I´m here“! Sofort werde ich für meine schlagfertige Im-Hier-Und-Jetzt-Doofheit bestraft und der Käppchenträger antwortet: „Yes. I can see.“ - und wendet sich zum...NEIN! NICHT GEHEN!

Ich muss trotz meiner Verzweiflung lachen, da kommt wieder Leben in mein Hirn, ich verdränge mit aller Gewalt die einsetzende Trunkenheit und versuche schneller zu sein, muss ganz leicht gehen, da im Moment ja eh alles auf Zeitlupe läuft. „Hey, Mister...The key is not working!“. Da wirft mein Selbsterhaltungsdrang den Fortgeschrittenen-Modus ein, ich mich noch mehr ans Fenster und mein Mund brüllt blitzschnell und wie ich finde geistig voll auf der Höhe: „STAY!“- und gleich danach „You MUST help me! I give you the key! Try to open it from outside!“. Der dunkle Mensch schaut mich skeptisch an und kurz überlege ich, ob meine Fahne vielleicht durch´s Fenster weht. Glaube nicht. Dieses geht nämlich nur ganz oben und auch nur ein ganz kleines Stückchen auf. So im 45 Grad Winkel. Und da durch schiebe ich jetzt den Schlüssel. Der Mann grinst mich an. Der denkt bestimmt, die hat sie nicht mehr alle. Sagt aber nix.

Schon hat er den Schlüssel in der Hand und kurz hoffe ich, er dreht sich jetzt nicht um und läuft davon, doch das ist wahrscheinlich nur der Einfluss vom Ouzo, denn meine Befürchtungen waren völlig für umsonst. Brav steckt er den Schlüssel ins Schloss, guckt mich nochmal mit besorgtem Blick an, dreht ihn federleicht herum, kann sich erneutes, unverschämtes Grinsen nicht verkneifen, auf seiner Stirn erscheint der Schriftzug „hat nich alle Tassen im Schrank“ , doch...und das ist das, was zählt: OFFEN IST DIE TÜR. Offen. Offen. Offen. Ich bin frei! Frei! Frei! Frei! Die 3er-Wiederholungen schreibe ich hierbei selbstredend auch dem Ouzo zu.

Bevor ich ihm jedoch schweissnass und volltrunken um den muslimischen Hals falle, kann ich mich gerade noch zügeln. Statt dessen danke ich ihm höflich, übernehme den Schlüssel, verabschiede ihn und setze mich wieder auf´s Bett.

Ein geübter Griff zum Kühlschrank, Flasche auf. Ups, die muss ich ja gleich nochmal nachfüllen. Zur Sicherheit gehe ich dazu ins Bad. Und schliesse die Tür. Aber ohne Schloss.

Bammbammbamm! Da klopft´s an der Tür aussen. Ich kann es nicht fassen. Schnell kippe ich den Rest in die PET, mache den Deckel auf den Ouzo und den Schraubverschluss auf die Plastikflasche, die mir nun schon so ans Herz gewachsen ist, öffne die Bad- und danach die Zimmertüre.

„Hi. I´m the electrician! - Your Aircon isn´t working?“....- „Äh, yes, right“, singe ich, lasse ihn herein, öffne die Tür und wandle runter ins Restaurant. Dort schauen mich alle mit großen Augen an: „Jetzt hast aber lange gebraucht...“ - AAACH!!

Mombasa

Sonntag nacht + Montag früh, 31.12.2012

Abschied
Tag 8

Der Elektriker kann auch nix tun, die Pfeife, die Klima springt nicht an und ich schwitze elendig. Zwischendrin köpfle ich in den eigentlich schon geschlossenen Pool. Guter Effekt.

Als mein Fieber wieder Normaltemperatur weicht, schleiche mich zurück auf´s Zimmer und schmeisse mich lautlos neben Georg auf´s Bett. Ich döse sofort ein und träume von nassen Giraffen mit Weihnachtskugeln auf den Hörnern, trotz offener Tür. Ja, die musste jetzt sein.

Bamm Bamm! Meine Augen klappen auf. Im schummrigen Licht kann ich erst mal nichts als mein Kopfweh erkennen. Und das hammert! Es schallt mit 125 Dezibel zehn Zentimeter neben mir: „OH SCHEISSE! Ich hab den Wecker vergessen!“.

Und tatsächlich, als ich einigermassen klar denken kann, steht Sabine im Zimmer und flüstert: „Wir müssen gehen...“. Ruckartig bin ich wach, irgendwie ziehe ich was an, obenrum und auch unten und FlipFlops auch und wandle fest umgriffen von Georgs Hand erst den langen Gang entlang und dann die schmerzend steilen Stufen hinunter. Eine nach der anderen. Und das so schnell. Unten stehen sie schon alle. Etwas unscharf und grobkörnig zwar, aber unverkennbar: Fee Sabine, Klaus und Katharina, Andrea und Martin. Abfahrtsbereit. Die Koffer schon im Taxi verstaut, die Fahrer warten.

