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VICTORIA FALLS

23.06.2012

Donnernder Rauch & roteS plastik

„Mummy! You look exactly like the garbage man!“ kreischt ein anorektischer Fünf-Jähriger aus lutscherrotem Mund seiner frustrierten Moppel-Mutter entgegen. Zeitgleich wirft er sich aus Regenmantel-Verweigerungs-Protest knüppelhart auf den speckigen Beton und zuckt unkontrolliert mit dünnen Ärmchen, während seine spitzen Knie senkrecht in die Höhe strampeln und er vor Aufregung Nasenbluten bekommt. Ach, Kinder sind doch so was Schönes!

Zugegeben, der grell-orange Plastikponcho ist jetzt nicht so stylish, doch Mommy nimmt die Müllmann-Kritik gelassen, während sie unter besänftigendem „Luis, come on...it´s ok.“ ein blütenreines Stofftaschentuch aus der Hosentasche zieht und dem sabbernden Kind unter die Schnute hält. Luis schnieft und zeigt nach der Körper-Offensive nun auch rhetorisch einwandfreie Donald-Trump-Durchsetzungsqualitäten: „No. Under no circumstances..!“ - wäre auch momentan etwas zu coloriert mit seiner Lolly-verpappten Lippe.

Zimbabwes berühmteste Sehenswürdigkeit zählt zu den sieben Naturwundern und das zu Recht. Außer dem verklebten Luis, seinem verzweifelten Papa und der orangeroten Mama, die ihre Nerven gerade mit einem rosa Soft-Eis stabilisiert, sind wir die Einzigen an den Rekord-Halter-Fällen im feuchten, verwunschenen Regenwald. Blühende Lilien, üppige Farne und überzeugende Grün-in-Grün-Töne sind nur minimalst durchwachsen von Plastik-Neon-Orange: im Durchschnitt rauschen hier deftige 550 Millionen Liter Wasser pro Minute auf einer Breite von 1700 Metern in die 108 Meter tiefe Schlucht! Soviel zu den Fakten. In der Praxis plätschert der Fluss erst gemächlich dahin, legt prompt phänomenalen Speed zu, rutscht über die Kante und rauscht in die überdimensionale Tiefe. Hiesig heissen die Wasserfälle dann auch schlicht und ergreifend: „Mosi-oa-Tunya“ - „Donnernder Rauch“.

Verdammt gedonnert hat´s später auch bei uns am „Danger Point“, gleich nach den verträumt klingenden „Rainbow Falls“ und dem vertrackten „Devil´s Cataract“. Schon klar, Warnschild und so: Achtung, glitschig und überhaupt...Naja...Ich sag´ nur: selten großes, fettes Mega-Platsch!

Nass bis auf die Haut. Eiskalt durchgespült. Luis liegt wie ein nasser Pudel vor uns am Boden und schluchzt herzergreifend. „I´m cooohoold. Muuuummmyy! It´s so wet!“, Rotz läuft ihm ungehalten über die Wange, leichtes Nasenbluten setzt wieder ein, doch Mummy grinst sich knapp einen ab und schleift Luis mitsamt Tempo-Taschentuch hinterher. Wie elektrisiert ziehen uns die gewaltigen Massen in ihren Bann und nachmittags wandeln wir vor tropfendem Glück beschwipst und so nass wie direkt aus der Badewanne zum Trocknen in die Sonne und danach ins koloniale „Victoria Falls Hotel“. Dort gibt´s stilvoll elegant einen Mini-Mojito für donnernde 13 Dollar, natürlich inklusive der exklusiven Aussicht auf die sprühende Gischt hinter der alten Eisenbahnbrücke auf der Einen und platte Hänge-Wand-Zebras auf der anderen Seite. Die Luis-Family ist schon da und der bibbernde Kleine tröstet sich mit Kakao, der auf seinen Lippen einen fabelhaften Farbverlauf von Blau-zu-Rot-zu-Braun kreiert.

Zurück am Hostel „Shoestring Lodge Backpackers“, nimmt unser Höhenflug ein urkomisches Ende, Slapstick vom Feinsten! Die ehemals freie Zufahrt zur Campingwiese wurde umdekoriert: drei fiese Betonpfosten zieren die ehemalige Einfahrt und gaffen uns grau und unverrückbar an! Was´n jetzt los? Schatzi...hast du bezahlt? Sind wir hier richtig? Hast auf die Wiese gepinkelt? Was mit dem Nachbarn gemacht? Musst mir was erzählen?

