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Khartoum

Montag, 25.02.2013

Salam Aleikum!

„Salam Aleikum! Is mog Minau? Is mi Samig. - Oh sorry, maybe you don´t speak arabic...Hello and welcome! I´m Samig“. Ein hochgewachsener 25-jähriger Sudanese mit breitem Lächeln und schmalen Schultern löst sich aus einer enthusiastisch gestikulierenden Kaftan-Gruppe unter flackernden Neonröhren, stellt den Stereorekorder mit brutzelndem Bauchtanz-Soundtrack auf „Off“ und fährt grinsend fort:

„Drive in, you´re welcome! Campsite is at your...“ - „ALLLAAAAHHH“, ich zucke zusammen, „ALLLAAAAHHH“, tönt es irre laut, aber so plötzlich, dass mein Herz kurz flackert. „ALLLAAAAHHH, AM NA LEHAAMAN CH ALLAAAH, ALLAH...“, kleine Pause und dann dröhnt´s, aber so richtig imperativ: „ACHAMALAT! - ACHAMALATT!!“. Ich spüre die Schallwellen auf meiner Haut. Übersteuerter Sound aus knisternden Boxen, knackig brüllend über meinem Kopf. „ACHAMALATT!!!“. Ich drehe mich um. Moschee, ja klar! Die ist keine 20 Meter hinter uns, ein grüner, schlanker Turm, in jeder Richtung baumelt ein monströser Lautsprecher, darunter das elegant grüngetünchte Gebetshaus mit weissen Fensterläden.

Die Lippen des netten Jungen bewegen sich immer noch, doch ich kann nur seinen Geranienduft vernehmen, zu mir schwirren klitzekleine Satzfetzen „...side, and when you...“ ...„ALLAH!“, ...no problem, also you could...“. „ACHAMALAT!!“, „...later for registering“, „ALLAH, ACHAMALAT!“, „Ok? - Ma Salama!“. Äh, ja. „ACHAMALAT! ACHAMALAT!!!“. Ich ziehe mein auberginenfarbenes Kopftuch mit pinken Streifen fester um die Schultern, hat ja nur noch 38,5 Grad jetzt um 22.00 Uhr, schlüpfe wieder ins Auto, dirigiere Georg zum vermeintlichen Platz und lausche beim Abfahren dem Restklang des Arabic, das jetzt wieder unter den Jungs erklingt. Wie halten die nur ihre Kleider so weiss? Omo-Wonderland! Oder Persil? Ariel? Bleiche?

Um 23.00 Uhr nach 780 Kilometern, 15 Stunden und 45 Litern Schweiss erreichen wir nun also nach einem überraschend einfachen und angenehmen Grenzübertritt bei Metema (Dauer 2 Std., Kosten 20 Sudanesische Pfund, 3,30 Euro) die Großstadt Khartoum und fahren direkt ins National Camping (15 Sud.Pfund/pP) im Süden der Stadt. Wir werden warm empfangen! Grosses Hallo, Welcome und Händeschütteln. Warm kann man allerdings auch vom Wetter sagen: das Thermometer zeigt immer noch 38,5 Grad! Die Hitze schlägt uns wie eine kochende Brühe ins Gesicht, Klamotten kleben am Leib, das Metall meiner Ray-Ban schmerzt beim Berühren. Leider ist ab jetzt auch Schluss mit dem englischen Durchmogeln, keine Sau versteht uns mehr und dasselbe gilt andersherum. Schilder sind unlesbar, selbst einfachste Fragen wie „Ist das Diesel?“ ein Problem. Samig ist die erste englischsprachige Ausnahme des Tages – und wird es auch bleiben...

Wir packen unsere sieben Sachen aus, Kisten nach hinten, Stühle raus, Tisch aufgebaut, Vorhänge ran, das Ganze wie immer, da erscheint Samig mit zwei eisgekühlten Orangina-Flaschen. Feine Wasserperlen laufen Werbungs-like daran herab. Ich höre schon den Slogan „Erfrischung pur! - Schmeiss den Schleier ab und lösch´ deinen Durst“. Samig unterbricht: „Here. For you. - How is it? Everything fine? You have to eat?“. „Hi, Samig“, grinse ich, „thank you so much“, und gurgle etwas von der kalten Brause die trockene Kehle hinunter, oh, das tut gut, „everything is perfect! And, yeah, we have food in the fridge...I´ll prepare something later. - By the way“, fällt mir da ein, „Samig...what´s your favorite food, I mean Sudanese food?“. Samig überlegt nicht lange: „Fuul Ta´amiya, that´s arabic name. English is Falafel with beans, I think. - I love it, yes, that´s my favorite food.“ - „Good to know“, sage ich Neugier-befriedigt, „I´ll try that next time. When we go out for dinner!“. - „You can just buy it at every corner!“, raunt Samig, „the ladies are cooking in pots over glowing embers, just on the street“.

Der grosse Sudanese mit den blitzenden Zähnen, voluminösen Lippen, Milchkaffee-Teint, Schnauzer und leicht welligem Kurzhaar setzt sich zu uns, will ein bisschen „Englisch üben“, das gefällt ihm. - „ALLLAAAAHHH“, knackt da wieder durch die Luft, ich zucke nur noch halb zusammen und warte auf... „ALLLAAAAHHH, AM NA LEEEEHAAAAAMAN CH AAALAH, ALLAH...“, nee, ich warte auf... „ACHAMALAT!“, da ist es „ACHAMALATT!!“. Genau. Und noch mal „ACHAMALATT!!“. Genau. Samig studiert Sprachen an der University, erzählt er uns und arbeitet nur abends hier an der Rezeption. „Boah, it is hot!“ sprudelt´s aus mir heraus, als ich auf den Wecker gucke und der simultan 23.55 Uhr und 34,6 Grad anzeigt. „Yes“, lacht Samig, „we say, in Sudan there are two seasons: Hot and Hell. - Now it is hot.“

Es ist schon nach Mitternacht, doch wir quatschen und plaudern und ratschen und quasseln draussen, an Schlaf ist in der Blech-Sauna nicht zu denken. Samig erzählt von den VIP-Restaurants, die mit den Karten und Bedienungen, Tischen mit Deckchen, da kann man sich unter zehn Gerichten ein Essen aussuchen und bestellen - und wenn wir dahin gehen, dann könnten wir auch Fleisch probieren. Die haben Fleisch. Gutes Fleisch! „But very expensive! Chicken! Ahh!“, und helles Gekicher entfleucht ihm, „Expensive! But nice! - What is chicken in german?“. „Hühnchen“, „Huuunschn“, „Hüüühnchen“, „Huuuunschän“, „Naja, fast“, lache ich.

„Mensch, Samig“, fällt mir da ein, „You could teach me some sudanese Arabic words! - Would you mind?“. „No. Of course! - What you wanna know?“. „Naja“, murmle ich, vielleicht sowas wie: „Hallo, wie geht’s Dir“ - „Salam a Leikum“, und „Mir geht’s gut, Danke“ – „Tamam, Shok´ran!“ und „Wo ist ein Supermarkt?“, Samig stimmt mir zu, „Yes, that´s important - „When eine Bachala?“ - und was heisst „Wie viel kostet es?“, „is easy...KamKam?“. Ei, ich muss ja auch noch so was wichtiges wie „Where is a petrol-station (Ayana Maichad da Ilogood?) und Diesel (Gaz) wissen. Samig beantwortet gutmütig all meine Fragen, ich kritzele alles auf ein kariertes Papier. „Können wir hier schlafen?“, „Gibt es Camping hier?“, Samig stockt, legt den Kopf schief, fasst sich an den kleinen Schnauzer und reibt ihn. Ja, also das mit dem Camping gibt’s nicht, denn das Wort Camping existiert nicht in Arabic, aber das Erste, so Samig, würde Mumkin a num huna heissen. Is ja auch wurscht, camping oder schlafen. Deuten wir eben auf´s Auto und sagen Huna (hier halt). Ich bedanke mich überschwänglich mit gehauchtem „Shok´ran!“, sage artig „Ma Salama“ und „Arak Lecharem“ (Gute Nacht, bis morgen) und bin glücklich über mein Neu-Arabisch.