Da schiessen mir sofort Tränen in die noch schlaftrunkenen Augen, morgens bin ich ja immer so empfindlich und mit einem monströsen Rumps wird mir die Abschieds-Wahrheit klar. Wir liegen uns in den Armen, ich kann nicht fassen, dass die Zeit schon wieder vorbei ist, ich drücke jeden nachhaltig, vergesse kurz mein Kopfweh und wie verknittert ich aussehen muss und heule: „Wie schön, dass ihr da wart!“ und dann, ja dann, dann geht’s ganz schnell, und so plötzlich wie sie gekommen sind, waren sie auch wieder weg.

AU, das schmerzt jetzt aber wieder so irre im Kopf und die Schärfe zieht auch nicht nach. Ich schniefe, rotze, schwitze, bin blau, stockmüde und fix und fertig, zwischendrin sauge ich nötigen Sauerstoff quietschend ein.

Dann gehe ich wieder dahin zurück, wo ich hergekommen bin...

NAIROBI

Freitag, 11.01.2012

On the road again...

Nach weiteren zwei Wochen am altbekannten Tiwi-Strand (wohin wir gleich nach dem Family-Abschied zurückkehrten), einem formidablen Silvester mit Booty-Shakes zu Bob Marley im Sand unter Sternenhimmel und einem Hello-New-Year Barbecue mit Melanie und Joycelin sind wir tiefenentspannt und machen uns braun-weiss-gestreift auf den Weg nach Nairobi.

Am Beach sagen wir noch Good-Bye zu den Pappenheimern Rudi, Mango-Man, Fatima, Eddie und dem traumhaften Strand, packen Bikini und Badehose ins unterste Fach vom Toyota, falten Luftmatratze und Aufblas-Tannenbaum melancholisch und bedächtig zusammen, hängen die Girlanden von den Palmen und verschenken Strohstern, Plastik-Spiel und Premium-Stellplatz mit Barbecue, fahren ein letztes Mal die brachiale acht-Stunden-Kotz-Straße zurück nach Nairobi und denken simultan "Jetzt wird’s ernst": Visas besorgen, Kram erledigen, weiter geht´s, ab nach Äthiopien...

Yes, we are on the road again...

Maralal

Donnerstag, 17.01.2013

39° Grad und es wird noch heisser...

Zitternd blicke ich auf die bebende digitale Anzeige des Fieberthermometers, das in meinem Mund steckt. Die Zahl klettert hoch und weiter und endet bei blinkenden 39,8° Grad. Wenn ich dann mal Fieber, Schnupfen, Husten und Gliederschmerzen zusammenzähle komme ich auf das relative Ergebnis: Malaria? Dumm nur, dass wir gerade mittendrin stecken, in der Pampa, im Camel Camp.

Vorgestern sind wir fluchtartig raus aus dem Nairobi JJ-Camp, hatten zuvor die Visa für Äthiopien (Drachenlady in Fuck-off-Bestform!) und Sudan (lovely) besorgt, uns aus Kenya ausgestempelt und sind via Steinpisten Richtung Lake Turkana gestolpert. Abends zuvor holten wir uns noch volle Bäuche im "Carnivore´s", wo wildes und gezähmtes Fleisch in rauhen Mengen auf angewärmte Teller fällt, sowas wie Strauß, Krokodil, Bulls Balls, Rump Steaks, Lamb & Pork Spare Ribs, Chicken Yakitori & Livers & Piripiri & Gizzards, Legs of Lamb & Pork, Ox Balls, Lamb Chops & Ostrich Meat Balls und so weiter. Erst als der Bauch konvex wurde, drehten wir die Stop-it-now-Flag herum, atmeten auf, tranken Schnaps und dessertierten mit Brandy Snaps.

Nach 17 Stunden Fahrt erreichten wir die nächsten Tage zusammen mit unserem neuen "Freunde-auf-geht´s-wir-fahrn-nach-Äthiopien-Team" Glenda & Jamie aus UK knieschlotternd und nackenverspannt Maralal. Wir schlugen unsere Zelte auf einer einsamen Wiese umringt von grunzenden, streng riechenden Kamelen auf, die uns aber unermüdlich freundlich anlächelten (Camel Camp, Maralal, 500 Ksh/pP).