Doch Schatzi ist sich keiner Schuld bewusst und wir wackeln vor zu Jerry, dem always-and-everywhere-drunken Barkeeper und Campground-Host, der nach Schilderung des Problems Folgendes zum Besten gibt: „OH.“ - Pause. „Yeah...“, kratzt sich am Wuschel-Kopf, „you´re right.“- Pause, nimmt einen Schluck aus der Kuche-Kuche-Bierflasche, denkt nach, schnalzt mit der Zunge und meint lakonisch: „Ah, yes, it was yesterday, you drove in...mh?!“- Pause, er guckt zur dekorierten Wand mit Streifentapete, die bunte Fanta-Plastik-Uhr tickt dreimal laut, Jerry nimmt einen nächsten durstigen Schluck und eine Hand voll Chips aus dem Becher - „I think...I forgot!“- Pause, Schluck, Mampf, TickTack. - „Mhm.“, Schluck, Mampf. „What can we do? - „Ah, I know...no prrrrooooblem. We pull it out again...“.

Donnernder Rauch!

MAPUTO NATIONALPARK

27.06.2012

MR.Brown, Wepapa, das Leben im allgemeinen und gottes kleiner Zeh

„Hi, my name is Brrrown“, ein ultra-fitter schwarzer Campground-Host hüpft enthusiastisch aus dem Buschland heraus und sein rollendes R hat Starqualitäten.Vorher völlig unsichtbar und offensichtlich Eins mit dem Wald steht er ganz plötzlich mit enthusiastischem Gesichtsausdruck vor uns: der braun-orange gemusterte Jogging-Jumpsuit sitzt stramm, die khaki-farbene Pudelmütze verdeckt das halbe Gesicht. Unserem Mr. Brown ist langweilig, das wird schnell klar, „Nobody here...kommt ja keiner her“, doch das macht ihn umso redseliger und so bleibt er uns bis zur Dämmerung erhalten, schürt galant ein heimeliges Gratis-Feuer, setzt sich auf die Holz-Bank, während es zu knistern anfängt und legt Biografie-technisch drauf los:

„Früher, früher als ich ein Junge war, hat meiner Familie viel Land gehört“, sprudelt es aus ihm heraus, und glühender Stolz erhellt seine Miene „doch dann kamen Gesetze. Uns wurde das Land abgenommen. Jetzt heisst mein Heimatdorf „Nationalpark“, und wenn eine meiner Kühe darauf läuft, muss ich fünf Dollar bezahlen. Strafe, you know - Aber Kühe!, you know, wie soll ich meinen Cows sagen, wo sie laufen dürfen“, rätselt er, zieht die Woll-Mütze noch tiefer in die dunkle Stirn und bricht sich eine Scheibe trockenen Toastbrots ab.

Es ist kalt geworden, mittlerweile um die acht Grad, und das in Afrika - ich hole meine Jacke. Als ich zurückkomme höre ich: „Afrika ist ein wunderschönes Land, nicht wahr? Ich liebe es hier zu leben. Und jetzt geht es auch wieder, mit der Wirtschaft“, fügt er überraschend hinzu.

Ich bin irritiert, ist es nicht so, dass Zimbabwe dank Präsident Mugabe als gescheiterter Staat gilt? Eine seltene Ehre, doch um niemandes Staatsangehörigkeit zu kränken erwidere ich nur „ein bisschen teuer finde ich es schon. Thema Lebensmittel. Wer hätte gedacht, dass eine Gurke 1,96 Dollar hier kostet und Campen um die 30 Dollar, einmal Wandern im Nationalpark 10 Dollar pro Person! Das ist teuerer als in Deutschland“. Da fährt Mr. Brown gelassen fort:

„Ich esse fast kein Gemüse, zu teuer. Auch kein Fleisch. Millipap (Maisbrei) ist auch ganz gut. Und manchmal Milch. Aber, you know, jetzt ist es wenigstens nicht mehr so, dass ich mit meinem Wochenlohn am Montag nur noch eine halbe Karotte kaufen kann, weil sich die Preise über´s Wochenende verzehnfacht haben. It´s stable. Und das ist gut. Alles bleibt gleich. Teuer, aber stabil. Aber du hast schon Recht“, meint der grübelnde Mr. Brown, „Das Leben ist teuer. Frau und Kinder wohnen im Village, mein eigenes Lehmhaus, keine Miete. Ein Appartement in der Stadt kostet 500 Dollar, der Durchschnittsverdienst hier ist nur 300. Und dann die Kinder! Brauchen dies und brauchen das! Erst wollten wir zusammen leben. Meine Mama und meine Frau, bevor die Kinder kamen. Aber Oi Oi Oi....Eiiiiiiih!“ und er schnalzt geräuschvoll mit der Zunge „No way!“, und lacht etwas hysterisch drauf los!