40 Minuten später klopft es verhalten an unserer Blechdosen-Sauna-Tür. Ich öffne. Im Schwummerlicht der hohen Laterne steht ein verlegener Samig mit gesenktem Kopf. „Sorry, sorry to disturb you, Andrea...But I have something for you...“. Ich luge neugierig hinaus und Samig hält mir einen riesigen Porzellan-Teller vollgepackt mit Falafel und grüngefärbtem Kidney-Bohnenmus unter die Nase. Es raschelt und von irgendwoher zieht er nun auch noch eine rosa Plastiktüte mit zwei Semmeln hervor, drückt sie mir die Hand:„That´s my favorite food...Fuul Ta´amiya...for you!“.

Ich bin wispere ein freudiges Shok´ran, Samig, Shok´ran! - er muss den ganzen Weg bis vor zur Universität gelaufen sein, nur dort gibt’s ein paar Stände mit kochenden Frauen vor blubbernden Töpfen auf glühenden Kohlen. Ganz entrüstet entgegnet Samig: „Stop it! Don´t always thank me! You are my friend now! Tamam!“. Ich will ihm schnell noch etwas anbieten, doch Samig ruft: „No! No! La! You must eat and then sleep! Long day for you! Enjoy food! Salam a Leikum, Andrea!“

Khartoum II

Dienstag, 26.02.2013

Goldene Katzenaugen
mit brennenden Fragen

Heute wackeln wir im gleissenden Sonnenschein und brütender 46,5°-Hitze brav zur Immigration an den Airport, lassen uns registrieren (zusätzlich zu den 50$-Visas nochmal 50$/P), besorgen nach kleinem Ausflug durch die mit gesitteten Fahrern gesegnete Stadt unsere Foto-Permit. Auf der erlauben wir uns per Signatur, „als Tourist zu traveln“ und verbieten uns, „Fotos von Baustellen, Militärstützpunkten, Brücken, Bahnhöfen & öffentlichen Versorgungseinrichtungen“ zu machen.

Ausserdem ein digitales No-Go: „Slums, Bettler und sonstige für den Sudan diffamierende Gestalten oder Gebäude“. Ein paar Mal werden wir von der Polizei aufgehalten, doch nach Vorzeigen unseres Reisepasses, der Travel- & Foto-Erlaubnis und „Wen? - Where are you from?“ kommt immer, immer wieder ein breit gelächeltes, uns tief in die Augen geblicktes „I LOVE GERMANY! You-drive-on!“. Denn Germany, da ist man sich einig, ist „Top!“-„Best cars, soccer-players and fridges!“.



Zurück am National Camping tönt´s erst „ALLAAHH, ALLAAAHHH, AM NA LEEEEHAAAAAMAN CH AAALAH...“, und danach, natürlich „ACHAMALAT...! ACHAMALATT!!“. Später schlendert die verhüllte Amida mit ihren goldenen Katzenaugen zu uns herüber. Ich schätze sie auf Anfang zwanzig, ist aber wiederum schwer zu sagen, mit all den Schleiern. Amida lebt hier in der ehemaligen Kaserne, hat sich im 10-Bett-Zimmer eingemietet und ist neugierig auf mich und das Leben ausserhalb des Sudans. „Du hast mal in einer eigenen Wohnung gelebt? Ohne Mann, Vater oder Bruder?“, schüttelt sie ungläubig den Kopf, „Allein? Echt? Wo sind deine Kinder? Nee? Echt? - Wie geht Verhütung? Wie kalt ist es bei Euch? Echt? Minus? MINUS? Echt? Ihr habt Schnee in Deutschland? Viel? Wie geht Ski-Fahren? Echt?“. Sie arbeitet in einem Supermarkt in der Nähe und klärt mich nach zweitausendundfünf Fragen zu Deutschland in brüchigem Englisch und mit viel Gestik über die hiesigen Anstandsregeln auf: „hier in der Hauptstadt ist man ziemlich frei unterwegs, ein Grund, wieso ich vom Village hierher zog. Die Jungen halten gar nicht mehr so viel vom Schleier, da kannst du als Touristin auch mal Haare zeigen, kein Problem, nur die Schultern, die müssen immer bedeckt sein. Und die Beine, natürlich. Ansonsten gibt’s schon noch die Alten, die mit Turban und Bart, da musst du schon vorsichtiger sein, lieber Haare und Knöchel bedecken! Sonst werden die krätzig!“.
Ob ich allein zum Markt gehen könne, frage ich sie. „Ja, klar“, sagt Amida, no problem. Sudan is safe! „You want Shai-Saada or Jebbaba-Tea?“ (sowas wie Chai). „Come, come...“. Ich gehe mit ihr durch eine schwere Eisentüre hinter die Mauern des Frauen-Traktes. Hier im geschützten Inneren sind die Mädchen unverhüllt, liegen mit weissen Baumwollhemdchen im Gras, quatschen, trinken Tee, lachen. 1001 Nacht! Amida nimmt den Schleier ab, aufwändige Prozedur, hinten die Schleife auf, weg das Ding, ein paar Haarnadeln gelöst, runter damit, zack das Kleid über den Kopf. Nein, sie ist bei Weitem nicht nackt, darunter ist nochmal jede Menge Stoff. Aber leichter.

Amida streckt mir einen Zeigefinger entgegen, „one Minute“, raunt sie und läuft in ihr Zimmer. Als sie zurückkommt, versuche ich mit Selda, Aischa und Esmeray zu kommunizieren. Ist aber schwer. Amida tippt mir auf die Schulter, und ich erstarre. Ein Jammer! Was ein Jammer, dass diese schöne Frau sich verhüllt!

Khartoum III

Dienstag abend, 26.02.2013

Der Maxl und
Himmlische connections

Nach einem kurzen Tee reisse ich mich von Amida und den 1001-Nacht-Mädels los, es wird bereits dämmerig, und laufe an der Moschee vorbei vor zur Uni, da wollte ich schon vor einer Ewigkeit hin. Mission: Shawermas für´s Abendessen kaufen, den typischen Spiess habe ich beim Vorbeifahren im Fenser gesehen. Und vielleicht kaufe ich auch ein paar von den klebrigen Honig-Blätterteig-Haselnuss-Sweeties als Dessert (250 Gramm, 13 S.Pf)? Shawerma ist übrigens wie Gyros ohne Tomate/Zwiebel/Tsatsiki vom Hühnchen- oder Lammspiess in der Semmel, nur dass es statt roter Pampe grüne Scharf-Soße dazu gibt. Kostenpunkt: 7 Pfund (1,10 Euro).


