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WINDHOEK (+FISH RIVER CANYON)

Sonntag, 01.04.2012

GREAT EXPECTATIONS

„Da kann uns nix passieren, ich hab´ bei 'Brother´s Adventures' gebucht“, Sabine grinst von einem Ohr zum anderen. „Ich freu mich schon sooo auf all die Tiere! Am meisten auf die Leoparden!“, kommt von Katharina, meiner Nichte, woraufhin sie mit ausdrucksvollen Augen drauflos klimpert. „Wie lange haben wir uns auf diese Zeit hier bei Euch gefreut! Schön, dass wir endlich da sind“, sagt Klaus, mein goldiger Schwippschwager.

Große Freude! Georg´s Schwester mit Mann und Tochter sind gerade angekommen, sie begleiten uns für zwei Wochen und sind voll großer Vorfreude – auch im Hinblick auf das Leben im Dachzelt und den Aufbau ihres spektakulären Landrover-Wohnmobils. Am Fenster hinten klebt der verheißungsvolle Sticker „Canopy to camper in 45 Seconds!“. In einer knappen Minute sollte es also gelingen, den 4x4-Van in ein Outdoor-Estate umzubauen.

Gestern erst haben wir die lieben Heinzelmann´s verabschiedet, ein Candy-Pärchen, das wir zum letzten Mal nähe Las Vegas im fabelhaften Valley of Fire urlaubernd getroffen haben. Vorher gab´s noch einen Ausflug zum Fish River Canyon (der meiner Meinung nach völlig überbewertet wird). Ja, was soll ich sagen? Meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Es fällt mir einfach nichts flammend geistreiches zum langweiligen, farblosen Trocken-Graben ein. Vielleicht sollte ich Georg´s Worte benutzen: „Aber das ist doch faszinierend, wie lange das Wasser gebraucht hat, um diesen irren Canyon zu formen, und erst diese Dimensionen.“ Ja. Das war´s dann auch. Für meinen Teil „no comment“. Doch zurück zu Heinzelmanns: der Meister des Zufalls hat sie wieder zu uns geschickt – nun steht Afrika-Holiday bei den Beiden an. Und unglaublicherweise kriegen wir ein feuchtfröhliches-weinintensives (im Gepäck 5 (!) Fläschchen) Abendmeeting in Windhoek hin!

Und nun geht’s weiter mit der Freunde-Family-Party! Nach Bolognese-Willkommensessen, wunderbarer Geschenke-Auspack-Aktion (selbstgebackene Kekse von Tante Resi! Regenschutz-Toilettenhalter! „Personal Novel-Buch“ mit unseren Namen im Liebesroman – Dr. Georg Schönberger verliebt sich im wilden Amazonas-Dschungel in Buschpilotin Andrea Neft!) und allgemeiner Schmunzel-Wiedersehensfreude, viel Geknuddel und großem Lachen machen wir uns an die Arbeit. Das Landy-Haus soll entstehen. Danach wollen wir eine wertvolle Flasche Groot Constantia Rood öffnen.

Wir halten fest: „Canopy to camper in 45 Seconds!“.

20.20 Uhr: In schwachem Mondlicht, durchsetzt vom Schein fünferlei Taschenlampen und brüllenden Baboon-Affen auf dem Hügel machen wir uns gemeinsam ans Werk. Besser gesagt, Sabine packt die Koffer aus, Katharina wundert sich, Klaus und Georg klicken, stemmen, pressen und werkeln und ich schieße Fotos – in der Hosentasche die Stechuhr. Die Affen gucken.

20.30 Uhr: göttlicher Anblick, die Magic Box am Aufbau des Landy´s klappt verheissungsvoll auseinander, per Schubladenverfahren erscheint hinten links der Küchenblock mit Silbertellern und Besteck, in der Mitte soll die Eingangstür entstehen und rechts ist die Kühlbox versteckt. It´s magic!

Schimmernder Alukasten zum Wohnzimmerlook? In 45 Sekunden? Mh. Wo ist nochmal die Anleitung? Fünf Köpfe rauchen. Sabine, Katharina und ich unterbrechen unsere Arbeiten und stimmen ein ins allgemeine Grübeln. Im Hintergrund meines Gehirns erscheint die Jeopardy-Warte-Musik „dam dim damm, damm dam dim damm...di di da da damm damm damm...“. Gemeinsames Nachdenken.

20.35 Uhr: „Hah! Ich glaub´, so geht´s“, ertönt Klaus´ hoffnungsfrohe Stimme. Er macht sich ans Werk, rechte Seite hoch, aufgeklickt...Mh. Nein, doch nicht. Frohlocken ist noch nicht angesagt, das Ding klemmt und quietscht und sieht irgendwie merkwürdig aus. Jedenfalls nicht so, als könnte man darin die Nacht verbringen. OK. Wir denken um. Andere Seite hoch, jetzt das Trapez geformt, den Mittelteil aufgestellt, die linke Platte eingehängt...die Uhr tickt.

Die Affen grinsen.

20.40 Uhr: Es steht mir auf der Stirn geschrieben: “Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche ziehen...und dann am anderen Ende ganz nach oben drehen...“

20.55 Uhr: Der Durchbruch. Wir öffnen die Adventure-Geschenkekiste erneut, indem wir den Aluverschlussdeckel nach rechts hieven. Steht dieser erst mal senkrecht, klappen wir die nächste Lage nach links und fixieren die beiden nach oben stehenden Kanten gegeneinander. Dann pressen wir die dritte Lage wiederum nach links, um somit ein Giebeldach zu erhalten. Hah! Dach! Steht!

Die Affen gehen gelangweilt ins Bett.

21.10 Uhr: Das glorios durch Denk- und Muskelleistung entstandene Mega-Dach wird nun mit zwei Sicherheitsleinen, die über die gesamte Konstruktion führen, verspannt und gesichert.

21.15 Uhr: Die Vorder- und Hinterwand aus dem jetzt freistehenden Dach wird mithilfe fantastischer akrobatischer Leistungen seitens der Männer verbunden und anschließend am Dachrahmen befestigt. Nun kommt noch der mystische Klettverschluss zum Einsatz! Fahrzeugkante mit Klett am Rahmen. Noch Fragen?!

Auf meinen ur-diplomatischen Einwurf „Könnt ihr das morgen jetzt schneller?“, antwortet Georg: „Ja, klar. Morgen nehme ich einen Molotow-Cocktail und schmeisse ihn ins Auto“.

SESSIERIM. SOSSUSVLEI. DEADVLEI.

Montag, 02.04.2012

BIG DADDY-TODESMARSCH

Glitzernder Sand baut sich pyramidenartig vor mir auf. Das knackige Orange der Düne wird nur selten von mausgrauen Grasbüscheln bemustert. Hin und wieder fetzt ein offroad-gängiger Käfer mit Six-Leg-Drive an mir vorbei, komische Albino-Geckos sausen hinterher. Die Sonne brennt unerbittlich heiß auf meinen Kopf, salziges Wasser tropft von meiner Stirn und hinterlässt dunkle Flecken auf der rostroten Erde.

Ich stapfe durch brennend heißen Wüstensand, Schritt für Schritt den Berg hinauf. „Da haben wir uns aber g´scheit verschätzt...das dauert ja noch ewig!“ - das kommt von Klaus, keine zwei Meter hinter mir. Recht hat er. Wer hatte noch mal die Idee hierzu?

Mein Schwippschwager, Georg und ich befinden uns auf einem Todesmarsch in der Wüste. Selbst schuld, einen „Big Daddy“ besteigt man auch nicht mal einfach so. Die Dünen haben hier lustige Namen wie Elim Düne oder Düne 45 oder eben „großer Papa“ und sind Teil eines eindrucksvollen Ökosystems, eines des ältesten und trockensten der Welt. Aufgrund des Windes verändert sich die Landschaft hier ständig, die Dünen wandern, bekommen andere Formen und dank des Lichteinfalls auch changierende Farben. Nachdem wir einige Kilometer lang hineingewandert sind, stehen wir inmitten des Dead Vlei, ein surreales Dünental, bedeckt mit einer weissgrau schimmernden Salz-Lehmkruste, auf der geisterhafte Baumreste stehen. Und genau dort kam EINEM der Blitzgedanke eingeschossen: „Oh, guckt mal. Wer kommt mit auf diese Düne dort drüben? Da sieht man von oben bestimmt ewig weit!“

Gesagt, getan. Sabine und Katharina verabschieden sich in weiser Voraussicht und für meinen Geschmack etwas zu fröhlich von uns (ahnen die was?), fragen noch, ob wir mehr Wasser bräuchten (da spricht die Experienced-Mum) und treten den Rückweg an.

Es ist 11.45 Uhr. Wir sind im Open-Air-Sanarium.

Kurze Frage an mich: „Wieso nur sind sonst keine anderen Menschen unterwegs? Hier. Jetzt. - Ist vielleicht grad Mittag in der Wüste und jeder, der einen Funken Verstand in der Birne hat, liegt jetzt unterm Baum im Schatten. - ? - Kann das vielleicht sein?!“

Egal, jetzt ist es zu spät. Kein Umkehren möglich, dann dauert´s noch länger. Wenn wir erst mal den Dünenkamm erreicht haben, geht’s schnell über diesen zurück zum Auto. Zum Schatten. Zum Ausruhen. Zum eisgekühlten Savannah-Cider. Ich brauche einen Aufguss!

Jetzt erst mal ein Schluck Wasser. - Oh, nur noch einen Liter für uns Beide. Verdammt, schlecht vorbereitet. Äußerst schlecht! - Brother´s Adventures wird verklagt! Halt, bei mir dann Husband-Adventures. Egal, gleicher Firmeninhaber.

So sieht´s aus, kurz vorher noch hämisch bei den sterbenden Bäumen vorbeigeschaut, ein paar provozierende Fotos geschossen, sind wir nun selbst bald dran. Heißt ja nicht umsonst: Dead Vlei. (Totes Feld. - Totenfeld?!).

Wer die grandiose Idee hatte, auf die „schöne Düne da vorne zu laufen, wegen dem sensationellen Wüstenfeeling à la Penelope Cruz und Mattew McConaughey in 'Sahara'?“. Naja, ich möchte jetzt mal nicht den großen Zeigefinger auspacken, sagen wir mal so: es war eine tölpelhafte Schönberger´sche Gemeinschaftsentscheidung. Nun wandern wir im gemischten Dampfbad.

So arbeiten wir uns hoch, Schritt für Schritt sacken wir ein, 40 Zentimeter vor, 60 zurück. Der weiche Sand rutscht instabil unter unseren Turnschuhen. Wir verlegen uns aufs Serpentinenlaufen. Mit wechselnden Spurenmachern. Der Erste hat´s am schwersten. Kochend heißer Sand rinnt in meine Schuhe. Socken? Nö. Wusst ja keiner von der Spontanaktion. Brandblasen entstehen. Es schmerzt! Verdammt ist das heiß! Wüstensand-Aufguss.

Kurz vor dem Dünenkamm wird mir schwarz vor Augen. „Wasser...! Ich brauch'...Wasser...!“. Blau-rotes Karussell, flirrende Luft, heisse Sohlen, jetzt rote Knie. Unfall in der finnischen, äh, afrikanischen Sauna.

Georg rutscht herbei, gibt seine mühsam erkämpften vier Dünenmeter auf und mir zu trinken. Zwei Megakäfer rasen vorbei. Die Schweine! Ein anderer gräbt sich ein. Idee?!

Alle drei sind wir rot-weiss um die schwitzige Nase. Nach erneuter kurzer Pause haben wir es dann fast geschafft, ohne uns einzugraben, zu überleben. Es ist 12.45 Uhr. Brüllende Hitze. „Brennend heisser Wüstensand...so schöön, schöön war die Zeit?“ - Äh, war der Typ jemals im brennenden Wüstensand?!

13.00 Uhr: wir schwitzen, äh, sitzen auf der Düne. Unendliche Weite. Sagenhafte Stille. Nur unterbrochen von drei klitzekleinen asthmatischen Keuchlauten. Durchzählen. Überlebt. Alle drei.

Danach geht’s recht schnell, wir bewundern den Ausblick auf einen weiteren Salzsee, wackeln über den festeren Dünenkamm relativ zackig vorwärts, der leichte Wind hilft ungemein – nach weiteren 20 Minuten sind wir am Auto angelangt, liebevoll in Empfang genommen von Sabine und Katharina, die sich schon Sorgen machten. Ausgetrocknet, fertig, kein schöner Anblick. Mir wird mitfühlend und unter gerunzelter Stirn ein nasser Lappen auf´s Handgelenk gelegt. Oh, tut das gut!

Wir rumpeln über Stock und Schleim den nächsten Dünen entgegen, Tante Resi´s Superkekse brechen und ich bin untröstlich. Da haben die butterigen Zuckrigen Einpackaktion, 10-Stundenflug, Zollkontrolle und Wiedersehens-Quetschorgie als Mittelschicht überlebt, und nun das! Doch das nächtliche Krümelmonster macht sich trotzdem über sie her. Da bin ich sicher.

Abends besteigen wir dank nun professioneller Dünen-Erfahrung bei extrem peelenden Seitenwind die berühmte Dünne 45, äh, Düne 45 natürlich. Wir zischen bei orange-roter-Farbsymphonie ein passendes Savannah Dry zum Sonnenuntergang, schaffen dies ohne ein Sandkorn zwischen die Zähne zu bekommen - und sind mucksmäuschenstill aufgrund der wüstenhaften Zauberlichkeit um uns herum (trotz Face-Panade).

Krümel werden geteilt (also nicht die vom Gesicht, sondern Tante Resi´s). Holz brennt.
Camper-Aufbau steht in 45 Minuten. - Haben die da vielleicht Sekunden mit Minuten verwechselt? Hat der Grafiker geschlampert? Fragen über Fragen.

SWAKOPMUND

Mittwoch, 03.04.2012

PORNO-CHANTALLE & FUCKING DOLPHINS

Wir haben einen Bootstrip namens „Dolphin Tours“ in Walvis Bay gebucht. Unser Familienbesuch ist ganz aufgeregt aufgrund der Delfin-Verheissungen. Leider werden wir noch vor Ort an einen anderen Veranstalter verwiesen, da das Schiff überbucht ist. Nun weilen wir auf „Walvis Bay Cruises“ statt auf „Dolphin Tours“. Hoffentlich kein Zeichen. Wir wollen Delfine sehen!

Und nun fliegt Nelson heran. Er hat nur noch ein Watschelbein und plumpst etwas umständlich auf die Reling unseres Catamaran. Leichtes Schwanken, dann kauert er und guckt spitzschnäbelig auf uns herunter. Wind-, Meer- und Nebelverhalten lässt uns glauben, wir machen Urlaub an der zugigen Nordsee im Herbst. Kalt! Nur planschende Seelöwen, glänzende Sonnenfisch-Dreiecksflossen und überdimensionale Pelikane mit ihren flexiblen Schlabberschnäbeln erinnern uns an Afrika.

„Vorsicht. Da drühüüben...“ flötet Chantalle, Katharina späht nach Delfinen, doch da gibt’s einen kleinen Ruck und Abda rutscht an Bord. Abda ist ein körniger Seelöwenmann mit streichholzkurzen Öhrchen und samtigem Nassfell. „Wer will ihn mal streicheln? Abda ist soooo lieb“ schmeichelt Chantall im Porno-Tonfall. Nach ein paar fischigen Häppchen und menschlichen Tatscheleien springt Abda befriedigt zurück in die raue See.

Aber wo sind die Delfine? Ich werde schon ganz nervös, weiss ich doch, wie wichtig die Tümmler für Sabine, Klaus und Katharina sind. So sehr haben sie sich drauf gefreut, die süßen, planschenden, springenden Delfine in freier Natur zu sehen! Where are you! Damned!

No Dolphin. No fucking dolphin. Kein Einziger! Das darf echt nicht wahr sein! Zur allgemeinen Enttäuschung gibt´s keine Flipper zu sehen, die waren einfach abgetaucht. Dafür aber Austern zu essen. Einmal und nie wieder. Algig, salzig, fischig, weichgummi – da nützt auch die Zitronen-Salz-Tabasco-Pfeffermischung obendrauf nichts. „Gefällt es dir? Das Auster ist guuuut, nicht wahr?“, flüstert Chantalle anzüglich in mein Ohr. Ich würge ein glitschiges Muschelinterieur hinunter, kann dabei aber keinerlei kulinarische Erfreuung empfinden. Kurz vorm Erbrechen endet meine dritte ich-versuchs-nochmal-da-muss-doch-was-dran-sein-Auster. Würg. Ist mir schlecht. Ich glaub, ich muss kotzen. „Wo sind denn jetzt die Delfine?“, Katharina frägt mich mit großen Augen. „Meinst du, die kommen gar nicht mehr?“. Verdammt, was soll ich nur sagen? Bitte, bitte, ein einziger Delfin! Komm doch bitte her! Wir halten weiterhin verzweifelt Ausschau nach ihnen. Der Captain mit Fernglas, seine Crew mit bloßem Auge, ich verzweifelt und übelstschlecht, mein Magen stößt auf, Chantalle stöhnt vor sich hin.

Alle 20 Gäste ziehen lange Gesichter. Eine übergibt sich. „Naja, vielleicht sehen wir morgen ja einen Elefant“, merkt Katharina an. Mir ist schlecht.

Das saure Tröpfchen Etwas wird uns am Hafen serviert: der ursprünglich gebuchte „Dolphin-Tour“-Catamaran-Captain erzählt uns von den hinreissenden Delfinen, die sie gesehen hätten. Leider, leider, betont er, hätte er unser Boot zu früh umkehren sehen...Kotz!

Abends erweitere ich meinen nun wieder erholten kulinarischen Horizont im idyllischen Swakopmund um ein Garlic-Butter-glänzendes saftig-knuspriges Ostrich-Fillet garniert an saftigen Petersilien-Kartoffeln. Das Straußenfleisch ist ein Gaumenschmaus, Sabine stimmt bei gleicher Bestellung in mein Yammie-Glucksen ein, zu unserer Überraschung erinnert das Filet eher an Rindfleisch als an Geflügel. Die abschließende flambierte Brüllcreme mit zarter Karamellkruste ist zum Schweigen lecker.

Als wir nachts vollgepumpt mit Straußenfilet und guter Laune zurück zum Campingplatz kommen, steht ein anderes Fahrzeug auf unserem Platz. Wer? Wie? Was? Der drei Monate vorher von Sabine gebuchte Platz ist besetzt, wir können nicht zusammenstehen. Großer Aufruhr. Eine betrunkene Mittfünfzigerin wankt aus dem Dachzelt. „Whaat d´yo want?“ lallt sie uns entgegen. „Oooor canschu schpiek deutsch, äh german, tuu?“. „Ja, kann ich“, erwidere ich und versuche die Sachlage zu erklären. „Wir standen letzte Nacht auf diesem Platz, der war von meiner Schwägerin vorgebucht.“ - Blonde Tussi entgegnet schlagfertiges „Häh? Was´n los?“

- Ich versuche es noch engelszungen-beschwörend: „Da gibt’s nur einen einzigen anderen Platz, am Ende vom Zaun, das Camp ist ausgebucht, und wir wollten zusammenstehen. Zwecks gemeinsamem Frühstück und so. Könntet ihr nicht dorthin umziehen, bitte?“- Betrunkene alte Schachtel entgegnet frech und unzusammenhängend „Was´n regstn dich so auf, häh?! Jetze stehe wir halt hier´ne!“. Chefin vom Camping kommt, alle plärren durcheinander, keiner weiß, wer Schuld ist. Der Klügere gibt nach. Heißt es ja so schön. Also, wir nehmen den weit entfernten Platz.