Der sportliche Campground-Host gibt uns Tipps für den Park, bevor er sich auf den Heimweg zu seinem Zelt macht. „I go shower now. And then sleep. See you tomorrrrrow!“, sagt´s, zieht die Mütze noch tiefer ins Gesicht und verschwindet im Dunkel des Waldes. Zapfige fünf Grad hat es nun, leichter Nebel liegt in den Bäumen und wir erwärmen unsere Haut am Feuer und unseren Bauch mit selbstgemachten Burgern vom Home-Grill.

Am nächsten Tag starten wir früh zum „Matopos“, staunen über schimmernde Regenbogen-Eidechsen und sauber ausgerichtete „Balancing Rocks“ in dem 430 Quadratkilometer großen Nationalpark, der von seltener Schönheit ist. Bizarre Felsformationen, verwitterte Granitfelsen und hinreissende Lichteffekte geben dem Areal das gewisse Etwas und nicht nur deswegen haben sich die Menschen hier schon vor Tausenden vor Jahren niedergelassen: auch Flüsse waren ausschlaggebend für die San (Buschmänner), sich hier häuslich, äh, höhlich, einzurichten. Nach dem Besuch des Museums betreten wir zwei Caves mit bezaubernden Wandbildern.

Wepapa, der 26-Jährige Haus-Archäologe startet den Rundgang mit uns und erklärt in perfektem Oxford-Englisch verschiedene Stationen des Museums und die bis zu 60.000 Jahre alten Bilder, die mithilfe von Ockerpaste, Blut, pflanzlichen sowie tierischen Extrakten und Federn an die Wand geklatscht wurden. Ständig und immer sehen wir überdimensional dargestellte Giraffen, die als heilig und Symbol des Lebens verehrt wurden. Die erste Höhle heißt „Nswatugi-Cave“, „Der Platz des Sprunges“. Wenn man der Kalanga Tradition glaubt, ist hier vor langer, langer Zeit, der liebe Gott (Mwali) von Njelele über den Gipfel von Nswatugi gesprungen, hat dabei den Boden mit seinem klitzekleinen göttlichen Zeh berührt und ist dann galant auf dem Khalanyoni-Berg gelandet. Darum fließt das Wasser hier so reichlich und die Erde blüht in allen wunderbaren Farben.

Abends wartet Mr. Brown joggend auf Reifen-Gummischuhen auf uns und frägt ungeduldig, ob wir ein Telefon haben. Er besitzt keins, denn „from everrry call I get a headache!“.

Aber weil er nun einmal Kopfschmerzen haben will, bräuchte er eines. Jetzt! Den ganzen Tag ist er schon unruhig, weil „Etwas ist geschehen! I´m sure!“. 12 Kilometer entfernt, bei seiner Familie. Einer im Dorf hat ein Handy und so würde er es dort mal klingeln lassen. Wir geben ihm das Phone – und er kriegt Kopfschmerzen. „Ahh!“, stöhnt er nach dem Auflegen. „Mummy and wife!“, er schüttelt den Kopf, pfeift kurz mal durch und summt danach ein leises „zum Glück habe ich kein Telefon, thank God.." und dann wieder laut:

"Like I told you...EVERRRY CALL I GET A HEADACHE!", schüttelt sich erneut, sodass der Mützenpuschel fliegt, lacht lustig und trippelt schmunzelnd zurück zu seiner Hütte.

GREAT ZIMBABWE

28.06.2012

am sichersten platz simbabwes

„This is the most secure place in whole Zimbabwe!“.
Das ist mal ein Statement. Ich fühle mich wie beim Staatsempfang, als der voll uniformierte, schneidig-hagere Gerrard, 29 (laut gesticktem Abzeichen in Brusthöhe) am Campground zu den Great-Zimbabwe-Ruinen auf uns zumarschiert. Eins-zwei-eins-zwei. Und hoch den Kopf. Schnurgerade auf uns zu. 12 Uhr. Gerade noch so schafft er es, nicht zu salutieren, aber die Haltung sitzt. Äußerst vorbildlich. Stellt sich vor, schüttelt die Hand und kehrt zurück zur Eins-A-Bundeswehr-Stellung. Beine kniebreit auseinander, Rücken gerade, Hände dahinter verschränkt.