Natürlich schmeisse ich mir vorher mein geliebtes Kopftuch um die Ohren. Wie auf´s Stichwort ertönt auch wieder „ALLLAAAAHHH“ aus der Luft, und, na, „ACHAMALAT! - ACHAMALATT!!“. Ich fühle mich beobachtet und lasse lediglich meine Nase frei, kann kaum atmen, der Schweiss klebt mir am Rücken, aber egal, gehört sich so. „ACHAMALATT!!“. Is´ ja gut! Mit dem leckeren Bild des Shawerma vor Augen biege ich um die Ecke, wandle wie ein dunkles Gespenst unter dem Laternenkegel am Bürgersteig entlang, neben mir freie Strasse, hinter mir ein paar Gebäude, vor mir Leere. - Nein, da war was. Ich schaue genauer. Zeigt mir mein Gehirn das Haselnuss-Röllchen in groß? - Nö. Eine schemenhafte Gestalt erscheint. Die wackelt. Links, rechts...betrunken? Kann nicht sein! Sudan! Alkohol-Verbot! Der Mann trägt keinen Kaftan, nur kurze Cargo-Hosen...und kommt näher. Stetig. Die Laterne zehn Meter vor mir leuchtet auf ein blutrot-dreckiges, verschlissenes T-Shirt, aufgerissene Khaki-Shorts. Die Fetzenfigur läuft auf mich zu. Schnell. Verdammt schnell! Shit.

Schon steht das Fifth-Hand-T-Shirt direkt vor mir, weiter oben sehe ich schwarze Zahnreste. Die sind eingebaut in ein wirres Gesicht, ploppende Augen und irres Grinsen. Hey, du bist zu nah! Zu nah! Zu nah! Zu nah! Geh weg! T-Shirt macht komische Ballet-Pirouetten in der Luft, hechelt orgasmisch und schreit mir ins Gesicht! Ui, es haut mich fast um. Scheisse, stinkt der! Jetzt wiegt es sich blöde vor und zurück, blökt die schwarzbrüchigen Zähne, fiept wie ein Schwein und hüpft wieder hoch. Komplett durch den Wind. Verrückt. Sieht nicht nach Drogen aus, stinkt nicht nach Alk. Also nach allem anderen schon. Urin, Schweiss, Kot, Knoblauch, Schimmel, äh, Pfui. Oh je. Er tatscht mein Handgelenk. Als er meine Finger zum zweiten Mal greifen will, zische ich ihn an „La tilmasni!“ (Pfoten weg!), das hat mir Amida beigebracht. Ich bin ganz stolz auf mich, dass ich so im Stegreif diesen Satz rausbringe! Und erst entfernt sich der Mad-Max auch wieder und ich atme auf, doch er macht nur eine kleine Schleife, dreht um, rast auf mich zu und ergreift wieder meine Hand. Also versucht es. Ich schlage sie nämlich vorher weg und drohe ihm. Ärger überschwappt mich. Arschloch! In meinen Gehirnschubladen suche ich nach passenden Krav-Maga-Moves. „Ok“, denke ich, „erst so und dann so und dann die Faust und dann...“.

Zum Glück ist er so klein und dünn, rinnt mir durch den Kopf, noch während er mich ein drittes Mal berührt. An der Schulter. Um die Taille! Jetzt reicht´s, Adrenalin rauscht wie Quecksilber in meine Adern, ich spüre das Trommeln in meiner Brust, jäher Zorn schwappt hoch, ich raste aus, bin in einem Sprung direkt vor seinem Gesicht und schreie „Haasib eedak!! Ihtirim nafsak!!“ (Benimm dich, verdammt), dass seine verfilzten Haare fliegen. Eigentlich sollte ich sagen und das ganz ruhig: „So, Maxl, jetzt klemm dir mal nen Kaugummi unter die Lippe, kämm´ dir die Haare, zieh ein neues T-Shirt an, und verdammt noch mal: WASCH DICH!“. Kann ich aber nicht. Stattdessen balle ich unter dem Tuch die Faust. Hoffe allerdings inständig, jetzt ist Schluss und er verzieht sich, denn ich will mich nicht hauen! Nein, nein, nein! Aua! Amida! Was heisst „Verpiss dich?“.

Doch kaum verhallt der letzte Satz in der Luft, fliegt eine Engel-Armada heran. Dann geht alles blitzschnell. Flatternde weisse Kleider, von allen Seiten, links, rechts, vor mir, hinter mir. Ich bin umgeben von ihnen! Yeah, die Himmels-Connection steht! Und die von da oben sprechen auch noch fliessend Arabisch und flechten Maxl so richtig zusammen, aber erste Sahne, knurren „Sachhhala“ und fletschen „ Amcchalaa!“ und sowas wie „Eschderi Chamaladra! Achalllarrad!“, keine Ahnung und Maxl wird immer kleiner, duckt sich ab, dreht Pussy-mässig eine halbe Schleife und...nimmt seine Beine in die Arme. Maxl flieht. Rennt! Läuft davon. Zu viele Engel! So schnell ihn seine kurzen dünnen Beinchen tragen. Weg ist er. Ich gucke um mich und sehe Kaftan-tragende Männer, die sich bei mir entschuldigen! Für den Maxl! Ich lache erleichtert auf, bedanke mich überschwenglich „Shok´ran, shok´ran!!“ und möchte die Männer zu Shawerma einladen. Bin ja schon fast da. Doch die empfinden ihre Hilfe als selbstverständlich, lehnen mein Essensangebot entrüstet ab, schimpfen noch mal auf den Verrückten, geben mir galant die Hand und verabschieden sich höflich. Shok´ran und Salam!

MEROE SITES BEGRAWIYA, ROYAL CITY, NAGA

Mittwoch, 27.02.2013

Speerspitzen

„You wife of man?“. Ich gucke irritiert auf den Menschen vor mir unter dem großen Turban, der im Schneidersitz auf einem Haufen aus gelbem Sand thront. Braune Hypno-Augen unter buschigen Brauen, bei denen Jean-Pütz vor Neid erblassen würde, starren mich an. Wie Omar Sharif auf Opium. Ich ziehe mein Tuch ein bisschen enger um die Schultern.

„You Wife?“.„Yes“, aber ja doch, antworte ich schnell und verschränke die Arme vor der Brust, „I´m wife of this man“, und deute mit dem ausgestreckten Finger auf Georg, der sich noch in den Pyramiden trollt. Betont langsam nehme ich meine bering-fingerte Hand wieder zurück in die Ausgangsstellung. Turban-Man nickt mit dem Kopf, „Tamam! - Good. Marry good! - I´m Muhammad“. Er fummelt an seinem weissen Ärmel herum und hakt nach: „Kamkam? - How many day marry?“- Na, der ist ja gar nicht neugierig. „Oh, Mansoor (Mister)“, grinse ich „Salaam aleikum“, erstmal, „I´m married a long time. Six years!“. Der Mann im weissen Button-Down-to-Earth-Longshirt zieht die monströsen Brauen hoch – und wieder runter. Er versteht mich nicht. Ich zeige eine ganze Hand und einen Daumen. Da nickt er wohlgefällig - und legt danach die Stirn in Falten „Wen babies?“. Wen ist jetzt halt das arabische Wort für Wo, deswegen entscheide ich mich für´s Ignorieren der Frage und gucke wieder in die Dünen.

Wo ist Georg? Muhammad räuspert sich und lässt nicht locker. Alter Wadlbeisser. „Babies?! - Wen?“. Ich schüttele den Kopf und wiegele ab „Oh, no. La. No babies“. Muhammad schnalzt mit der Zunge und das so laut, dass sich ein paar Kamele umdrehen, „NO BABIES? LA?“ - unangenehme Stille. „Husband no good??? - No Tamam?!“. Ich lache „Yes, yes, yes! Na´aam! - Very good husband!“ - „No babies!!! - No good husband!“,

Ach, verdammt, denke ich, kann es nicht im normalen Leben sowas wie „Gespräch löschen“ geben. So wie auf der Video-Cam. Oder dem DVD-Player. Einfach zurückspulen und Szene löschen. Dann würde ich jetzt gerne von vorne beginnen und neu vertonen: „Babies are at home. With their Grandmother“. So einfach.