Schleppen (Georg) eingelagertes Grillholz, Teller und Bier quer über eben diesen und dösen mit unruhigem Magen (ich) und schluchzender Hintergrundmusik (betrunkene Schlampe) in tiefen Schlaf.

Canopy-to-Camper-Umbau-Zeit: 35 Minuten.

SPITZKOPPE

Freitag, 06.04.2012

DAS GROSSE KLAPPERN

„Klappert in eurem Auto eigentlich auch alles? Also so richtig. Das Amaturenbrett hebt sich um zwei Zentimeter und wir hören jede einzelne Salatgabel von hinten!“. Ratlosigkeit breitet sich aus. Ist das beim Landrover normal? Ich steige ein und höre mir den Lärm an. Ne, also normal ist das nicht. Glaube ich. Also bei uns rattert nichts. Zum Glück, Georg ist da ziemlich Lärm-...äh...wie soll ich sagen...-sensibel. Besser gesagt, er würde ausrasten, wenn es solche Lärmeskapaden gäbe. Verdammt, doch wieder gesagt.

Der Lärm scheint normal im Landrover. Täglich. Immer. Schon auf leichter Schotterstraße. Und eigentlich auch von Außen. Zudem sitzen die drei ziemlich beengt in der Sardinenkiste Landy. Von wegen „Land-Rover“, „Sand-Lover“, eher „Mad-Maker“, „Hang-Over“ oder „Rattle-Rover“!

„Und ich fühl mich beim Kuppeln wie auf dem Stepper“, schiebt Sabine hinterher. Ich könnte mich wegwerfen vor Lachen. „Na, da haben wir ja gleich ein ganzes Fitnessstudio mitgebucht“, meint sie lakonisch, „Klausi kriegt den Muckitrainer abends beim Aufbau und ich den täglichen Stepper.“.

Am „Matterhorn Afrikas“ cruisen wir auf rotem Gestein in surrealer Spielzeuglandschaft. Auf dem Weg gibt’s einen Wüstenlehrpfad, also -fahrt zum Schlauer-Werden. Sabine ist perfekt vorbereitet, ein Stapel Ausdrucke liegt in ihrer Hand und Stück für Stück lernen wir die Desert-Flora kennen. Am ersten Haltepunkt gibt’s Flechten zu bewundern, die in der Trockenheit so lange vor sich hindösen, bis es mal wieder Regen gibt. Laut Reise-Blatt-Anleitung pflückt Georg ein Büschel ab, tröpfelt etwas Wasser darüber und schon entfaltet sich die Pflanze in ihrer vollen Schönheit.

Gut, ist jetzt vielleicht übertrieben. Aber immerhin rollt sich das ehemals grau verhunzelte Trockenbüschel elfengleich und grasgrün nach allen Seiten aus. Wir lernen über das Felsgestein Dolorit (Lavagestein, das durch Spalt eingedrungen ist), fahren durch das Moonvalley und genießen fantastische Aussichtspunkte.

„Wo sind denn jetzt die Tiere?“, will Katharina wissen und verweist auf „die Einzigen, die ich jetzt schon gesehen hab, sind die Esel. Die gab´s aber auch schon in Griechenland.“. OK. Hat sie ja Recht. Verdammt, was sag´ ich nur? - „Wart mal auf den Etosha“, versprühe ich unter plötzlicher Eingebung mit Charme-Offensive „da gibt’s Alles! Einfach alle Tiere! Elefanten! Giraffen! Löwen! Hyänen! Und so viel mehr! Du wirst staunen!“. Katharina schaut mich skeptisch an. „Auch Leoparden?“ - „Ja, klar!“. Dann macht sie sich auf zum Klo. Als sie zurückkommt, folgt der knappe Kommentar „Das ist ja mal ein richtiges SCHEISS-Haus.“ Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen. „Long-Drops“ heissen die Plumps-Klos hier. - Ohne Kommentar.

Ja, das Camper-Leben ist nicht von pompöser Exquisität geprägt, also nicht immer. Exklusiv ist dafür die prunkhafte Landschaft, das Luxus-Panorama, die noble 2 Mio-Dollar-View vom Toyo-Bett am Morgen, das fürstliche Dinnieren mit Silbertellern inmitten roter Mondlandschaft vor einem knackenden, funkigen Feuer bei romantischer Einsamkeit, die funkelnde Sternstunde zur Mitternacht – und ein paar exotische Tierchen am Rande (oder am Schienbein). Ja, und das kommt nun von mir, von einem Ex-Party-Lover, halt, das „Ex“ muss wieder raus – ich gebe jedenfalls innerlich regelmäßig stehende Ovationen an die Natur (allerdings auch an eine gelungene Party).

Eine beschwippste Fledermaus eiert vorbei, zwei weißhäuptige Irokesen-Kakadus flattern hinterher, ein glotzendes Chamäleon huscht camouflage-rot getarnt über die Felsen und wir krabbeln hinterher. Immer stetig nach oben. Supergrip an der rauhen Steilwand. Zum Lohn gibt’s ein Glas Rotwein bei bestem Ausblick auf die wunderbare 1728 Meter hohe lachsfarbene Spitzkoppe vor Merlot-Rot-schimmernder untergehender Sonne. Aufgrund fehlender Duschen und besagten Long-Drops machen wir uns jedoch am nächsten Tag wieder auf in zivilisiertere Gefilde.

Katharina freut sich auf die Wüstenelefanten morgen, mir grummelt der Magen, Sabine schmerzen die Oberschenkel, Klaus verfeinert die Nachtaufnahme-Funktion der neuen Kamera, Georg grinst.

Canopy-to-Camper: 30 Minuten.
(Chamäleon will mit, es hat sich Alu gefärbt)

BRANDBERG - WHITE LADY LODGE

Samstag, 07.04.2012

JAKOB WEISS BESCHEID. KLIX.

Im trockenen Norden Namibias steht die „Brandberg White Lady Lodge“. Inmitten der Mondlandschaft ist sie berühmt für „ihre“ wilden Wüstenelefanten, die laut Reisführer „ständig“ in der Gegend „umherstreifen“. Ich gucke in den Landrover neben uns und der schönen Katharina steht die riesige Elefanten-Vorfreude ins Gesicht geschrieben. Beim Aussteigen raunt sie mir mit roten Bäckchen zu: „Endlich! Endlich sehen wir mal Tiere!“.

Zusammen laufen wir zur Rezeption im schön angelegten Kakteengarten der Luxuslodge vor dem Swimmingpool. Mahagoni-Holz, weiße Liegen, angenehmes Ambiente. „Camping?“ - you have to drive five Kilometers back, and then there is the camping on the left-hand side.“ Beim Rausgehen entdecken wir die Infotafel auf der in übergroßen Buchstaben geschrieben steht: „Desert Elefants: NONE“.

Katharina´s knapper Kommentar:„Na, war ja klar!“.

Grillabend. Hühnchen lecker, Beef vorzüglich, Salat einwandfrei.
Camper-Aufbau 30 Minuten. (leider keine Affen zum Beeindrucken)

Am nächsten Morgen werden wir dank superengagierter Streber-Nachbarschaft um vier Uhr morgens geweckt! Die haben offensichtlich einen komplizierteren Abbau, als den Canopy-to-Camper-in-45-Seconds zu bewältigen, jedenfalls dauert die Zeremonie ganze zwei Stunden.

-Morgendliche Grummelfrage an mich, noch nicht ganz wach, Sprachzentrum erst halbaktiv: „Rübergehen? Soll? Ich? Sagen? Was? - „Doof ihr seid?“ - Shit. Geht. Noch. Nicht.
- Ich brauche Wurflöffel!

Keine Delfine, Sturm auf der Düne, no Elefants und jetzt das! Das darf doch nicht wahr sein! Lieber Gott, gib mir Geduld. SOFORT!

Nachdem wir nun schon seit Stunden wach sind, buchen wir die Früh-Wandertour zur „White Lady“, der berühmten Felsenzeichnung mitten im Brandberg´schen Umfeld. Unser Guide Jakob ist mitternachtsschwarz und ein Damara. „Wir benutzen die Klick-Sprache“, erklärt er uns eifrig und gibt gleich anschließend eine geräuschintensive Kostklickprobe. Klick-Tscho sammara Jaklickkob. Aha. Jakob´s Insider-Stammes-Wissen ist beeindruckend, auf dem Weg nach oben staunen wir über graubraune Grasbüschel mit Superheilkräften, über giftsprühende Baumrinden, die bei Hautkontakt tödlich sind, über schleichende Klipschliefer (dicke Murmeltierart), eingefrorene Lizards, Bienen fressende Vögel und jede Menge anderer Fauna-und Flora-Facts. Katharina fotografiert ihren Akku lehr. Sabine schmunzelt, Klaus entdeckt weitere Reptilien. Froh wir sind!

Oben angekommen kriechen wir unter die Felszeichnungen und entdecken rote Gnus, weißgestrichelte Zebras, kunstvoll gemalte Antilopen im Sprung und schwarze laufende Menschen. Wenigstens hier gibt’s Elefanten. Die Farbe wurde aus verschiedenen Pflanzenarten hergestellt und mithilfe von Straußenfedern aufgetragen, in der Mitte gibt’s eine weißumrandete Figur zu sehen: die „White Lady“.

Zwar war sie laut neuesten Erkenntnissen vom Wissenschaftler „Ernst Scherz“ (der hieß echt so! - Kann man den als Eltern nicht einfach „Großer“ mit Vornamen nennen?) keine Lady, sondern ein Lord. Aber egal. Herr Scherz ist da mal ganz Ernst und behauptet, es war ein Mann, eventuell durch Staub auf schwitzender Haut hell eingefärbt, oder auch vielleicht ein Albino, der besonderes Ansehen genoss und eventuell schamanisch arbeitete. Oder so.

Wir erklimmen einen Steilfelsen, Jakob macht die Gazelle, wir die schnaufenden Gnus und ein Panoramablick sonders Gleichen breitet sich vor uns aus. Angekokelte Felsen, daher übrigens der Name (aufgrund der enormen Hitze verbrennen Mineralien an der Oberfläche des Steins zu dunkler, schimmernder „Brand“-schicht, auch Wüstenlack genannt), viele rote Gesteinsbrocken und ein ehemaliges Flussbett mit ein paar hohen Sträuchern gibt den Blick frei auf...und Jakob holt tief Luft: “Normally there are lots of elefants“ - Pause - „but today...NOT“.

Oh, Jakob! Katharina ist enttäuscht, ich den Tränen nahe, Georg macht Scherze, Klaus klettert ab.

So wandern wir die kurze Stunde zurück zum Auto, fahren zu fünft im Toyota zum Camp-ohne-Elefants, sehen dafür aber noch jede Menge Geckos, Klipschliefer, Esel und Bee-Eater und erreichen überhitzt, aber glücklich den Canopy-to-Camper-in-45-Seconds. Der zum Glück diesmal schon aufgebaut war. (Wo ist das Chamäleon? Verdammt, ich bin draufgetreten. Zu gut getarnt!)

Gelungener Abend.

ETOSHA NATIONALPARK

Montag, 09.04.2012

SUPERMARTIN

„Heute! Heute gibt’s Tiere! Endlich!“ Katharina grinst übers gesamte Gesicht „und nicht nur die komischen Vögel, die mich jeden Morgen wecken.“Die Morgenschicht hat Kaffee bereitet, wir eilen, Landrover rattert fliegenden Tachos gen Etosha. In der Stadt Outjo wollen wir unseren Alkoholvorrat aufstocken, ein paar Lebensmittel für die nächsten Tage besorgen und Tanken.

Eine schlimme Stadt. Kaum stehen wir an der Tanke quillen hunderte Menschen aus den Seitenstraßen heraus an unsere Autofenster heran. „I have something for you“, „You must buy“, „Do you have some money?“, und - „DO YOU HAVE A BOYFRIEND“ zu KATHARINA. Hallo? Geht’s noch?! Kann man vielleicht meine bezaubernde Teenie-Nichte da raus lassen, du besoffenes ARSCHLOCH!?

Ganz schlimme Bettelei von allen Seiten, die auch noch im aggressiven „You MUST give me SOMETHING“ endet. Beim Nachbarn werden Steine auf´s Auto geschmissen, ein paar Kinder grabbeln Yoghurtbecher aus dem Müll und schlecken sich ihre Zungen daran wund. Ein zerfledderter Alter holt sich leere Fanta- und Bierdosen und trinkt den letzten Schluck.

Wir allerdings bekommen keinen Alkohol. Es ist Ostermontag. Verkaufsverbot. - Na toll. Keine Delfine, keine Elefanten und jetzt noch nicht mal Alkohol? Was ist da los? Wer hat sein Tellerchen nicht aufgegessen? Letztendes können wir doch noch eine Verkäuferin dazu überreden, uns zwei Six-Packs Lager unter der Theke zu übergeben. Doch keiner Schuld.

Georg frägt die zierliche Teenie-Wurstverkäuferin: „Do you have Chicken-Breasts?“.
Die guckt irritiert an sich herunter, wird knallerot und flüstert mit gebrochener Stimme „Excuse me?!“. Da fällt es ihm ein und er verbessert:„Äh, sorry, I mean `Chicken Fillets?'“. Das junge Mädchen schlägt die Augen zu Boden und deutet mit graziler Geste auf die Theke links, dort ist das Fleisch. Hier gibt’s nur Wurst.

Nun sind wir gut gerüstet für vier Tage Camping, Alko-Camp und Fresstiraden steht nichts im Weg.

Am Eingang des Etosha werden sorgfältig alle Reservierungen überprüft. Es ist Osterwoche und alles ausgebucht. Zum Glück haben wir Sabine! Alles Tipp-Topp vorbereitet. Gebucht, passt, wir dürfen durch. Vor uns an der Schlange steht ein baugleicher Landrover mit Sticker „Canopy-to-camper in 45 Seconds“. Wir kommen ins Gespräch, das Pärchen ist den ersten Tag da. Wir scherzen über den Schwierigkeitsgrad der Aufbaumethode. Woraufhin uns der schnippische Martin forsch und arrogant mit Blick auf Frau Uschi erklärt: „Kann ja nicht so schwer sein. Ich mein, 45 Sekunden!“

Wir sparen uns die Worte und fahren ein. In den Nationalpark. In den Wundergarten der Tiere. Endlich! Ich zwinkere Katharina zu, sie lächelt hoffnungsfroh zurück und hält schon mal die Kamera parat.

Der Landy rumpelt drauflos, ich kann direkt das Amaturenbrett hoppeln sehen, Sabine dreht die Augen, Klaus hält sich die Ohren zu, Katharina umklammert den Foto. Zum Glück können alle darüber lachen.

Wir sehen nur noch Staub hinter dem Mad-Maker, Sabine tritt aufs Pedal, Stepper auf höchster Stufe...da flitzt ein ELEFANT an uns vorbei, dicht gefolgt von einer Giraffe und zwei Kudus. „Mann!“ schreie ich, „blende auf! Die müssen zurück! Da war ein ELEFANT. Etwas versteckt hinter großen Büschen. Aber da war er!“. Georg haut den Rückwärtsgang ein, quietschend setzen wir zurück, beobachten den Dickhäuter, schießen ein Beweisfoto.

Kurz darauf haben wir die Landy-Crew eingeholt. Rote Backen, grinsende Gesichter, geweitete Augen. „Giraffe“, keucht Katharina atemlos zu uns herüber „Da war eine Giraffe!! Hast du die gesehen!?“. - Mir fällt ein Stein vom Herzen!

Doch zunächst fahren wir in unser Okakuejo-Camp, bauen den Camper auf (25 Minuten, vor beeindrucktem Schakal) und legen die „Chicken Breasts“ auf den Grill. Nebenan werkelt Martin. Die blonde Uschi guckt verzweifelt im geblühmten Kurz-Pyjama. Ein zweiter Schakal wetzt vorbei (ein Geier wäre angebrachter). Ich halte die Uhr hoch. Martin wendet sich ab. Nase in den Aufbau. Leichtes Fluchen von Nebenan. Ein Rumps. Erneuter Fluch. Es klappert. Martin holt die Anleitung (woher hat der die?!). Sollen wir helfen? - Ach, nö. Wir geben ihm noch ein paar Minuten, unserem Martin. Nach zwei Wein, spektakulärem Neighbourhood-Live-Programm und gut riechenden Brüstchen auf dem Schönberger´schen Grill steht das Endergebnis am Nachbar-Camp: 75 Minuten. - Ach, Martin!

Klaus holt sich ein Bier und bleibt angewurzelt neben dem Landy stehen. Bückt sich. Steht wieder auf. Starrer Blick auf den Reifen. Ein murmelndes „Mh“ folgt. - „Nicht gut, das ist nicht gut“, denke ich noch, als Klaus sagt „Schau mal, Georg.“. Pause. „Da sifft es raus.“

Uns allen steht der Mund offen. Der Reifen ist nass. Besser gesagt ölig. Aus der Mitte heraus entspringt ein Fluss. Ein Ölfluss. Aus der Radnabe tropft der Schleim. Was tun? Ich sag´ nur Mad-Maker! „Den müssen wir ´runterbauen“, so Georg. - „Halt! Das kannst du doch nicht machen, das ist doch nicht deiner!“, werfe ich ein. Sabine ruft geistesgegenwärtig Mike an, den Vermieter, spricht auf Band. Erstaunliche Antwort-SMS nach 12 Minuten: „Sorry for stress. But don´t worry. It´s just a mess. Normal, when you drive slowly. - Comes from my Diff-Expert“. (!). - Ohne Worte.

Wir sollen laut Differenzial-Experten seines Vertrauens einfach hin und wieder ein paar Liter (!) Öl in die Achse nachkippen, dann sollte „das schon gehen“ (!). Ist ja bloß ´ne Riesen-Sauerei...no worries! Keine Sorge?!

Mir fehlen immer noch die Worte.

Wortlos bereite ich den Salat, wortlos nippe ich am Syrah, wortlos gucken wir auf den schimmernden Reifen. Unten bildet sich eine ölige Lacke. „It´s just a mess.“

Nach den messigen Ereignissen schlendern wir vor zum Flutlicht des Okakuejo-Camps. Großer Rundumblick am Wasserloch, gemütliche Holzbänke im Halbrund stehen davor. Wie ein Theater-Atrium – mit Live-Akteuren. Und tatsächlich – zu später Stunde erscheinen im Halbdunkel vier Nashörner, arbeiten sich grunzend vor zum Nass und saufen gierig ein paar Eimer. Ich meinen Roten.

Sabines Kommentar triffts: „Das ist besser als Fernsehen!“. So ist der Tag trotz verpasstem Dickhäuter gerettet, vier großnäsige Grauhäuter haben ihn versüßt und wir entschlummern nach 22-Minütigem-und-das-geht-auch-nicht-schneller-Aufbau sanft in erholsamen Schlaf (Martin ist neidisch, Uschi zwinkert zu Klaus).

Morgens werden wir von affenartig lautem Tigergebrüll geweckt, das Auto zittert, ich bin wach. Leider wird sich der gestrige Elefant nicht mehr zeigen, doch die folgenden Tage sehen wir vor malerischer Landschaft grasende Herden diverser Antilopen, winzige Dik-Diks, lustige Springböcke, langhörnige Gemsböcke und gedrehte Impalas, mächtige Gnus, hunderte von schreienden Zebras und grasende Fleckerlteppich-Giraffen. Kommunes Grinsen aus dem Land-Rover. Wir sehen nur weisse Zähne, rote Bäckchen und schussbereite Kameras.