Hier bebt nun das Quecksilber in meinem Mund, denn uferloses Schwitzen peitscht mich im Wechsel mit schnalzender Eisblockkälte aus, ich bibbere wie im Freezer vergessen und wickle die letzten drei Kuscheldecken eng um mich, trotz 34 Grad Aussentemperatur. Georg rennt mit dem Malaria-Sofort-Test heran, ritzt kleine Tropfen Blut aus mir und tröpfelt sie auf den Rezeptor... 15 Minuten später erscheint das Ergebnis, Testlinie da, und...sonst nix. Häh? Malaria negativ?

Eine Stunde später liege ich tropfnass zitternd und irgendwie nicht mehr von dieser Welt in den Laken, mir ist alles wurscht, ich will nur schlafen, doch Georg rüttelt mich wach, haut mich aus dem Bett und sagt: "Wir fahr´n zum Arzt. Komm!". Grace, die nette Dame vom Camel Campground weiss einen in der Nähe, „he´s a good one“, verspricht sie, beschreibt den Weg und schon reiten wir durch die dunkle Nacht. Der Ort ist jetzt nicht so der Hit, Holz- und Wellblech-Hüttchen hier, runtergekommene Shops da, der gemeine Maralal-Einwohner spaziert mit Stockwaffe, Geschäfte verriegelt, Häuser heruntergekommen, Straßen mit Schlaglöchern. Nach dem Kreisverkehr rechts und dann soll das Krankenhaus "Pim´s Clinic Hospital" auch schon zu sehen sein.

Naja. Die Scheinwerfer leuchten unwiderruflich auf den dürftigen Schriftzug, auf blassgelbem Hintergrund mit blau-roten Letttern steht dort PIMS CLINIC HOSPITAL. Unter blauem Wellblechdach befindet sich neben vergittert-blauem Fenster der Eingang, der mittels Stor reinführt. Ich schlage das schräge Häkelding zur Seite und schlucke: drinnen bollert ein festgetackerter Fernseher in der Wand, die mit zerfressenen Styroporplatten gezimmerte Decke fällt fast herunter, der Boden besteht aus brüchigen Schwarz-Weiss-Fliessen, Putz blättert von den Wänden, die Sitzkissen sind verschimmelt. Ich lasse mich auf beige Plastikkissen plumpsen, die sofort ein wenig mehr aufplatzen. Mir ist schwindlig. Und schlecht. Will schlafen. Ins Bett. Will gehen. Kein Blut abgeben. Will weg. Scheiss-dreckig hier. „Ich lass´ mir hier kein Blut abnehmen!" keuche ich mit letzter Kraft, dann schliesse ich wieder die Augen. Oh Gott, tut das gut. Georg beruhigt: „Jetzt wart doch erstmal ab“, und tätschelt hüstelnd meinen Arm. Da sticht´s in meinem Kopf „Wo verdammt sind unsere sterilen Nadeln?“, frage ich ihn hechelnd hysterisch, bevor ich meinen Kopf wieder an die dreckige Wand anlehne. „WO?“.

„HIER, keine Panik“, beschwichtigt Schatz und kramt in seiner Jackentasche. „Und Du, schau nach dem Auto!“, raune ich ihm zu, die Augen geschlossen. Der ganze Raum dreht sich. Als ich die Augen wieder öffne, hält Schatzi mich an der Hand und guckt selber gelinde in Panik. „Verdammt! Das ist doch kein Krankenhaus. So ein Dreck!“, kann ich gerade noch hervorkotzen, als der Doktor kommt und ich zurücksinke.

An Schatzis Hand wandeln wir dem dicken Schwarzen hinterher. In seinem Behandlungszimmer lasse ich mich ächzend auf einen alten Bürostuhl fallen, der quietschend wacklig nachgibt und entdecke zwei Mäuse, die an der Mauer entlangflitzen, dann gibt’s ein Trappelgeräusch über uns und nun weiss ich: es gibt es eine direkte Verbindung zwischen Wellblechdach aussen und Arztpraxis innen. Da läutet des Doktors Handy und minutenlanges Swahili-Gebrabbel folgt. Ich suche mit meinen Augen Georgs Blick. Die Welt dreht sich um mich herum, meine Zähne klappern, mir ist schlecht, ich habe nur einen Gedanken: WEG!

Ich versuche aufzustehen, fliehen, Rückzug, jetzt!, sage zu Georg: „Komm schon! Wir gehen!“, da legt der Doktor auf. „What is it? - You look toxic. Let´s make a malaria test!“, das war aber schnell, ich gerate in Panik, ich springe auf, ich sage, „NO, I think, it´s better, we look for a hospital!“. Der Doktor schaut mich beleidigt an. „This is hospital! - I can make the test, no worries, you look sick. I think, you got malaria!“, er steht auf und kramt in einem zerissenen Pappkarton. Ich springe auf und halte ihm den zitternden Packen Nadeln vor die Nase: „We have needles HERE!!“, brülle ich, bevor mir wieder schwindlig wird. Ich falle auf den Stuhl zurück. Ich denke: „Das Auto! Schatz! Du musst zum Auto! Steht allein, hier, so mitten in der Nacht!“. Mit festem Blick sagt Schatz: „NIX. Ich bleib jetzt bei dir. Scheiss aufs Auto!“.