Beim Yoga würde das „Military-Position Armer Hund“ heissen. Der Ansage folgt ein kurzes, todernst gedonnertes: „Because I´m responsible for security!“

Wir verbringen den sonnigen, aber frischen Nachmittag im bedeutendsten kulturellen Erbe Simbabwes und die Pupillen weiten sich dank des gut erhaltenen Bauwerks. Südlich der Sahara soll es der „eindrucksvollste Zeuge vergangener afrikanischer Kulturen“ sein, sagt unser schlaues Buch von der Frau Beth – „mit bestechenden Funden von Goldgegenständen, kunstvoll verarbeiteten Schmuckstücken, wertvollen Grabbeigaben und Bildhauerei-Arbeiten. Nebenbei ist die fantastische Architektur beeindruckend und das bewundernde Auge gleitet über runde, weiche Formen, die sich harmonisch in die bergige Landschaft einfügen.“ Schon im 11. Jahrhundert gab es in diesem Gebiet erste Shona-Siedlungen, doch erst im 12./13. Jahrhundert begann sich das mächtige Imperium zu entwickeln; heisse Granitfelsen wurden mit kaltem Wasser überschüttet und die so entstandenen Steinquader lieferten das ideale Baumaterial, sagen die Infotafeln im Museum. Ohne Beton, Mörtel oder sonstigen Klebstoff wurden die Ziegelsteine in ungeheurem Aufwand aufeinander geschichtet – ähnlich der Maya-Bauweise in Südamerika, sage Ich.

Mit wackeligen Knien und voller Kamera-Speicherkarte erreichen wir den Campground und ich muss grinsen, als mein Blick schon von Weitem auf den motzenden Gerrard fällt. Mürrisch schiebt er einen schwer überbeladenen Schubkarren vor sich her und hat Mühe, die Ladung nicht halb zu verlieren.

„See that?“, kreischt er vorwurfsvoll herüber, rollt die Augen dramatisch, während er brüskiert den Karren voll Reisig-Besen, hölzernem Firlefanz, Plastik-Eimern und dreckigen Lappen abstellt. „This is not my job!“, brodelt es aus schmalen Lippen. Mürrisch nimmt er die Griffe wieder auf, zack, zack - und kippt das Saubermach-Nippes mit Schmackes in ein kleines Kämmerchen rechts der Toiletten.

Da kracht die Türe ins Schloss. „I´m not a cleaning man! I´m security!“ , Gerrard motzt mit brüchigem Englisch und stapft grün-in-grün zu uns heran. „But, you know...“, flüstert er pikiert, schiebt das blattgrüne Barret auf dem Kopf zurecht und kratzt sich die kurzen Krauslocken „it´s always the same...“ und kauzig brabbelt er drauflos: wenn die anderen ihr Zeug morgen wieder nicht finden, na wessen Schuld soll´s dann sein? „Mine! It´s always the security!“, muffelt er verdrossen, „No. Nothing! - Nichts ist meine Schuld“, murrt Gerrard, stampft kindisch sein Bein in den staubigen Boden, so dass es rumpst. Das passt jetzt irgendwie nicht so wirklich zum Outfit, das Murren, obwohl, ein wenig erinnert er mich an den uniformierten Luis DeFunes, so in Schwarz jetzt. Gerrard regt sich auf, sodass sein dunkler Teint nun stark ins Rot tendiert.

Hoffentlich kriegt er jetzt kein Nasenbluten, wie Luis, denke ich bei mir und überlege geistig, wo die Tempos sind. „Oh man! I don´t like that!“, mosert´s weiter, „ But tomorrow...morgen werde ich es nicht sagen...wo das Zeug ist!“, leichtes kindliches Glucksen folgt. Ein klein bisschen psychopatisch schon fast. Der Security guckt uns an, rollt die Augen, atmet schwer und nach zehn Sekunden stakkatoartig wieder aus. Es folgt eine gepflegte rhetorische Pause.