Wir stehen hingebungsvoll schmachtend vor einem pittoresken Wasserloch, vorne blühend weiße Irgendwas-Blumen, flatternde handtellergroße Regenbogen-Schmetterlinge, staksende Geier mit hellen Halsmanchetten, schimmernde Lilac-Breasted-Roller, sich im Wasser spiegelnde Zebras und im Hintergrund storchenbeinig-saufende Giraffen. Ganz nah dem Paradies! Ich schiesse drauf los. Die Kamera gibt alles. Ich auch. „Guck mal“, ich zeige Georg meine fotografischen Ergüsse im Display „Sooo schön, was!?“ und dann schaue ich genauer..das kann doch nicht sein „Hey! Da war doch....“ und gucke noch genauer...da hat sich ein NASHORN eingeschlichen! Ein seltenes, rares, schüchternes Nashorn! Sehen wir erst jetzt auf dem Display. Nicht in Echt.

Ich linse noch mal zum Wasserloch vor meiner Nase. TATSÄCHLICH! Da steht es. Grau in Grau im Wasser. Vor den Giraffen, inmitten der Zebras. Das gibt’s doch nicht!

Jetzt wird drauflos geschossen, was der Foto hergibt.

Anhand der belustigen Reaktion im Nebenfahrzeug stelle ich fest: ihnen ging´s genauso.

Traumhafte Bilder vor orangegefärbter Hintergrund-Kulisse, untergehende Sonne, friedlich grasende Tiere. Abends schwimme ich allein im Megapool der Lodge, über mir flimmert der Gürtel des Orion und das quergelegte Kreuz des Südens. Afrika, I love you!

FRANS INDONGO-LODGE

Donnerstag, 12.04.2012

HAPPY BIRTHDAY TO ME

An meinem 34. Geburtstag erwache ich frohlockend dank Löwengebrüll, werde innig von meiner Zweifamilie geherzt, lasse mich von liebevollen Buchstabenaneinanderreihungen und Gaben aus der Heimat zu Tränen verführen, schnuppere am wild gepflückten Nationalpark-Blumen-äh-Sträucherstrauß und genieße ein Müsli mit Blick auf Giraffen.

Ein B-Day-Morgen im Etosha, ein Lunch unter Geparden und ein Abendessen mit Elands. - Also im wörtlichsten Sinn. Nach der Ausfahrt aus dem Etosha verbringen wir den Nachmittag auf einer Geparden-Farm, wo wir jede Menge über die schnellsten aller Raubkatzen lernen und ihnen Handnah kommen. Abends fahren wir ein ins Luxus-Ambiente der Frans-Idongo-Lodge.

Morgen haben wir noch einen klitzekleinen Tag zusammen und dann, schon dann ist unser gemeinsamer Urlaub zu Ende, die Familie wird per Flieger gen Heimat flitzen. So schnell verging die Zeit, es ist unglaublich. So schön, dass ihr da wart! Welch schöne Wochen! Das und mein Geburtstag muss aber vorher noch gefeiert werden (An dieser Stelle großer Dank an die Schwiegermama für´s spendable B-Day-Essen!)

Camper-Aufbau in professioneller 20-Minuten-Ruckzuckaktion.

Im heimeligen Lodge-Empfangszimmer steht ein Computer mit Internetanschluss. Mitten im Nichts! Ach, du schöne, neue Welt! Sofort klicke ich mich ein und lade meine Mails und FB-Nachrichten herunter. Ich bin verzückt und glücklich und hingerissen! Sofort schiessen die Tränen ein und rollen mir über das Gesicht. „Can I help you?“, frägt mich die Rezeptionistin besorgt. „No! No worries!“, schluchze ich. Ich bin einfach supersentimental. So viele Freunde haben an mich gedacht. So viele Geburtstagswünsche, Bilder, Fotos, Comics und ultraliebe Zeilen lassen mich heulen. Wie ein Schlosshund. Vor lauter Rührung und Freude und Melancholie. Dass ich hier bin. Und nicht zu Hause. Bei meinen Freunden. Bei meiner Familie. Schön! So schön...schön war die Zeit. Großes Schluchz, und Seufz und riesengroßes Danke! Dass es Euch gibt, dass ihr mich nicht vergessen habt nach so langer Zeit weg von zu Hause, dass ihr mir eine Freude machen wolltet, dass ihr meine Freunde seid! Megaschluchz!

Nach hingegebenen zehn Minuten und einer ratlosen Rezeptionistin, die mir plötzlich über den Arm streicht, reisse ich mich zusammen und warte auf Sabine, Katharina, Klaus und Georg, die vor dem Abendessen schnell noch Duschen wollten.

Kaum sind meine Tränen getrocknet, meine Haare zurechtgemacht und das Gesicht in Ordnung geklopft, höre ich sie schon einlaufen.

Völlig verzückt von all dem Mahagoni-Edel-Safari-Look sitzen wir nun fröhlich lachend im heimeligen Afrika-Deko-Restaurant vor dem brennenden Kamin und einladenden Edelholzstühlen. Der entzückend gedeckte Geburtstagstisch ist eine Augenfreude und ich muss schon wieder heulen, doch danach dinnieren wir stilvoll das drei-Gänge-Menü. Taschentuch griffbereit.

Kreative Tomate-Mozarella bildet das Entrée, unter den anschließend folgenden Silberdeckeln (die zeitgleich vor unseren Augen abgenommen werden) erscheint knusprig gegrilltes Eland in Peppercorn-Sauce, der Stellenbosch-Syrah mundet exzellent, die Stimmung ist gelöst. Zum delikaten Dessert läuft ein Crépe im Orangecrememantel, bedeckt mit vanilliger Eiskruste ein, und überzeugt ebenso wie das gesamte Dinner im schmeichelndem Edel-Ambiente. Ein wahrer Geburtstags-Traum.

Ich lege mal wieder schlechtes Timing an den Tag und erhebe mich genau in dem Augenblick, als es hinter der Küchentür rappelt. Keine drei Schritte vom Tisch entfernt hält mich Diara, die hinreissende Ovamba-Bedienung mit beneidenswerten Samtteint, auf. „No, you can´t go now. There is something for you.“- Ich entgegne fragend „NOW?“, meine Blase zwickt. „Yes. NOWNOW!!“, besteht Diara.

Also gut, ich setze mich mit zusammengepressten Beinen wieder in meinen Mahagoni-Stuhl. Meine Zweit-Familie lacht, und schon kommt ein Geburtstagskuchen aus der Küche angeflogen, untermalt von ohrenbetäubendem „HAPPY BIRTHDAY TO YOU, HAPPY BIRTHDAY TO YOU.......“.

Ich blase die Kerzen auf dem noch warmen Überraschungskuchen aus, da starten die Vier-Aus-Der-Küche zum Ovamba-Geburtstagslied. In der Stammessprache singen sie Happy Birthday, das ich nur aufgrund der Melodie erkenne und ich sinke hin, Tränen fließen im Rhythmus des Gospelklangs! Die Rezeptionistin reißt im Sprung von der Tribüne nicht nur die Palme mit, sondern auch den Big-Pack-Spender Kleenex auf...

KAMANJAB + PALMWAG + SCELETON COAST

Freitag, 27.04.2012

GIRAFFE MIT KETCHUP, Jungbullen
und der SchÜtzenverein

Zehn garnelenrote Arme wedeln hypochondrisch in der flirrenden Luft. Erst halte ich es für eine witzige Fata Morgana, hier mitten in der staubigen Wüste, doch als wir näherkommen stellt mein scharfgeistiges Killerhirn eindeutig und unwiderruflich fest: fünf waldgrüne XL-T-Shirts ohne Unterleib stehen auf der Straße. In bunt und in Farbe.

Der beinige Teil verschwimmt mega-professionell Camouflage getarnt mit dem beigefarbenen Background. Ein aufgeplustertes, um die Wangen herum purpurfarbenes Männchen springt als Erster vom imaginären Sandseitenstreifen auf die „Straße“ und hält uns theatralisch auf. Touristisch einwandfrei gekleidet mit original khaki-farbenem „Ich-mach-Safari-in-Afrika-Hut“, 100er-Klettverschluss-Taschen-Weste mit Angel-Gadget in verschissenem Kackbraun, obligatorischen beige-gefleckten Army-Cargo-Pants mit rundem Flausch-Druck „Etosha Nationalpark“ unter denen die weißen Adidas-Socken mit den berühmten drei Ringeln hervorlugen, steht er nun Merlotrot unter weissen Bartstoppeln in der Panorama-Wüste vor uns auf der Desert-Ralley-Bahn.

Das einheitliche Forst- und Waldgrün der hinter ihm wippenden, übergroßen Vierer-Poloshirt-Kette mit stilisiertem Hirsch über kleiner Unterzeile auf Brusthöhe lässt schwer und eindeutig auf eine fränkische Schützenvereins-Gemeinschaftsreise schließen.

Aufgeregt hippelig stehen sie vor den geparkten Autos-von-der-Miet-Stange mit dem populären Übergroß-Aufkleber „Canopy to Camper in 45 Sec.“ und scheinen dringend eine wertvolle Information loswerden zu wollen.

„Hallo! I bin der Erisch. Wo wolldeen ihr hin?“, legt Waldhemd ohne Unterleib Nummer Eins los und fährt, ohne eine Antwort abzuwarten very frängisch fort: „Au da nei?! Jo, das hab i mir gedachd. Da komme mir nämlich grade her, aus der Richdung... also, was mir Euch da uuu-nbedingd sagge wollde: Ihr könnd do wirklich ned weiddefahre! - Das geht nämlich ned!“, sprudelt es aus Erich Spucke schleudernd heraus. Er schüttelt den Kopf, der kleine Hirsch vibriert über seiner Brust, er holt tief Luft, ich habe schon Angst, jetzt könnte er platzen. Erich wird noch röter, was unmöglich schien, der Hirsch pumpt sich auf, die Bartstoppeln blinken grellweiss auf, geiler Kontrast denke ich noch, da formen seine Lippen ein schrilles: „Dema: E-L-E-F-A-N-D-D-E-!“.

Während ich mir unauffällig mit dem Ärmel über das Gesicht wische, macht Erich eine eindrucksvolle Pause und gestikuliert forsch in der Luft. Genau diese Zeit brauche ich, um die linguistisch verzerrte Information zu übersetzen und zu verarbeiten. Meine vier Jahre Studium im frängischen Würzbuich stehen mir hilfreich zur „Seidde“. „Wilde, eschde, also ich mein...Elefandde...eschd jetz. Ne ganze Herdee do. Aggressiv sind die. Könnd ihr euch ned vorstelle! Des geht echt ned. Mir sind do gerade nochamal so davongekomme. Is ja ned amal a Nationalparg hier. Die lebbe da einfach so! Nadur bur!“
Vier Köpfe im Hintergrund nicken bestimmt.

Acht Augen fügen fünf Ausrufezeichen nonverbal hinzu. Erich fährt in gelinder Panik fort: „Wir fohrn hier so in der Schluchd, die is do vielleichd so um die vierzisch Medder breit und do kommd die Elefanddekuh nur so rausg´schosse! Aus de Bäum! Wahnsinn, i sog´s Euch, ne! Do wor kei Weiderkomme möglich, echd jetz ned! Besser als im Deader!“. Spricht´s und wendet sich an Nummer Zwei in seinem Rücken: „Franzl, kannscht du mir mal a so a Bierle gebbe? Mann, du, des brauch ich jetze!“. Aus der Magic Box im Canopy-to-Camper-in-45-Sec erscheint in 35 Sekunden die gekühlte Braunglasflasche. Erich zischt das Windhoek Lager hinter und sieht kurz danach wieder etwas besser aus. Das Purpur weicht hellem Zinnober. Wir bedanken uns für den Warnhinweis, freuen uns aber insgeheim, doch noch die berühmten kleinen Wüstenelefanten zu sehen, die hier endemisch sind. Genau in dem Moment kommt Kati vom blauen Syncro-VW-Bus hinter uns angelaufen: „Geil. Sehen wir sie doch noch!?“. - Meine Meinung.

Uns bleibt sowieso nichts anderes übrig, als es zumindest durch die Schlucht zu versuchen - wir müssen nach Purros, vier Tage Wildnis haben gähnende Leere in unseren Sperrholz-Küchenschränken hinterlassen. Sollte das Flussbett tatsächlich durch die Elefantenherde versperrt sein, würde es uns weitere drei Stunden Umweg kosten und die schwierigere Flussdurchquerung auf der anderen Seite bedeuten.

„Was jetze?“, tönt von vorne rechts, Erich will´s wissen und schreit rüber: „Ihr fohrt da jetze nei, oder wie?“ - „Klar“ kommt von uns aus einem Mund in zwei Autos geschossen. „Wir versuchen es mal.“ Erich schüttelt verzweifelt die weisse Mähne, bald springt der Hirsch ab: -“Abber die Elefandde!“

Im Campground „Oppi Koppi“ in Kamanjab verbrachten wir acht erholsame Tage gratis in schönem Ambiente am glasklaren Pool und sammelten erneut bombige Adventure-Kräfte. Und neue Freunde. Ab sofort mit von der Partie sind Kati und Ferdi, zwei Rosenheimer in unserem Alter. Naja, ok. Ein bisschen jünger. Aber nur ein bisschen. Die beiden sind bereits durch Afrika gecruist, von Deutschland aus über Syrien nach Südafrika in 13 Monaten, Hund Kajus ist mit an VW-Syncro- Board. Humor exzellent, Wellenlänge auch, Verständnis Eins A, Sympathie pur. Das passt.

Wir beschließen am letzten lauen Campground-Abend über der würzig-zarten Giraffe mit Ketchup am Pool gemeinschaftlich, uns die nächsten drei Wochen Richtung Skeleton Coast vorzuarbeiten, 4x4-Tracks im Flussbett des Huanib-Rivers zu fahren und bis zur angolanischen Grenze nahe des Kunene Rivers zu ackern.

Und nun düsen wir im Weichsand mitten im mondänen Flussbett, den aufmerksamen Beifahrer-Seitenblick stur auf das hohe Schilfgras gerichtet. Es könnte ja ein „WÜSDE-ELEFAND herausschiesse“. Doch nicht seitlich, sondern „frondal“ steht er plötzlich vor uns im Staubloch. Marke wütender Jungbulle mit beeindruckender Drohgebärde dank vier Tonnen Lebendgewicht: und sehr lebendig wirkt auch der aufgestellte Steif-Rüssel, die flapsigen Ohren in Ventilatoren-Fächel-Stärke Maximum, der hektisch-rasche Schritt und die dichte Staubwolke hinter dem faltigen Grauarsch. Äußerst effizienter Einschüchterungs-Effekt.

Fuck, ist der schnell! Rasend im wahrsten Sinne des Wortes. In kurzen fünf Minuten stampft er um die buschige Ecke, schon ist die Steilschlucht halb durchkreuzt, dicke Beine hämmern massiv in den Boden. Hola, der Elefandearsch!

Das Flussbett ist schmal, der Sand buttrig-weich, das Auto wendig. Mit Turbo-Toyota-Power drehen wir Medaillenreif ab. Aus dem Stand. Es geht nicht anders. Elefanten-Blockade im erwachsenen Benjamin Blümchen-Alter. Hatte er schon Rechd, der rodde Erich. Überraschenderweise beschert uns der Alternativ-Weg eine märchenhafte Offroad-Strecke, wir cruisen im Rivercrossing-Traum mit spritzendem Wasser und adreanlinem Extra-Elefandde-Kick!

Bereits vier Tage sind wir wildcampend unterwegs, Start war im 5.500 km² großen Palmwag, einem ungezäunten Areal der Kunene-Region Nordwest-Namibias mit freilebenden Löwen, Elefanten, Giraffen, Affen, Oryx und Springböcken. Keine anderen Autos, keine Leute, kein Campingplatz, keine Polohemden, kein Nationalpark, kein Schützenverein.

Dank dem allabendlichen Lagerfeuer halten wir uns die Löwen gut vom touristischen Luxuskörper, zum Andrea-Glück gibt’s die Bord-eigene Port-a-Potti-Toilette ab 20.00 Uhr, denn bei Dunkelheit raus in den Busch kommt nicht in Frage. Wir lesen zu viele Raubtier-Spuren im weichen Sand. „Crouchen“, also das Hinknieen, den empfindlichen Rücken zeigen, flüsterte mir der Xhosa-Ranger im Addo, ist der Schlüsselreiz für Löwen zum Angriff. Schlecht so für Mädchen.

Die Landschaft in der großen Sauna ist abwechslungsreich, es gibt jeden Tag so gegen 12.00 und 14.00 Uhr einen Gratis-Aufguss mit Ocker-Aroma und wir können uns die schönsten Wildcampingplätze aussuchen. Nacht 1: weite Steppe mit grasenden Giraffen in der Ferne, Thema „Jenseits von Afrika“. Nacht 2: neben dem Flussbett unter dürren Bäumen, „Into the Wild“. Nacht 3: pure Einsamkeit, glutrote Felsen mit alkoholischem Sundowner á la „Wild Things“ (keine Details an dieser Stelle). Nacht 4: Sandwüste nähe Purros, wie in „Sahara“. Nacht 5: Zwischen zwei Himba-Dörfern mit Blick auf Schrofffelsen, Motto „Wüstenblume“.

Ach so, genau, wir sind ja im Himba-Land! Die mit roter Farbe eingesalbten Frauen im grenadine-glänzenden Dreadlock-Look, die sich nie waschen und für ihre Schönheit berühmt sind. Selbstverständlich gucken auch wir in ein Himba-Dorf. Und denken, einen guten Guide in Purros gefunden zu haben. Wenn´s schon kein Brot, kein Bier und kein Cola dort gibt, dann wenigstens einen Guide. Josef ist ein Sohn der Himba-Gemeinde vier Kilometer von hier, erklärt er uns und wenn wir wollen, zeigt er uns für ein paar Dollars sein Dorf. Gesagt, getan, Josef ins Auto gepackt und die halbe Stunde in der Wüste hingefahren.

Das kleine Dorf mit sechs Lehmhütten wird von zwei Meter hohen maroden Holzpaneelen eingegrenzt, drum herum öde Wüstenlandschaft, kein Baum, kein Fluss, kein Leben, heller Sand, graue Einförmigkeit. Wir treten ein und werden missmutig begrüßt. Die mit Ocker-Butter eingecremten Frauen sitzen auf dem Boden vor ihrer Hütte und stoßen gerade ihr Steinchen orangefarbener Erde mit dem Mörser klein, vermengen dies mit „Parfüm“-Kräutern und der Butter. Dann wird geschmiert, was der Ocker hergibt. Haare inklusive. Nie, niemals im Leben wird Wasser oder Seife die Körper der Frauen berühren – nur die Männer dürfen sich Überreste einer Strohmatratzennacht abwaschen. Geschlafen wird in runden Lehmhütten, gelebt davor, getroffen und gebetet am heiligen Feuer in der Mitte des Dorfes. Wir lernen Schälchen-flechtende Großkusine, Schwester und Oma von Josef kennen, leider können wir nicht mit ihnen kommunizieren, Himba ist für uns nicht verständlich, Englisch nicht für sie. Irgendwie kommen wir uns ziemlich blöd vor, so in ihrem Dorf herumzuwatscheln, und obwohl der große Bruder immer wieder beteuert, wie „Welcome“ wir sind, „now pictures“ zu „taken“ scheint es nicht richtig.

Ausser der Oma, die richtige Modelqualitäten an den Tag legt, macht es den Anderen keine Laune, uns in ihr Leben gucken zu lassen. So machen wir drei, vier Bildchen und stecken dann die Kameras wieder peinlich berührt weg. Wollen noch was Gutes für das Dorf tun und ein Bändchen, Schälchen oder Reifchen abkaufen, doch als der stolze Preis von 200 Namibian-Dollars (20 Euro) genannt wird, lehnen wir höflich aber bestimmt ab.

Dann doch lieber „Elefandde-Gugge"!