„Ah“, antworte ich stattdessen, doch, doch, „Na´aam, soon, Mansoor, soon babies! SOON!“, da entspannt sich Muhammads Gesicht enorm, die multiplen Falten werden zu irgendwie einer einzigen Riesigen, die ein schiefes Lächeln andeutet. Ich rufe Georg. Muhammad nimmt den Husband ganz genau unter die Lupe und will mir noch ein paar Souvenirs andrehen, die er gerade vor sich aufbaut. „Sekkin! Tobsi! Basket! Arrow! Bracelet! Achamlaatatch...“ es folgen ein paar arabische Wortfetzen, die mir nix sagen...Samiiiigh, wo bist du?! „La. Shok´ran! (Nein, Danke)“, stecke ich ihm mit Blick auf den Nippes, „I don´t need bracelets, sekkins, tobsis and no arrows, and, you know, a basket like this... I already got one...“. Das überrascht Muhammad. „Wen?“, frägt er scharf. „From Ethiopia“.

„ETHIOPIA!“, boah, jetzt schrei´ doch nicht so, Muhammad! Ah! Der geht richtig in die Vollen, wird rot und röter: „Ethiopia-in-AFRICA! - LA HUNA! IS NOT AFRICA BASKET! IS ARRRABIC BASKET! My wife make! IS BASKET FROM SUDAN! HUNA! ARRABIC!“. Pamm! Ach, komm schon, Muhammad, CONTENANCE! Muhammad ist blutrot, schnauft beleidigt, schmeisst den Rest seines Tuches in einer leidenschaftlichen Geste in den staubigen Boden und schnalzt mit der Zunge, während er kopfschüttelnd die Worte „AFRICA! NO-AFRIKA! - ARRRABIC BASKET!!“ wiederholt. Also jetzt ist Schluss mit lustig, meine Sensoren spüren mächtigen Badabumm! Beleidigt zieht er die arabische Schnute, blickt strikt in den Sand, guckt nach hinten, schüttelt immer wieder den Kopf, murmelt „Arrabic basket!!“, weigert sich zu kommunizieren, bevor ich mich nicht entschuldige. CONTENANCE, Muhammad!, denke ich und „Ana Aasif! Hey, Mansoor, echt Sorrry!“, sage ich. Zum Glück habe ich vorgestern den Arabic-for-Dummies-Kurs bekommen!

„Naja, Muhammad“, Muhilein, komm´ schon, „you know, the ethiopian basket is in different colors, and has a different pattern. It´s not really like your wife´s basket!“. Das ist zu viel Englisch, aber das ich mich so rausmogel und halb entschuldigt hab, hat er doch mitgekriegt, denn auf einmal steht das strahlendste Lächeln auf seinem Gesicht, er steht auf und hält mir die Hand hin. Ich schüttele sie, weiss zwar jetzt nicht genau, was abgeht, aber ist ja auch egal. Wahrscheinlich ist die vollzogene Entschuldigung. Wir zwei sind jedenfalls wieder gut, so viel steht fest, denn Muhammad schenkt mir noch einen Speer. Ja, Speer. Super.

Tamam. You! In house. If some come...“ und er krault mit den Fingern in der Luft, macht ein Zeichen für Klein und danach für Gross, nimmt den Speer in die rechte Hand und wirft ihn in hohem Bogen in den Sand. „Pamm! Tamam! - Everrry has! - In house!“. Gut, hab ich jetzt eben einen Speer. Find ich ja süß vom Muhammad! Der wickelt ihn jetzt noch schön in ein sandiges Tuch, das er Stück für Stück aus seinem Sack herausreisst, kreiert virtuos ein grandioses Schleiferl drum und schenkt es mir. Kann doch nicht sein? Is aber so. Bin verwirrt, „was soll ich´n jetzt mit ´nem Speer?“.Naja, sieht ja ganz gut aus. Macht sich vielleicht klasse im neuen Wohnzimmer? In der Küche? Im Garten?

Ich danke, gucke auf den Speer in meiner Hand und dann auf das Szenario dahinter: der wundervolle Anblick goldener Pyramiden, die im warmen Abendlicht inmitten sandiger Dünen metallisch schimmern. Den Speer muss ich jetzt natürlich mitnehmen, da gibt’s keine Widerrede, so packe ich den ein und wir wandern bei 39,7 Grad um 17.00 Uhr mit Speer zwischen den Gebäuden umher, sind die Einzigen am Platz und können uns nicht sattsehen an gut erhaltenen Hieroglyphen im Innern der Tempel. Zeichnungen von muskulösen Menschen mit Tierköpfen, von Alltagssituationen wie Kochen, Wasser holen, dem Pharao die Füsse küssen und Pyramiden-Steine schleppen.

Die Meroe Sites sind noch gut in Schuss, wenn man bedenkt, dass sie satte 592 Jahre vor Christus erbaut wurden. So lange stehen sie schon da. Ganze 2605 Jahre! Wow! Meroitische Pharaonen regierten hier, bevor sie von den Abyssiniern im Jahre 350 nach Christus überrannt wurden.

- Life´s a bitch, sometimes...

Naga TEmple

Immer noch Mittwoch, 27.02.2013

Esel und Kamele

Ja, auch bei dem Lion´s Tempel (Sud.Pfund 20) in Naga, mitten in der Wüste waren wir. Der glänzt durch großformatig-fantastische Profilzeichnungen á la Löwenkopf über menschlichen Körpern. Gleich daneben liegt der Pilgerort Musawarat mit putzigem Antik-Mini-Schloss inklusive aufwändiger Stuckarbeiten, und verzierten Säulen in schmeichelndem Rosé.

Weiter vorne sehe ich eine wilde Großfamilie, die einen kleinen Esel anschreit. Er zieht eine lange Leine hinter sich her, die in einem Brunnen am Berg verschwindet. Der Kleine gibt alles, mit nassen Flanken stapft er, klopft die Hufe in die trockene Erde. Verzweifeltes I-CHCH-AAAAA-CH ertönt, als wir daran vorbeifahren. Eben arabischer Esel. Oh, jetzt kann er nicht mehr, bleibt stehen, geht in Protesthaltung über. Doch die Situation wird resolut von einem 4-jährigen Mädchen mit hartem Stock gelöst. Langsam trippelt er wieder an, zieht und zieht...und läuft satte 100 Meter weit! Danach cruisen wir über leergefegte, sauber geteerte Straßen mitten durch die Wüste hin zu den Meroe Sites.

Hier lerne ich also Muhammad kennen, bekomme den Speer, laufe in jeden Tempel, stelle mir die alten Pharaonen vor und im Speziellen mich als Pharaonin. Hach, ich glaube, ich könnte das ganz gut, hier. „Du, wasch´ mir die Füsse! Und Du, bau mir nen neuen Tempel! Aber diesmal mit runder Kuppel! Ja, JETZT!“. Ich fotografiere unersättlich sämtliche Pyramiden aus allen vorstellbaren Winkeln und erblicke in der Ferne noch eine zweite Anhäufung von geschlichteten Steinen. Es ertönt ein quietschendes Pfeiffen hinter mir und gleich danach rieche ich muffigen Kameldunst. Da steht auch schon wieder Muhammad. „Camel Ride!?“, grinst er mich an. „Ja, warum nicht“, denke ich und schon verhandeln wir über den Preis. „40“, sagt der Araber, „20 there and 20 back!“; „20“, sage ich „10 there...“. „15!“, „10!“, Speer hin oder her. Muhammad lächelt mich an, gut, sagt er, „20“. „No“, sage ich, „La! 10 there... - and I walk back“. Muhammad wiegt seinen Kopf, zögert, es sind ja auch nur 300 Meter hinüber, im Schritt können das ja nicht mehr als 10 Minuten sein. Endlich willigt er ein, schüttelt meine Hand und befiehlt Kamel „Achmet“ mit geschlüftem „Chlllllala“, sich auf den Boden niederzulassen.