„Tomorrow...they will see! - Die sollen das mal schön suchen. Morgen. Nicht mit mir!“ Es folgt ein zufriedenes, abschliessendes, ausatmendes „Yessss!“, und Gerrard stellt befriedigt den nun leeren Schubkarrren vor sich ab, zupft die Uniform zurecht und setzt sich auf die Steinbank neben unserem Toyota.
„Did you like the ruins?“, das Schubkarren-Thema scheint abgeschlossen, Gerrard ist in Quatsch-Laune, er „muss sich ja noch die ganze Nacht um die Ohren schlagen. All night through! Ich passe auf Euch auf! Mach´ ich schon sieben Jahre, den Job hier. Aber jetzt ist es so kalt, der blöde Winter“, und weiter geht’s mit Weichspüler-Murrerei, ich frage mich, was jetzt los ist. Doch nicht so hart, der Gute. Oder direkt aus Police-Acadamy II entsprungen.

„Wisst ihr, am Besten ist es im Juni, Juli einen Job zu bekommen. Niemand will im Winter Security sein. Am Fluss erfrieren manche!“. Das Statement lässt Gerrard jetzt mal so stehen, um nach kleiner Pause hinzuzufügen „aber nicht ICH!“. Und da haut er auch schon all seine Tricks heraus und was hat er nicht alles drauf, unser Gerrard, der „best security-man in the world!“.

„You know...Weißt du“, fährt er fort „manchmal ist es so kalt, da schlottere ich am ganzen Körper, aber dann...ja dann kann ich ja was tun! Erst ziehe ich noch zwei oder drei Pullover drüber, dann habe ich noch dickere Socken, und dann laufe ich ein wenig, dann wird mir wärmer und dann, wenn das alles nichts hilft, dann gehe ich zu den Duschen.“. Die Gerrard-eigene, spannungsfördernde Pause folgt, er hebt die Brauen, die braunen Augen poppen lustig hervor: „Dort gibt’s heißes Wassser. Und weißt du, was ich dann tue?“. Pause.

„Hier!!!“, sagt´s und hält mir vier leere Cola-Plastik-Flaschen vor die Nase. Weiß jetzt auch nicht, wo er die so schnell hergenommen hat.Wenn er nun neben der vier-Pullover-drei-Paar-Socken-und-zwei-Jacken-Schicht nun auch noch Flaschen am Körper hat – wie dürr ist er dann wirklich?!

Doch ich habe zum Glück keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Gerrard nimmt mich sofort wieder in Beschlag. „Die fülle ich mit heißem Wasser auf“, kichert er nun gar nicht mehr muffig, eher nach Drei-Käse-Hoch-Art „und dann stecke ich sie in meine Socken“, es folgt ein giggerndes „Eiiiiiiiih! -That is gooooood!“. Pause. „Then me not cold anymore!“.

Das ist mein Stichwort, denke ich, und biete Gerrard eine Tasse Cafe an. „Yes!“, grinst er von einem Ohr über das andere, „das wäre großartig!“. Bis morgen früh um sechs Uhr muss er noch durchhalten, und nachts kann es schon mal frostige vier Grad haben. Ja, wissen wir!

Als ich mit der dampfenden Tasse zurück zur Steinbank komme, hat Gerrard Mütze und Handschuhe abgelegt und sinniert so gar nicht Bundeswehr-like über sein Leben. „Good. Very Good!“, gurrt er, und ich weiß grade nicht, ob er jetzt den Cafe oder sein Dasein meint, doch bald ist klar „Coffee is O.K. - And warm“, ah ja, na gut.

Aber Gerrard ist trotzdem glücklich, ist er doch frisch verliebt! Und hat eine große Zukunft vor sich. „No rush!“ allerdings, „keine Eile“ mit Kindern, meint er. „Erst will ich noch mehr sparen! Wisst ihr, ich habe jetzt Elektriziät für mein Haus beantragt! Legal! MEIN Strom! Für MEIN Haus! So in zwei Monaten werde ich dann Strom haben. Und in fünf Monaten auch Leitungswasser!“, Gerrard gluckst geradezu vor Glück und schlurft geräuschvoll an der Tasse, am kleinen Kraus-Schnurrbart glitzern milchige Tropfen und verleihen ihm eine rührige Note. „I have nice house. And nice bed! I buy for my mummy, too!“.