RICHTUNG MARIENFLUSS

Montag, 30.04.2012

PUSCHEL UND KANISTER

„Okuhaeve mangka davongo?! Zchugars?“. Gerade haben wir beim Red Drum eine Mittagspause eingelegt, nötiges Koffein zugeführt, sättigendes Schinkenbrötchen intus und drei pappsüß-saftige Birnen vor uns auf dem Falthocker liegen, als ein paar Himba-Frauen auf flauschigen Eseln antraben.

Die Wüste hat sie ausgespuckt, aus dem Nichts erscheinen sie hinter unseren Autos. Die Donkeys sind kreativ getrenst, Zahnriemen als Halfter, Stahlketten als Zügel in Kombi mit Plastikfolie als Sattel. Ganze sieben Menschen sitzen auf drei Tieren. Diese Himbas treten schönerweise im Gegensatz zu den gestrigen vom Dorfbesuch ziemlich selbstbewusst auf. Freundlich und doch offensiv versucht die Älteste mit uns ins Gespräch zu kommen. „Okuhaeve mangka davongo?! Zchugars?.......“ stößt sie zwischen vier gelblichen Spitzzähnen vehement hervor. Immer wieder derselbe Satz. Natürlich können wir sie nicht verstehen, versuchen aber dennoch zu kommunizieren. Da nimmt sie, die als Einzige keine rote Tonerde in den Haaren hat, ihr helles Kopftuch ab und reibt dünne Strähnen mit den Fingern. Mh, sieht irgendwei weißlich über dem Rabenschwarz aus...da bewegt sich was. Irgendwie wurmig. Sie verzieht das Gesicht und wir checken es: dringend gebraucht wird ein Anti-Läuse-Mittel. Haben wir leider nicht.

Da reitet die Zweite vor, ein wunderschönes Mädchen mit langen Gliedmaßen, geflochtenen Zöpfen und Ockerpaste auf dem gesamten Körper. Bekleidet ist sie nur mit einem dürftigen, gelben Lendenschurz, massiver metallisch schimmernder Rundkette über den wohlgeformten Brüsten, ein paar ledernen Armbändchen und silbernen Fußreifchen. Als ich so darauf gucke, lächelt sie mich spitzbübisch an und flüstert: „Aksat Flaknadte!“. Mh, ich kapiere es einfach nicht, doch dann kommt eine kurvige Hand-Gestik mit Beiß-Abschluss und mir wird klar: die Knöchelspange ist zum Schutz vor Schlangen!

Himba leben hier im Norden an der angolanischen Grenze noch wie vor Hunderten von Jahren. Das schwer zugängliche Gebiet inmitten purer Natur bietet weite Steppe, ein paar Berge, hin und wieder ein grüner Baum, viele verdorrte Äste, springende Oryx, Kühe und Wildenten, wir ackern durch Wellblech-Weichsand, Schrofffelsen und weites Savannenland. Während der letzten sechs Tage sind uns nur zwei Fahrgruppen begegnet, darunter der „frängische“ Schützenverein, ansonsten sehen wir einzelne teleskopische Himbadörfer abwechselnd zu beiden Seiten erscheinen. Nun befinden wir uns nach dem Marienfluss direkt an der Grenze zu Angola, nur der schmale Fluss Kunene trennt uns vom anderen Land. Die Hitze wird langsam unerträglich, 42 Grad zeigt das Thermometer, selbst der Fahrtwind ist heiß. Und dahin beamen sich die drei Himbafrauen mit ihren vier Kindern auf insgesamt drei Eseln.

Es ist lustig, denn das Staunen ist auf beiden Seiten. Die drei besprechen sich, giggeln, schauen neugierig auf uns. Dann kichern sie wieder ein wenig. Wir haben ein Minipublikum. Sie auch. Drei Kinder mit Iro-Schnitt sitzen mager hinter ihnen auf den zarten Eselchen, die eingeflochtenen Dreadlock-Puscheln der Mamis scheinen nur minimal Sicht-behindernd, auch wenn sie ihnen mitten in der Nase hängen. Zu beiden Maultier-Seiten baumeln große Leerkanister, offensichtlich geht’s zum Wasserloch. Doch irgendwas ist da noch im Busch. Immer wieder kommt ein chorales: „ Azchugar! Shuugars!“. Dann verstehen wir die Frage: Sugar! Ja klar, Zucker! Mann, ich bin die Erste, die DAS versteht! Klar, Mann, Zucker!

Es tut uns ausgesprochen leid, doch wir sind – nach sechs Fahrtagen ohne brauchbare Shops - nun am Rande unserer Lebensmittelvorräte, ein paar Konserven langweilen sich noch im Schrank, zwei Packungen Nudeln – doch der Zucker ist tatsächlich futsch. Sag´ ich ja: Zuckerjeeper verstehe ich total! Aber die Birnen liegen noch auf dem Tisch, wir verschenken sie und schon traben die Himbas fröhlich quasselnd mit den neuen Schätzen in der Hand davon. Es wird auch in den nächsten Tagen keine Shops mehr geben, um ehrlich zu sein: weder Shops, noch Tankstellen, noch irgendwas. Wir sind im absoluten Niemandsland.

Auf den abends abgeschickten, nicht so supergenauen GPS-Punkt kurz vor der angolanischen Grenze kommt folgende alarmierte Nachricht meines Vaters: „Was macht ihr in Angola? Haben Sie euch entführt?“. - Sorry, Papa...wir haben es erst vier Tage später gelesen...

ORUPEMBE

Dienstag, 01.04.2012

NO. NOTHING. ODER DOCH??
OOOHHMM-ZEFIX

Hah! „Hau die Bremse rein, Schatz!“. „Hast auch das Schild gesehen?“. „Jahaaa!“, juchze ich!

Klein, aber deutlich stand da in blauer Farbe in tanzenden Kapitälchen:„100 Meters: Beer & Basics“. Vorfreude ist die schönste Freude! Wir brauchen Nahrung, Zucker, Flüssigkeiten oder eine brandneue verbindende Mischung der Beiden. Nach Tagen voll staubiger Wüste und gleissender Sonne, angereichert mit vierhundert bockigen Oryx, sechs krakeligen Giraffen, dreiundzwanzig verlehmten Himbahütten und fünfzig rotnackigen Frauen vor brennenden Feuern leuchtet uns der Bier&Basics-Schriftzug verheißungsvoll erlösend entgegen!

Wir parken vor dem Laden und aus dem nebenstehenden Doppel-Trocken-Iglu trippelt uns eine klitzekleine orangerote Himbafrau auf Minifüsschen mit wedelndem Kuhhüftschurz entgegen. Vor uns wuselt sie in das 5x5Meter große Geschäft hinein. Wir hinterher. „Hello! How are you?“, nach Anfangshöflichkeiten ohne Antwort stoßen wir unsere dringendste erste Frage hervor: „Do you have bread?“, Toast ist ausgegangen. Eine lange Pause folgt, ich denke schon, sie versteht uns nicht, da kommt nach einer ewigen Minute ein langgezogenes gelangweiltes: „No bread. Nothing.“, anschließend herrscht stoische Ruhe im Laden. Himbafrau schaut uns aus runden Kohle-Augen an, schweigt und verharrt in Wartestellung. Ausdauernd. - Unser nächster irrer Wunsch: „Do you have Sugar?“ Orange Kleinfrau zieht die Brauen hoch: „No sugar. Nothing.“ Ok, dann vielleicht: „Coca Cola?“. - „No Cola. Nothing.“. Blickkontaktverweigerung, gefolgt von Schweigen. Laaanges Ebensolches. Komatöses in die Ecke-Starren. Quasi minutenlange Ruhe. Ein Esel krächzt. Ein Baby schreit. Ich höre ihr Hüttenfeuer 20 Gehmeter entfernt knacken. Sie starrt uns an.

Ist sie ausgestopft? Am abnippeln? Geistig nicht auf der Höhe? Will sie uns nichts geben? Hat sie nichts? Eine seltene Kombination von Allem? Besteht eine flüssige oder pudrige Alternative zu GAR NICHTS? Ist da eine Lücke im System? Gibt’s...mh...vielleicht: „Fanta? - Sparkling Water? - Just Water?“.

Himbafrau schüttelt dreimal den Kopf. Doch nicht ausgestopft. Ich lasse mich nicht beirren: „Any Bread? Other Bread? Cake? Toast?“ hierbei lasse ich nochmal den Zuckewunsch einfließen „Sugar? Donuts? Something to drink? - ANYTHING?“ - Oranges Mädchen mit Minifüßen antwortet unter Schichten von Zynismus: „No. Nothing“.

-Verdammt, war der Schützenverein schon hier, oder was?

Nein, wir geben nicht auf...es muss doch irgendwas geben...ist doch herrgottnochmal ein „Shop“! Steht zumindest auf dem funkigen Schild über der Tür, auch wenn der Schriftzug Coca Cola an der Hausfassade ganz schön daneben ging. Beim letzten „a“ war doch überraschenderweise plötzlich die Wand aus. Aber, „no worries“, zum Glück ist darunter ja noch Platz. Aber, zurück zum Thema. Einkaufen. Gibt’s vielleicht...mhhhh...ein „Beer??“.

Volltreffer! Ich erkenne es nicht an den sprühenden Augen, dem hinreissenden Salesman-Lächeln im Gesicht, einem frohen Jauchzen, sondern am raffinierten ich-mach-träge-die-Kühltruhe-auf-und-einen-Köpfler-rein-wenn´s-denn-sein-muss-Move. - „Yes. I have.“ kommt als knappe Antwort aus der rauchenden Truhe, noch vor Erscheinen des mittelbraunen Kopfes. Dann folgt die bekannte Stille. Subtiles Duell zwischen Tresen und Shoptür.

Habe ich irgendwas falsch gemacht? Hat sie gerade Stress mit dem Mann? Mit dem Kind? Mit der Schwiegermama? Ist ein bewaffneter Gangster unter dem Tresen? Habe ich zu viel Kino geguckt? Kann sie mich nicht leiden? Mag sie nur schwarze Kundschaft? Habe ich zu hohe Erwartungen? Bin ich unterzuckert? Was ist hier los? - Fragen über Fragen.

Nach der Anstands-Warte-Minute, in der doch so viel in meinem Hirn passiert, ergänze ich ein: „Which beer do you have?“. Da schaut sie mich apathisch an und sagt mit nach unten geneigten Mundwinkeln: „Which you want?“.

Volle Verarsche hier. Kann ich um´s Verrecken nicht leiden. Aber gut, nochmal von vorne: „Do you have Windhoek Lager?“, das meistverkaufte Bier hierzulande. Sie macht die Drehung, aus dem Stand in den Freezer, öffnet umständlich die uralt Tiefkühltruhe Marke Siemens ein erneutes Mal, steckt freudig wie ein Opal den Kopf hinein und kommt hochrot glänzend wieder hoch. Zum Vierten: „No. Nothing.“. Sagt´s und schüttelt sich so, dass die Zöpfe fliegen.

Ich spüre eine Welle absolut heftiger Gefühlswallungen im Negativbereich aufschwappen, doch ich lenke mich ausgefuchst ab. Statt ihr hier den Depp zu machen, schaue ich mich im Shop um und entdecke unglaublicherweise zwar Haarverlängerungen, schwarze Glattperücken und Staubwedel, doch kein Gemüse, Obst oder Brot – von Zucker ganz zu schweigen. Vor uns die brusthohe, rot gestrichene Theke mit reichlich Sand auf der Oberfläche, dahinter die rotgecremte Humor versprühende Kleinfrau, links neben ihr die beige-graue Tiefkühltruhe, an den ziegelroten Seiten die Haarteile, darunter hängt am langen Nagel ein in verstaubtes Plastik gewickelter Staubwedel, den man selber mal staubwedeln sollte.

Mein Blick schweift geruhsame zwei Meter vor zur Rückwand, dort entdecke ich marode Holzplatten, auf denen sich ein paar rostige Konserven langweilen: vier Thunfischdosen, sechs aufgestapelte Seifenstücke, eine offene Packung Knorr Gemüsebrühe, Zahnpasta, aber keine Zahnbürsten, Wieners in Gläsern, Maismehl und natürlich einzeln verkaufbare Zigaretten. Tatsächlich kein Brot. Kein Cola. Kein Keks. Zu meiner Rechten hängt ein dekoratives und Vertrauen-einflössendes A2-Plakat mit Pistolen-Pictogramm und roter Unterschrift: „Don´t shoot. - TALK!“, gefolgt von vier mit Kreide an der Wand hinzugekritzelten Ausrufezeichen. Ansonsten ist der Laden leer.

Genau wie ihre Augen. Aus dem nichtssagenden Mund kommt das fünfte „No. Nothing.“, und damit ist die Frage nach dem Savannah-Bier nun auch beantwortet. Schön ruhig bleiben. Und eins, und zwei und WO-VERDAMMT-NOCHMAL-SIND-DIE-VERFICKTEN-SCHAFE-ZUM-ZÄHLEN?? Ooooommm- ZEFIX!

Aber da entdecke ich die hohe Kraft der Zen-artigen-Geduld mit anschließendem Geistesblitz in mir aufkeimen und versuche es erneut engelszungengleich: „Which beer do you have, then?“. Das freundliche Grinsen meinerseits is over. Ich ausdruckslos. Sie auch. Eventuell gehen ihre Emotionen schon in Richtung gepisst. Eine Frage steht zwischen uns.

In die Stille hinein raunt sie: „Some“. Ein paar. Also doch! Miststück!

Na gut, was gibt’s denn da noch für Bier in Namibia? Denk nach, jetzt! DENK NACH! Ooohm-zefix! Bin ich hier in „Verstehen Sie Spaß“, oder was? Emil, Paola, raus jetzt aus der Ecke! Also gut, das wäre ihr Preis gewesen..BING...hah! Hab´s! Wie wär´s mit – Bingbingbing! – „Black Label??“.

Da erhellt sich ihre Miene, zur Sicherheit taucht sie aber nochmal ab in die Truhe. Als sie wieder erscheint, lollt sie von einem Zahn zum anderen: „Yes. I have.“ Stille. STILLE!! Das darf nicht wahr sein, ich wende mich ab, ist die jetzt debil oder verarscht sie uns nur fett? Wie wär´s mit: „Six Black Label. Six beer, then. Please.“

Da schüttelt sie sich und bringt ein „No. No have“ hervor. Ok. Ich atme schwer. - „How many do you have?“ - und das Spiel geht von vorne los. „Some.“. Ich verlasse den Laden.

Ferdi übernimmt: „You have some. Some, but not six. - ?“ - Himbafrau: „Yes.“ Irgendwann dann legt sie dann doch der Einfachheit halber all ihren Vorrat an Black Label auf den Tresen, das war dann auch der komplette Inhalt der Kühltruhe und wir sehen - fünf Stück.

Ooooohmmm - „We take all!“- Zefix.
Großes Sorry hierbei an den Hardcore-Schützenverein.

OPUWO

Donnerstag, 03.05.2012

Hardcore-Attacke
& Savanna-Salmonella

„Miss...Miss...“, da ruckelt´s an meinem Rockzipfel und ich blicke in die rotgeräderten gelb-verklebten Augen eines Vierjährigen. „Miss...Miss...you buy me bread?“ brökelt es mit leiser Stimme aus dem dünnen Mündchen. - Oh, Gott, was soll ich sagen? Mein Herz sinkt hin, ich unterdrücke den Reflex meiner Augen, sofort Wasser auszuschütten und gucke das schwarze Kleinkind an. „Miss...Miss..please“, rinnt klagend aus dem Kleinen, mein Herz bleibt stehen.

Nach einer Rumpel-Odyssee im Himbaland, zwei verlorenen Zahnfüllungen ob der Drecks-Wellblech-Pisten und dahinschwindendem Nervenkostüm haben wir es doch nun endlich in eine Stadt geschafft, in der es sage-und-schreibe einen Supermarkt mit Lebensmitteln gibt.

Würde man die Vor-Ort-Supermarkt-statistische Wie-ernähre-ich-mich-richtig-Pyramide zur Beschreibung nutzen, würde ich mal sagen: auf breiter Ebene unten die Konservenriege groß vertreten, gleich danach kommt das Cola-Regal und ganz oben auf minimal zu vernachlässigenden drei Prozent gibt’s Gemüse. Da krabbeln zwar munter Fühler-schwingende Kakerlaken drauf rum, aber macht ja nix. Soweit zur Abstumpfungs-Theorie.

Bald ist das Shopping-Körbchen prall mit Blech gefüllt und ich stehe nach 30 Orientierungsminuten neben zwei halbnackten mit erstaunlichen Brüsten gesegneten Himbafrauen im angesagten Kuhfell-Outfit vor der Kühltheke. Die auf den orangeroten Armen klammernden Babies bilden mit den sonnenuntergangs-roten Brüsten ein formvollendetes U und nuckeln fröhlich an ihrer persönlichen Warm-Cola.

Kaum packe ich die Wellfit-Kunstkäse-Scheibletten nach dem lebensnotwendigen Zucker in den Korb, mal nix Blechiges, ruckelt der Kleine an mir. Hingebungsvoll füllen sich seine verkrusteten Augen nun mit Tränen und er seufzt: „I´m hungry.“ - Ach, du Scheisse! Mein gesamter Körper bebt vor Mitleid, doch als ich den Blick nach hinten rechts neben die Kakerlaken des Gemüseregals schweifen lasse, sehe ich vier weitere Kinder vor einer massiven Mama stehen, die das Halbbaby anfeuern, offensiver weiterzubetteln. Wie auf Knopfdruck fängt er da an, sich zu schütteln, Wasser kullert ihm ungehindert über das Gesicht und ich bin sprachlos. Ist das jetzt die Megashow?

Ich reisse mich zusammen, versuche stark zu sein, um mich herum stehen mittlerweile acht kleine Kinder, die alle was von der Mzunga-Frau zu essen haben wollen. Da betritt Madame Mega-Unverschämt die Supermarkt-Bühne, eine Himba mittleren Alters mit Quarktaschen-förmigen Brüsten, schiebt die Kleinen zur Seite und bellt mich laut-rauchig an: „Give me money!“ - Hallo? Hakt´s jetzt oder was? In einer ersten Übersprungshandlung möchte ich sie ankeifen, „bin ich denn ein ATM auf zwei Beinen?“, kann mich dann aber dennoch zurückhalten und umklammere unauffällig mein Portemonnaie in der Tasche.

Die komplette Supermarkt-Tour geht so vonstatten, doch ich war noch nicht auf den Außen befindlichen Menschenauflauf vorbereitet. Rund um unser Auto und den verzweifelten Georg hinter Toyota-Glas hat sich eine dunkle Traube gebildet, die synchron die Hand aufhält.

Als ich meine konservierten Hauptlebensmittel zum Auto trage, reißt mir ein humpelnder Mann im Muscle-Shirt ohne Muscles mit Pauschal-Lagerbier-Fahne eine Tüte aus der Hand: „I´m so poor. Nothing to eat. Give me something. I have eight children and nothing to eat.“ weht es mir alkohollastig entgegen. Der Mundwind macht mich fast besoffen und meine Mitleidsbereitschaft tendiert gegen Null, ausserdem ist das Stresslevel nach gefühlten 324 Anbettelversuchen in 45 Minuten extrem erhöht.

Ich blättere mein Gehirn nach Problemlösungsstrategien durch, bleibe auf Seite 20 stehen, doch die Seite ist leer. Verdammt. Fokus verloren. - Doch der Alki erinnert mich sofort ans Thema: „Miss! Three sisters and eight children I have! Nothing to eat!“ krächzt er mit glasigen Augen. Nun also auch noch drei Schwestern mehr. Meine Antwort-Blockade ist aufgehoben und ich frage ihn: „Then why do you have eight children?“ - da quarkt es aus dem Möchtegern-Gigolo-Lippen unter den verrotteten Zähnen: „Because it´s so much fun here...“ und macht die Fick-Geste mit eindeutigen Becken-Kreisbewegungen.