Das sieht nach Kraftakt für das arme Kamel aus, es fällt ungebremst auf die knochigen Knie, autsch´n, legt den Kopf in den Sand, Vogel-Strauss-Technik? Jetzt folgt die Kiste mitsamt Kamelpo. Erstmal gähnt es, dann steige ich auf. Achmet ist nicht begeistert und tut das mit lautem Schnauben kund, während er den riesigen Kopf zu mir dreht. Hat der aber Mundgeruch!

Muhammad lacht, und sagt „Sorrrrry. Is a Achmet. But. No prrroblem. SIT!“. Ich tue wie geheissen und der weisse Turban macht mich freundlicherweise darauf aufmerksam, doch jetzt ganz, ganz fest die beiden Holzgriffe vor und hinter mir zu umkrallen, wegen „Up!“. Da macht er wieder mit der Zunge dieses schlürfende Geräusch und mit lautem Ächzen erhebt sich Achmet erst hinten, ich klappe nach vorn, oh leck, ich bin im 55 Grad-Winkel Richtung Kamelhals, beziehungsweise Boden. Ich halte mich mit weissen Knöcheln am rutschigen Holzknüppel fest, und endlich, endlich bringt Achmet die hintere Kiste hoch. Mit einem riesengroßen Ruck bin ich plötzlich ganz weit oben und sehe den langen beigen Kamelhals vor mir, das lustige Gesicht dreht sich erneut zu mir um, etwas erstaunt, dass nicht Muhammad auf seinem Rücken sitzt. Doch dann grinst mich Achmet ganz lieb an und trabt auch schon los. Ui, das ging aber schnell, schon ist er im Gallopp und das fühlt sich ungefähr so an, wie viermal völlig im Gang verschalten.

Nach groben Kupplungsproblemen haut Achmet jetzt mit Rumps den Dritten rein, dann vertut er sich erneut, geht übergangslos mit halbem Abwürgen in den Ersten und dann in den Rückwärtsgang. Rechts vor, links rüber, schwer nach hinten. Immer wieder. Ich glaub ich muss kotzen. Kurz davor macht Muhammad von hinten seinen „Asiate-schlürft-Nudelsuppe“ gescratcht mit „Knutschlaut-von-Zahnspangen-verhakten-Teenagern“-Sound – und Achmet steht! Satte Leistung, Muhammad! Der grinst sich einen ab und schlendert langsam auf uns zu, macht ein anderes, sehr, sehr merkwürdiges Geräusch, rückt seinen Turban zurecht – und Achmet geht in die Knie. Ohhh, ohhh...jetzt wieder festhalten. Das arme Kamel knickt seine langen Beine, fällt volle Kanne mit den Knien in den Sand, wumps, mich haut´s nach vorne, und dann dauert es wieder eine Ewigkeit, bis das Hinterteil folgt...ich zähle eins, zwei, drei, vier und endlich, endlich klappt der Popo auch herunter – und wir liegen im Sand. Nein, also ich nicht, ich bin noch schön drauf auf dem Rücken, hey, alte Reiterfahrung, doch Achmet liegt, dreht seinen Kopf, gähnt und lächelt auf einmal gar nicht mehr.

Muhammat schüttelt mir die Hand, ist wahrscheinlich froh, dass ich nicht runtergefallen bin, ich überreiche die zehn sudanesischen Pfund, wehre ab, dass ich wirklich, wirklich, wirklich nicht wieder zurückreiten will, und ziehe mir die nächsten Pyramiden rein.

Nach Stunden ohne Trinken kleben unsere Zungen am Gaumen fest und wir schleppen uns zurück zum Auto. Nach dem Durstlöschen machen wir uns auf zum Buschcamping-Nachtplatz, wir cruisen über die Dünen, immer weiter, hinter die Pyramiden, dort wo uns kein Mensch mehr sieht, und suchen uns einen schönen Platz unter dem funkelnden Himmelszelt.

Hier sind wir ganz allein, nur trockene Wüste um uns herum, kein Geräusch, Nichts. Es ist so still, ich höre meine eigenen Körperfunktionen. Herzschlagen, Blutrauschen, Schlucken, Atmen.

Während wir gierig die erste Mahlzeit des Tages verschlingen, verschwindet allmählich der letzte Rest Sonnenschein, ein grauer Schleier legt sich über die weite Wüste. Über mir glitzern Millionen winzig kleiner LEDs, die mich wie ein feines Netz überspannen, die Dünen, unser Auto, die Pyramiden, die vier Dornbüsche und sechs Skorpione. Es ist so wunderbar still, dass es schon an Lärmbelästigung grenzt, als eine Fliege an meinem Ohr vorbeisummt.

BEI MEROWE

Donnerstag, 28.02.2013

CafÈ du Dunes

„Tock Tock Tock!“. Ein Stock schlägt gegen das Auto. Ich ziehe den Vorhang zur Seite, schmeisse das Tomaten-Käse-Basilikum-Brötchen auf den Teller und linse raus. Drei arabische Männer mit Dunkelblick, Megaturban, wehenden Kaftanen und Hakelstecker in der Hand stehen vor Georg (nicht der nette Mann auf dem Bild, das ist Muhammad von gestern!). Da tockt es wieder vehement gegen das Auto.

Hektisch verräume ich Brot und Co, schmeisse meinen Schleier um den Kopf und gucke nochmal. Genau in dem Moment wird’s draussen richtig laut, ein arabisches Durcheinander und der Größte klopft mit seinem dicken Stock gegen Georg´s Crocs. „SHOE!“, schreit er da ganz englisch. „Shoe! Shoe! SHOE!“. Mein Blick fällt auf seine Füße. Tja, der hat auch nur noch Einen an. Der andere Fuss glänzt schokoladig barfuss im weichen Sand. Da ertönt Georgs unnachgiebiges „No! LA!“.

Die drei wechseln düstere Blicke und schwingen simultan die Stöcke. „Oh, nee“, denke ich, „Kein Stress jetzt, pleaaaase!“. Nervös packe ich im Auto alles zusammen, Teller in den Schub, Messer ins Besteckfach, Kisten auf den Boden, Kissen auf´s Bett, kralle das Verteidigungsspray aus Canada und schmeisse es vor. Ich rufe Georg über´s Seitenfenster zu: „Bärenspray liegt auf´m Fahrersitz. Hab alles gepackt, fahr´ ma!!“. Der Funke scheint entzunden, die drei werden aggressiv, immer lauter und schreien Schatzi an. „SHOE! SHOE! SHOE!! - CAR!“. Ja, klar!

Georg ruft „A Salama“, springt ins Auto, wir düsen los, die Drei gucken. Nun gut, ein anderer Schlafplatz muss her. Heller Sand kriecht über die dunkle Teerstrasse, als wir weiterfahren. In winzigen Böen windet er sich wie eine schillernde Kobra. Ein glühender Aprikosenball erscheint leuchtend über den goldenen Dünen und färbt die Landschaft in schimmernde Bronze. Wir entfernen uns gute drei Kilometer von der Strasse, ruckeln über steinige Strecken, gleiten über weichsandige Dünen, fahren eine schöne Schleife, sodass wir die Lichter von Verfolgern früher sehen können, verstecken uns hinter einem hohen Berg und errichten unser Lager. Nach dem Abendessen erscheint das funkelnde Sternenzelt erneut über uns.