Da reisst der Doktor eine sterile Verpackung auf, nimmt die glänzende Nadel hervor und murmelt gedämpft: „I´m a professional Doctor! I won´t harm you!!“ und sticht mir unsanft in den Finger, um sofort darauf das Blut auf ein kleines Glasplättchen tropfen zu lassen. „See, I desinfected it with that liquid over here". Ich achte peinlich genau darauf, dass mein offener Finger nichts anderes mehr berührt, dann wird mir wieder zittrig. Ich sinke auf den Stuhl zurück. Georg guckt mich an, flüstert: „Mir is auch plötzlich so heiß.“. Ob es jetzt mit dem Blut zu tun hatte oder mit den Mäusen oder mit mir, ich weiss es nicht, jedenfalls entscheiden wir spontan, er soll auch einen Test machen. Gesagt, getan. Nächste Nadel aufgerissen, Georg gepickst, Blut auf´s Plättchen, fertig.

„And now...“, kommt von Doktor Kikeo, der mir nicht mehr in die Augen schauen kann, „I drive to the hospital and make the test“. „Waswiewo?“, kann ich nur denken, "wo ist das Hospital? Hier-gibt´s-ein-Krankenhaus? Ein echtes? EIN KRANKENHAUS? EIN KRANKENHAUS?".

„As you don´t trust me“, sagt er und guckt dabei streng nach rechts hinten über meine Schulter an die Wand, „maybe you trust the hospital“...„Oh, no“, wiegele ich ab, „It´s not about you...I, äh, generally just, äh, don´t like doctors, you know“, lüge ich mehr schlecht als recht, aber hey, mir ist ja auch beschissen schlecht, verdammt noch mal!

Und schon wieder fangen meine Zähne an zu schlagen, mein Körper zittert, mir wird schwindlig und kotzübel und Mann, ist das überhaupt kalt hier drinnen! Georg sagt, „naja, Schatz, es hat ja nur 30 Grad". Oh je. Dr. Kikeo fährt mit seinem Klein-Toyota und unseren Blutplättchen von Dannen, ich kann kaum mehr sitzen, aber stehen geht schon gleich gar nicht, da dreht sich schon wieder das ganze Zimmer, ich drücke den Wattebausch fest auf meinen blutenden Finger, bis es schmerzt wie Harry.

Keine zwanzig Minuten später ist der Doc zurück, die Mäuse stoben auseinander, er fällt in den quietschenden Stuhl, deutet mit dem Finger auf mich und sagt: „You got it“, dann auf Georg „and you...not“. Dann wäre das ja mal geklärt. Anschliessend kramt er im großen Holzschrank vom Flohmarkt nach passenden Medikamenten, tut einen Blisterstreifen mit rosa Tabletten hier hinein, einen anderen mit Weissen dorthin, ploppt 10 grasgrüne Doxycylin heraus.

Paralysiert und schwindlig wandle ich an Georgs Hand zum Auto, es geht zurück zum Camp, Glenda und Jamie warten schon, die Kamele grunzen, wir teilen die Nachricht mit, inklusive der drei verschriebenen Ruhetage, und googlen erstmal die Medikamente: als da wären: Micet Cetrizine Hydrochloride BP 10 mg + Diclofenac Sodium 100mg + Doxycylin + Coartem + zwei andere Pillen jeweils morgens und Abends. Vier Tage lang. Na bravo. Mir wird schon wieder schlecht.

„Mohorgen...Hallo? - Schatz? Guten Morgen Sonnenschein..." mich ruckelt was am Arm, ein Mäuschen läuft über meine Wangen. „Aufstehen, Malaria-Häschen...". Und irgendwie riechts auch so streng, so fett, so komisch irgendwie. Was´n da los? Ich schlage ich Augen auf und drücke sie gleich wieder zu. Direkt vor meinem Gesicht schwebt ein Wurstbrot. Fettes Brot. Dick Butter und Glänzendes. Bah. Und erst der Geruch! Mir wird schlecht. Es ist halb 4. Hallo? Ach so, jetzt fällt´s mir wieder ein: exakt nach acht Stunden der ersten Dosis muss die nächste Anti-Malaria-Tabletten-Orgie eingenommen werden. Und das zusammen mit Fett. Ja, FETT. Damit sie auch wirkt. So die Theorie. Heisst in der Praxis: ich bekomme einen Kanten G´räucherts zusammen mit fiesem Butterbrot in den Mund geschoben, nein gequetscht. Ja, ja...DANKE, Schatz...Ne, ne wirklich, DANKE... jaha ERNST! - Ich liebe dich auch...!