Also, mir reicht´s jetzt, ich flüstere ihm: „All I have for you is God´s Blessing“, er stößt ein irritiertes „Äh, thank you" hervor, ich reisse die Autotür auf, schmeisse die Tüten klirrend ins Auto und wir verlassen den Parkplatz mit quietschenden Reifen.

Und weil wir jetzt dermaßen durch sind, entscheiden wir uns für drei Luxus-Nächte im Hotel Opuwo Country Lodge auf dem Berg vor uns. Oben angekommen reduziert sich mein Stresslevel adhoc auf Minus Zwei beim Bildaufbau einer szenigen Lodge: Reetgedecktes Hausdach, weiß betuchte Sitzgruppen und ein sonnenverwöhnter Überlauf-Pool mit Blick über rauchige Bergketten in Endlos-Panorama. Stylish! Puh, nochmal so knapp dem professionellen Therapeuten von der Couch gesprungen!

Der angefügte Campingplatz der Hyper-Anlage soll nur neun Euro pro Person kosten, erklärt uns liebenswürdig die Perlweiss-Lächelnde Rezeptionistin im Rihanna-Look, die locker einem ELLE-Cover entspringen könnte und so mieten wir uns gleich für zwei Nächte ein. Die gesamte Belegschaft ist guter Laune, versprüht ein paar Witzchen und erklärt uns in perfektem Oxford-English den Weg zum Camp. Abends wird nach zwei Cocktails am Pool auf dem heimischen Grill die Büffet-Platte Dörrewurst knackbraun erscheinen und wir unser Sixpack Savanna Dry mehr als gurgeln.

Es wird mal wieder später und in mitternachstschwarzer Idylle erwache ich taubstumm und einseitig gelähmt zum elendigen Leben. Ich muss mal raus. Schnell! Ich zittere und friere bei 26 Grad. Scheisse, geht’s mir schlecht, was ist denn nur los? Verdammt, schon wieder eine Salmonellen-Vergiftung zugezogen! Ich wecke Georg: „Schatz...mir geht’s so schlecht!“ - Ein murmelndes äußerst hilfsbereites „Echt?!“ blubbert aus des Schatzis Mund, gefolgt von vehement zur Schau gestellter Im-Bett-Umdrehaktion. Na toll, da hat man Salmonellen und bekommt noch nicht mal anständiges Mitleid! Frechheit. „Du, ich glaub, ich hab Salmonellen!“, es folgt ein – immerhin – recht mitfühlendes „Moiii, du Arme“, dann zieht sich Schatzi die Decke über den Kopf.

Derweil überkommt mich so ein Gefühl, ich wanke erneut Richtung Waschraum. Ich arme Sau! Krieche wieder ins Bett. Schwitze und schwanke und zittere...Gott geht’s mir schlecht!

Irgendwann erscheint die Sonne, ein neuer Tag ist angebrochen. Was hab ich ein Glück! Überlebt!

Die komische Bauch-Vergiftung mit einhergehenden stechendem Kopfschmerz scheint sich langsam zu legen. Blitz vor meinem übernächtigten Auge! Boah, hell! Hell ist das! Meine Birne dreht sich rumpsend im Kreis, das Eckige in das Runde, und doch ist der Gedankenschluss unübersehbar, wenn auch körperlich im Halbkoma spuckt mein Hirn medizinische Fachausdrücke aus, eindeutige Diagnose: Savanna-Salmonella!

Nun kauere ich in praller Mittagssonne im unbequemen Campingstuhl und wimmere lautlos vor mich hin. Verdammt nochmal, manchmal ist so eine After-Kater-Couch aber auch unersetzlich!

-Wie, ihr geht zum Pool, jetzt?

CUNENE RIVER 4X4-TRAIL

Montag, 07.05.2012

SUPERSPAR-CHRIS

Simultan kippen wir uns einen hinter die Binde, ja, schon wieder, doch diesmal mit Vorsatz. Und aus gutem Grund. Mit schockgefrostetem Lächeln, kommunem Kopfschütteln mit Halswirbeltrauma-Gefahr und einem handgeschriebenen Zettel in den Fingern sitzen wir zu sechst am Frühstückstisch und können nicht fassen, was passiert ist.

Die filmreife Story beginnt irgendwo so ungefähr am „Superspar“ Supermarkt in Opowo. Dort nämlich picken wir Chris auf. In zerfledderten Karo-Shorts und beflecktem T-Shirt mit Buntdruck. Nicht, dass ich was gegen zerfledderte Karo-Pants hätte, die können auch schon mal ziemlich stylish aussehen. Nicht so bei Chris.

Beim gestrigen Einkauf latscht von Fern der halbblonde Backpacker umringt von schwarzen Kindern heran, gesellt sich zu unserem Auto, baut sich trotz Kajus´ beeindruckendem Mega-Verpiss-Dich-Gebell davor auf, stellt den Rucksack ab und sich vor. Dicke Wulstlippen, ausgehöhlte Wangen, drei-Wochen-Bart im braunen Gesicht, Must-Have Ray Ban Wayfarer auf der Knubbelnase. Optisch eine Mischung aus Stefan Raab und dem kleinen Lustigen aus der Sat1-Wochenshow. Nur ohne Lustig. Zumindest im Moment. Es entkommt ihm ein ziemlich ernstes, aber dafür sanft mit heruntergezogenen Mundwinkeln hingehauchtes: „Hi, ich bin der Chris. Schön, Euch zu treffen. Seid ihr aus Deutschland?“. Steht zwar auf dem Auto drauf, aber vielleicht bin ich ja nur Supermarkt-gereizt, so sage ich ein kurzes überschwengliches "Ja, schon“. Nach knappem unverfänglichem Was-machst-du-so und Wer-seid-Ihr frägt er uns: „Fahrt ihr eigentlich zufällig zu den Epupa-Falls? Da will ich nämlich hin.“

Irgendwie hab ich so gar keine Lust auf ihn, weiss auch grad nicht warum, vielleicht weil er so negativ rüberkommt. Es gibt so manche Menschen, die saugen einem direkt die Fröhlichkeit unter den Nägeln weg, meine kleinen Haare im Nacken stellen sich auf, und es ist weder kalt noch gefährlich. Doch der Engel in mir überzeugt mich davon, nicht brutal abweisend zu sein, vielleicht hatte er heute einfach einen Scheiß-Tag und kann nichts dafür, da fällt mir ein spontanes, aber absolut wahres: „Heute Nacht bleiben wir in der Lodge“ ein. „Und morgen?“. „Naja, der Weg für morgen steht noch nicht fest. Wir werden sehen. Wir sind ja zu Viert unterwegs, da müssen wir noch drüber reden.“ „Ja könnte ich denn dann mit. Ich mein, zu den Epupa Falls?“ -“Du meinst, wenn wir dahin fahren würden?“ „Ja, klar.“ „Hast du denn ein Zelt?“, hake ich nach „ich glaub´, in Epupa gibt´s kein Hostel“. „Ja, nee. Hast Recht. Müsst ich mir eins kaufen. Hab ich mir eh schon überlegt. Ist dann ja auch viel billiger, umsonst irgendwo wild zu campen. Auch auf Dauer so“.

Da der Masterplan für Morgen tatsächlich noch nicht steht, verabschieden wir uns, düsen hoch in unsere Eins A- Camping-Lodge und frönen den Nachmittag zelebrierend planschend im Schatten am Pool vor kühlem Savanna. Wir vergessen Chris, sehen dafür die liebliche Lore und den witzigen Braam aus Kapstadt wieder, ein sympathisches Pärchen aus Belgien, und genießen zu sechst lachend den warmen Abend.

Am nächsten Tag steht der kleine halbglatzige Chris-Stefan-Unlustig an exakt derselben Stelle am exakt gleichen Supermarkt an der exakt genauso-roten Ampel und sieht wieder traurig aus. Eigentlich depressiv schon fast. So aus der Ferne. Georg und ich biegen ab zur Tanke, um die 300 Liter Diesel werden spritzend aufgefrischt, Kati und Ferdi müssen noch Lebensmittel im Superspar aufstocken. Fünf harte Offroad-Tage im Nichts stehen auf dem Wunschzettel, ja, es geht tatsächlich zu den Epupa Falls, wenn schon alle darüber sprechen. Geiler Mitschnitt am Tisch nebenan in der Lodge vom Ilona Christensen Look-Alike: „Wir sind ja der Meinung, gell, Herbi, also wir sind ja der Meinung, so manche Naturwunder sind einfach zu groß, um die zu erfassen. Also das war bei den Epupa-Falls nicht so...“. OK. Egal, wir wollen hin, die Strecke soll abenteuerlich und technisch herausfordernd sein, laut Reiseführer „rough 4x4 Trail, only experienced drivers.“. Das ist was für uns!

Als der blaue Synchro mit Ferdi am Steuer zur Petrol-Station einrast, schnellt die Schiebetüre blitzend auf – und es erscheint neben Hund Kajus... Backpacker-Chris! „Ja, Hi nochmal! - Schön, dass es jetzt doch noch klappt!“

Ich ziehe Kati fragend zur Seite. „Ja, der stand halt noch genau am selben Fleck wie gestern. Und als wir aus dem Superspar rauskommen, saß der vorm Auto. Was sollten wir da tun?“

Schnurstracks laufe ich zum halbblonden Chris mit den dicken Lippen, der es sich schon mal auf dem VW-Bus-Sofa bequem gemacht hat und frage ihn nach dem Zelt. Hat er. „100 Namibian Dollar (10Euro), gestern noch beim PEP gekauft“. Nach dem Schlafsack. „Beim Hostel ausgeliehen“. Nach dem Plan. „Epupa Falls“. Er umklammert den Rucksack. Danach? „Weiss noch nicht.“ Er zappelt ein bisschen nervös. Lebensmittel? Hat er. Als Körpersprach-Experte muss ich ein klares: „Na, ich weiß nicht“ diagnostizieren, will ihm aber eine Chance geben. Die gute Tat für heute.

Zu den Wasserfällen sind es knappe drei Offroad-Stunden, große Touristenattraktion, viele neue Hitch-Hiking-Möglichkeiten dort für Chris. Kommt er eben mit, tun wir was für´s Karma. Punkte sammeln. Kann nicht schaden. Ist ja nur ein Tag. Zur Gemütsberuhigung werfe ich ein paar Zuckerschnittchen ein.

Nach lockerflockigen klitzekleinen 300 Minuten erreichen wir unter den Bässen der Foo Fighters wippend die Mini-Wasserfälle, genießen das Palmen gesäumte Flussbett, sichten einen Waran, watscheln vor zum Strom, schießen ein paar Fotos fürs Album und fahren in den gut besuchten Campingplatz á la 1001 Nacht. Lore und Braam sind schon da und haben gleich die pure Horror-Story auf Lager: Braam hat´s erwischt! Spitting Cobra-Attacke! Die pechschwarze Schlange mit äußerst giftigem Serum speit vor dem eigentlichen Biss mit 100%iger Sicherheit in die Pupillen des Gegners. Das kann fatale Folgen haben, wie uns sämtliche blinde Hunde der Gegend augenscheinlich demonstrieren.

Folgendes ist passiert: Braam schlingt sich sein Microfaser-Handtuch um die schlanken Hüften und tritt ein in die herrliche Nasszelle des Camps. Zack! Hat sie ihn. Saß am Boden zur Wand, pfatsch, pfeilgerade in die Augen. Braam bleibt cool, er ist Snake-Expert, wackelt unter rasenden Stechschmerzen und erscheinenden schwarzen Flecken vor Augen zurück zum Auto. „Milch! Gib mir Milch“, schreit er Lore zu. „Wir haben doch erst gefrühstückt!“ - „Nein! Für die Augen!“. Er kippt den weissen Sahnesaft über die Glubscher und spült und wartet. Brennt. Sticht. Juckt. Feuerrot. Die schwarzen Flocken werden größer, dann wird’s unscharf, dann ganz schwarz. Scheiße. Voll erwischt. Ich persönlich wäre an diesem Punkt reif für die persönliche Psycho-Show, doch Braam bleibt gelassen. „Erst mal schlafen. Ruhig bleiben. Keinen Puls anfeuern.“. So verklickert er das auch Frau Lore und knickt weg. Am nächsten Tag erwacht er zwar mit geschwollenen Lidern, aber mit wiedergefundem Augenlicht! Erlösung! Das war knapp!

Ach so. So ist das also. Einfach mal ruhig bleiben und schlafen gehen, wenn die Kobra spuckt. Alles klar. Ich bin geschockt und muss ziemlich dämlich aussehen, so mit offenem Mund. Danach ist Lore dran und unter Beigabe von spritzigem Humor erfahren wir, dass ihr einziger „fancy“ BH in der Wäscherei gestohlen wurde. In diesem Moment entscheiden wir, sie sollen mit uns kommen...die scheinen da eine schlechte Phase zu durchlaufen, der Landy wäre ja nun als Dritter im Bunde dran...vielleicht kann vehikulöses Unglück dank Dr. Georg´s Werkzeugkoffer abgewiesen werden. „Wer ist denn das?“ frägt sie mit einem verwunderten Seitenblick auf unseren blonden Hitchhiker. - „Ach so, ja, das ist der Chris. Wir haben ihn in Opuwo aufgegabelt. Der wollte hierher trampen.“

Chris hat es sich derweil auf einem Baumstamm bequem gemacht, fummelt an seiner Karo-Pants, macht aber überraschenderweise keinerlei Anstalten, nun sein Päckchen „Back“ aus dem Auto zu nehmen. Da sage ich „Ja, Chris, nun sind wir ja da!“. Chris zeigt stolz seine Stefan Raab-Zähne: „Ja, schön hier, ne?!“.

Weiss auch nicht, aber ich finde ihn irgendwie komisch. Die Unterhaltung mit den Overlander-Belgiern geht weiter, der Treffpunkt morgen früh steht, VW-Toyota-Crew praktiziert Buschcamping, Landrover-Team verbringt eine Sicherheitsnacht auf dem Campingplatz. Braams Augen zuliebe.

Chris sitzt immer noch auf dem Ast und guckt. Nein, irgendwie blökt er. Aber vielleicht bin ich zu sensitiv. Ich schiebe ein Bonbon nach. Er setzt die Ray Ban auf die Nase. „Also gut“, das war Ferdi „dann packen wir es wieder, lasst uns mal weiterfahren und einen schönen Nachtplatz finden“, und zu Lore und Braam gewandt „wir sehen uns morgen früh“.

Wayfarer-Chris steht auf, zupft am T-Shirt, guckt. Wir auch. Eigentlich warten wir. Doch Karohose sagt nichts. Wir gehen zum Auto. Hoecker-Chris folgt. Der süße Ferdi zum zerknitterten Chris: „Was ist denn jetzt eigentlich mit dir?“ „Ja, ich weiss nicht so. Was macht ihr?“ - „Hast ja mitgekriegt, Buschcamping, wir fahren weiter. Wir sind ab morgen dann mindestens vier Tage auf der Offroad-Strecke unterwegs, ich weiß jetzt nicht, ob das so gut ist für dich. Und hier sind ja viele Touris, da könntest du vielleicht nochmal einen Ride bekommen.“ Chris setzt an: „Ja, also, da hab ich ja jetzt gar keine andere Möglichkeit...“ - wir atmen auf und Chris vollendet den Satz „...als, mit Euch mitzukommen!“.

Irritiert blicken wir uns im Halbkreis in die verwunderten Augen, die ganze Bandbreite an hinweisenden Fragen prasseln auf Hitchhiker-Chris ein: „Hast du überhaupt Essen für so lange Zeit?“ „Und Wasser?“ - „Weißt Du, wir vier haben uns ja abgesprochen, mit dem Essen“ - „und dem Wasser.“ Chris: „Ooch, ich bin da nicht so anspruchsvoll“. - Oha. „Es sind fünf lange Tage. Wenn was passiert, hängen wir noch länger fest, und du müsstest auch immer im Zelt schlafen. Und wir wissen nicht, ob das Wasser für uns alle dann reicht. Also ich glaub, das ist nicht so die gute Idee.“

Chris-kriegen-wir-nimmer-los meint pikant: „Ach so, ja. Na dann...wenn ihr mich noch schnell zu dem Supermarkt da oben fahrt??“

Uns fehlen die Worte, und doch spricht Eine: „Willste nicht mal hier fragen, ob Dich einer wieder zurück nach Opuwo nimmt?“. Der-bleibt-uns-für-immer-Chris: „Ne, ne, ich wollt ja auch noch weiter dann. Was mach´ ich denn jetzt hier? Ne, ne, ich fahr echt gern mit Euch mit, ich hab ja jetzt auch gar keine andere Möglichkeit, ne?!“

Ääääh, ja.

Aus absolutem Total-Gefrier-Schock heraus und relativ unfähig weiter zu argumentieren, fahren wir ihn zum letzten Beer&Basics-Supermarkt für die nächsten fünf Tage. Ray-Ban-Chris weiss das.

Als er herauswackelt baumelt eine klitzekleinen Tüte vor der Karo-Hose. Mega-Vorbereitung: eine Packung Spaghetti und zwei Dosen Tomaten sind drin. „So, ich hab´s dann.“ Kati: „Meinst, das reicht dir jetzt für die nächsten vier Tage?“. Chris: „Jo, das geht schon...Nur, das Wasser war da jetzt so teuer, könnt ihr mich nochmal zurück zum Camping Platz fahren, da füll ich dann mal eine Flasche auf. - Habt ihr grad mal Eine?“.

Ja, ja, ich weiß...spätestens da hätte es bei uns allen Tinnitus schießend Alarm klingeln sollen, im roten Bereich, doch, was soll ich sagen... wir sind zu gutmütig? Wir konnten nicht Nein sagen? Wir fühlten uns verantwortlich? Hierher geht kein Bus? Wir wollten nicht das Arschloch in uns raushängen lassen? Haben uns verschätzt? Wollten ihm eine Chance geben? Hatten ein Gewissensproblem? Chris tat uns (noch) leid?

Ein bisschen was von allem. Befürchte ich.

Schweigend suchen wir einen Nachtplatz und werden bald fündig, ein idyllisches Sandbett mit Blick auf den Fluss soll es sein, hier, schön eingerahmt von meterhohen, raschelnden Palmen wird unser natürliches Nachtgemach sein.

Wir packen aus, Handtuch raus, Bierchen geöffnet, Hund Kajus aus dem Auto, gemütliche Runde. Chris baut sein blau-rotes PEP-Zelt auf. Leichtes Fluchen von hinten, doch irgendwann steht´s. Er auch. Bei uns. Setzt sich. Sagt ein dreist-offensives „Prost“, ohne Bier. Da bellt Kajus anständiger. Also gut, wir haben´s verstanden, wir sind ja sensibel. Kati frägt „Willst ein Bier?“ - „Och, ja, würd ich schon nehmen, ein Kühles vielleicht?“ folgt dem „das ist aber schön hier. Hatte ich noch nie, so wildcampen“. Hoppala. Und dann packt Chris Superspar nach ein paar geschnorrten Dosen Lager Hell so richtig aus und ein Gefühl Namens Skepsis erwischt uns kalt von hinten in den Nacken:

„Bla, bla, bla...reise um die Welt...will so drei Jahre insgesamt...versuche völlig für umsonst...bla bla bla...hab gerade erst angefangen...war drei Wochen Couchsurfing bei ´nem ultranetten Typen in Kapstadt, super Frühstück da...danach in Port Elisabeth, vier Wochen völlig ohne Kohle...die Garden Route war klasse, die Leute hatten super Essen...bla bla bla...hab vorher umsonst bei meinem Kumpel gewohnt...manche Leute haben´s einfach... meine Freundin hat mich verlassen...bin gekündigt worden...bla bla bla...da bin ich auf die Idee gekommen...Zeit hab ich ja jetzt...aber kein Geld...also schon, aber muss sparen, soll ja noch ne Weile gehen, das Reisen...drum nehm ich auch keinen Bus, kostet ja alles was...bla bla...will ja noch nach Indien und so.“

„I got a feeling...whuuu huuuhh“ wummert´s in meinem Hirn auf Maximum. Alter Schwede. Das ging schnell! Totale Offenbarung. Ohne Schamgefühl. Der verbale Brechdurchfall will nicht enden und mit jedem neuen Satz zucke ich zusammen, als hätte ich in die 200 Volt-Steckdose gelangt. Ich linse zu Georg, dann zu Ferdi, dann zu Kati. Die zuckt mit den Schultern. Nicht so enthusiastisch jetzt. Kajus bellt dafür. Für mich ist es genug jetzt, was für ein Schnorrer-Gesabbel, ich verschwinde ins Auto. Karamellen schlucken. Salat schnippeln. Kartoffeln, Spiegelei und Salat.