Eine interaktive Kuppel, die uns komplett umspannt. Der Gürtel des Orion, der Streber, erscheint natürlich wie immer als Erster. Ich sehe den „großen Wagen“ und „das Kreuz des Südens“ und das „kleine Fragezeichen“. Zack! Sternschnuppe! Ein heller fünf Zentimeter Lichtschweif, der nach links unten in weichem Bogen verglimmt. Jetzt schnell ein Wunsch. Ok. Fertig. Vor lauter Aufregung habe ich mein Wasser verschüttet, doch das tut ganz gut, wie es auf meinem Bein verdunstet. Es werden immer mehr. Mehr Sterne, mehr Glitzer, mehr Planeten, unfassbar!

Wie tausensiebenhundertfünfzig Millionen Diamanten, deren Schliff auf dunkelblauem Samt das Licht bricht. Wie ein interaktives Gemälde, das sich vor meinen Augen verändert. Ich neige meinen Kopf nach hinten, geniesse mein Alko-Pop-Getränk, stöpsle mir die Aria von Cafe del Mar ins Ohr und beame mich weg...

DONGOLA

Freitag, 01.03.2013

Tamirs, PEitschenhiebe
& Sternschnuppen

Enthusiastisch wie ein Goldfisch im runden Glas laufe ich durch knallbunte Shops, frage rastlos „Ayana Mihad Da Ilogood?“. Es hat 55 Grad und ich bin auf der verzweifelten Suche nach einer Tankstelle. Hier ein paar Thuna-Dosen, Reis und klebrige Sesamkräcker, doch, leider, eine Antwort auf meine Frage kann ich nicht finden.

Gegenüber des Minimarkts gibt’s ein Restaurant, vielleicht dort. Da lachen mich knusprige Goldtaler hinter einem Plexiglaskasten an. Die Bur´qua-vermummelte Frau vor mir (Gott, wie hält die das nur aus?) nimmt sich zwei Semmeln vollgestopft davon. „KamKam?“, frage ich den Verkäufer? Ein Pfund, macht er mir mithilfe seines Zeigefingers klar (16 Cent). Da kauf´ ich doch gleich mal zwei, heissen Tamir, erklärt mir Mazar. Wer von beiden was ist, wird auch erst nach dem dritten Lacher klar. Dass ich nicht „Wadi Halfa“ bin, auch.

Da es mit der Kommunikation bei uns ja so hervorragend klappt, frage ich Mazar auch gleich mal nach der Tankstelle. Erst hebt er an mit „Aychama Lana...“ da schalte ich schon ab, lache, sage, „Affoan...Ana Aasif...no arabic“ und mache ein verlegenes Gesicht. Ist auch scheisse, nichts zu verstehen. Ich schreibe mir einen Denkzettel, auf dem steht: „Arabisch lernen! Mehr Basics!“ und versehe sie mit einem gelben „Wichtig“- Marker, damit ich´s auch gleich wieder im Hirn finde. Mazar steht plötzlich vor mir, hat seinen Platz hinter dem Plexiglaskasten verlassen, ein Holzbrett über die Auslage gelegt, reibt seine Hände sauber, greift in die Hosentasche und hält einen Schlüssel hoch. Was´n jetzt? Ich soll ihm folgen, gestikuliert er und dann „BrummBrumm!“. Er zeigt auf unser Auto, biegt schnell nach links um die Ecke und während ich noch verdutzt dastehe, mit meinen beiden Tamir-Semmerln in der Hand, braust auch schon ein TuckTuck heran. Mazar!

„Gaz! Gaz...“. Ich hechte die Straßenseite hinüber zum Auto, hüpfe auf den Beifahrersitz und wir folgen dem wild hupenden Mazar. Nach fünfzehn Minuten vorbei an Märkten, Obstständen, kleinen Shops und hiesigen Parfümerien sind wir auch schon da. Tankstelle! Mit! Diesel! Hurra! Ich bedanke mich herzlich bei Mazar „Shok´ran, shok´ran“, verdammt, ich kann auch einfach nicht mehr und freue mich sehr über seine Hilfsbereitschaft. Der wiegelt ab, und sagt „A Salama“ und weg ist er.

An der Tankstelle wird vor uns gerade ein Esel aufgetankt. An beiden Seiten hängen neongelbe Kanister, die gefährlich schlackern. Randvoll. Hoffentlich ist er kein Raucher. Als die Eselbetankung abgeschlossen ist, kommen wir an die Reihe. Einmal voll, bitte. Das sind dann so um die 300 Liter. Ein Liter Diesel zu 1,75 Pfund. Macht dann 525 Sudanesische Pfund, sind gleich 87 Euro. Nicht schlecht. Ich frage nach „Moya“ (Wasser) und wir können hinter dem Gebäude unseren Schweizer Wassersack auffüllen. So als Back-up.

Wir besuchen anschliessend die etwas brüchigen Pyramiden von Nuri und den quasi nicht mehr vorhandenen Tempelkomplex „Temple of Mut“, sowie El Kurru, Zwillingsgräber, die in den Stein gehauen sind. Naja. Haut mich jetzt nicht so vom Hocker. PS Tamirs waren lecker...fritierte Griestaler, würd ich tippen.

Wieder suchen wir uns einen schönen Nachtplatz in der Wüste. Es wird dunkel. Langsam erscheint der helle Lichtkegel hinter der Düne. Da ich nun ja wirklich nichts anderes zu tun habe, mache ich es mir im Stuhl bequem, bereite in leckeres Vodka-Mix-Getränk zu und sehe dem Mond beim Slow-Motion-Rising zu. Ganz, aber nur ganz kurz flackert der fiese Gedanke an die offiziellen „40 Peitschenhiebe zur Strafe bei Alkoholverzehr“ auf – aber der ist jetzt auch wieder schnell weggespült. Da denke ich lieber über den Mond nach, der Herrn der Nacht, der Meister im Zappenduster, der Pharao der Dunkelheit.

Mitten in die Stille hinein ein seltsames Geräusch. Ein Heulen. „Uhhhuuuu! Uhuuuu!“. „Pharao, sprichst du zu mir - Sprich lauter!“ „Uhuuuuhh“. „Nein, komm´ schon! Ich kann dich nicht verstehen...“ „Uhuuuhuu!“ - „Bitte!“. Doch nichts. Nach ein paar kühlen Schlucken erscheint er endlich in voller Pracht und taucht die weite Landschaft in kühles Alabaster.

Da gönne ich mir doch gleich noch eine Luxus-Vollmond-Dusche unter der eleganten Diamantenkuppel (scheiss auf Kerzen!), lausche auf eine eventuelle Nachricht (die aber nicht kommt) und seife mich in voller Wonne ein. Heller fluffiger Schaum, gleissender Mond, schimmernde Porzellan-Wüste und glitzernde Sterne...ach, das Leben ist schön. Hey...STERNSCHNUPPE!

Mann, jetzt gehen mir aber bald die Wünsche aus!

Wadi halfa

Sonntag, 09.03.2013

Reisevorbereitungen
unter dem Krieg der Sterne

Ich mach´s kurz: nicht viel los im friedlichen Dörfchen Wadi Halfa, wo wir im Hotel Cangan auf die Verschiffung warten. Unten hochgeklappte, staubige Bürgersteige, oben brilliant auffunkelnder Krieg der Sterne: zu viele Diamanten, Planeten, Galaxien und entfernte Sonnen kämpfen am Samtfirmament um ihren Leuchtplatz, es wird so eng, dass die sensiblen unter ihnen flackernd aufgeben und in einem letzten Aufglimmen verzweifelt Richtung Erde springen.