Mir geht direkt das Herz über, als der dünne Gerrard weitererzählt, dabei dreht er seine Hüfte spielerisch-kindlich hin und her, so dass der schwarze Gummi-Knüppel im Schoß nach rechts und links pendelt und jetzt mehr wie ein Baströckchen aussieht. Das haben wir aber so nicht gelernt, gell! „Sieben Kinder hat meine Mummy geboren, und mein Daddy ist gestorben, da war ich acht. Aber sie hat alles für uns gemacht. Und wenn ich erst mal Electricity habe, dann kaufe ich ihr eine Washing-Machine. Dann kann sie für das ganze Dorf Wäsche waschen und ihr eigenes Geld verdienen. Big plans I have!“. Der schlaksige Security nimmt die Handschuhe säuberlich in beide Hände, schlägt sie fein übereinander, legt sie auf seine Khaki-Knie und nimmt einen Schluck Cafe:

„And I am so lucky! Good girl-friend. Clever she is! And beautiful!“. Sandrina ist erst 22, aber schon Grundschullehrerin und mit ihr wird die Zukunf f-a-b-e-l-h-a-f-t!. „I´m saving all the money now“, erzählt er mit stolzgeschwellter Brust „damit ich meinen Kiddies ´was bieten kann! Sie können in meinem Steinhaus großwerden, und jeder ein eigenes Bett. Und wenn ich weiterhin so spare, kann ich mir in, naja, vielleicht zwei Jahren einen Fernseher kaufen!“. Pause, in Gerrard´s Kopf rechnets...“und in sechs, sieben Jahren ein Auto!“ und die braunen Augen glänzen auf.

„Yes. I want a better life! And I´ll get a better life!“.

Klasse, finde ich, genau wie der Security. Gerrard ist der erste Afrikaner, den wir in fast fünf Monaten hier kennenlernen, der einen genauen Future-Plan hat, der weiss, was er will, ein besseres Leben anstrebt, mit allem, was dazu gehört. „But now...“, schließt er den Vortrag „I have to go!“, und erhebt sich von der Bank „I´m responsible for security! Can not talk with you all night!“, setzt sein todernstes Gesicht zusammen mit dem Barrett wieder auf und verabschiedet sich mit einem höflichen „Thank you for the coffee and talking. Tomorrow I don´t see you, because I have other job at eight. Reception in Hotel.“, raunt er halb-happy, „Aber dann“, meint er „nach 24 Stunden kann ich endlich wieder schlafen!“, gibt mir die leere Tasse in die Hand und wünscht „have a beautiful trip in beautiful afrika!“, nickt uns zu und geht schnellen Schrittes seines Weges, checkt ordentlich jedes Licht, jeden Baum und jedes Zelt.

Hier hat alles seine Ordnung. Muffelpuffel-Sweetie Gerrard is responsible!

CHIMANIMANI NATIONALPARK

29.06.2012

schwedische schweinerei

Nachts. Dunkel. Wald. Rascheln. Mist. Wie geht noch mal der Krav-Maga-Move? Ich mache mir fast in die Hosen und das im wörtlichsten Sinn. Ich muss mal. Und jetzt stehe ich da, in der Dunkelheit, allein im tiefen, schwarzen Wald. Der Toilettenblock ist zweihundert Meter entfernt, ich leuchte die hohen Baumstämme an, jeder einzelne wirkt bedrohlich. Da ist wieder das Rascheln. „Mann, jetzt reiss´ dich zusammen“, sage ich zu mir selbst, denn das ist nun wirklich kindisch.

Vielleicht war es einfach mal keine gute Idee, einen Henning-Mankell-Krimi zu lesen, in dem ein Mann bestialisch hingerichtet wird. Im Wald. Nachts. An einen Baum gefesselt und abgeschlachtet. Der Mann im Thriller. Elendig. Höllisch. Angst! Gut, hat so nicht wirklich was mit mir zu tun. Jetzt so direkt. In Realität. Und spielt ja auch in Schweden. Die Handlung. Bin weit entfernt von Schweden. Aber Irre gibt’s überall, oder? Egal, ich muss. Schritt für Schritt arbeite ich mich mit meiner Funzel vorwärts, bei jedem dritten Baum droht der Herzinfarkt.

Zum großen Glück schaffe ich es. Unversehrt. Überraschenderweise auch wieder zum Auto zurück. Eins ist klar: kein Thriller in den nächsten sechs Wochen! Ich schlafe ein im steten Bewusstsein, wie sehr ich doch mein Leben liebe...