„Hallooo?“, tönt es von aussen. Chris.

„Ja??“ antworte ich zögerlich, ich wollte ja meine Ruhe. Von ihm. Ich meine, drum sitze ich immerhin bei schwülen 33 Grad Aussentemperatur im heissen Auto und gehe meiner Lieblingsbeschäftigung, dem Gemüse-Zerkleinern nach. Die Türe öffnet sich ohne Genehmigung von schnoddriger Geisterhand: „Kann ich mal kurz reinkommen?“ - „Äh“, entgegne ich „Is jetzt schlecht so. Bin grad am Vorbereiten“, da steht er schon im Auto. Als ich das nächste Mal hingucke, sitzt er bequem. IN MEINEM AUTO! Zieht sich gerade ein Kissen unter den Arsch. MEIN KISSEN.

„Was ist denn?“, frage ich ihn pampig und meine: „RAUS! RAUS! RAUS!“, dazu muss man auch kein Psychologie-Diplom haben, um das zu checken.

Chris hält mir ungewöhnlich elanvoll eine verhuzelt-verschrumpelte Mohrrübe auf Augenhöhe hin. Leichte schwarze Röstung aussen. „Ich wollt was zum Salat beitragen“ - „Ahh, hab mich doch in ihm getäuscht“, denke ich schuldbewusst, füge noch ein gedankliches „Sorry“ hinzu und antworte laut: „Das ist nett von dir, aber ich kann sie leider nicht verwenden. Georg ist allergisch auf Karotten.“ - Chris atmet ein wenig zu laut auf, zeigt für meinen Geschmack etwas zu offenherzig ein erleichtertes dicke Lippen-Grinsen über den Stefan-Raab-Zähnen im blondbärtigen Milchgesicht: „Ach so, ja dann...- hast du mal ´nen Schäler?“. Verdutzt reiche ich ihm den und er beißt fröhlich in die Gummi-Rübe.

„Und man kann so leben, auf zwei Quadratmetern, ja?“

Ich atme tief ein und wieder aus und entgegne erstaunlich ruhig, „Ja, schon, ziemlich gut sogar. Du ich glaub, ich muss jetzt hier mal weitermachen. ...Also dann“ - und ein JEDER, wirklich JEDER weiß doch, was bei ALSO DANN gemeint ist, nämlich: GEH JETZT, ich will meine Ruhe, du warst genügend lang da...ALSO DANN...“ - Doch der feinfühlige Chris weiss es nicht. Er sitzt. Wie festgeklebt. Auf MEINEM Kissen in MEINEM Auto. Das Geräusch der Karotte-nagenden Zähne macht mich verrückt.

Ich werde unruhig. Stehe auf. Schmeisse Bonbons nach. Jetzt werde ich noch fett wegen dem! Greife umständlich zum Kühlschrank „ Du, das ist jetzt schlecht, mit dir hier drinnen. Ich muss da jetzt echt mal an dieses Kästchen da.“ Chris steht auf „Warte, ich kann es dir ja geben“ - „Och, lass mal“. Ich mache deutlich, er muss gehen, die anderen sind draussen, sein Bier doch auch. Da kommt Kati. Na gut, mit ihr zusammen ist es erträglicher, wir quatschen. Chris richtet sich ein.

Bald schon ruft Ferdi erlösend von draussen: „Kartoffeln sind fertig“. Nun scheuche ich ihn aber hinaus, die Eier müssen noch gebraten werden. Ich frage nach der Anzahl: „Wieviel Eier wollt ihr denn?“ - Kati merkt an „Ich brauch aber noch einige für die Pfannkuchen demnächst, gell?!“. Ich sage „Eins für mich“, Kati hält einen Finger hoch „Zwei dann...wieviel ihr?“ - da streckt Chris die Hand hoch und bedeutet mir Drei! Ich zähle zwei für ihn, und Selbiges für Georg und Ferdi.

Beim Abendessen auf dem Handtuch lassen wir es uns ordentlich schmecken. Umsonst-Leber Chris schaufelt sich als Erster den halben Topf Kartoffeln auf den Teller und mampft wie ein Fisch im Aquarium. Salat ist auch schon fast weg. Auf seinem Teller. Verdammt, ich muss fixer sein, denke ich noch und schon schlägt er ein zweites Mal zu. Fast. Nur ich bin schneller. Beinahe lässt er die Schüssel nicht los. Pah, das war knapp. - Nun ist es auch mit der CHRIS-tlichen Nächstenliebe aus. Opportunistischer Penner!

Am Ende kippt Zecken-Chris die Hälfte seiner Pellkartoffeln wieder in den Topf „Boah, bin ich voll jetzt!“- „Gibt´s noch ein Bier?“ - Gemeinschaftlich wird die Bier-Frage ignoriert, doch ich kann nicht an mich halten: „War wohl fast ein bisschen zu viel, was zu dir aufgeschaufelt hast, was?“ - Chris geradeheraus: „Ja, kannst aber laut sagen. Ich kann nicht mehr. Pappsatt!“

Das an dieser Stelle völlig übertriebe Danke spart er sich. Ich schnaufe tief durch, räume die Teller weg und verschwinde im Auto. Ist erst 20.30 Uhr, aber ich halte es nicht mehr aus. Unter wütenden Zuckungen lese ich abgehackt die ersten Zeilen meines Buches, als ich rausstürmen will und ihm mal die Meinung stecken. Da kommt Georg rein.

„Was is´n?“ - „Was IST? - Kriegst du das nicht mit? Das ist ein Schmarotzer...von der übelsten Sorte! All-Inklusive-Schnorrer! Ich sag´s Dir! Seit achteinhalb Wochen unterwegs und noch nichts bezahlt!“ - Georg: „Ja, doch, schon. Aber jetzt sei mal nicht so. Nützt ja jetzt nichts. Wir sind auf jeden Fall noch die nächsten vier Tage mit ihm zusammen, da kannst du nicht jetzt schon...“ - „WAS? - Was kann ich nicht jetzt schon?“, wutschnaubend schnauze ich ihn an. „Das ist unnötiges Hinnehmen von uferlosem Schmarotzertum. Wir sind doch nicht die Ersten. Hörst du doch! Wegen dem werde ich mich doch nicht so ärgern!“ - „Eben“, kommt da diplomatisch von Georg. „Jetzt warten wir mal auf morgen. Er wollte dann ja morgen abspülen. Vielleicht war er nur betrunken und ist morgen ganz nett“.

Schlecht, äußerst schlecht schlafe ich ein.

Am Morgen nimmt mich Kati zur Seite: „Weißt du, was der Chris heute Nacht gebracht hat?". Ich denke: "Sag´s mir! Sag´s mir! Sag´s mir!" und sage: "Was denn?" - "Um halb zwölf klopft es bei uns an der Tür. Ich krieg ´nen halben Herzinfarkt, sehe schon angolanische Macheten-Männer vor der Tür, schaue zum Fenster raus. Schicke Ferdi. Da steht unser Chris betreten da: der Boden ist zu hart, er kann nicht schlafen. Ob wir Decken zum Unterlegen hätten. Wir geben ihm die Handtücher. Da kommt er nochmal zurück. Die Hundedecke wär doch noch weicher! - Jetzt schläft mein Hund auf dem Boden, und er auf der Decke. Nicht gut, das ist nicht gut!!“

Nee, war klar. Verdammt, was machen wir nur? Haben wir jetzt den fetten Pauschal-Abzocker aufgelesen? Aber jetzt wieder nach Opuwo zurück wäre auch wieder doof. Wir sind schon mittendrin. Da fahren Lore und Braam ein. Kajus hüpft ins Auto, wir packen zusammen, spülen ab und fahren weiter. Mit Chris. Der natürlich nicht abgespült hat.

So rumpeln wir über Stock und über Stein, bis zur nächsten Pause. Mittag. Kati kocht Cafe. Unser adoptierter Schnorrer frägt nach Ebendiesem. Klar, kann er haben. Gar kein Problem! Ich suche derweil die gute dicke PET-Bonaqua-Flasche, um sie wieder mit Wasser aufzufüllen. „Schatz! Hast du die gesehen“, „Nö“, ruft Georg rüber „seit gestern nicht mehr“. Mist, haben wir nur noch die eine Flasche zum Wiederbefüllen.

Kati reicht unserem Sympatho-Hitchhiker das Heißgetränk im Thermobecher und trinkt aus ihrer gepunkteten Lieblings-Emaille-Tasse. Karo-Chris schnattert drauflos: „Gut, der Cafe. Schmeckt prima. Nur im Thermobecher kann ich den immer fast nicht trinken, da kühlt der ja so gar nicht ab.“ Kati schweigt. Ich gehe zurück zum Auto. Ich wusste es, verdammt! Wir fahren weiter, die Strecke ist hart, wir schaffen gerade mal 30 Kilometer am ersten Fahrtag. Große Steine, viel Unterholz. Vor uns versperrt ein dicker Ast den Weg. Wir müssen raus, die Fiskars-Axt kommt zum saftigen Einsatz. So geht es die nächsten vier Kilometer weiter, wir hacken und knacken und brechen die Äste ab, Kati, Lore und ich in vollem Körper-Einsatz. Die Männer fahren. Chris liegt quer im VW-Bus.

Ein steiler Abhang tut sich vor uns auf. Das wird hart. Brutale Verschneidungen, eineinhalb Meter Lücke in der Mitte der Fahrbahn, 45 Prozent Gefälle. Wir steigen aus, beratschlagen uns. Die Lücke muss aufgefüllt werden. Wir holen Steine, große, kleine, dicke, runde, eckige...Stein über Stein schlichten wir eine Straße auf für einen befahrbaren Weg. Wir schwitzen, ich streiche mir die verklebten Haare aus der Stirn, verdammt, ist der Stein schwer, endlich kann ich ihn abwerfen. Kati und Lore bringen den nächsten Block, Ferdi, Braam und Georg schleppen gemeinsam einen Mega-Felsen an.

Schnodder-Chris macht Fotos. Als ich ihm ein gestresstes „Hey! Kannst du vielleicht mal helfen?“ zurufe, muss er sofort umständlich einen Dorn aus seinem FlipFlop ziehen, dann die Kamera zurück ins Auto legen, einen lebenswichtigen Schluck aus einer verdächtig blauen Wasserflasche trinken und als er danach endlich zu uns heranschlappt, ist die Arbeit auch schon erledigt und Georg fährt bereits drüber.

Nach anstrengenden fünf Stunden Offroad, 354 zürückgehaltenen Bäumen, 212 abgesägten Ästen und 32 Dornbüschen in meinen Handinnenflächen, 2236 gelegten Steinen und fünf aufgrund Angstschweiss-Verlust getrunkenen Litern Wasser sehen wir eine glatte Wiese, die danach schreit, von uns becampt zu werden.

Georg biegt ein. „Komisch“, meint Schatzi da „ich kann den Landrover nicht mehr im Rückspiegel sehen. Aber vor fünf Minuten waren die noch da“, sagt´s und biegt auf den Grasplatz mit Aussicht auf den ruhigen Fluss ein. Ferdi, der mit dem Synchro den Offroad-Weltrekord an eigentlich-unmöglich-aber-ich-mach´s-mal-mit-dem-VW-Bus hält, kommt mit quietschenden Reifen hinter uns zum Stehen. Wir sind uns einig: „Toller Platz. Ausgelevelt. Wasser zum Duschen. Nächstes Dorf acht Kilometer entfernt. Passt.“. Doch wo sind Lore und Braam?

Wir warten und trinken Wasser, warten und trinken, werden von Mini-Schmeissfliegen attackiert, knicken uns Äste als Fächer ab und warten. Lieblings-Chris wirft ein: „Jetzt ist es ja schon halb vier. Esst ihr eigentlich nicht zu mittag?“. Da entscheidet Georg: „Ich fahr zurück. Da ist was passiert.“. Kaum erhebe ich mich vom Baumstamm, ist Ferdi schon auf den Beifahrersitz gesprungen und an Board. Mir soll´s Recht sein. Sollte was technisches sein, ist es besser, die Männer fahren.

Kati, Kajus und ich machen es uns wieder auf der Wiese bequem, fächeln Anti-Fliegen und warten. Kajus jagt ein paar Enten. Ich beobachte Affen, Kati geht zum Fluss. Apropos Männer. Wo ist eigentlich Chris? „Hab ich schon lange nicht mehr gesehen!“, sagt Kati da, als sie wiederkommt. „Der ist bestimmt im Auto. Was macht der denn da? Ich geh mal...äh...ein Ei holen...“, und verschwindet in Richtung VW-Bus. Chris sitzt auf der Rückbank und gönnt sich eine Tomate mit Vollkornbrot. Hatte der doch noch mehr zum Salat anzubieten als die verhunzelte Karotte?

Kati und ich legen unsere Fliegenfächer auf dem Baumstamm ab, gehen vor zum Ufer, genießen ein wenig die Aussicht. Zurück am Auto fächelt sich Chris mit beiden Fächern die Fliegen ab, trinkt fröhlich aus der unsrigen Bonaqua-Flasche, die jetzt zwei gemalte C´s auf jeder Seite hat, schiebt aus einem Candy-Beutelchen Bonbons in den Mund und lächelt uns an. „Boah, heiß hier, ne?!“. Zwischendrin füllt er sich Wasser im Auto nach und setzt sich auf unsere Plätze. Wir wenden uns ab. „Hast du noch was Süßes?“, frage ich in die Runde, ich brauche dringend einen Insulin-Schub. „Ne, tut mir leid.“ antwortet Kati. Chris überhört die Frage generös.

Nach einer halben Ewigkeit beschließen wir, nach den Anderen zu gucken. Wir hüpfen ins Auto und fahren gute 15 Minuten zurück. Da steht der Landrover. Lore wischt sich ein paar Tränen von den geröteten Backen und erklärt: „Die Federplatte ist abgesprungen. Daraufhin hat´s den Reifen zerrissen. Georg und Ferdi suchen das Metallding. Sonst können wir nicht weiterfahren“, und weint lautlos vor sich hin. Blöd ist, dass wir in der Hälfte unserer Strecke stecken, keine Seele weit und breit, kein Abschleppdienst wird hierher kommen. Über so einen harten Trail abzuschleppen, kostet das Getriebe des Rettungsfahrzeugs „The trip is over“, schluchzt Lore drauflos. „No worries“, töne ich, „George will fix it!“, in voller Überzeugung meines Mannes.

Wir nehmen sie in den Arm, versichern, das wird schon wieder und warten. Erneut. Wackelnd, kriechend und quietschend fahren wir mit beiden Autos im Schneckentempo zurück zum ausgesuchten Traumplatz und hoffen auf die Männer.

Ich bin fix und fertig, Georg und das Auto schon seit Stunden weg, ich borge mir Wasser von Kati und frage Chris nach Süßigkeiten. „Äh, ja...weiß ich jetzt gar nicht, wo die so sind!“. Blut schießt mir in den Kopf und teuflische Wut in den Bauch, ich stoße ein „Na, so groß ist dein Gepäck ja nicht, das wirst du schon finden!“ heraus und folge Chris zum Rucksack. Da fällt der 30 Zentimeter-Beutel mit den Goodies neben dem abgepackten Vollkornbrot und vier Tomaten heraus.

Als die Männer im Toyota anbrausen, steht fest: Metallding weg, kreativer Lösungsversuch muss her. So wird der Landy bei ausgehendem Sonnenlicht aufgebockt, Ferdi packt den Werkzeugkasten aus, Georg pumpt das Auto hoch, Braam krabbelt unters Vehikel. Chris baut sein Rot-Blau-Zelt auf.

Nach drei Stunden steht fest: Wir haben tolle Männer. Innovativ wird der Offroader gerichtet, die zweite Feder ausgebaut, die Eine muss nun alles halten – aber wir können morgen weiterfahren. Wusst ich´s doch!

Die Stühle stehen, Bier geöffnet, Abendessen in Einzelteilen auf dem Alu-Tisch. Es ist zu spät für Kochen, so macht sich jeder ein Brot, leider bin ich nicht dabei, als Chris frägt: „und ich jetzt?“. Ferdi lässt verlauten: „Hast Du Dir jetzt eigentlich schon deine Accessoires für heute Nacht geholt?! Handtücher, Decken, die Kissen, die Hundedecke, weißt schon, so alles von uns halt?“. Chris ignoriert den unüberhörbaren Zynismus und murmelt ein weicheiiges: „Ja, klar!“, bevor er sich genüßlich eine Zigarette anzündet.

Als ich zurückkomme, hält auch er ein belegtes Schinken-Brot in der Hand und eine Dose Bier in der anderen. Ich schlucke den letzten Bissen Tomatentoast leicht würgend hinunter. Wo hat er die jetzt schon wieder geschnorrt? - Superspar-Chris. Wir hätten es wissen sollen. Nomen est Omen. Des Marktes sparsamstes Produkt. Der hätte auch vor dem Pick´n Pay stehen können. Hätte noch besser gepasst. Egal, ich kann sein zerknautschtes Gesicht sowieso nicht mehr sehen und gehe schlafen.

Vom Bett aus höre ich leises Gemurmel, Gesprächsfetzen von Außen dringen an meine kleine Innenohrmuschel, die bekannte Spakko-Stimme macht sich an Lore ran: „Sag mal, habt ihr vielleicht noch Extra-Matratzen mit dabei? Das ist immer so hart auf dem Boden im Zelt!“. Unter tiefem Schnaufen schlafe ich bei gezählten einhundertdrei Schafen ein.

Als ich zum Frühstück erscheine, sitzt Chris wieder am Outdoor-All-inklusive-Büffet und schlürft an einer halbvollen Emaille-Tasse. „Wir müssen jetzt ein bisschen Wasser sparen, und Cafe ist auch ausgegangen“, murmelt Kati entschuldigend. Die gute Kati! Bei mir ist´s ja schon lange aus! Ganz selbstverständlich sprudelt es aus Schmarotzer-im-High-End-Bereich-Chris: „Da kann ich den jetzt aber schon noch mit Milch aufschütten, oder?“ - Ohne Worte.

Ich frühstücke im Auto. Will ja nicht so sein. Will ja keinen Streit provozieren. Aber BOAH, der traut sich was! Aufdringlich, taktlos, unangenehm! Assi-Kasper! In mir hallen Georgs Worte: „Wir müssen halt jetzt noch vier Tage mit ihm aushalten...“ wider. Mit einem, der keinen Handschlag tut, nichts zur Gemeinschaft beiträgt, keinen Witz, keinen Spaß, keine Hand, keine Hilfe, kein Essen, kein Nichts?! Bin nur ich so? Muss ich denn wirklich die Klappe halten? Kann ich das noch lange? Wird das Schäden hinterlassen?