Ich schlafe wieder ein. Übergangslos. Etwas ruckelt und weckt mich. Schon wieder. „Schlucken! - Schatz, Du musst noch schlucken!“, Ach so, ja klar...und dann bin ich auch wieder weg.

Die nächsten drei Tage ist mir abwechselnd kochend heiß und frostig kalt, Zähne klappern, Bettdecken durchgeschwitzt. Schwitzen-Frieren, Schwitzen-Frieren, Schwitzen-Frieren, schwindlig, schlecht. Null Hunger. Zero Durst. Will nix. Nur schlafen. Die Beine wackelig, das Gesicht blass. Meine Knie schmerzen wie verrückt, die Handgelenke spielen Arthrose. Georg bleibt an meiner Seite, versucht mich zum Essen zu überreden, streichelt meine Wangen, schiebt mir im Wechsel mit Tabletten das Fieberthermometer in die Backen und weckt mich extra dafür alle zwei Stunden auf. Nein, ich bin ihm grade nicht dankbar. Will schlafen, will Ruhe, will Decken, halt nein, will Kühle, nein lieber Heizung, nein Ruhe, nein Schlaf...ach, egal, auch eigentlich.

So vergehen die nächsten Tage und am Vierten fühle ich mich besser. Zum Glück, denn wir müssen weiter. Die Visas ticken. Glenda und Jamie sind verständnisvoll und kochen alle drei Stunden einen Tee für mich.

Nach unendlich dreckig-elendigen acht Stunden Fahrt an Tag Fünf, allerdings angereichert mit Begegnungen von Samburu-Menschen mit Federn auf dem Kopf und Pailettenplatten um den Hals sind wir dann endlich in South Horr angekommen, wo ich mich sofort auf´s Ohr haue und in friedvollen Schlaf entschwinde.

Am nächsten Tag krabbele ich aus dem Bett und traue meinen Ohren nicht: ein zerknirschter Jamie murmelt: „meine Achse ist gebrochen! Wir müssen zurück! Nur in Nairobi gibt´s verlässliche Schweisser". Ein Anruf von Lore macht die Sache nicht besser, sie wollte nur sichergehen, dass wir die Strecke lebend geschafft hätten, in der Zeitung von heute stand: „Schiessereien mit mehreren Toten" – genau auf der Route, die wir gerade hinter uns gebracht hatten.

Ach, lasst mich doch einfach schlafen!

Nairobi

Mittwoch, 23.01.2013

Bitte gehen Sie zurÜck auf los...

Nun gut. Wir sind die Strecke zurück, verkrampft bis in die Zehenspitzen, mit den Augen jeden Strauch nach Waffen scannend.

Nach zweieinhalb Tagen back in „good old Jungle Junction“ in Nairobi. Die Achse von Jamie wird geschweisst. Drei Tage später gibt´s ein Deja-Vú bei der Dragonlady: Mrs. Ethiopian Embassy mit dem Hirnstempeltattoo. Wir brauchen eine Visa-Verlängerung, könnte knapp werden. Doch, war klar, nix gib´s, keine Verlängerung, Fuck off, Wiedersehen.

South Horr

Sonntag, 29.01.2013

immer wieder sonntags...kommt die erinnerung...lalalalalaaaaa...

Wieder da. Exakt sieben Tage nach dem ersten Mal. Die Peng-Peng-Strecke liegt hinter uns, wir sind zurück am Ursprung. Ich beschäftige mich gerade mit der beruhigenden Beobachtung grunzender Kamele mit wackelndem Höcker.

Ich lümmle im Stuhl unter Mandelbäumen (Camping Samburu Guest House /350 Ksh) und sehe die Smilies in Zeitlupe vorbeiziehen. Als mich mittendrin ein Flauschi-Baby angrinst, springe ich auf und schnappe den Foto. Gerade als das Baby-Face im Fokus erscheint, ranzt es derb von der Seite. „We ramta he tata!!“- Äh, Pardon? „WE RAMTA HE TATA!“. Ein Mann im dürftigen Strandrock baut sich vor mir auf. So kurz sein Rock, so lang die Ohrlöcher, so aggro das Gesicht. Rotrock-Man hält die Hand auf. Ich frage, "Warum?". Er deutet ausladend auf die Kamele und raunt, „mine!“. Ich lache und wiegele ab. Strandrock wird aggresiv. Volle Kanne beschimpft er mich wüst. Zum Glück verstehe ich kein Wort.