Verglühende Schnuppen mit langen Schweifen rieseln herunter, an allen Gestirnen, so multipel, dass sich meinerseits leichte Schwierigkeiten bei der sich so rapide abgehakten Wunschliste einstellen. Auf Erden bilden zuckertriefendes Basta (Blätterteiggebäck), frittierter Ganzkörper-Fisch, Fuul (Bohneneintopf), Pitta-Brot und Chicken zusammen mit 3-Liter-Cola-Infusion unsere tägliche Ernährungsgrundlage. Fixer Mazar macht seinen Job sehr gut, organisiert die Verladung der Autos auf eine windschiefe Fähre, besorgt unsere Tickets für das Personenschiff (220 $/Auto, 40 $/Fähre pP, 15 $ Hafengebühr, Mazar: 30 $); Am Rande erwähnt: ich kann keine Geh-in-die-Hocke-und-treff-mit-Beinkrampf-das-Loch-Klo´s-ohne-Spülung mehr sehen, Georg hat Angst vor Toilettenpapierknappheit (nicht zu kaufen – man nehme die linke Hand) und Vally zittert vor dem Alleinsein.

Montag Auto-Verladung, Mittwoch sind wir dran. Sternschnuppe! Wow, schon wieder. Wunsch.- Hey! Wunsch ist Wunsch!

WADI HALFA

Mittwoch, 13.03.2013

Im Mixer mit dem Programm:
Alm-abtrieb

Ein flatternder Kaftan-Strom in den fröhlichen Farbschattierungen Grau-Schwarz-Weiss drängelt sich mit Kämpferblick und ausgefahrenen Ellbogen im engen, stickigen Flur an mir vorbei. Hunderte Menschen im Vollkörperkontakt mit klarem Ziel vor fiebrigen Augen: als Erster hoch auf´s Deck!

Ich spüre schwitzende Hände, haarige Köpfe, spitze Knie und bombastische Taschen, die sich in mich bohren. Ein kleines platzängstigendes Gefühlchen steigt in mir hoch und die gute Laune stirbt einen schnellen Tod. „Hey!“ hier und „afwan“ dort, aggressives Fluchen, grimmige Laute, ich ziehe den Kopf ein, gleich fliegen die Fäuste, gemurmelte „Assif“´s (Entschuldigung). Mein Schädel schmerzt, mein Gehirn ist aufgequollen und braucht mehr Platz: zu viele Koffer, Bügeleisen-Umverpackungen und blaue Plastiksäcke auf Kopfhöhe, untenrum schubsen Breitband-Ärsche, Kinderhände und XXL-Bags.

Die Stimmung ist gereizt, nach drei Stunden Warten in der Hafenhalle, aufwändiger Gepäckdurchsuchung, nichtfunktionellen Stinke-Toiletten und halbstündigem Brüten im Zubringer-Bus. Auch meine. Doch nun haben wir es geschafft, haben den Sprung an Board der MS AIDA geschafft, ha, kleiner Scherz. Wir sind auf einem Schiff, das die besten Zeiten vor 25 Jahren hinter sich gelassen hat. „All part of the adventure“, hechelt die mittlerweile rotangelaufene Glenda unter ihrem blonden Pony neben mir. Im Cangan-Hotel in Wadi Halfa trafen wir uns wieder mit den Engländern und gehen nun gemeinsam auf stylische Kreuzfahrt.

Wir schieben uns quietschende Eisen-Treppen hoch, vorbei an graumelierten Kaftanen, an Bur´quas, gemusterten Schleiern und schwarzen Westen, die sich unkontrollierbar zu vermehren scheinen. Wie eine quellende Masse, ein in der Sonne ruhender Hefeteig, der monströse Ausmasse annimmt und bald über die Form bricht. Die meisten Einströmenden sind Ägypter, die nach Hause wollen. Wir hechten mit unseren Backpacks hoch auf´s Deck und versuchen, einen Platz zu ergattern. Den werden wir auch für die nächsten 24 Stunden nur selten verlassen, steht einer auf, ist er weg, der Platz. Endlich finden wir eine angenehme Stelle mit Rückenlehne neben dem Captains-Haus, packen Rucksäcke und Decken darauf und richten uns ein. Die 48-Grad heisse Sonne sticht erbarmungslos herunter, kein Schatten weit und breit, der Boden brennt unter uns. Ich rolle meine mitgebrachte Yoga-Matte aus, die isoliert wenigstens ein bisschen vor dem Untergrundfeuer. So harren wir der Dinge.

Fünf Stunden vergehen, wir ankern immer noch im Hafen. Es passiert nich wirklich was. Doch. Schon. So um die 45 Menschen stolpern während dieser Zeit über meine Beine. „Assif“, „sorry“, „Oh“ - Ja, ja, schon gut! Macht ja nichts! Mit dem zum Ticket gehörigen Essens-Gutschein zwischen den Fingern krabble ich über die Menschenmassen, arbeite mich langsam aber stetig zur Küche drei Stockwerke weiter unten durch und stelle mich artig in die Schlange. Ich warte geduldig, bis ich kaltes Chicken und Fuul bekomme. Kaufe Cola. Warte. Kauere. Schwitze. Fühle mich bedrängt. Watschle wieder hoch, nehme Platz neben Georg, strecke mich aus, ah das tut gut. Klack, wieder haut´s einen über meinen Fuß. Nee, schon gut. Macht ja nichts!

Statt termingerecht um 17 Uhr verlässt das Boot um 20.30 Uhr den Hafen. Wir tuckern mit Sardinen-Dosen-Feeling inklusive pikanter Öleinlage los. Ein Kleinind fällt hin, gibt laut schreiend meinem Bein die Schuld. Is´ ja gut! Ich ziehe die Knie wieder an und frage mich, wie lange ich diese erzwungene Körperhaltung aushalten kann. Ich packe meinen Kindle aus, schmökere, nippe an der Cola. Kurz strecke ich mein taubes Bein aus, starre vor mich hin, sehe ein Mädchen anrennen, ziehe mein Bein vorsichtshalber wieder ein. Die Sonne geht unter, der See funkelt kurz mandarin darin auf, es wird romantisch – mal von den 580 anderen Personen abgesehen. Ein paar sind in wenige Kabinen unter Deck eingezogen, Sitzplätze gibt’s keine. Auf dem Weg zu den First-Class-Toiletten im Erdgeschoss (gefliestes Loch-im-Boden) kann ich einen Blick auf ein enges Zimmer erhaschen und bin froh, nicht im fensterlosen Dasein mit 1,5-Meter-Matratzen zu sterben, dann lieber an Deck. Im Flur liegen die Menschen aneinander gequetscht, zwischendrin Berge von Gepäck, Dampf und ein ohrenbetäubendes Motorengeräusch. So muss es auf der Titanic gewesen sein. Also für die armen Leute, die, die als erste sterben mussten.

Oh Gott, ich kriege Platzangst, ich muss wieder hoch. Ich drängle mich an der Masse vorbei, steige über Beine, Taschen, Babies. Wieder oben erscheint über den 400-Menschen-Tetris-Spielenden ein fantastischer Sternenhimmel mit grandiosem Mond. Ich quetsche mich über Körper, berühre aber keinen, balanciere entlang dem unteren Geländer der Reeling, halte mich oben fest, denn jeder Quadratzentimeter des Bodens ist nun belegt. Embryo-Stellung hier, perfekt angepasst der nächste Körper, Po an Po, Rücken an Rücken, platzsparende Deckbelegung. Wir befinden uns irgendwo auf dem Nasser See, als der Wind einsetzt. Heulender Wind, der meine Haare in alle Richtungen fliegen lässt; ich greife in den wohlweislich, wenn auch unter Lächeln anderer Personen gepackten Rucksack, hole Fleece-Decke, Jacke und Pulli-wird-zum-Kissen heraus, wasche mich dank der wunderbaren Erfindung von Soft-Wipes das Gesicht, putze vor erstaunten 800 Augenpaaren meine Zähne unter freiem Himmel und kuschle mich auf den Boden.