Der Wecker klingelt viel zu früh am nächsten Tag. Nach kurzem hypothetischem „sind-wir-denn-im-Urlaub-oder-nicht?“ und „was-soll-das-Ganze-eigentlich“ und „wir-können-doch-morgen-erst-Wandern“ und ähnlichen geistig gemotzten Widerworten hieve ich mich aus dem warmen Bett und bekomme wortlos die nötige Kaffee-Infusion gereicht.
Irgendwie rappele ich mich auf, stülpe die Schuhe über die Füße und die Jacke über die Schultern und schon bin ich mittendrin!

Wie Rambo irren wir durch den Dschungel, fatsch, ein Farn hängt mir in der Nase, flopp, ein Palmenblatt schneidet über´s Gesicht. Mann, jetzt bin ich aber wach! Im unaussprechlichen „Chimanimani“ Nationalpark rinnt mir der Morgen-Schweiss über die brennenden Augen, spannt der Rucksack am Rücken, grübelt der Geist „Warumwarumwarum?“. Georg hält die unbrauchbare Karte vom Ranger in der schwitzigen Hand. Ich erwache immer weiter. Bin da! Wie? Was war die Frage? „Hier soll doch der Weg zur Hütte sein“, murmelt Schatzi. Doch vor uns nur Felsen, Farne, Dickicht, grünes Allerlei. Bin grade noch nicht so arg brauchbar. Ich meine, ich laufe doch schon! Der Miniskus sticht, der Backpack drückt und ich beschliesse: es ist Zeit für eine Pause! Schade, dass das Bett schon wieder so weit weg ist. Georg schmunzelt und drückt mir ein Sandwich in die Hand. Nee, kann ich jetzt noch nicht essen, bin doch gerade erst aufgestanden. „Ja, so vor einer Stunde, Schnuffi!“, schiesst Schatzi aus der rhetorischen Hüfte. Ich setze mich und bringe erste geistige Höchstleistung zustande:

„Kein Wunder, das „Chimanimani“ so viel wie „einzeln an der Hand hintereinander hergehen“ bedeutet. Nebeneinander macht kaum Sinn. So eng der Weg! Doch ich bin froh, wenn Georg sämtliche Spinnen über die Wangen kraxeln, wenn er den Weg freischlägt. Frage mich, wann das letzte Mal hier einer gegangen ist.“.

Denkleistung Ende. Muskeln, ihr seid dran! Und weiter geht’s. Jetzt, wo ich so wach bin, psychisch und physisch finde ich es doch ganz schön. Irgendwie tirolerisch. Grauer Fels, blauer Himmel, Blümchen hier und Bäumchen da. Das „für Wander-und Naturfreunde ausgezeichnete Paradies“ haut uns die Natur nur so um die Ohren. Aus der Erde wuchern orange-blühende Trompetenbäume, Baumfarne, Aloen, Bananenstauden und Orchideen. Wir sehen die „Losung“, ach welch schönes Wort für „Scheisse“ von Leoparden, einige Säbelantilopen und ein paar Dik-Diks, die erschrocken zur Seite springen. Wir steigen und kraxeln und hieven uns meterhohe Abhänge empor und endlich, als ich schon denke, jetzt stürzen wir gleich ab, gibt’s einen gelb gesprühten Pfeil mit dem niedlichen Hinweis „Hut“, also nicht Kopfbedeckung, sondern Hütte!

Na denn, nur noch ein paar kleine Stündchen und wir haben es geschafft. Die auf 1630 Meter befindliche Hütte ist gefunden. Von dort aus wandern wir – natürlich schön hintereinander – einen klitzekleinen Weg entlang zum wunderschönen Wasserfall und ein Gardasee-Panorama öffnet sich. War´s doch wieder wert! So ist das mit der Wanderei.

Elendig lange Quälerei, und dann, ganz plötzlich, überschwappt einen das Mörder-Glücksgefühlt! Und ausserdem: wer denkt denn schon, dass die Welt hier aussieht wie in den (fast) heimischen Bergen?! Mitten in Afrika und doch halb daheim. Glücklich schlürfen wir unser isotonisches Berry-Wässerchen, mampfen das mitgebrachte Schinken-Käse-Sandwich und steigen in weiteren vier Stunden wieder ab. Kinnhoch in Farnen, umgeben von grellem Grün und ansonsten krabbelndem Boden. Wenn jetzt nur die Nacht nicht wäre!

Na Danke, Herr Mankell!

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