Aus der Ferne kommen Kinder in kurzen Shorts angelaufen, ausser Atem stehen sie bald neben mir und übersetzen. „He wants money from you!“, ja, das hab ich jetzt schon kapiert, aber „Warum?“ - „Weil du seine Kamele fotografiert hast!“, - „Ach, komm schon“, erwidere ich spitz, „ das ist lächerlich!“. Es geht hin und her, ich sage „Jeder darf Kamele fotografieren!“. Die Kids nicken einträchtig. „Mine! - Money!“ motzt Rotrock wie ein Psycho. - „Pass auf!“, sage ich „zu Hause habe ich ein Pferd und jeder darf ein Foto von ihm machen!“, acht Köpfe nicken, und ein Kleiner mit Kulleraugen drängelt sich vor. „Hi...I´m Adrian...das hier“, und der Kopf eines wuscheligen Welpen drückt sich durch die dünnen schwarzen Beinchen in Shorts, „ist mein Hund – mach ein Foto! Is umsonst!“.

„Siehst Du!“, lächle ich zu Rotrock, während ich den Blickkontakt halte „jeder darf Tiere fotografieren! Und du willst Geld dafür. Schäbig!“. Eifrig übersetzen die Kids für mich und ich frage mich, welche Sprache das wohl ist. „Samburu! - We are Samburu!! - But this man" – und eine achtfache abwertende Handbewegung folgt, „...he is Rendile! Die Nachbarn!“. Der Rendile hält stoisch die Hand auf. „Nie! Kein Geld! No way!“.

„Picture!", beharrt der Rendile. „Fein“, sage ich, und möchte ihm am liebsten das Gehirn mit Seife schrubben „Ich lösche das Bild. Schau her!“, ich zeige den Display, „Look! No more picture!“. Er glaubt mir nicht, schüttelt den haarlosen Kopf, labert „Money-money-money!". „Nein“, beharre ich, „du bist unverschämt! Weißt du, auf der Strecke hierher habe ich deinen kamelhütenden Brüdern Wasser gegeben, als sie uns darum baten (echt wahr!) - aber dir, dir gebe ich kein Geld! Never!“. Alle werden stumm. „Wie heisst du eigentlich?“, frage ich. „Wemwa“. „Wemwa, hör zu! Morgen fahren wir weg von hier, auf dem Weg werde ich jede Menge Kamele sehen, und dann mache ich ein Foto von einem ANDEREN KAMEL!“. Wemwa lacht ein zahnloses Lächeln und murmelt „alles meine Kamele“. - „Oh, das ist toll“ finde ich „dann musst du ein sehr reicher Mann sein!“, Wemwa wird rot unter dem tiefbraun und murmelt ein zaghaftes „Ja, schon“, was die Kinder lauthals brüllend übersetzen. „Klasse“, sage ich, „dann brauchst du ja kein Geld von mir.“.

Die Kinder grinsen sich einen ab. Urplötzlich ändert sich Wemwas Gemüt, er blökt die Zähne und wiederholt: „joooke, joooke!“. Die Kinder meinen, „war nur Spaß, sagt er jetzt" und spontan hält mir Wemwa die Hand hin, ich schüttele sie kräftig und dann rattert er drauflos. „Wenn du möchtest“, übersetzen die Kinder, „zeigt er dir, wie man Kamele melkt, du bist zum Tee in sein Haus eingeladen“ Wemwa nickt eifrig. „Dort drüben ist sein Haus. Ganz nah. Du kannst auch frische Kamelmilch trinken, wenn du willst. - Aber“, und der große Junge aus der Supertruppe fügt rasch hinzu, „Just for you...Ich denke, du solltest lieber gekochte Milch trinken“, und ich muss lachen. „Ja, das glaube ich auch. Doch, „nein, nein, ich kann nicht mit dir gehen“, sage ich, „mein Mann kocht gerade Abendessen und ich muss wieder zurück!“ „Kein Problem“, kommt da wie aus der Pistole geschossen, „dein Mann ist auch eingeladen!“.

„Du hast ein Haus!“, fällt mir da ein „Mensch, Du bist ja wirklich reich!", die Menge guckt mich verwirrt an. „Ich habe keins!“. „Oooohhhhh!!". Pures Entsetzen. „Oooohhhhh!!", dann Stille. Nach fünf Schweigeminuten folgt ein erneutes langgezogenes, aufrichtig mitleidig gemeintes neunfach geseufztes: „Oooohhhhh!!", ich werde am Arm getätschelt und an der Hand genommen. Schluck. „Oooohhhhh!!“. Das trifft alle hart. Neun Leute und ein Hund schluchzen. Das grausame Oooohhhhh!! hängt endlose Sekunden zwischen den Kamelen in der Luft.