Ein erneuter, eindrucksvoller und kräfteschindender Offroad-Tag unter der brennenden Sonne Afrikas steht uns bevor, wir hieven die Autos über überdimensionale Gesteinsschluchten, Ferdi gibt mit dem Synchro Speed-Technisch alles, wir können das Meiste mit dem Low-Gear gefahrlos meistern. Idyllische Mittagspause am Fluss, der mittlerweile von allen ignorierte Penner (ja, das ging schnell, was Superspar?) geht mit den Krokodilen und der Bonaqua-Flasche schwimmen. „Du weisst, dass da Krokos drin sind, oder?“ - „Ach, ja“, kommt da aus dicken Lippen gequetscht, aber ich wollt ja Euer Wasser sparen und hab mich da mal gewaschen“. Ach, der Arme, Arme.

Nur noch neun Kilometer, dann haben wir es geschafft, zwar sind die Autos verkratzt, das Gemüt geschunden und die Vorräte fast aufgebraucht, doch ein Ende ist in Sicht.

Abends erreichen wir einen schönen Platz, wieder direkt am Flussbett und die Synchro-Crew bereitet himmlischen Thuna-Nudelsalat. Chris nuschelt unter der im dicken Mundwinkel hängenden Kippe skeptisch: „Wo soll ich denn da mein Zelt aufstellen, sind ja nur Steine hier?“, erhält allerdings überraschenderweise keine Antwort. Schmollend zieht er ab, baut sein Zelt bei den Krokodilen auf und wackelt zurück in Lores Stuhl. Kati sitzt vor Bergen Tomaten, Zwiebeln, Mais und Paprika und werkelt drauflos. Superspar schaut zu. Trick 17. Zu beschäftigt mit Zuschauen. Wir befinden uns ja auch mitten im Schnorrer-Phantasialand! Penner-Utopia!

Offensiv blicke ich ihm in die wasserblauen Augen, setze an zum Flachmachen, riskiere aber einen bösen Seitenblick von Schatzi und schreie stattdessen fast schon ein wenig aggressiv zu Kati hinüber: „Soll ich dir helfen?“. Kati „Nee, DU nicht.“. Unser ureigener Penner wandelt wie ein besoffener Poltergeist hinüber zum Rot-Blau-Plastik-Iglu. Stichwort: helfen. Dieses Tunwort - ach, wie schön das jetzt aber auch passt: Tun-wort - hätte ich gestern im Auto einfach mal fallen lassen sollen.

Braam macht Feuer, Georg überprüft die Autos, Ferdi kocht Nudeln, ich hole die Teller, Lore beträufelt liebevoll die Fleischstücke. Wo ist eigentlich Chris? Hat sich sauber aus der aufwändigen Affäre gezogen.

Pünktlich zum Abendessen, da mussten wir uns keine Sorgen machen, sitzt er wieder auf Lores Stuhl und wartet geduldig auf das Dinner. Als das Feuer brennt, der Thunfisch in den Nudeln schwimmt und das Fleisch kross brutzelt, hat er schon sein Tellerchen in der Hand und geht als Erster zum Büffet. Lore setzt sich auf ihren nun freigewordenen Stuhl, Chris kommt mit dem Berg Nudelsalat zurück und frägt schon mal nach dem Fleisch. Absolute Ausrastgefahr!

Kaum ist das aufgeschnitten, zieht er das erste Rippchen unter dem Schneideteller und Braams Hand hervor und mampft drauf los. Als Braam zurückkommt, ist sein Stuhl besetzt und Lore sucht nach ihrer Stirnlampe. „Keine Ahnung, wo die sein kann?“, und dreht sich im Kreis, doch leider erscheint das Headlight nicht mehr.

Kurz darauf blicke ich auf Chris´ Kopf. „Seit wann hat der ein Licht?“, dämmert es mir gleichzeitig mit Lore und da gibt er sie ohne Umschweife zurück! Glanzleistung!

Die Abendunterhaltung dreht sich um die ständig und in jedem Dorf bettelnden Kleinkinder. Sobald wir ein Village erreichen, linen sich die Drei- bis Fünfzehnjährigen Himbas auf und halten synchron die Hand auf. „Goodies! Sweeties! Please!“ rinnt es aus ihren Kehlen, gefolgt von schon mal auffordernden Gesten. Kati und Ferdi wissen warum: in einer Lodge in Mozambique gab´s am schwarzen Brett einen Aushang mit einer Tüte Bonbons davor: „Today: Feeding the locals“. Heute: Eingeborenen-Fütterung. „It´s just so sweet, when you feed them. The Niggers with their black eyes, they look at you, like you were God!“, liess ein amerikanischer Ivanka Trump Verschnitt am Nebentisch verlauten!!

Da Schnorrer-Chris nun keinerlei Ansprache mehr bekommt, legt er den Teller auf den Boden, sucht wortlos und eigenständig im VW-Bus Handtücher, Kissen, Decken und Hundedecke heraus und wackelt ab zum Zelt am Flussbett. Hat leider keiner mitbekommen. „War der jetzt in unserem Auto?!“, frägt Kati mit offenen Augen und schaut dem bepackten Superspar-Assi hinterher. „Geht´s noch?! Da muss er ja total gekruschelt haben. Das war alles ganz hinten im Alkoven!!“. So, morgen geht’s nicht mehr, jetzt gibt’s ein offenes Wort. Bin ich froh!

Nur die Männer halten uns noch ab, wir Frauen sind uns Einig. „Morgen setzen wir ihn in Oshikati ab. Da ist wieder ein Superspar, da kann er bleiben“, so die einstimmige Taktik unserer diplomatischen Männer! Nur dem Konflikt aus dem Weg gehen! Pah!

Also, wir Mädels sind uns einig, jetzt wird Tacheles geredet, so einen Penner kann man nicht einfach davonkommen lassen. Mit diesem befriedigenden Gedanken schlafe ich ein und freue mich auf den Morgen.

Ein mitleidiger Anblick erwartet mich. Die Sonne ist gerade aufgegangen und fünf Menschen sitzen um das schon wieder angeschürte Feuer mit Toastbrot drauf. Ein in Katis Handtuch gehüllter Chris sitzt auf Lores Stuhl mit Ferdi´s Tasse und wiegt sich armselig vor und zurück.

Ich ziehe Kati zur Seite „Was is´n jetzt? Habt ihr schon ohne mich angefangen? Heult der jetzt?“ - „Nein, nein“, raunt sie „Ihm geht’s schlecht.“ - „Was is´n los? Hat er kein Frühstücksbüffet bekommen?“- „Doch, doch, das ist der Grund, wieso kein Kaffee mehr da ist. Nein, er hat aus dem Flusswasser getrunken!“.

Ich kann es nicht fassen, wie kann ein Mensch denn so blöd sein? Ich glaube es nicht, das ist doch Verarsche! „Er sagt, heute morgen hat es angefangen. Ganz früh, mit allem drum und dran." flüstert mir Kati. „Musste sich wohl übergeben und Flitzekacke und Alles! Und jetzt schau ihn dir an“.

Ich folge ihrem Blick und betrachte ohne Mitleid den sich shakenden Chris mit dem bunten Handtuch über den Schultern, dem getoasteten Brot in der Hand und dem Cafe-Emaille-Becher vor sich. Kein Gefühl. Null. „Nee, da kannst ihn jetzt nicht fertigmachen, Schatz“, kommt von Georg „Schau, wie schlecht es dem geht.“ Ne, also ich glaub das nicht. Das ist doch die Megashow. Wer ist denn so bescheuert und säuft am Ende eines fast stehenden Wassers in Afrika, in das Kühe scheissen und Ziegen kotzen. Ein 35-jähriger Mann! Ich kann es nicht fassen. Aber, na gut. Will ich mal nichts sagen. Auch wenn es schwerfällt. So verdammt schwer!

Der kranke Chris wankt mitleidheischend zurück zum PEP-Blau-Rot, tut auf hilflos. Schaut herüber. Ne, ne Du! Dein Scheiß-Zelt kannst dir aber selber abbauen! Volldepp!

So kommt er auch am vierten und hoffentlich letzten gemeinsamen Tag um das Abspülen/Aufräumen/Helfen-in-jeglicher-Hinsicht herum, und packt hypochondrisch umständlich und intensiv zitternd sein 10-Euro-Zelt zusammen. „Ich hab´s dann“, krächzt er aus heiser Kehle hervor und lässt sich scheintot auf die weiche Rücksitzbank vom Synchro fallen.

Kurz danach sitze ich im Auto, warte, bis alle zusammengepackt haben und traue meinen Augen oder dem Rückspiegel kaum: Chris flachst mit zwei Himbamädchen. Kurz vorm Waldrand sehe ich die Drei, er schießt Fotos, die Beiden laufen davon. Er hinterher. Sie haben Angst, er klickt drauflos. Zum Schluss gibt er jeder noch drei Bonbons und kriecht wieder an. Wobei er nicht vergisst, sich kurz vor Erreichern unserer Gruppe den Bauch zu halten. Goodies für die Kleinen! Und das nach dem Gespräch von Gestern!

Jetzt reicht´s auch Ferdi, Kati ist schon lange durch, Chris hievt sich erneut ins Auto, nun wieder ganz der Kranke, sie schmeissen die Türe zu und brausen ab.

Während der nächsten viereinhalb Stunden nach Oshikati muss Chris kein einziges Mal raus.

Beim nächsten Supermarkt-Halt springe ich in den Superspar und fülle das Körbchen. Drinnen spricht mich Chris unter Tränen an „Was isst man denn jetzt so?“ - „Ja, ja, ich weiß“, sage ich, „Hab´s schon mitbekommen. Du, ich würd da jetzt mal ne Cola kaufen und weißes Brot.“ - Er simuliert ein ohrenbetäubendes „Wirklich...“ und schleimt auf taube Ohren „is gut, da jetzt ne Frau dabei zu haben...ich weiß ja gar nicht, was ich da tun kann.“ - „Na, wird schon keine Cholera sein“ entgegne ich trocken „Wobei, man weiß ja nie, was sich in solchen Gewässern rumtreibt“ und lasse ihn stehen. Kati grinst mich an. Ist doch wahr. Der ist nicht krank, ich weiß, wie man sich mit der Salmonella fühlt, alle zwei Minuten zur Schüssel, ansonsten fiebrig und matt, und weiß-Gott-kein-Bock auf Fotos machen!

Wir packen am Parkplatz unsere Megatüten ein, verdammt schon wieder 80 Euro bezahlt, als Chris ankommt. Wieder eine klitzekleine Tüte am Start. „Brauchst du nicht mehr? Vielleicht so ein Sixpack für die Gemeinschaft?“. Doch Chris schweigt, übergeht geschickt die Forderung, wird noch nicht mal rot, „Ne, ich kann wirklich nichts essen, mir geht’s echt schlecht,“ hält sich den Bauch, frägt „wo ist nochmal mein Fach im Bus?“ und pflanzt sich hin. „Nirgendwo!“, entgegnet Ferdi und schmeisst zum zweiten Mal für heute die Schiebetüre zu.

„So, jetzt reicht´s“, sage ich zu Kati. Jetzt sind wir in einem großen Ort, er ist wieder am Superspar. Das passt doch, Hier können wir ihn doch aus- äh, absetzen.“. „Ja, der Ferdi meint, heute Nacht sollten wir ihn noch behalten, vielleich ist er ja wirklich krank“- Ich kriege große Augen. „Das ist jetzt nicht euer Ernst! Der is nicht krank! Der ist Assi! Vollassi! Profi-Assi! Der zockt uns doch nur alle ab! Mann! Da waren vier Krankenhäuser auf dem Weg! Wollte er da raus? Musste er sich übergeben? Irgendwas?“. Doch Ferdi lässt sich nicht umstimmen, hofft immer noch auf das Gute im Menschen und vielleicht auch auf ein absolut verdientes Sixpack oder wahlweise eine finanzielle Entschädigung für ganze Vier mitgefahrene, -gefressene und versoffene All-inklusive-Tage!

Ich würde das "Bußgeld wegen Gemeinschaftsstörung" nennen!

Doch das Chris-Tütchen war ja leer. Also fast, ein Knorr-Süppchen, ein Brötchen und eine Banane war drinnen. Immerhin.

So sausen wir zum quirligen City-Center, überall Menschen, Märkte, Gewusel. Chris macht keinerlei Anstalten aussteigen zu wollen. Am Campground angekommen steht fest, allen reicht´s. Genug ist genug! Er ist nicht krank. Also doch, aber im Hirn. Vollschaden! Der soll ins Hostel, Kati setzt an: „Du sagst doch, du bist krank". (Ich persönlich finde ja schon die Formulierung geil). "Geh ins nächste Hostel, da kannst du dich erholen. Hier ganz in der Nähe gibt’s eins. Da fahren wir dich jetzt hin!" „Och, nein“, sprudelt es aus dem Todeskranken brüchig heraus: „Das kann ich ja jetzt nicht tun. Ich mein, ich hab ja Verantwortung für die Gemeinschaft! Und wenn ihr jetzt alle wegen mir in der Dunkelheit noch umherfahren müsstet. Nein, das will ich nicht. Ich bau mein Zelt hier auf. Und so die Kosten für ein Hostel, das kommt ja auch gar nicht in Frage“. Er lässt sich nicht abschütteln, hält dafür aber theatralisch seinen Bauch, stößt werbewirksam auf und geht zum ersten Mal für heute zur Toilette. Nein, er schleicht dorthin.

Wir schauen uns an. Auge in Auge. Es geht nicht mehr. Er muss weg! Wir müssen es ihm sagen. Derweil steht das blau-rote Superspar-Ätz-Chris-Zelt einen Meter neben dem Synchro. Das darf nicht wahr sein. Ferdi startet den Motor und fährt mit quietschenden Reifen vier Meter weiter vor.

Wir bereiten den Grill, schnippeln den Salat, jedes Pärchen sorgt für sich, Chris wird gemeinschaftlich ignoriert. Ich rede ja schon seit gestern nicht mehr mit ihm. Da krabbelt der Bazillen-Kasper aus seinem Rot-Blau, hält Lore sein Fertig-Suppenpäckchen unter die Nase und winselt „Kannst du mir das kochen, bitte?!“. Lore grinst ihn erstaunt an. „Na, ihr habt ja schon den Gaskocher draussen. Ich hab ja keinen.“ Wieso kauft er am Starttag ein Päckchen Nudeln und Tomatensauce, wenn er keinen Kocher hat?

Lore seufzt und frägt, „wo ist das Wasser?“ - „Ach so“, murmelt Superspar-Chris: „das bräuchte ich auch. Habt ihr mal 800 ml?“. „Fast einen Liter?“ stößt Lore unter erhobenen Brauen hervor und kocht es dann doch. „Sag mal, das ist doch mein Topf?! Wo hast du den her?“ - „Ach, der stand da so am Tisch.“

Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen kocht sie die Suppe auf, von allen Anderen wird Superkrank-im-Hirn ignoriert, wir kümmern uns um das Barbecue, wenden uns ab. Chris löffelt die Suppe, stellt den halbvollen Topf mit Löffel drin auf den Tisch und plötzlich ist er weg.

Morgens um halb sechs höre ich quietschende Reifen. Der Synchro braust aggro ab. - Was ist da los? Wir hechten hinaus. Zu spät. Keiner mehr da.

Lore und Braam sind wohl schon zur Landrover-Werkstatt, Kati und Ferdi nicht da. Wir schauen uns an. Mein erster Gedanke: „Steht das Assi-Zelt noch?“. Auch weg.

Wir allein. Was ist los? Wir machen Frühstück, genießen den angenehm Chris-losen Tisch und warten ab. Erst kommen Lore und Braam, dann flitzt der blaue Synchro durch das rote Tor und kopfschüttelnd brausen Kati und Ferdi an.

Wortlos reichen sie uns einen klitzekleinen Zettel mit eingewickeltem 100-Dollar-Namibia-Schein (10 Euro). Auf dem Karo-Papier steht in krakeliger Kinderschrift: „Bin im Krankenhaus. War ´ne schöne Zeit. Bitte bezahlt doch noch den Camping für gestern. Danke für alles. Chris.“

CAPRIVI STRIP

Donnerstag, 10.05.2012

JUST Watch the Hippo!

„You just have to watch the hippo. And don´t disturb it. - Here we go!“, sagt´s, drückt uns zwei rote Paddel in die Hand, stößt das blaue Kanu vom Ufer ab und schlurft zurück in die Holz vertäfelte Bar. Weg ist Manu vom Samsiti Riverside Camp (8 Euro/P) im Caprivi Strip, nähe Rundu.

„Wie jetzt? - Da ist ein Hippo?“, frage ich Georg hinter mir im Kanu. Während wir verdächtig schaukeln, erwidert Schatzi trocken: „Ach, ja, hat er uns gestern Abend an der Hausbar noch erzählt. Da warst du grad nicht da. Zwei Haus-Hippos treiben sich in der Lagune rum. Ist er ganz stolz drauf. Hast du die nicht gehört, heute Nacht?!“. Mh, wenn ich so darüber sinniere, könnte es schon stimmen, da waren eindeutig nächtliche Lärmkaskaden! Grollende Grunz-Serien, schmissig laut und knisternd nah! Aber wer denkt denn gleich an ein Nilpferd?

Im Geiste blättere ich fix im „Field Guide to the larger Mammals of Africa“-Handbuch von Herrn Stuart und entdecke schnell das „Common Hippopotamus“ mit einer Gesamtlänge von bis zu 4,2 Metern, einer Schulterhöhe von um die 1,5 Metern und einem satten Gewicht von bis zu 2000 Kilogramm. Ich fasse zusammen: weniger als 150 000 Exemplare gibt es laut Schlaubi-Buch davon, die semi-aquatischen Dickhäuter stampfen nachts aus dem Wasser, um an Land zu futtern. Cirka 40 Kilogramm mampfen die in Herden von 10-15 Tieren lebenden Dicklichen dann in 7-8 Stunden pro Nacht, während sie tagsüber lieber im kühlen Nass liegen, um Sonnenbrand, Insektenstiche und Überhitzung zu vermeiden.

Als Leben-Liebendes Individuum jeglicher Art sollte man es tunlichst vermeiden, sich an Land zwischen Flusspferd und Wasser zu drängeln. Da wird man plattgemacht. Zack Bumm. Tot, töter, Mause- äh, Hippotot!

Die Mopsigen besitzen keinerlei Auftrieb im Wasser und können - für ihr stämmiges Erscheinungsbild unheimlich behende, ja eigentlich sogar rasend schnell mit 50 km/H - am Grund des Wassers laufen, aber auch elfengleich schwimmen, um so wieder an die Oberfläche zu paddeln. Das müssen sie auch: ihr Sauerstoff reicht lediglich für schlappe sechs Minuten unter Wasser. Bis zu 35 Jahre können sie auf den dicken Buckel bekommen, alle 2-3 Jahre davon werden die Mädchen ein einziges Baby zur Welt bringen – und: sie sind die einzigen afrikanischen Landsäugetiere, die unter Wasser Sex haben!

Fette Info! Ich lese weiter: natürlich gibt es auch hier wieder dominante Bullen, die äußerst territorial agieren und auch schon mal relativ grundlos ziemlich sauer werden. Schön ist auch die DAS-IST-MEINS-UND-WEHE-EINER-MACHT´S-MIR-STREITIG-Geste: der Shit-Ventilator! Der Bulle bespritzt mit drehendem Schwänzchen den Kontrahenten mit aufgefächerten Fäkalien. Wie angenehm. Die rötliche Farbe rührt an Land allerdings daher, dass schlaue Mutter Natur dem Dickhäuter ein Serum mitgegeben hat, das die empfindliche Haut über Wasser vor Sonnenbrand und Infektionen schützt.