Die Seitenstellung schmerzt trotz Yoga-Matte. Ja, bin ich halt ein Weichei. Egal, habe auch noch Schal und Tuch dabei. Bevor ich die auspacke, um meine Hüfte physiologisch korrekt zu unterstützen, lege ich mich erstmal auf den Rücken. Schon besser. Und glorioserweise ändert der Kapitän in ebendiesem Augenblick seinen Kurs. Und mich schiebt´s in Mega-Optik! Der fulminante Sternenhimmel vor samtblauen Hintergrund dreht sich wie im Luxus-Planetarium. Ein hell erleuchteter Mond fährt auf Speed an mir vorbei, wuuusch, von links nach rechts, aber zackig. Alles dreht sich so unwirklich, immer wieder. Der Wind nimmt zu und es wird tatsächlich kalt und kälter.

Einer stolpert über mein Bein. Nee, schon gut. Macht ja nichts! Könnte sich ja auch mal entschuldigen, denke ich noch und beschliesse dann aus Sicherheitsgründen meine hervorragende Stern-Seher-Position zugunsten meines Knies aufzugeben. Astrologie versus Chiropraktik. Es hüstelt und schnarcht im Panorama, das Rattern der kräftigen Schiffsmotoren wirkt beruhigend, irgendwie schaffe ich es einzudösen – bis einer über ein anderes Bein fliegt und auf meiner Hüfte landet. Nee, schon gut. Macht ja nichts! Georg und Jamie sind wach. Ich sehe ein merkwürdiges Bild: hunderte von Menschen liegen auf dem einstmals blau gekalktem Deckboden, formen ein schwarz-grau-weisses-Puzzle in denkwürdigsten Stellungen, ein grauer Kaftan schleicht auf Zehenspitzen zwischen all den schlafenden Menschen herum, findet einen Zentimeter zum Weiterkommen hier und einen anderen da. Mit Karton und blauer Plastik-Reisetasche bewaffnet sucht er nach einem freien Platz. Findet aber nichts.

Ich lasse mein oberes Augenlid wieder auf das untere fallen, drehe mich auf die Seite und nicke wieder ein. Da spüre ich leichten Druck am Fussballen. Schläfrig öffne ich die Augen erneut. Wäre ich nicht so hundsmüde, wäre ich fassungslos. Der Mensch hat sich zwischen mich und Georg gelegt. Da waren knappe 30 Zentimeter frei, seit meiner Wechselstellung zur Seite. „HEY“, murmle ich superhöflich, „You CANNOT sleep here!“, der Mann stellt sich schlafend.

Ich kicke ihn total gefühlvoll mit meiner Fussspitze. Keine Reaktion. Ich greife hinter mich und klicke die Taschenlampe an. Große Pupillen starren mich an. „HEY! - You cannot sleep here!“. Verstört gibt der graue Kaftan-Mann sich geschlagen, sagt kein Wort, greift seufzend unter sich zum Karton, nimmt die Tasche in die eine und die Pappe in die andere Hand und verschwindet im Dunkel der Nacht. Kurz heulen ein paar Menschen auf, gefolgt von entschuldigendem „aswan, aswan“, ein Typ neben mir schüttelt den Kopf und reibt sich den Arm, weiter vorne zieht einer vorsichtshalber die Beine ein. Ich kehre zurück zur Ausgangsstellung und döse in frischen Schlaf. Bis einer über mein Knie fliegt. Nee, schon gut. Macht ja nichts!
Zurück zum Schlaf.

„Allah! Amandes-aaaaaanaaaadam. Allah. - ACHAMALATT!!“, ich zucke, erwache, reibe mir die Augen, einer fällt über meine Beine. Sieben Meter entfernt stehen 50 Männer hintereinander in Reih und Glied auf bunten Fransenteppichen an Bord und fallen synchron auf die Knie. Bamm. Trotz dem Knüpfperser knallt es ordentlich und die Yogamatte zittert unter mir. Kopf auf Boden. Bamm Bamm. Manche erscheinen nach dem Bodenkontakt mit dunklen Flecken auf der Stirn. Nein, der Teppich ist nicht dreckig, die Beulen wurden hart erarbeitet: jahrelanges 5x täglich Hard-Core-Beter- Training - direkt unter dem Haaransatz bleibt das dauerhafte Horn. Bamm. Kniefall.

Einer kommt zu spät, stolpert mit gerolltem Teppich in der Hand über mich. Nee, schon gut. Macht ja nichts! Ach, ich schliesse einfach wieder die Augen. Bamm. Irgendwann ist auch das vorbei, ich stehle mir noch ein bisschen Schlaf, zum Frühstück erscheint ein verknautschter Georg mit dampfendem Tee und Vanille-Gebäck! Träume ich noch? Nee, die Blase drückt.

Ich kneife mich selber, nippe an der heissen Tasse, sehe verknitterte Menschen um mich herum und frage mich, wie ich wohl aussehe. Dank einer Schlange, die jede Konzerthalle vor Neid erblassen lassen würde, bekommt mich kein Spiegel zu sehen. Der Tag beginnt, das Warten geht weiter. Die Sonne erscheint, der Mond geht, Wind legt sich schlafen. Einen haut´s über meine Füße. Nee, schon gut. Macht ja nichts! Vom zweiten Essensgutschein holen wir uns den Lunch, es ist schon wieder 12 Uhr mittags. Fuul. Chicken. Cola. Die Sonne brennt. Mein Gesicht sitzt immer noch nicht.

Vier Colas später geht’s mir besser – und endlich ist das Klo frei. Es wird eins, zwei, halb drei, wir sehen goldene Berge, kurze Freude flackert in mir auf. Ich springe hoch, sehe ägyptisches Land! Hurra. Wir docken an. Am Hafen wartet eine Masse von Menschen auf ihre Lieben, ihre Freunde, ihre Verwandten. Und alle fangen gleichzeitig vor Freude an zu schreien, kreischen, jellen. Ich halte mir die Ohren zu, schleiche zum Schlafplatz, packe in Slow-Motion meine Sachen. Jemand tippt mir auf die Schulter. „Andrea?“ und hält mir meinen Pass hin. Ja, stimmt, den mussten wir ja gestern abgeben, beim Eingang. Egypt-Visa ist drin, Sudan ausgestempelt, alles prima. Ich bin aufgeregt, in ein paar Minuten betrete ich neuen Boden.

Tuten. Lautes Horn ertönt. Baaaahaaaaaa. Wir drehen um. Was? Ja, wirklich. Wir fahren weitere drei Stunden im Kreis. Ich setze mich wieder hin. Einer fällt über meine Beine. Nee, schon gut. Macht ja nichts! Meine rechte Wade hat vier mittelgroße Flecken. Lila. In Klorichtung war´s offensichtlich dringender, analysiere ich die Situation scharfgeistig.

Um Drei docken wir wieder an. 24 Stunden auf dem Tetris-Boot! Das hysterische Kreischen setzt erneut ein, Taschen, Kartons, Bügeleisen, Waschmaschinen, Kinder, Koffer, Schleier und Fuuls kriegen flinke Beine und nun fliegt alles zusammen über meine Knie. Nee, schon gut. Macht ja nichts! Ich rapple mich auf, strecke mich erst und denke dann panisch „im Strom bleiben!“.

Ich werde wie im Milk-Shake-Mixer durchgequirlt, nein, eigentlich eher ein Pürrierstab, irgendwie schiebt mich die quellende Masse mit den schwarz-weissen Smarties einmal quer durchs Schiff, die knarzende Eisentreppe hinunter, durch den langen, stickigen Gang, dem Licht entgegen. Ägypten! Muh!

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