Selbst die drehen sich zu mir um. „Die-ohne-Haus! Die-ohne-Haus! Die-ohne-Haus!“. Nach 50 Sekunden in Starre traut sich der Erste von den Kindern zu sprechen: „Really? - Is that true? You don´t have house?!“. Der Schock steht ihm ins Gesicht geschrieben. Die Augen ploppen. „Rrrreally!“, bestätige ich „I don´t have a house“. „Oooohhhhh!!" „But where you live?!“, „I live in the car“, - „Oooohhhhh!!“. Ich sage tapfer „das ist schon o.k., ich bin glücklich, weisst du, wir reisen“, - „und wo wohnt deine Familie?“- „Weit weg, in Deutschland!“ - „Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen?“- „Vor zweieinhalb Jahren“ - „Oooohhhhh!!!!!!“. Da kommt ein kehliges: „Come-my-house! - Tea!“, ha, Wemwa kann doch Englisch, in Brocken, und ein merkwürdiges Kauderwelsch mit feuchten Augen folgt.

Die Kinder nicken eifrig, ein Kleiner wischt sich Tränen aus dem Gesicht. Ich schaue auf meine Füße. Um mich abzulenken erklären mir die Kinder kurz ihre Samburu-Kultur, die Männer mit den Federn und Perlbändern seien Krieger, eine Phase zwischen 14 und 24 Jahren. Sie leben noch bei ihren Müttern, in einem Haus zusammen, sind auf Brautsuche und putzen sich deshalb so heraus. Die Mamis kriegen eine blaue Perlreihe ihn ihre Colliers eingefügt und platzen vor Stolz über ihre Jungs. Die Einladung steht immer noch im Raum und so mache ich mich auf den Weg zum Camp, hole Georg, stellen das Essen beiseite und wir schlendern gemeinsam zu Wemwas Hütte. Erstmal Händeschütteln mit seiner Frau, dann werden die Kamele gewaschen, ein blauer Plastik-Eimer auf Oberschenkel gestellt, gemolken. Wasser für den Tee wird auf glühenden Kohlen erhitzt. Dumm nur, dass die Jungs gerade jetzt zum Abendessen nach Hause gerufen werden und wir nun verständigungslos mit Wemwa und seiner Frau zusammensitzen. Doch die lächelt, giesst uns Tee in gebrannte Tongefässe ein und seufzt über uns arme Haus-lose Kreaturen. Nach einer halben Stunde, einer Kanne Chai und vielen Mitleidsbekundungen und Kulleraugen laufen wir zurück zu unserem Auto-Haus, das ich ja eigentlich ganz super finde...

Luyangalani

Montag, 30.01.2013

Turkana Warrior Dance

Eintausend klitzekleine Kinderhände betasten mich vorsichtig, fühlen den Saum meines Tops, streichen über mein Haar, berühren mich neugierig. Mit lautem Glucksen zupft ein fünfjähriges Mädchen mit beeindruckenden Löchern in den Ohren und kahlrasiertem Schädel eine helle Strähne von meinem Oberteil, hält sie triumphierend in die Luft und läuft hell kichernd damit davon.

Das Aussenthermometer zeigt flirrende 40 Grad, die trockene Luft steht, eine große dunkle wabernde Menge beäugt mich unverhohlen interessiert, dutzende dünne Finger deuten auf mich, die Kids lachen sich schlapp über das Blau meiner Augen, den hellen Schnittlauch meiner Haare und das Weiss meiner Haut. Plötzlich beginnt hinter mir rhythmisches Stampfen, helle Glöckchen bimmeln, Staub wirbelt auf, immer mehr Menschen laufen heran. Krieger mit Perlbändern auf blanken Oberkörpern werden durch den Staub gebeamt, wie durch Laserstrahl treten mystisch lange Federn zwischen braunen Wolken hervor, intensives Sonnenlicht spiegelt sich auf schimmernd schwarzen Köpfen, dunkle Stimmen ertönen, Gesang, Klopfen, Stampfen. Mitten in einer Oase am mondlandschaftlichen Turkana See stehen wir vor einem Turkana-Dorf mit kleinen Rundhütten, hinter uns dürre Dattelpalmen, vor uns öde Wüste, unter uns rote Erde.

Weit hinten am Horizont glitzert der bananenförmige 250 Kilometer lange Turkana-See jadegrün, am Westrand eingesäumt von einer 1500 Meter hohen Bergkette, am Südrand von einem vulkanischen Höhenzug begrenzt. Während der Fahrt hierher streckten sich uns jede Menge bettelnder Hände entgegen, „Sweeties!“, „Money!“, oder einfach nur „Water!“. Der See besteht aus nicht trinkbarem, alkalischem Wasser, in dem jede Menge Fische schwimmen – was zur Folge hat, dass die ansässigen Halb-Nomaden eine lebensverkürzende Diät aus Fisch mit Fisch zu sich nehmen, also viel zu proteinhaltig, die staubtrockene Erde spuckt weder Getreide noch Gemüse aus. Nilpferde sind schon komplett aufgegessen, ein paar Krokodile tummeln sich noch. Bisschen Ziegen, mehrere Schafe. Was nun auch wieder stark Richtung Proteine tendiert. Nicht so gut für die Lebenserwartung.