Alles in Allem gibt mir allerdings letzte Satz im Buch zu denken: „The Hippopotamus is considered by many to be Africa´s most dangerous mammal, as attacks almost invariably result in death for the unfortunate who provokes, wittingly or unwittingly, one of these animals. If at all possible, stay away from hippos“. So gut wie alle Attacken sind tödlich! Na Bravo! Hipp Hipp Hurra...

Nun ist es allerdings zu spät, wir schon im Wasser, das grelle Kanu ist abgestoßen, die Landschaft pittoresk. Hippo grade mal verdrängt. Vor uns breitet sich der Okavango wie ein seidenes dunkelblaues Tuch aus, wir stechen mit den roten Paddeln drauf los, sitzen im türkisblauen Kanu, rechts von uns Angola, links Namibia-Felder. Einzelne hellbraune Lehmhütten erscheinen zu den gelbgrünen Uferseiten, blickdichtes kinnhohes Gras, ein paar Ziegen hütende Kinder laufen nebenher, winken uns zu.

Wir sichten grasende Rinderherden, ein paar ältere Männer mit Hut, viele reinweiße Seerosen und Wasserlilien geben ihr blühendes Bestes; treibendes Schilf schwimmt uns entgegen, hellblau schimmernde Kingfisher platschen ins Nass. Wundervolle Szenerie, wir paddeln an bunten Hausbooten vorbei, die gleißende Sonne steht über uns und spiegelt sich im Wasser, Kati und Ferdi überholen uns, grinsen und öffnen schon mal werbewirksam ein mitgebrachtes Bierchen. Super Idee! Wir manövrieren uns in die Mitte des Okavango und machen eine verdiente Pause auf der Sandbank.

Da hören wir tiefes Grunzen. Scheiße! Ein Hippo! Nur wo? Wir können es nicht sehen, entscheiden uns dafür, lieber weiterzupaddeln. Nach ein paar Schlägen sind wir ausser Reichtweite und lassen uns bequem mit dem Strom und sprudelndem Savanna zurück zum idyllischen Campground treiben. Dort grunzt es zwar auch noch mal heftig, tief und dumpf, doch, ich mache es zur Abwechslung mal kurz und unspektakulär: wir waren fix, die Hippos gechillt. Nix passiert, alle am Leben, super Ausflug.

BWABWATA NATIONAL PARK

Donnerstag, 18.05.2012

HIGH-SPEED BACKUP

Adrenalin schießt mir in die Venen. Mein Herz pumpt definitiv mörderisch ausserhalb seiner normalen Frequenz. Ruhig bleiben jetzt! Meine Pupillen sind geweitet, mein Fuß zittert. Ich starte den Motor. Das gibt ihm den zusätzlichen Kick. Verdammt nochmal! Was muss unser Auto auch so laut sein! Ein aggressiver Jungbulle brettert rennenden Schrittes keine 20 Meter entfernt auf uns zu!

Die massiven Ohren sind abgestellt, die missmutigen Elefantenbeine hämmern vehement in den Boden, das Auto vibriert. Mit steifem Rüssel und ohrenbetäubendem TRARÖÖ trabt er mit striktem Angriffskurs auf uns zu und triumphiert schon mal vorneweg. Bulle mit kapriziöser Psycho-Störung?! Was spinnt der denn so?

Mein Fuss auf der Kupplung schlackert genauso wie das Auto unter seinem Tröten – oder ist es der ganze Boden? Ein Erdbeben? Reality-Check: unter mir vertrackter Weichsand, vor mir ultra-aggressiver vier Tonnen-Elefant mit Mega-Stoßzähnen, dahinter Grauarsch-Mama mit Mini-Benjamin-Blümchen-Baby. Echt real?! - Ja, verdammt! Jetzt bloss nicht das schöne Pailetten-Nervenkostüm zerfetzen! Ich reiße mich zusammen, senke meinen Blutdruck, rette mein Kostüm und schmeisse den Rückwärtsgang rein.

Rumps. Elefant stellt den Kopf schief und richtet sich auf. Mit dem stimmt doch was nicht! Schnüffelt mit erhobenem Rüssel. Setzt die vier Tonnen wieder in einschüchternde Bewegung. Volle Kanne aggro!

Das ist das Letzte, was ich von ihm sehe. Ich muss den Blick nach hinten richten, Heckfenster und Seitenspiegel zeigen mir unseren einzigen Ausweg. Irgendwas sagt mir: nicht gut so jetzt, die Gesamt-Situation. Enge Fahrbahn, dicke Äste, fette Bäume und dazwischen nur die Treibsandgeschichte. Allrad rein. Ich gebe Gas. Wir rattern nach hinten. Bester Grip, gute BF Goodrich Mud-Terrains! Lebensretter-Reifen! Georg ganz still am Beifahrersitz. Ich rase gute 50 Meter nach hinten, jetzt kommt die Kurve. „Ist er noch da?“, flüstere ich zu Georg. Ein lang gezogenes „Jaaaa!“ kommt als Antwort.

Das ist mir jetzt einen Tacken zu ruhig! Mag ich gar nicht! Schatzi zu ruhig bedeutet: große Scheisse! Er will mich nicht aufregen. Ganz ganz großes Fuck! Gut, dann also in die Weichsandkurve. Hoffentlich bleiben wir nicht stecken. Ich halte den Kopf nach hinten, da kommt die Kurve, wundervoll eingerahmt von zwei übergroßen Bäumen, und das im Sandkasten. „Wie nah?“, stoße ich atemlos hervor. „Naaah!“ raunt Schatzi. Wieder einen Tick zu ruhig für meinen Geschmack. „Wie nah? Wie nah?“ keuche ich hervor. So schnell bin ich noch nie rückwärts gefahren. „NAH! GIB GAS!“ tönt von Georg. Ich kann nicht nach vorne schauen, meine Pupillen haften an den Aussenspiegeln, das wird knapp. Verdammt, ich muss wenden, wenn der so ein Marathon-Läufer ist. Im Rückwärtsgang schaffen wir das nie!

„Der ist fast da. Er verfolgt uns immer noch. Der gibt nicht auf. Fahr! Schneller!!“, hah, Georg ist laut! Trotz der Anspannung muss ich grinsen, doch das vergeht mir gleich wieder...der Toyota ruckelt! Nee, jetzt bitte nicht eingraben, der Motor heult auf, die Reifen ackern. Grip! Gib mir Grip! Komm´ schon! Vally! Nach einer kleinen Ewigkeit, völlig unsinnigen Herzaussetzern, unregelmäßigem Rattern und rechtmäßigem Adrenalinkick bewegen wir uns wieder. Ungefähr exakt genauso schnell wie der Vier-Tonnen-Elefant. Laut Georg. Ich kann ja nicht gucken. Mein Hals vollführt artistische Drehungen.

Ich gehe wie Schumi in die Weichsandkurve, nur Rückwärts, mein Gasfuss schlackert, ein öder Krampf steht bevor. Jetzt die Nerven behalten, ganz ruhig. Da höre ich das ultranahe TRÖÖ! Das Auto zittert wieder. Ich auch. Weiter rückwärts. Bin etwas überspannt im Moment. TRÖÖ! - Mann! Ist ja gut jetzt! Der ist ja völlig aus dem Häuschen!

Zum Glück wird das Terrain kurzfristig ebener, Sand weicht trockener Erde, nur noch ein paar kleine Sträucher aussen herum. „Wie weit?“ hüstele ich zu Schatzi. „Puh. Jetzt bleibt er stehen. Aber beobachtet uns.“. „Hab ich Zeit zum Drehen? Da kommt eine Fläche. Da könnt ich wenden!“. „Weiß noch nicht. Er steht da. Macht Drohgebärden.“ „Fuck. Wir sind doch schon 300 Meter rückwärts gerast! - Ich dreh jetzt um... - geht’s?“. - Pause. „Sag was! Sag was! Hallo??“ - „Ja, MACH!“

Mit vollem Karacho schieße ich rückwärts halb in einen Busch, halb in ein Erdloch, kupple, zack, der erste Gang, nach vorne, verdammt, reicht noch nicht. Die Straße ist so eng. Jetzt sehe ich ihn. Auge in Auge. Zahn um Zahn. Riesenelfenbein! Er wippt von einem Mega-Elefantenbein zum anderen. TORÖÖÖÖ! Der ist so nah! So verdammt Nah! Er steckt den Rüssel hoch und gibt einen Megasound von diesem. Dann trabt er wieder los. Jeder Zentimeter der Grauhaut angespannt, Kopf ist unten, Stoßzähne sind angriffsbereit. Richtung: UNS! Mann! Der ist ja ´ne tickende Zeitbombe! Ich muss nochmal rückwärts. Feldstück reicht nicht.

„MACH JETZT!“ kommt von Georg „Der läuft weiter. 15 Meter dann hat er uns!“. „Ja. Ja. JAA! Hab´s schon verstanden“, krieg ich noch raus, bevor ich die Wendung vollende. Mein Gasfuss zittert am Anschlag und ich halte voll drauf. Zweiter Gang, weiter geht’s. „Wo ist er?“, und wieder bin ich beim flüstern. „Wird besser...“. Mit dem Allrad ackere ich durch den nun wieder elends-weichen Sandkasten, im zweiten Gang aber deutlich schneller. Wir brausen davon. Im Rückspiegel sehe ich zwischen all dem aufwirbelnden Feinsand einen rennenden, ehemals großen Elefanten teleskopisch kleiner werden. Bis er plötzlich ganz verschwindet.

Das war knapp.

BWABWATA NATIONAL PARK

Donnerstag, 18.05.2012, abends

KNACKENDE ÄSTE, GRUMMELNDE HIPPOS UND SCHREIENDE VERVETS

Atemlos erreiche ich in der Dunkelheit den Toyota. Hektisch reisse ich die Türe auf, springe hinein und knalle sie hinter mir zu. Leicht keuchend muss ich anfangen zu lachen, knipse die Taschenlampe aus und lasse mich erleichtert auf die Bank fallen. Irgendwie reicht´s jetzt ja auch mal wieder.

Hier mitten im Caprivi-Streifen, Namibia-Land, das von Angola (später Zambia) und Botwana auf der Weltkarte eingerahmt wird, pocht das wilde Leben zwischen trockenem Mopaneveld, Terminalia-Baumsavanne und den rauen Flüssen Chobe und Okavango: Nilpferde am Campingplatz, fünf Meter Krokodile im Wasser, Schlangen an Land, Elefanten kurz vorm Lagerfeuer. Georg schaut müde von seinem Buch auf. „Was war denn jetzt?“. „Du wirst es nicht glauben! Ich bin fix und fertig! Ich war ja noch drüben am Camp 5 bei den anderen, und irgendwie ist es zwischendrin dunkel geworden...und nach dem lümmelnd campenden Hippo am Nachmittag auf Platz 4 wollte ich jetzt doch lieber ´heim` und mache mich auf den Weg. Schon nach fünf Gehminuten wird’s mir mulmig und ich höre Äste knacken. Große Äste, ganz nah. Und im Umriss konnte ich ihn sehen - da ist ein scheißgroßer Elefant! Keine 20 Meter weg! Genau da drüben!!“.

Georg ungläubig: „Bist du sicher? Meinst nicht, das sind vielleicht einfach nur die Vervet-Monkeys, die da Krach machen?“. „Schaahatz! Ich kann sehr wohl Affen von Elefanten unterscheiden!“, kaum ist der Satz raus, kommt, wie zur persönlichen Bestätigung ein Ultra-imposantes Töööröööööhh aus dem Busch hinter dem Waschblock. „Affen, was?!“ kann ich mir hierbei nicht verkneifen. Jetzt ist auch Schatzi überzeugt, wir löschen das Licht und legen uns schlafen, äh auf die Lauer... wir „hören“. Eine halbe Stunde später wird das Knacken immer lauter und neben dem Planschen der Hippos im Wasser vorne können wir das schwere Atmen von Elefanten hinten hören.

Wir spitzen die Ohren und bemerken Schritte, Rascheln, Dunghaufen fallen Meterweit mit einem lauten Plumps zur Erde. Zwei riesengroße Elefanten fressen einen Meter neben dem Toyota, ich blinzle durch das Seitenfenster, sehe einen tastenden Rüssel am Auto entlanggleiten. Wir halten den Atem an. Bald ist der hellgraue Rüssel wieder in der Baumkrone, doch das Prrrr und das leichte Rasseln der Dickhäuter ist deutlich zu hören. Die Beiden lassen sich Zeit, der gesamte Campingplatz ist mittlerweile totenstill, keiner traut sich einen Mucks zu machen, nur die Lagerfeuer knistern vor sich hin. Und zwischendrin knacken Äste, rascheln Blätter, werden Bäume umgelegt. Über eineinhalb Stunden grasen die Elefanten auf unserem Platz, laufen um das Auto herum, bevor sie wieder im Wald verschwinden und wir in süße Träume entgleiten.

POPA FALLS, NGEPI CAMP

Samstag, 19.05.2012

AUGE UM AUGE

Düstere Nacht. Funkelnde Sterne. Zitternde Maglite. - Auge in Auge. Blinzel. Nochmal schaue ich hin. Keine optische Täuschung, so viel steht fest. Vor einer Sekunde war es noch Spaß: Kati, Ferdi, Lore, Braam und wir haben es uns am Flussufer bei Öllampenschein bequem gemacht, knackbraunes Fleisch, gelbes Curry-Couscous, grünglänzender Salat und roter Wein sind die leckeren Abend-Zutaten, das knisternde Feuer wird nachgeschürt. Bombenstimmung. Bis jetzt.

Nichts Auffälliges. Bis jetzt. „Ich leuchte mal ins Wasser“, ruft Georg, während er die Mega-Lampe holt. Sein großer Stolz. „Vielleicht sehen wir wieder Kroko-Augen wie an der Angola-Seite. Oder Hippos, vielleicht ganz drüben?“. Sagt´s und erleuchtet die mondlose Mitternacht. Stolz wie Oskar schwenkt die zugegebenermaßen alles überflutende Maglite von einem Ufer zum Anderen, ein paar orange Pupillen reflektieren sofort im dunklen Nass. Aha! Doch so ein paar Nachbar-Krokodile am Start. Dann geht der Lichterkegel in den Wald neben uns, einmal auf und ab, hoch in den Baum, ein Vögelchen haut´s fast aus dem Nestchen, ein Hörnchen versteckt sich hinter der Rinde, zwei Käfer poppen fröhlich nachtaktiv in den Blättern und dann...dann...bekommen wir den kommunen Gemeinschafts-Herzinfarkt: großes, dunkles, schimmerndes, dickes, fettes, echtes HIPPO!!! HIPPOOO! VOR UNS!

Keine acht Meter entfernt steht das beeindruckende Nilpferd vor uns auf dem waldigen Flur! Stoisch guckt es uns an. Mega-Kopf, Mini-Ohren, Mörder-Kiefer, dicke Stampfer. Alles ziemlich rund so. Genau auf uns ausgerichtet blinzelt es mit kleinen Kreis-Äuglein in die Taschenlampe. Blickt uns an. Ohne Regung. Einmal blinzel. Zweimal blinzel. Ein drittes Mal bekommen wir alle nicht mit, weil...wir so schnell wie noch nie im Leben laufen, rennen, hechten! Zu den Autos. Auf das Dach. Nun sitzen wir Mädels zu dritt zitternd auf dem armen Landrover und sind geblitzdingst. Die Männer vor dem Auto. Geben sich gegenseitig Hippo-Deckung und räumen Geschirr, Stühle, Tische und Öllampen weg, löschen das Feuer und schleichen für den Frauen-Geschmack etwas zu neugierig am Wald entlang. Sechs Lampen leuchten. In den Wald. Auf den Boden. In den Fluss. Ein paar Äste knacken weiter entfernt, unsere Herzen schlagen laut. Doch das Nilpferd ist zum Glück verschwunden.

Boah, ACHT METER!

MAMILI NATIONALPARK

Montag, 21.05.2012

DISCOVERING THE MAMILI

„Discover the Mamili“ steht auf der bunt glänzenden Info-Broschüre, die wir beim Eintritt in den Park in die Hand gedrückt bekommen. Bereits die ersten Sätze sind vielversprechend und klingen, naja, sagen wir mal `herausfordernd`: „The Mamili National Park is very special. It is a pristine piece of nature and one of the best places in the world to enjoy a true wilderness experience“ - und das für 4,50 Euro Eintritt (inkl. Übernachtung im Park, irgendwo, denn es gibt keinen Campground)! Ich lese weiter im Folder:

„Wild – that´s the one word that best describes Mamili. Lush marshes, dense savannah and high river reeds mean that travelling through the area is a dream for 4x4 enthusiasts...for much of the year the park is awash with floodwater. Drive slowly through deep pools and avoid rivers where crocodiles lie in wait. Slip through thick black mud, so soft it is called cotton, and dice with the odds of getting stuck! If you have to wait while someone else digs the vehicle out, listen carefully. Nearby buffalo or elephant may be crossing the river. For anyone who relishes the adventures of raw, real Africa, Mamili is the place to be.“

Pomm. Das sitzt. Und genauso ist es! Ein einsamer, abgelegener, herausfordernder Afrika-Traum – zum Glück ohne Schlamm-Eingrab-Desaster!

Zu sechst stehen wir nun am trittfesten Dach des Landrovers und drücken die Ferngläser auf die poppenden Augen. Rundherum das animalische Paradies. Pure Natur im Panorama, gelbes Stroh, trockene Bäume, fließender Lynianti. Ein prachtvolles Märchenmosaik aus überflutetem Grasland, Papyrus-Sümpfen und kleinen Inselchen angereichert mit den exzentrisch wirkenden Baobab-Bäumen und wildem Getier: auf gesichteten 13.00 Uhr planschen drei Nilpferde im nahen Wasser, auf 15.00 Uhr zieht ein alter Elefant durch´s nasse Feld, auf 18.00 Uhr trabt eine Cape-Büffelherde an den Büschen vorbei. Und wir mittendrin. Als die Einzigen im großen, unbekannten 318 Quadratkilometer großen Nationalpark.

Unter flirrenden Lichteffekten verschwindet die afrikanische Sonne rotgold hinter schwarzen Teakbäumen und überlässt uns den archaischen Geräuschen der schwarzen Nacht.

Die Löwen brüllen, die Hippos grunzen, die Affen kreischen, Hyänen yuuupen, ein Elefant trötet sich die Seele aus dem Leib und die Büffelherde grummelt meckernd vor sich hin. Jedem Tierchen sein Geräuschchen. Eine weiße Eule flattert beschwingt über unseren Köpfen, hunderte Fledermäuse fliegen unrund umher. Jegliches elektrische Licht wird gelöscht, denn wir wissen ja: Glühbirnen ziehen Insekten an, Insekten Frösche und Frösche Schlangen. So schichten wir das tagsüber gesammelte Trockenholz aufeinander und kuscheln die Autos eng aneinander. Das Trio aus Landrover, VW Synchro und Toyota bildet nun geschickt die erste Sahne-Raubtier-Festung, davor knistert das lauschige Feuer unter unseren knackigen Steaks.

Hier inmitten der nächtlichen Wildnis fühle ich, wie sich meine Sinne schärfen, schläfrig gewordene Urinstinkte erwachen zum pulsierenden Leben, in Vergessenheit geratene Fähigkeiten erscheinen wie Phoenix aus der Asche im inneren Kern, mein Leben pocht in einem aufregenderen Rhythmus. Völlig wach und lebendig schlägt mein Herz, die Ohren sind gespitzt, die Augen geweitet, die Seele jedoch zeigt sich extrem entspannt, wie einbalsamiert...

>> HIER GEHTS WEITER IM BERICHT VON BOTSWANA...

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