Gestern waren wir zu Besuch in der El Molo-Siedlung, einem hier lebenden Stamm mit nur noch ein paar Hundert Mitgliedern. Lediglich zwei Siedlungen gibt es, es ist der kleinste Tribe am Turkana-See. Die Frauen und Mädchen sind prachtvoll geschmückt mit mehrfarbigen Perlketten, die in groben Reihen die anmutigen Hälse zieren und ihren Status anzeigen. Bunte Armreife, lange Ohrringe, mit silbernen Plättchen geschmückte Kappen. Der Hair-Style neigt zu Irokesen-Schnitt mit klitzekleinen Rastas, die in die Stirn baumeln, die Männer tragen Kopfschmuck und Röcke.

Und heute nun, sind wir zu Gast im Turkana-Village in Luyangalani. Unser Freund Gabriel hat uns eingeladen, bei dem gesellschaftlichen Ereignis überhaupt dabei zu sein: dem Turkana Tribal Warrior Dance.

Das Stampfen wird lauter, die Staubwolke dichter, die Menschenmenge größer. Mädels raffen die Röcke, Kinder laufen zum Marktplatz. Der Turkana-Style ist kreativ, Frauen tragen die Haare zu Strähnen geflochten, hier ein Iro, dort kleine Rastas auf dem Kopf, die Körper behängt mit bunten Perlen, lange Ohrringe in großen Ohrlöchern, silberne Reifen und Tücher. Rubummbammbamm Rubummbammbamm, ich sehe Männer mit blankem Oberkörper, Pailletten-Kopfschmuck mit Federn, plötzlich mischen sich in Ocker gebadete Menschen unter uns, Männerstimmen ertönen, dunkler Singsang, rhythmisches Auf und Ab. Jungs kauen Cad, Häuptlinge tanzen sich in Trance, Kinder hüpfen, Mädchen buhlen, flirten, lachen, klimpern. Ein irrer Tanz entsteht, vor und zurück, hoch und runter, ich wippe mit, zwischendrin klicke ich ein paar Fotos, doch ich kann mich kaum halten. Die Melodie ist zu geil, die Stimmung fabelhaft. Ich wippe, ich hüpfe, ich nicke.

Da zieht mich eine rot bemalte dürre Turkana-Frau mit, nimmt meine Hand und bewegt sich im Rhythmus in die Menge - schon stehe ich direkt vor dem Häuptling und seinen dunklen fiebrigen Augen, bin umringt von fünf Anderen und schon bin ich mittendrin. Wir hüpfen umschlungen auf und ab, Knieschellen klirren, dunkles Brummen, helles Kreischen, wirres EeieieieieieeeRRrrrrrrr. Wir stampfen, hüpfen, singen, federn auf und ab, hoch und nieder, ich fange an zu Schwitzen, jede Pore ist geweitet, jede Faser gespannt, jeder Muskel im Einsatz, imposanter Gesang neben mir. Der große Chor vor uns erwidert. Ein jeder geht auf und ab, singt und kreischt, stampft und hüpft.

Ich tanze und tanze und gerate in Trance, ich schaue neben mich, der große Häuptling hat die Augen geschlossen, der Federmann verdreht die Pupillen nach oben, ich schließe meine Lider und gebe mich dem stampfenden, singenden, klatschenden Rhythmus hin, ich gleite dahin, auf und ab, hoch und nieder, immer mehr Staub um mich herum, eine dichte Wolke, viele dunkle Hände, gespannte Körper, Rastafrisuren, klinkende Ohrringe, klirrende Ketten, ein Mosaik aus Farben, mein Herz pocht wild, ich tanze mich glücklich, blicke vor mich und alles dreht sich wunderschön, ein Kaleidoskop aus bunten Perlen, glitzernden Ketten, schimmerndem Silber, heller Kreide, rotem Ocker, rasierten Irokesen, schwitzendem Henna, leuchtenden Zahnlücken, hüpfenden Rastas, ich bin total aufgeputscht, meine Beine sind ausser Kontrolle, mein Geist voll dabei, fokussiert auf die Melodie, ich spüre die Hitze, das Endorphin, es putscht mich, ich bin im Tanz, in der absoluten Trance!

Ein denkwürdiger Abschied von Kenya, morgen geht´s weiter Richtung Äthiopien. Wir immigrieren bei der Grenze Omorate und sind schon bald zu Gast bei den Mursi, ziehen uns äthiopisches Enjera und süßen Honigwein rein...

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